„Systemrelevant & totgespart“: Kitapersonal fordert bessere Arbeitsbedingungen

„Come in and burn out“, „Wir sind am Limit“, „Batterie leer – ich kann nicht mehr“, „systemrelevant & totgespart“ – so und ähnlich lauteten die Sprüche auf den Plakaten, mit denen Kita-Beschäftigte am Mittwoch, den 4. Mai, auf die Straße gingen. Rund 26.000 Kita-Erzieherinnen und Erzieher nahmen bundesweit an dem eintägigen Warnstreik teil. Auf den Kundgebungen schrieben sie Forderungen wie „Mehr Personal!“, „Bessere Bezahlung!“, „Kleinere Gruppen!“ mit Malkreide auf das Pflaster.

Streikende Kita-Erzieherinnen (Bild WSWS)

Die Krise in den kaputtgesparten Einrichtungen ist mit Händen zu greifen. Auf der Frankfurter Hauptwache, wo streikendes Kita-Personal aus dem Rhein-Main-Gebiet zusammenkam, berichteten Pädagogen der WSWS-Korrespondentin über Dauerstress, fehlendes Personal, Überlastung, Angst vor einer Covid-Ansteckung und Angst vor Lohnverlust angesichts der steigenden Inflation.

„Irgendwie soll der Laden immer laufen, aber das nötige Personal fehlt“, sagte Erzieher Felix. „Ständig gibt es Ausbrüche unter den Kindern. Die ganze Zeit, seit Beginn der Corona-Pandemie, sind Kollegen krank oder in Quarantäne. Corona war schlimm, aber wir haben die ganze Zeit durchgearbeitet.“

Caro aus Dietzenbach berichtete von zahlreichen Erkrankten unter den Kollegen und verstorbenen Corona-Erkrankten im Bekanntenkreis: „Sie waren zwar schon älter, aber sie hätten noch ein paar Jahre leben können.“

Welche Herausforderungen das Kita-Personal tagtäglich meistert, machte Hanne aus Frankfurt deutlich: „Auf eine Fachkraft kommen bei uns bis zu 25 Kita-Kinder. Bei den ganz Kleinen, den Krippenkindern, müssen wir eigentlich zu dritt sein, um zwölf Kinder zu betreuen, aber das erfordert immer einen Kampf. Sehr oft ist es nicht möglich, und manchmal ist man ganz allein.“

Timo aus Offenbach wandte ein, dass man in der Lockdown-Zeit absurderweise auch habe sehen können, „dass mit kleinen Gruppen alles viel besser funktionieren würde. Das war für alle sichtbar. Aber daraus werden keine Lehren gezogen. Jetzt platzen die Gruppen schon wieder aus allen Nähten.“

Während eine Fachkraft eine bis zu fünfjährige Ausbildung (größtenteils unbezahlt) vorweisen muss, besteht heute ein großer Teil des Kita-Personals aus Seiteneinsteigern. „Bei uns ist das praktisch die Hälfte, die ohne Fachausbildung arbeiten“, bestätigte uns Caro. „Schön und gut, aber wir sind für sie mit verantwortlich.“ Auch verdienten die Quereinsteiger deutlich weniger: „Sie sorgen sich am meisten um die Inflation.“

Caro sagte, dass die grün-schwarze hessische Landesregierung gerade die Flüchtlinge aus der Ukraine dazu missbrauche, um die Regeln außer Kraft zu setzen: „Wir sollen jetzt die Gruppengrößen in den Kitas ‚vorübergehend überschreiten‘, bis zu 30 Kindern in einer Gruppe. Dafür seien angeblich keine zusätzlichen Fachpädagogen notwendig.“ Auch andere Streikende bestätigen, dass ihre Einrichtung eine solche Anweisung der Landesregierung erhalten habe.

