Ford-Saarlouis: Lehren aus 50 Jahren Autoproduktion

Die Entscheidung des Ford-Konzerns, die Produktion im Werk Saarlouis 2025 einzustellen, ist Bestandteil des größten internationalen Angriffs auf die sozialen Errungenschaften und Rechte der Arbeiterklasse seit den 1930er Jahren.

Auf dem Spiel stehen nicht nur die Zukunft der Familien der 4600 direkt beschäftigten Arbeiterinnen und Arbeiter, von weiteren 1500 in den angrenzenden Zulieferbetrieben sowie das Wirtschaftsleben der gesamten Region, in der mehrere Zehntausend Arbeitsplätze an der Autoindustrie hängen. Die Belegschaft von Ford-Saarlouis steht stellvertretend für Arbeiter auf der ganzen Welt, deren Lebensgrundlage zerstört wird.

Die global operierenden Automobilkonzerne nutzen die Umstellung auf weniger komplexe Elektromotoren, um den gesamten Produktionsprozess neu zu organisieren und auch noch das letzte Quäntchen Profit aus den Arbeitern herauszupressen. Ford meldete für 2021 einen Gewinn von knapp 9 Milliarden Euro bei einem Umsatz von 115 Milliarden Euro. CEO Jim Farley kündigte an, der Konzern wolle bis 2026 eine operative Rendite von zehn Prozent erreichen.

Ihre wichtigsten Helfer der Konzerne sind dabei die Gewerkschaften und ihre Betriebsräte. Diese vereinbaren mit den Konzernen den Lohn- und Arbeitsplatzabbau, unterdrücken jeden Widerstand dagegen und spalten die Arbeiter, indem sie einen Standort gegen den anderen ausspielen. Der „Bieterwettbewerb“ zwischen den Ford-Werken in Saarlouis und Valencia, an dem sich sowohl die deutsche IG Metall wie die spanische UGT beteiligten, ist nur die schäbigste Form dieses abgekarteten Spiels.

Dabei ist der Umbau der Autoindustrie nur eine Front in der globalen Offensive der Kapitalisten gegen die Arbeiterklasse. Der dramatische Anstieg der Inflation – eine Folge der staatlichen Billionengeschenke an die Finanzmärkte und der Nato-Offensive gegen Russland – treibt unzählige Arbeiterhaushalte in Armut und Not. Die „Profite vor Leben“-Politik in der Pandemie hat weltweit Millionen Todesopfer gefordert und noch mehr lebenslang erkranken lassen. Die Unsummen für Aufrüstung und Krieg werden durch Kürzungen bei Bildung, Gesundheit und Sozialleistungen wieder hereingeholt.

Während weltweit Millionen Arbeiter ihre Existenz verlieren, wachsen die Vermögen der Aktionäre und die Millionengehälter der Manager unaufhörlich.

50 Jahre Automobilindustrie im Saarland

Das Saarland, das im Dreiländereck Deutschland, Frankreich, Luxemburg liegt und knapp eine Million Einwohner zählt, ist von diesem Umbruch besonders hart betroffen. Seine wirtschaftliche Entwicklung weist große Parallelen zum Ruhrgebiet auf.

Hier wie dort stand die Montanindustrie bis in die Nachkriegszeit im Mittelpunkt des Wirtschaftslebens. 1960 waren noch mehr als 125.000 Menschen im saarländischen Bergbau und der Stahlindustrie beschäftigt, Anfang der 1970er Jahre waren es weniger als die Hälfte und die Arbeitslosenquote stieg über 15 Prozent.

Das Zechensterben setzte in den 1960er Jahren ein und dauerte bis 2012. Die Bekanntgabe der Schließung des Ford-Werks in Saarlouis fiel fast genau auf den Tag, an dem vor 10 Jahren die letzte Zeche schloss. Mit dem Zechensterben ging die Abwicklung der saarländischen Stahlindustrie einher. Inzwischen sind von den über 125.000 Beschäftigten in der Montanindustrie nur noch rund 7000 Stahlarbeiter von Saarstahl und Dillinger Hütte übrig.

Mit der Stilllegung der Montanindustrie des Saarlands verdienten sich u. a. Oskar Lafontaine als SPD-Ministerpräsident und Peter Hartz als Arbeitsdirektor von Dillinger Hütte und Saarstahl ihre Meriten für höhere Aufgaben. Das IG Metall- und SPD-Mitglied Peter Hartz, dessen Bruder Kurt drei Jahrzehnte lang die IG Metall in Völklingen leitete, wurde 1993 Personalvorstand des VW-Konzerns und arbeitete 2002 für Kanzler Gerhard Schröder (SPD) die nach ihm benannten „Arbeitsmarktreformen“ aus.

