Zur Ausstellung „Postscriptum“ – Sklavenarbeit von „Ostarbeitern“ für die Nazis

Angesichts der aufgeheizten Kriegshysterie ist es empfehlenswert, dem Garten des Deutsch-Russischen Museums in Berlin-Karlshorst einen Besuch abzustatten. Wer dem zunehmenden Geschrei nach militärischem Eingreifen Deutschlands in der Ukraine etwas entgegensetzen will, sollte am Ort der Kapitulation Nazi-Deutschlands die Folgen des letzten militärischen Eingreifens in dieser Region vor 80 Jahren studieren.

Wanderausstellung 'Dimensionen eines Verbrechens'

Neben der Wanderausstellung „Dimensionen eines Verbrechens“, die den millionenfachen Mord von Wehrmacht, SS und SA an sowjetischen Kriegsgefangenen im Zweiten Weltkrieg zeigt (die WSWS berichtete), sind die Tafeln von „Postscriptum – ‚Ostarbeiter‘ im Deutschen Reich“ zu sehen, eine Ausstellung der Moskauer Menschenrechtsorganisation Memorial International, die das Putin-Regime Ende letzten Jahres aufgelöst hat.

Diese 2017/18 als Bildungsprojekt in Moskau entstandene Fotodokumentation hatte das Deutsch-Russische Museum bereits im Sommer 2020 gezeigt und präsentiert sie nun aus Protest gegen die Auflösung von Memorial erneut.

Sie erinnert an die sowjetischen Frauen, Männer und Kinder, die während des Zweiten Weltkrieges Zwangsarbeit für das NS-Regime leisten mussten. 26 Millionen Menschen aus ganz Europa wurden zur Zwangsarbeit verpflichtet, darunter etwa 9 Millionen aus der Sowjetunion.

Nach Schätzungen leisteten 6,4 Millionen Menschen in den besetzten sowjetischen Gebieten Zwangsarbeit, weitere 2,8 Millionen wurden in das Deutsche Reich verschleppt. Diese so genannten „Ostarbeiter“, darunter viele aus der Ukraine, bildeten unter den 13 Millionen Zwangsarbeitern im Deutschen Reich die größte Gruppe. Gekennzeichnet mit dem Abzeichen „OST“, waren sie extrem schlechten Arbeits- und Lebensbedingungen ausgesetzt.

Nach dem Zweiten Weltkrieg erfuhren diese Menschen weder in Deutschland noch in der Sowjetunion eine Anerkennung ihres erlittenen Unrechts. Erst im Jahr 2000 entstand auf Beschluss des Deutschen Bundestags die Stiftung „Erinnerung, Verantwortung und Zukunft“ zur Entschädigung von Zwangsarbeit. Bis 2007 erhielten knapp 1,7 Millionen Überlebende eine einmalige Zahlung zwischen 500 und 7.700 Euro. Die Hälfte der Empfänger und Empfängerinnen stammte aus der ehemaligen Sowjetunion. Die Entschädigung hatte überwiegend symbolischen Charakter.

„Ich schäme mich, ich schäme mich, ich schäme mich – Deutsche zu sein“, schrieb eine Besucherin ins Gästebuch. In der Tat sind die Tafeln im Museumsgarten erschütternd, und sie sind überraschend auch für jene, die schon vieles über die ungeheuren Verbrechen des Nationalsozialismus während des Kriegs gegen die Sowjetunion kennen.

Kein Wunder, denn die Bilder und persönlichen Erinnerungen von Betroffenen kamen eher zufällig ans Licht. Die russische Zeitung Izvestija berichtete 1990 mit missverständlicher Formulierung, dass die 1989 gegründete Menschenrechtsorganisation Memorial, die die Aufarbeitung stalinistischer Verbrechen verfolgte, sich auch mit der Auszahlung von Entschädigungsleistungen für die unbezahlte Arbeit in Deutschland während des Zweiten Weltkriegs befassen wolle.

Darauf gingen innerhalb von zwei Monaten 320.000 Briefe ein, in denen die Opfer der Zwangsarbeit detailliert anhand von Dokumenten und Fotos ihre Erfahrungen schilderten. Im Sommer 2017 machte sich eine Gruppe von Schülerinnen und Schülern sowie Studierenden in Moskau daran, diese Dokumente zu erfassen und zu digitalisieren. Die Sammlung ist online zugänglich (fond21.memo.ru).

