Vor dem 6. Januar 2021 Coup

Geheimdienst wurde vom damaligen US-Vizepräsidenten Pence gewarnt, dass sich Trumps Gewalt auch gegen ihn richten würde

US-Präsident Donald Trump und US-Vizepräsident Mike Pence bei einer Wahlkampfveranstaltung in Minneapolis (AP Photo/Jim Mone)

Mit einem erstaunlichen Bericht vom vergangenen Freitag enthüllt die Reporterin der New York Times Maggie Haberman, dass der Stabschef von US-Vizepräsident Mike Pence, Marc Short, kurz vor dem Sturm auf das Kapitol die Sicherheitsbehörden gewarnt hatte. Am 5. Januar 2021, dem Tag vor dem faschistischen Angriff auf den Capitol Hill, hatte Short einen leitenden Geheimdienstmitarbeiter, der für die Sicherheit von Pence zuständig war, kontaktiert und ihn gewarnt, dass sich US-Präsident Donald Trump „öffentlich gegen den Vizepräsidenten wenden würde“.

Diese „Wendung“, so warnte Short den leitenden Secret Service Mitarbeiter Tim Giebels, könne ein „Sicherheitsrisiko“ für Pence darstellen. Die Times schreibt, dies sei das einzige Mal während Pence’ Amtszeit als US-Vizepräsident gewesen, dass sein Stabschef den Geheimdienst vor einer möglichen Gefahr für Pence warnte.

Mit anderen Worten: Weil Pence bei Trumps Plänen für eine Diktatur nicht mitging, befürchtete Short, dass Pence von Trump angegriffen würde und dass ihm möglicherweise Gewalt drohe. Diese Befürchtungen waren offensichtlich berechtigt und wohlbegründet.

Weniger als 24 Stunden nach dieser Warnung von Short an Giebels stürmten Hunderte von Trump-Anhängern, republikanischen Aktivisten, Rassisten und anderen Reaktionären das Kapitol. Sie versuchten, Politiker, darunter auch Pence, zu entführen und zu töten, weil diese sich weigerten, die Wahl von Joe Biden zu kippen und Trump als Präsidenten und Diktator einzusetzen.

Dass Trump Pence zur Zielscheibe für seine Miliz-Anhänger machte, wurde in seiner Rede am Tag des Anschlags deutlich. Vor dem Weißen Haus rief Trump seine Milizionäre und Anhänger zum Handeln auf – einige von diesen, wie die Oath Keepers, hatten dabei schwer bewaffnete „schnelle Eingreiftruppen“ außerhalb von Washington D.C. stationiert. Trump sagte: „Mike Pence muss sich für uns einsetzen, und wenn er es nicht tut, wäre das ein trauriger Tag für unser Land. Denn Sie haben geschworen, unsere Verfassung zu wahren.“

Nach Trumps Rede und nachdem Pence sich geweigert hatte, die Wahlleute aus dem Bundesstaat Arizona abzulehnen, verkündete Trump auf Twitter, dass Pence „nicht den Mut hatte, das zu tun, was hätte getan werden müssen“. Diese Botschaft verbreitete sich wie ein Lauffeuer unter den Trump-Anhängern, die zu diesem Zeitpunkt die vorsätzlich unterbesetzten und schlecht ausgestatteten Polizeiketten vor dem Kapitol überrannten. Während die Faschisten von Proud Boys, Oath Keepers und III Percenters in das Gebäude eindrangen und nach Zielpersonen suchten, skandierten hunderte Weitere: „Hängt Mike Pence!“. Gleichzeitig wurde auf dem Gelände des Kapitols ein Galgen aufgestellt.

Dass Short den Geheimdienst vor möglicher Gewalt gegen Pence durch Trump gewarnt hat, entkräftet jede Behauptung, der Angriff auf das Kapitol sei unvorhersehbar bzw. nicht das Ergebnis einer vom Weißen Haus selbst organisierten Verschwörung gewesen. Der Angriff auf das Kapitol am 6. Januar war kein „spontaner Aufstand“, der „außer Kontrolle geriet“. Es war der Höhepunkt vielfältiger Bemühungen von Trump und seinen Verbündeten in der Republikanischen Partei sowie im Polizei-, Militär- und Geheimdienstapparat, die Verfassung und Demokratie in den Vereinigten Staaten zu stürzen.