Ähnlich wie im Ruhrgebiet, wo 1962 ein neues Opel-Werk auf einem ehemaligen Zechengelände die Produktion aufnahm, bemühte sich die Landesregierung auch im Saarland um die Ansiedlung von Unternehmen der Automobilindustrie, um die Folgen der Montankrise zu dämpfen.

Januar 1970: Das erste Fahrzeug, ein Ford Escort, läuft in Saarlouis vom Band [Photo by Ford Media Center]

1968 lief in Saarlouis die Produktion von Fahrzeugkomponenten für andere Ford-Werke und auch für Renault an. Der erste Ford – ein Escort – rollte am 16. Januar 1970 vom Band, 2000 Arbeiter waren damals beschäftigt. Das Werk war die 14. Produktionsstätte von Ford in Europa.

Für den Konzern war die Standortwahl eine profitable Entscheidung. Er sicherte sich damit Vorteile gegenüber den Konkurrenten auf dem schnell wachsenden europäischen Markt. Die geografische Lage im Dreiländereck war von Vorteil für Zulieferungen und Export. Und die Bundes- und Landesregierung gewährten Ford massive Zugeständnisse und Subventionen.

Wegen der steigenden Arbeitslosigkeit durch das Zehensterben hatte sich der damalige Bundeskanzler Ludwig Erhardt in die Verhandlungen mit Ford eingeschaltet. Henry Ford II sagte bei der Eröffnungsfeier des Werks, der Konzern habe sich „auch wegen der Ermutigung und Förderung, die wir von der Regierung des Saarlandes und von der Bundesregierung erfuhren“, für den Standort entschieden.

Seit 1970 wurden in Saarlouis mehr als 15 Millionen Autos produziert. 80 Prozent davon wurden in weltweit mehr als 80 Länder exportiert. Von 2000 im Jahr 1970 wuchs die Belegschaft 1971 auf 4600 und 1978 auf 8100 Arbeiter, die höchste Zahl in der Geschichte des Unternehmens. Anschließend schwankte die Belegschaftsgröße mit dem Wechsel der Modelle und dem Auf und Ab der Verkaufszahlen.

Arbeitstempo und -produktivität wurden kontinuierlich gesteigert. So führte Ford 1987 als einer der ersten Automobilhersteller die „Just in time“-Lieferung von Fahrzeugkomponenten ein, senkte so die Lagerkosten und gliederte ganze Produktionsbereiche an billigere Zulieferer aus.

Nur ein Jahr später wurde Saarlouis zum Pilotwerk für die Einführung von „Just in Sequence“. „Just in time“ wurde damit auf alle im Werk produzierten Modelle ausgeweitet. Die Zulieferer lieferten die Teile und Komponenten zur vorgeplanten gleichzeitigen Produktion der Modelle.

Zehn Jahre später, 1998, entstand direkt neben dem Produktionsgelände der „Industriepark Ford Saarlouis“, auf dem in unmittelbarer Anbindung zum Werk die Zulieferer ihre Produktionsstätten errichteten. Die Saarländische Landesregierung förderte den Bau der Anlage mit 100 Millionen Euro. Die Zulieferteile kommen teilweise über Elektrohängebahnen oder Tunnelanlagen direkt ans Ford-Montageband.

Erst vor einigen Jahren hat Ford laut eigenen Aussagen in der neuen Boron-Halle auf rund 6000 Quadratmetern – das entspricht etwa der Größe eines Fußballplatzes – eine neue Heißverformungsanlage installiert. Diese kann ultra-hochfeste und besonders leichte Komponenten aus Boron-Stahl vor Ort verarbeiten und verfügt – damals als einzige in der Automobilbranche – über einen vollautomatisierten Entladeprozess. Arbeiter hoffen, dass zumindest diese moderne Anlage und das gesamte Presswerk auch nach 2025 bestehen bleiben.

Das Werk Saarlouis unterstreicht auch die Einheit der Arbeiterklasse, unabhängig von nationalen Identitäten. Arbeiter aus Frankreich und Luxemburg arbeiten gemeinsam mit ihren Kollegen aus Deutschland. Im Jahr 2015 überquerten täglich mehr als 1000 Arbeiter die Grenze, darunter 600 französische Staatsangehörige. Die Familien vieler Arbeiterinnen und Arbeiter des Werks stammen aus der Türkei, Jugoslawien, Italien, Spanien, Marokko usw.

