Perspektive

Streikwelle im Herbst: Arbeiter in Konflikt mit den korporatistischen Gewerkschaften

Die Arbeiterklasse in den Vereinigten Staaten gerät in einen heftigen Konflikt mit dem Gewerkschaftsdachverband AFL-CIO, der seinerseits alles tut, um das Aufkommen der größten Streikwelle seit Jahrzehnten zu verhindern.

Streikende John-Deere-Arbeiter (UAW Local 838)

Gerade zwingt die Gewerkschaft United Auto Workers (UAW) 10.100 streikende Beschäftigte bei John Deere-Landmaschinen, über einen Sechsjahresvertrag abzustimmen, der genauso mies oder sogar schlechter ist als der Vorschlag, den die Beschäftigten gerade erst am 2. November abgelehnt hatten. Deere hat angekündigt, der Vertrag sei ein „letztes, bestes und endgültiges“ Angebot, und die UAW setzt sich genau so dafür ein.

Angesichts des kämpferischen Widerstands der Arbeiter, die Mitte Oktober den ersten von der UAW ausgehandelten Vertrag mit 90 Prozent abgelehnt haben, zieht die UAW jeden schmutzigen Trick aus der Tasche. Dazu gehört auch der Versuch, die 3.100 Arbeiter in den Deere-Werken in Waterloo, Iowa - dem Zentrum der Opposition - zu spalten, indem 12 getrennte Abstimmungsrunden im Abstand von je einer Stunde abgehalten werden, bei denen die Arbeiter nach ihren Nachnamen in Gruppen getrennt werden.

Bei der Ankündigung der erneuten Abstimmung in der vergangenen Woche erklärte die UAW, sie werde „das von unseren Mitgliedern festgelegte Ergebnis unterstützen“, so wie sie es „während des gesamten Verhandlungsprozesses“ getan habe. Die UAW, deren führende Funktionäre gerade jüngst als bestechliche Lügner entlarvt wurden, die Mitgliedsbeiträge der Arbeiter unterschlagen, hat sich nur einer Sache verschrieben: das Diktat der Unternehmen gegen den Willen der Gewerkschaftsmitglieder durchzusetzen.

Einige Zeit vor der Sabotage am einmonatigen Deere-Streik würgte die UAW schon den Streik von 2.900 Volvo Trucks-Beschäftigten in Virginia ab. Hier hatten die Arbeiter drei von der UAW unterstützte Verträge abgelehnt, bevor die UAW eine „Neuabstimmung“ über den dritten Vertrag forderte, der mit nicht mehr als 17 Stimmen Vorsprung angenommen wurde. Die UAW hielt dann 3.500 Beschäftigte von Dana Auto Parts anderthalb Monate lang am Arbeitsplatz, nachdem diese einen von der UAW vorgelegten Vertrag mit 90 Prozent abgelehnt hatten. Zuletzt wurde mit Lügen und wirtschaftlicher Erpressung ein konzernfreundlicher Vertrag durchgesetzt.

Es geht dabei nicht nur um die UAW. Seit dem 1. Oktober gab es mindestens 40 Streiks, an denen sich 28.000 Beschäftigte in verschiedenen Wirtschaftszweigen beteiligt haben. Die Antwort aller Gewerkschaften auf diese Revolte war die systematische Blockade neuer Streiks durch Absprachen in letzter Minute, die mit allen Mitteln durchgesetzt wurden.

Am Montag gab die International Alliance of Stage Employees, Moving Picture Technicians, Artists and Allied Crafts (IATSE) bekannt, dass ihre beiden Vereinbarungen, die 60.000 Beschäftigte in der Film- und Fernsehproduktion betreffen, mit einem hauchdünnen Ergebnis von 50,3 Prozent zu 49,7 Prozent ratifiziert worden sind. Die Beschäftigten der großen Hollywood-Studios lehnten den Manteltarifvertrag mit 50,4 zu 49,6 Prozent ab, aber die IATSE behauptete, er sei aufgrund des undemokratischen, an das Electoral College angelehnten Abstimmungssystems angenommen worden.

Am vergangenen Freitag gab die Alliance of Health Care Unions eine Vereinbarung bekannt, mit der ein für Anfang dieser Woche geplanter Streik von 32.000 Beschäftigten des Gesundheitswesens in Kaiser Permanente-Krankenhäusern an der Westküste verhindert werden soll. Der neue Tarifvertrag, über den noch abzustimmen ist, sieht Lohnsteigerungen deutlich unter der Inflationsrate vor und verzichtet auf Forderungen nach einer sicheren Personalausstattung.

Ende Oktober verkündete die Transport Workers Union eine Einigung in letzter Minute, um einen Streik von 5.000 Beschäftigten des Nahverkehrs in Philadelphia zu verhindern, und die United Food and Commercial Workers beendete einen sechswöchigen Streik von 450 Beschäftigten der Heaven Hill Destillerie in Bardstown, Kentucky. Ein neuer Fünfjahresvertrag wurde bei Heaven Hill durchgesetzt, obwohl eine Mehrheit dagegen stimmte. Die UFCW behauptete, dass zwei Drittel der Mitglieder mit „Nein“ stimmen müssten, um den Vertrag zu vereiteln und den Streik fortzusetzen.

Am schlimmsten sind vielleicht die Lehrergewerkschaften, die von Multimillionären geführt werden, und deren Hauptaufgabe im letzten Jahr darin bestand, die Lehrer in unsicheren Schulen wieder an die Arbeit zu bringen. Dies trägt zu einem weiteren tödlichen Anstieg der Coronavirus-Pandemie bei, die in den USA bereits mehr als eine Million Todesopfer gefordert hat und weiterhin jeden Tag mehr als 1.000 Menschen das Leben kostet.

