Insolvenzen, Entlassungen und Lohndumping – der Widerstand wächst

In der Arbeiterklasse wächst die Empörung. Bundes- und europaweit werden die Kosten von Pandemie, Krise und Krieg auf die arbeitende Bevölkerung abgewälzt. Immer mehr Beschäftigte sind bereit, den Kampf gegen Ausbeutung, Ausgründungen und Stellenstreichungen aufzunehmen.

Nicht nur mit der Profitgier der Konzerne und Aktionäre sind Arbeiterinnen und Arbeiter konfrontiert, sondern auch mit dem bürokratischen Apparat der DGB-Gewerkschaften, die die Kämpfe isolieren, spalten und in wirkungslosen Protestaktionen verpuffen lassen. Deshalb kämpft die SGP für unabhängige Aktionskomitees in allen Betrieben.

Im dritten Quartal dieses Jahres gab es eine ungewöhnlich hohe Zahl von Insolvenzen bei mittelgroßen Unternehmen. In nur drei Monaten haben zwischen Juli und September 33 Konzerne, deren Jahresumsatz mindestens 20 Millionen Euro betrug, Insolvenz angemeldet. Bis zum Jahresende werden 130 solcher Großinsolvenzen erwartet, das sind 71 Prozent mehr als im Vorjahr.

Vor allem Autozulieferer sind stark betroffen. Beispielsweise soll der ZF-Standort Eitorf, der zum Autozulieferer ZF Friedrichshafen gehört, bis Ende 2025 geschlossen und die Produktion verlagert werden, was die Arbeitsplätze von 690 Beschäftigten zerstört. Weitere Autozulieferer, die Insolvenz anmeldeten, sind der nordrhein-westfälische Borgers-Konzern (1900 Beschäftigte an 5 Standorten), das oberfränkische Werk von Dr. Schneider (2000 Beschäftigte), die pfälzische Gießerei Heger (130 Beschäftigte) und das Werk Rüster (630 Beschäftigte) in Deggingen, Kreis Göbbingen.

In Göbbingen ist außerdem Elektro Speidel insolvent, ein Unternehmen für Elektro- und Kommunikationstechnik mit 360 Beschäftigten. Auch der IT-Konzern Atos in Essen will im Zuge einer „Aufspaltung“ 1400 Stellen in Deutschland streichen; in Essen kämpfen 1100 Atos-Beschäftigte um ihren Arbeitsplatz.

Die größten Autokonzerne haben im gleichen Zeitraum Rekordgewinne eingefahren. Laut einer Studie von Ernst&Young über die 16 weltgrößten Autobauer war das dritte Quartal 2022 für sie „trotz der abflauenden Konjunktur und einer sehr schwierigen geopolitischen Lage … ein Traumquartal“.

Sowohl die Gesamtgewinne als auch die Gesamtumsätze seien „auf dem höchsten Stand, der je in einem dritten Quartal verzeichnet wurde“, schreibt das manager magazin. Weltweit konnten sie Umsatz und Gewinn im Schnitt um 28 Prozent steigern; bei den deutschen Konzernen lag das Gewinnplus sogar bei 58 Prozent. Den größten Gewinn konnte Mercedes Benz mit 5,2 Milliarden Euro verbuchen, vor Volkswagen mit 4,7 Milliarden Euro und BMW mit 3,7 Milliarden Euro.

Metallarbeiter der Vakuumschmelze Hanau im Streik

Unter den Autoarbeitern herrscht dagegen Wut und Sorge. Der Tarifabschluss, den die IG Metall vor kurzem verhandelt hat, bedeutet angesichts der inflationären Folgen des Ukrainekriegs eine deutliche Lohnsenkung. Hinzu kommt, dass die IG Metall die Leiharbeiter völlig ignoriert, obwohl sie – auch bei Mercedes – einen immer größeren Teil der Belegschaft ausmachen. Sie verrichten dieselbe Arbeit wie die Festangestellten, jedoch zu erheblich niedrigeren Löhnen und ohne jede Arbeitsplatzsicherheit.

Vor allem kritisieren viele Arbeiter, dass die große Kampfbereitschaft, die sich in den Warnstreiks von fast 900.000 Kollegen gezeigt hatte, nicht genutzt wurde, um ein besseres Ergebnis zu erreichen. Statt den Streik auszuweiten, eine Urabstimmung einzuleiten und einen Vollstreik vorzubereiten, hat die IG Metall die Streikbewegung im entscheidenden Moment abgewürgt und unterdrückt.