Noch im Jahr 2019 – kurz vor der letzten Abbaurunde – arbeiteten 7200 Menschen bei Ford in Saarlouis. Ein Jahr zuvor hatte der neue Betriebsrat unter Markus Thal seine Geschäfte aufgenommen. Kurz darauf, im Dezember 2018, erfolgte der erste Schritt zur Einstellung der Produktion. Damals wurde bekannt, dass Ford die Produktion des C-Max im Juni 2019 beendet – entgegen einer Betriebsvereinbarung, die die Produktion bis Ende 2019 garantierte. Als Folge wurden die Nachtschicht gestrichen und 1600 Arbeitsplätze abgebaut.

Der heutige Geschäftsführer der IG Metall Völklingen, Lars Desgranges, reagierte damals auf die Entscheidung der Ford-Geschäftsleitung, die alte Betriebsvereinbarung in den Müll zu werfen, indem er eine neue forderte. „Und da sagen wir: Wenn wir tatsächlich den C-Max abgeben müssen, um eine Perspektive für dieses Werk zu entwickeln, dann wollen wir diese Perspektive auch in einer Betriebsvereinbarung verabredet haben. Wir wollen eine langfristige Sicherung des Standortes mit Investitionszusagen.“

Eine solche Zusage hat Ford niemals gegeben. Stattdessen wurden 1000 weitere Arbeitsplätze vernichtet, die Belegschaftszahl liegt aktuell bei knapp 4600. Immer wieder wurde dies vom IGM-Betriebsrat mit leeren Versprechungen unterstützt, der Abbau diene der „Standortsicherung“. Die Belegschaft war daher geschockt, als der Ford-Konzern vor drei Wochen die Schließung der Produktion und damit aller Voraussicht auch des Werks im Jahr 2025 ankündigte.

Verteidigt jeden Arbeitsplatz!

Was sich anbahnt, ist eine Katastrophe, nicht nur für die unmittelbar betroffenen Arbeiter, sondern auch für die nachfolgenden Generationen. Es ist Zeit, Lehren aus den Erfahrungen der Ford-Beschäftigten zu ziehen, die nicht selten mehr als ihr halbes Leben im Werk verbracht haben.

Die Zeiten, in denen verlorene Arbeitsplätze durch gleichwertige ersetzt wurden, sind längst vorbei. Wenn neue Arbeitsplätze entstehen, dann höchstens solche zu Mindestlöhnen, meist in der Logistikbranche. In Bochum, wo drei Opel-Werke einst 20.000 Arbeiter beschäftigten, betreibt DHL heute auf dem ehemaligen Werksgelände ein großes Logistikzentrum und die Ruhr-Universität verschiedene Forschungseinrichtungen. Von Opel existiert lediglich noch ein neu gebautes Europäisches Zentrallager mit 700 Beschäftigten.

Auch der „Bieterwettbewerb“ zwischen Valencia und Saarlouis, bei dem sich die Betriebsräte beider Werke mit Vorschlägen zur profitableren Produktion überboten, diente dazu, die Produktionskosten durch massiven Arbeitsplatzabbau, Lohnsenkung, Arbeitszeitverlängerung, flexiblere Schichtmodelle, Überstunden usw. zu senken. Selbst wenn das Werk in Valencia bestehen bleiben sollte, was keineswegs sicher ist, werden die Kollegen dort zu wesentlich schlechteren Bedingungen arbeiten müssen.

Es ist unbedingt nötig, den Kampf zur Verteidigung aller Arbeitsplätze, der Löhne und sozialen Rechte aufzunehmen. Das erfordert einen Bruch mit den Gewerkschaften und den Aufbau unabhängiger Aktionskomitees, die den Kampf gegen die Werksschließung organisieren und Verbindungen zu den Beschäftigten anderer Standorte und Länder aufbauen. Das Internationale Komitee der Vierten Internationale und die Sozialistische Gleichheitspartei haben dafür die Internationale Arbeiterallianz der Aktionskomitees ins Leben gerufen.

Der Aufbau von unabhängigen Aktionskomitees ist direkt mit dem Kampf für eine sozialistische Perspektive verbunden. Ohne die Macht der großen Konzerne und der Finanzaristokratie zu brechen, kann kein einziges Problem gelöst werden. Erst die entschädigungslose Enteignung der Konzerne und Banken schafft die Voraussetzungen für eine demokratische Kontrolle über die Produktion. Erst dann ist es möglich, die Produktion planmäßig, im Interesse der Arbeiterklasse und der gesellschaftlichen Bedürfnisse zu entwickeln.

Weltweit bahnen sich gewaltige Klassenauseinandersetzungen an, die in einigen Ländern, wie in Sri Lanka, bereits weit fortgeschritten sind. In diesem Rahmen müssen auch die Arbeitsplätze bei Ford verteidigt werden.

Nehmt Kontakt zum Ford-Aktionskomitee auf! Schickt eine Whatsapp-Nachricht an folgende Nummer: +491633378340

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