„Wir haben zwei Jahre alles mitgemacht“, sagt Janine. „Jetzt, wo uns die Politik aktiv unterstützen müsste, werden wir im Stich gelassen.“ Gleichzeitig sei aber genug Geld für die Rüstung da. „Ganz schlecht“, findet Hanne den Beschluss der Bundesregierung, zusätzliche hundert Milliarden Euro für die Bundeswehr bereitzustellen. Sie fügt hinzu: „Politik beiseite, aber für die Bildung brauchen wir sehr, sehr viel mehr Geld, das ist doch klar!“

Bei einer Umfrage im letzten Jahr gaben zwei Drittel der befragten Kita-Beschäftigten an, dass sie regelmäßig unbezahlte Mehrarbeit leisten müssten, und rund 30 Prozent sagten, dass es ihnen unmöglich sei, ihrem eigenen Anspruch an den Beruf noch gerecht zu werden. Durchschnittlich fehlten pro Kita mindestens drei Fachkräfte, was bei bundesweit 57.600 Kitas weit über 170.000 fehlenden Fachkräften entspricht.

Kundgebung, Frankfurter Hauptwache, Mittwoch, 4. Mai 2022 (Bild WSWS)

Die Berichte der Kita-Beschäftigten machen deutlich, was in der Kinderbetreuung alles schiefläuft. „Es ist einfach nur noch eine Verwahranstalt“, hatte es eine Erzieherin vor kurzem ausgedrückt. Die Proteste in dieser Woche zeigen auch, dass das Kita-Personal in der Bevölkerung große Unterstützung genießt. Um jedoch die nötige gesellschaftliche Änderung durchzusetzen, braucht es jetzt die Gründung unabhängiger Aktionskomitees in jeder Kita und jeder Sozialstation, um gemeinsam mit den Eltern, die meist Arbeiter sind, den Kampf in die eigenen Hände zu nehmen.

Die Dienstleistungsgewerkschaft Verdi dagegen, die zu den Warnstreiks aufgerufen hat, nutzt den Tarifkampf, um „Dampf abzulassen“ und einem drohenden politischen Kampf gegen die Regierung aus dem Weg zu gehen. Sie verwandelt die Kundgebungen in sehr laute, aber unpolitische Trillerpfeifenproteste.

Faktisch handelt die Gewerkschaft als das vierte Rad am Wagen der Ampel-Koalition aus SPD, Grünen und FDP, die gerade dabei ist, die Ukrainekrise als Chance für die Rückkehr des deutschen Militarismus zu nutzen. Mit Unterstützung aller Bundestagsparteien und des DGB liefert die Bundesregierung massiv Waffen gegen Russland und setzt den Kriegskurs auch im Innern, gegen die arbeitende Bevölkerung, rücksichtslos durch.

Die Bevölkerung müsse „Opfer bringen“, forderte Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier (SPD) am 27. März im Schloss Bellevue, als er die Sanktionen gegen Russland mit den Worten ankündigte: „Die ganze Wahrheit ist: Viele Härten liegen erst noch vor uns.“

Verdi-Chef Frank Werneke (SPD) unterstützt diesen Kriegskurs der Regierung Olaf Scholz. Die Sanktionen gegen Russland hat Werneke bereits am Sonntag, den 27. Februar, in Berlin öffentlich als „angemessen und notwendig“ bezeichnet.

Die Verdi-Führung ist tief in die deutsche Wirtschaft integriert. Wernekes Vorgänger, Frank Bsirske, hat ihm nicht nur sein Amt als Verdi-Vorsitzender, sondern auch seinen hochdotierten Posten im Aufsichtsrat der Deutschen Bank „vererbt“. Auch die zweite Verdi-Vorsitzende, Christine Behle, sitzt in zahlreichen Aufsichtsräten, allen voran bei der Lufthansa AG. Frank Bsirske seinerseits ist heute als Abgeordneter der Grünen eine tragende Säule der Ampel-Regierung im Bundestag und hat in der 17. Bundesversammlung Frank-Walter Steinmeier zum Präsidenten wiedergewählt.