Das Wiederaufleben des Klassenkampfes hat den wahren Charakter der „Gewerkschaften“ deutlich gemacht: Sie arbeiten mit Unternehmern und Staat Hand in Hand und helfen bei der Unterdrückung jedes Widerstands in der Arbeiterklasse.

Von demokratischen Rechten ist in diesen Organisationen keine Spur zu finden. Es läuft immer gleich ab. Streikrechtsabstimmungen werden ignoriert. Verträge, die mit überwältigender Mehrheit abgelehnt wurden, werden immer wieder zur erneuten Abstimmung vorgelegt. Oftmals, wie im Fall von Deere, haben die Arbeiter nicht einmal das Recht, den vollständigen Vertrag vor der Abstimmung einzusehen, sondern bekommen nur lügenhafte „Highlights“ präsentiert. Wenn die Gewerkschaften zu dem Schluss kommen, dass sie einen Streik nicht verhindern können, werden die Arbeiter an den Streikposten isoliert und mit Hungerlöhnen abgespeist.

1937 erklärte Leo Trotzki, der Gründer der Vierten Internationale: „Verteidigten diese Herren zudem noch die Einkünfte der Bourgeoisie gegen alle Angriffe der Arbeiter, d.h. führten sie einen Kampf gegen Streiks, gegen Lohnerhöhungen und gegen die Arbeitslosenunterstützung, dann hätten wir eine gelbe Organisation und keine Gewerkschaft vor uns.“

Genau das ist heute die Rolle der Gewerkschaften, wobei man aufgrund der Erfahrungen der letzten zwei Jahre noch hinzufügen könnte: „Sollten sie die Umsetzung einer Politik erleichtern, die den Tod zahlloser ihrer eigenen Mitglieder garantiert, indem sie sie zwingt, inmitten einer Pandemie zu arbeiten ...“ Die vom Naziregime in Deutschland eingerichtete Arbeitsfront unterschied sich in ihrer Funktionsweise nicht allzu sehr vom AFL-CIO.

Verteidiger der Gewerkschaftsbürokratie werfen der Socialist Equality Party „Sektierertum“ vor, weil wir darauf bestehen, dass sich die Arbeiter nicht vor den korporatistischen Gewerkschaften beugen und stattdessen neue Kampforganisationen aufbauen sollten, um die Arbeiterklasse zu verteidigen. Die Förderung der Gewerkschaften durch die Democratic Socialists of America, die Zeitschriften Jacobin, Labor Notes und viele andere Gruppen ist kein Zufall. Sie verteidigen die Gewerkschaften gerade deshalb, weil diese als Betriebspolizei gegenüber der Arbeiterklasse fungieren.

Diese Organisationen, die für privilegierte Teile der oberen Mittelschicht sprechen, sind mit wichtigen Teilen der herrschenden Klasse verbündet, angefangen bei der Biden-Regierung. Sie sehen in den Gewerkschaften die letzte Verteidigungslinie gegen eine wachsende Welle von Wut und Widerstand der Arbeiterklasse. Ansonsten bliebe kaum mehr als die Errichtung einer Militär-Polizeidiktatur. Allerdings muss man wohl hinzufügen, dass die bestehenden Gewerkschaften unter den Bedingungen eines Polizeistaats ohne Probleme funktionieren würden.

Der Aufstand der Arbeiterklasse gegen die pro-kapitalistischen und nationalistischen Gewerkschaften ist heute eine unbestreitbare Tatsache. Dieser ist nicht auf die Vereinigten Staaten beschränkt. Im Vereinigten Königreich versuchen die Gewerkschaften einen Streik von 1,4 Millionen Beschäftigten des Nationalen Gesundheitsdienstes zu verhindern, in Deutschland beteiligt sich die IG Metall an der Umstrukturierung und dem Abbau von Arbeitsplätzen in der Automobilindustrie und in Sri Lanka versuchen die Gewerkschaften, die landesweiten Kämpfe von Lehrkräften, Beschäftigten des Gesundheitswesens und anderen Beschäftigten des öffentlichen Sektors einzudämmen, die Lohnerhöhungen und Schutzmaßnahmen gegen die Pandemie fordern.

Das Internationale Komitee der Vierten Internationale (IKVI) hat diese Realität seit langem vorausgesehen. Vor drei Jahrzehnten kam das IKVI zu dem Schluss, dass die Gewerkschaften nicht mehr als „Arbeiterorganisationen“ zu bezeichnen sind. In Reaktion auf die Rolle der Gewerkschaften bei der Durchsetzung der mörderischen Corona-Politik der herrschenden Klasse initiierte das IKVI im Mai dieses Jahres die Gründung der Internationalen Arbeiterallianz der Aktionskomitees (IWA-RFC).

Der Aufruf zur Bildung von Aktionskomitees löst großen Widerhall aus. Lehrkräfte, Logistikarbeiter und Beschäftigte in der Automobil- und Zulieferindustrie, einschließlich der Beschäftigten von Volvo Trucks, Dana und Deere, haben Aktionskomitees eingerichtet. Damit haben Arbeiter ein Instrument, um über Betriebe, Branchen und Länder hinweg zu kommunizieren, um sich gegenseitig vor der Sabotage der Gewerkschaftsbürokratien zu warnen und ihr entgegenzuwirken.

Die Entwicklung dieser Komitees muss auf jeden Sektor und jeden Arbeitsplatz in den USA und auf internationaler Ebene ausgedehnt werden. Dies muss mit dem Aufbau einer politischen Führung in der Arbeiterklasse zusammengehn, die ein gegen das gesamte kapitalistische System gerichtetes sozialistisches Programm in die Kämpfe einbringt.

Loading