Die Rolle des Vizepräsidenten bei der Bestätigung durch das Wahlkollegium ist rein zeremonieller Natur. Doch Trump und seine Anhänger, wie der Putschistenanwalt John Eastman, argumentierten in den Monaten nach Trumps Wahlniederlage am 3. November, Pence habe die Befugnis, Wahlleute abzulehnen, die zuvor von den Bundesstaaten entsandt wurden.

Pence machte bei Trumps Plan nicht mit. Dahinter stand aber keine grundsätzliche Ablehnung, Trump an der Macht zu halten. Nach Trumps Wahlniederlage beauftragte Pence seinen Justitiar Greg Jacob, ein Memorandum zu verfassen, in dem seine Befugnisse während des Verfahrens zur Bestätigung des Wahlergebnisses dargelegt werden. In diesem Memorandum wurde nicht ausdrücklich darauf hingewiesen, dass Pence bei der Bestätigung der Wahlleute keine Rolle spielt, obwohl dies der Fall ist.

Dass Trump Pence wegen seiner „Illoyalität“ Gewalt antun wollte, geht auch aus einem anderen Bericht in der Times hervor, der eine Woche zuvor erschienen ist. In diesem Artikel enthüllt die Times, dass Trump zusah, wie das Kapitol belagert und Pence von Sicherheitsmitarbeitern evakuiert wurde, und sich beschwerte, dass Pence in Sicherheit gebracht wurde.

Die Times schreibt, dass der Stabschef des Weißen Hauses Mark Meadows einem Bericht aus dem Sonderausschuss zufolge hörte, wie Trump „etwas in der Art sagte, dass Mr. Pence vielleicht gehängt werden sollte“.

Der Bericht wurde von Cassidy Hutchinson, einem Mitarbeiter von Meadows, bestätigt, der dreimal vor dem Ausschuss aussagte, nachdem er der Vorladung gefolgt war.

Habermans Bericht ist Teil ihres neuen Buches, Confidence Man: The Making of Donald Trump and the Breaking of America, das im Oktober erscheinen soll, wahrscheinlich nachdem der Sonderausschuss zum 6. Januar seinen vorläufigen Bericht über den gescheiterten Putsch veröffentlicht haben wird. Zum ersten Mal seit Juli letzten Jahres wird das mit der „Untersuchung“ von Trumps Staatsstreich beauftragte Kongressgremium öffentliche Anhörungen abhalten, um über die Ergebnisse zu berichten, und zwar ab dieser Woche, beginnend mit dem 9. Juni.

Short, der bereits vor dem Ausschuss ausgesagt hat, wird wahrscheinlich als Zeuge bei einer der sechs geplanten Anhörungen mit Fernsehübertragung auftreten. Der Untersuchungsausschuss nennt zwar nicht alle Namen der Zeugen, aber es ist bekannt, dass bereits mehr als 1.000 Personen zu Befragungen vorgeladen wurden. Einige Ergebnisse werden in diesem Monat zum ersten Mal der Öffentlichkeit vorgestellt.

Jemand, der bei den öffentlichen Anhörungen nicht anwesend sein wird, ist der hochrangige Trump-Mitverschwörer, ehemalige Trump-Handelsberater und Mitverfasser eines Plans für die Regierungen der US-Bundesstaaten, mit dem die Wahlergebnisse in den wichtigsten umkämpften Staaten verkehrt werden sollen - Peter Navarro. Navarro wurde am vergangenen Freitag angeklagt, weil er sich weigert, einer Vorladung des Sonderausschusses Folge zu leisten.

Navarro ist nach dem faschistischen ehemaligen Berater des Weißen Hauses, Steve Bannon, erst der zweite hochrangige Mitverschwörer Trumps, gegen den die Staatsanwaltschaft Anklage erhebt, weil er sich weigert, mit dem Ausschuss zusammenzuarbeiten. Navarro und Bannon berufen sich beide auf das „Exekutivprivileg“, um ihre Weigerung zu rechtfertigen, mit einem ihrer Meinung nach „illegitimen“ Ausschuss zusammenzuarbeiten. Beide Männer haben öffentlich von ihrem Plan gesprochen, Trump im Amt zu halten, indem sie die Republikaner im Kongress, unterstützt von Trumps Mob, dazu benutzen, die Bestätigung des Wahlsiegs von Biden zu verzögern.

Während die Staatsanwaltschaft eine Anklage gegen Navarro ankündigt, wurde gleichzeitig bekannt, dass es keine ähnliche Anklage gegen Meadows und den stellvertretenden Stabschef von Trump, Dan Scavino, geben wird, obwohl beide ebenfalls eine Zusammenarbeit mit dem Ausschuss verweigern.

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