Der erste Kriegsverbrecherprozess in Nürnberg 1945 hatte für die Zwangsarbeit im Dienste der Nazis das Wort „Sklavenarbeit“ geprägt. Wie korrekt dieser Begriff im Zusammenhang mit Menschen aus den besetzten Ostgebieten ist, führen die hier ausgestellten Zeugnisse betroffener Frauen, Jugendlicher, Kinder schmerzlich vor Augen.

„Postskriptum“: Tafel „Verschleppung“ (Foto: WSWS)

Wenige Monate nach dem Überfall auf die Sowjetunion am 22. Juni 1941 begannen die Nazis, in den besetzten Gebieten der westlichen Sowjetunion, vor allem in der Ukraine, Belarus und den westlichen Teilen Russlands, ihren „Generalplan Ost“ umzusetzen. Dieser sah die „Leerräumung“ der eroberten Gebiete und deren „germanische Neubesiedlung“ vor.

Während die Lebensmittelrationen auf Hungerniveau abgesenkt wurden, organisierten sogenannte Arbeitsämter die Verschleppung von Alten, Frauen, Jugendlichen, Kindern aus den Dörfern für den Arbeitseinsatz im deutschen Reichsgebiet und in Polen. Sie nahmen die Menschen teilweise auf offener Straße oder bei Festen und Gottesdiensten fest, um vorgegebene Kontingente zu erfüllen. Manchmal wurden ganze Dörfer verschleppt. Zugrunde lag die Verordnung des Reichsministers für die besetzten Ostgebiete, Alfred Rosenberg, vom Dezember 1941.

Dazu schreibt Vera, die mit 19 Jahren aus dem Gebiet von Pskow, Russland, verschleppt wurde. „Ein Deutscher zieht mich an der einen Hand zum Waggon, und an der anderen Hand zieht mich Mama mit beiden Händen zurück. Mama weinte, flehte, dass sie mich loslassen, aber der Fritze schlägt ihr direkt ins Gesicht, und sie fiel hin. Ich schaute mich um. Ihr Gesicht war voller Blut und sie ruft nur ‚Töchterchen‘.“

Unter einem Bild des Bahnhofs von Kiew heißt es weiter: „Der Zug wurde von bewaffneten Soldaten begleitet, die fest verschlossenen Türen wurden auf der Fahrt bis nach Berlin nicht geöffnet. Irgendwo in der Nähe der Stadt wurden die Türen aufgerissen und wir wurden rausgestoßen. Ein Drittel des Waggons war in Ohnmacht vor Gestank und Hunger (gleich im Kälberstall gab es eine Toilette).“

Es glich den Deportationszügen mit Juden, die ab 1942 in die Vernichtungslager im Osten fuhren, nur in umgekehrter Richtung.

Bei Ankunft in Deutschland wurden die Arbeitskräfte in einem Durchgangslager „desinfiziert“ und medizinisch untersucht. Man musterte sie, prüfte ihre Körperkraft und ihren Gesundheitszustand wie auf einem Sklavenmarkt oder Viehmarkt und stellte entsprechende Dokumente für den Verkauf an Deutsche aus.

„Postskriptum“. Tafel „Ankunft und Handel“ (Foto: WSWS)

„Sie trieben uns in einen Raum und befahlen, dass wir uns nackt ausziehen, sie schmierten unsere Köpfe [mit einer speziellen Salbe] ein – die Deutschen hatten Angst vor Läusen“, schreibt Ganna, mit 21 Jahren verschleppt. Sie geriet in eine Fabrik in Nieheim.

„Danach, das war zu sehen, schon in Deutschland, kamen die Bauern und fingen an, uns zu kaufen. Sie schauten die Zähne und Muskeln an und betasteten alles mit Stäbchen“, schreibt Olga. „Mich und meine Schwester haben sie nicht ausgewählt – die Deutschen hängten uns Brettchen um den Hals und schickten uns in die verschiedenen Fabriken.“ (Bild auf der Tafel unten, 3.v.l.).