Vor sieben Jahren hatte Frank Bsirske einen ähnlichen Arbeitskampf um „Aufwertung“ im Sozial- und Erziehungsdienst nach allen Regeln der Kunst abgewürgt und ausverkauft. Das war der Kita-Streik im Jahr 2015. Seither hat sich nichts grundsätzlich verbessert, ganz im Gegenteil: Die Gruppen werden immer größer, das Personal immer kleiner, und das Einkommen wird von der Inflation aufgefressen.

Als die Corona-Pandemie ausbrach, nutzte Verdi diese, um die Verhandlungen mit der Vereinigung der Kommunalen Arbeitgeberverbände (VKA) zwei Jahre lang zu verschleppen. Erst seit Januar 2022, sieben Jahre nach 2015, wird wieder offiziell über Arbeitsbedingungen in den Kitas verhandelt.

Die Verdi-Führung nimmt Rücksicht auf den Kriegskurs der Regierung. Das hat sie in den ersten zwei Verhandlungsrunden schon klar gezeigt. Die Verhandlungen sollen die Rahmenbedingungen für rund 330.000 Beschäftigte festlegen, die nach dem Tarifvertrag für den öffentlichen Dienst bezahlt werden, und sie wirken sich indirekt auf 1,2 Millionen Beschäftigte aus. Verdi hat aber keinerlei Dringlichkeitsforderung nach einer gleitenden Lohnskala, zum Ausgleich der Inflation, aufgestellt, obwohl diese im März schon bei 7,3 Prozent lag und weiter steigt.

Protestplakat einer streikenden Gruppe (Bild: WSWS)

Auch sonst hält sich die Gewerkschaft auffällig zurück. Ihre Forderungen sind vage formuliert und bieten Raum für vielfältige Interpretation. Sie lauten: „Verbesserung der Eingruppierungen, Anpassung der Stufenlaufzeiten, eine vollständige Anerkennung der Berufserfahrung, eine Verbesserung der Bewertung der Leitungstätigkeit und ein Rechtsanspruch auf Qualifikation“.

Mehrmals hat die VKA-Präsidentin, Karin Welge (SPD), die auch Oberbürgermeisterin von Gelsenkirchen ist, alle Forderungen arrogant zurückgewiesen und betont, dass für eine „Aufwertung in der Breite kein Geld vorhanden“ sei. Sie halte Streiks in der aktuellen Situation für unverantwortlich.

Dennoch versicherte Werneke in dieser Woche erneut, Verdi führe die Warnstreiks bewusst „sehr gezielt, sehr dosiert, tageweise, in der Hoffnung, dass sich die Arbeitgeber bewegen“. Und in zehn Tagen, am 16. und 17. Mai, wollen sich Werneke und Behle mit Karin Welge zu einer dritten, abschließenden Verhandlungsrunde in Potsdam treffen, um sich nach Möglichkeit zu einigen und das Kita-Personal weiter bluten zu lassen.

Gleichzeitig entwickeln sich überall Streiks und Protestaktionen, auch in anderen Arbeitsgebieten mit Verdi-Zuständigkeit: in NRW bei den Pflegekräften, die der unhaltbaren Lage in den Kliniken durch einen unbefristeten Streik Abhilfe schaffen wollen, aber auch im Öffentlichen Nahverkehr, bei Bus-, Tram- und S-Bahn-Fahrern, sowie auch in der Logistik, bei Paketpost, Amazon und Lieferando. Die Unruhe kommt zusammen mit einer wachsenden Opposition der Arbeiterklasse auf der ganzen Welt, die gegen Krieg, Corona und Sozialabbau aufsteht.

Die WSWS und die Sozialistischen Gleichheitsparteien treten dafür ein, diese Kämpfe mit dem Ziel zu vereinen, den Kapitalismus weltweit abzuschaffen. Sowohl in den Kitas als auch in jedem andern Bereich wird jetzt deutlich, dass die Verteidigung von Löhnen und Lebensbedingungen einen Bruch mit den Gewerkschaften, die Zurückweisung ihres Nationalismus und einen gemeinsamen, internationalen Kampf für ein sozialistisches Programm erfordern.

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