„Ich wurde für 15 Mark an einen Gutsherrn im Dorf Pogorsch verkauft“, heißt es im Brief von Klawdija, die mit 16 Jahren verschleppt und auf einem Hof in Gdingen (Gdynia), Polen, eingesetzt wurde. „Mich hat die Herrin für 30 Mark gekauft“, erklärt Wladimir, der mit 17 Jahren an einen Bauernhof in Weiden i.d. Oberpfalz vermittelt wurde. Und Jefrossinija, die mit 20 Jahren verschleppt und schließlich in einer Glasfabrik in Gehren, Kreis Arnstadt, eingesetzt wurde, schreibt: „Wir wurden billig bewertet: 5 Mark pro Kopf.“

In den Fabriken, vielfach Rüstungsbetriebe oder Bergwerke, mussten die „Ostarbeiter“ bis zu zwölf Stunden lang schwere Arbeit leisten, egal wie jung sie waren. Untergebracht wurden sie auf engstem Raum in Baracken, erhielten Hungerrationen und keine medizinische Versorgung.

Witalij, der mit 18 Jahren verschleppt wurde, berichtet über seine Arbeit in einer Fabrik bei Leipzig: „Wir hatten Gummihandschuhe an. Die wurden für 7 Tage ausgegeben, sie rissen aber schon früher und wir konnten auf keinen Fall neue bekommen. Die Säurelösung gelangte durch die durchgewetzten Löcher an die Haut. Auf der Haut bildeten sich tiefe Geschwüre, die danach nicht verheilten.“

Auf den Bauernhöfen und in den städtischen Haushalten der Oberschicht und Nazi-Elite gab es zwar teilweise etwas mehr Essen und bessere Wohnbedingungen, aber die Betroffenen waren absolut abhängig von den Launen der „Herren“.

„Einmal schlug mir diese bemerkenswerte Frau, die Tolstoi gelesen hatte, wegen einer absoluten Kleinigkeit mit der Hand ins Gesicht. Ihrer Meinung nach soll ich die Kartoffeln zu dick geschält haben. Da habe ich verstanden, dass ich für sie nichts bin, ein russisches schwajn“, berichtet die mit 14 Jahren verschleppte Galina, die als Dienstmädchen in Frankfurt a.M. arbeiten musste, in einem Interview.

Und Irina, die mit 19 Jahren als Dienstmädchen an einen Haushalt in Freising verkauft worden war, schreibt: „Die Hausherrin ruft aus dem Schlafraum: ‚Vergiss nicht, es sind nur elf Kilometer bis Dachau.‘“

Schwangerschaft und Geburten waren für junge weibliche Sklavinnen aus dem Osten nicht vorgesehen. Sinaida, die mit 21 Jahren verschleppt und zusammen mit ihrem Mann auf einem Bauernhof bei Nürnberg eingesetzt wurde, brachte 1944 ihren Sohn Oleg zur Welt und musste ihn ohne Aufsicht auf dem Hof oder im Kuhstall liegen lassen, während sie arbeiteten. „Einmal, da war er zwei Monate alt, haben ihn die Ferkel fast totgebissen.“ Andere Neugeborene wurden grausam ermordet.

Es ist dem Museum in Berlin-Karlshorst hoch anzurechnen, dass es in der gegenwärtigen Atmosphäre von Anfeindungen gegen Russland solche Archiv-Materialien zugänglich macht.

Der Museumsverein wird von Deutschland, Russland, der Ukraine und Belarus getragen. Seit dem Putsch in Kiew 2014 und der Annexion der Krim boykottieren allerdings die ukrainischen Vertreter die gemeinsamen Konferenzen, und der ukrainische Botschafter in Deutschland, Andrij Melnyk, ein Verehrer des ukrainischen Nazi-Kollaborateurs Stepan Bandera, boykottierte auch die Gedenkveranstaltung an den deutschen Überfall auf die Sowjetunion 1941 im letzten Jahr.

Seine Position wird von den Bündnisgrünen unterstützt. Die ehemalige Parlamentsabgeordnete Marieluise Beck, die zusammen mit ihrem Mann, dem ehemaligen Vorsitzenden der Heinrich-Böll-Stiftung und früheren Maoisten Ralf Fücks den Putsch in Kiew aktiv gefördert hat, protestierte gegen den Auftritt von Bundespräsident Steinmeier bei der Gedenkveranstaltung an diesem Ort und forderte eine Umbenennung des Museums. Bisher hat sich die Museumsleitung derartigen Angriffen widersetzt.

„Postscriptum – ‚Ostarbeiter‘ im Deutschen Reich“ ist noch bis auf Weiteres zu sehen. „Dimensionen eines Verbrechens. Sowjetische Kriegsgefangene im Zweiten Weltkrieg“ wurde bis zum 26. Juni verlängert. Beide Ausstellungen im Deutsch-Russischen Museum sind gerade jetzt bedeutsam.

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