Bei dem Autobauer Tesla in Grünheide, der dem reichsten Mann der Welt, Elon Musk, gehört, arbeiten Kollegen unter Bedingungen, die ihre Gesundheit akut gefährden. Ein Team des brandenburgischen Landesamts für Arbeitsschutz, Verbraucherschutz und Gesundheit (LAVG) hat festgestellt, dass das Werk ohne den notwendigen und vorgeschriebenen Staubschutz produziert. Dabei wird mineralischer Staub mit unterschiedlichen Quarzgehalten freigesetzt, der zu Siliko-Tuberkulose oder Lungenkrebs führen kann. Auch gibt es bei Tesla keine getestete und zuverlässige Brandmeldeanlage, nur ein provisorisches Brandmeldekonzept.

Das Tesla-Werk mit 5000 Beschäftigten wurde im Sommer auf maximale Ausbeutung als „Produktionshölle“ (wie Musk selbst sagte) getrimmt. Aber selbst jetzt, wo die Behörde akute Mängel festgestellt hat, schreitet das Land Brandenburg nicht ein. Auch die IG Metall hat nicht vor, einen prinzipiellen Kampf für die Rechte der zum großen Teil internationalen Belegschaft aufzunehmen. Vielmehr dient sich die Gewerkschaft Tesla seit Monaten devot als Berater und „Partner“ auf dem Weg „in die Mitbestimmungskultur“ an und versucht, als bewährter Ordnungsfaktor auch von Elon Musk akzeptiert zu werden.

Gleichzeitig sind zahlreiche Belegschaften in anderen Branchen in ähnlich schwieriger Lage wie die Tesla-Arbeiter und kampfbereit. In Ostsachsen protestieren Beschäftigte des Waggonbau Niesky (WBN) dagegen, dass sie schon seit April dieses Jahres Kurzarbeit fahren müssen, während die Belegschaft ständig schrumpft. Das Unternehmen, das zum slowakischen Güterwagenhersteller Tatravagonka gehört, hat bereits 100 der ursprünglich 360 Arbeitsplätze abgebaut.

Ebenfalls in Sachsen endete letzte Woche der Streik von 150 Arbeitern bei Teigwaren Riesa mit einem Sieg. Sieben Wochen lang hatten sie gegen regelrechte Dumpinglöhne gestreikt, und zuletzt ihre Forderung, zwei Euro mehr pro Stunde, durchgesetzt. Die Löhne der Arbeiter, die bisher nur knapp mehr als den gesetzlichen Mindestlohn von 12 Euro verdienten, sollen in drei Schritten bis Ende nächsten Jahres angehoben werden, wobei natürlich auch ein Stundenlohn von 14 Euro brutto ihre finanziellen Probleme nicht lösen wird.

Am Frankfurter Rhein-Main-Flughafen haben am 25. November die Bodenarbeiter von Air France/KLM den ganzen Tag gestreikt. 150 Beschäftigte arbeiten im Cargobereich an mehreren Flughäfen zu sehr niedrigem Lohn, haben aber schon seit fast zehn Jahren keine Lohnerhöhung mehr erhalten. Die Dienstleistungsgewerkschaft Verdi verfolgt eine Spaltungsstrategie, die darin besteht, dass sie für jeden Betrieb seinen eigenen Haustarif anstrebt und jede Belegschaft gesondert zum Kampf aufruft.

Infolgedessen sind die von Verdi organisierten Protestaktionen von vorneherein völlig zahnlos, wie der Fall des KLM-Bodenpersonals erneut beweist: Die ohnehin schlecht bezahlten, in Wind und Wetter hart arbeitenden Beschäftigten arbeiten seit sieben Jahren und 21 Verhandlungsrunden ohne Tarif. Schon vor der aktuellen Inflation mussten die Bodenarbeiter einen Reallohnverlust von etwa 12 Prozent hinnehmen, während das Frachtgeschäft der Fluggesellschaft boomt.

Auch die Kämpfe an den Flughäfen finden weltweit statt. In den USA haben die Flugbegleiter der American Airlines am 16. November für ihre Lohnforderung an elf großen Flughäfen gleichzeitig gestreikt. Aber die Konflikte mehren sich nicht nur bei den privaten Dienstleistern und in der Produktion. Auch im öffentlichen Dienst, in der Pflege, im Nah- und Fernverkehr und an den Universitäten wächst der Widerstand.

Schon Anfang Oktober hatten rund 1000 Ärzte der Berliner Charité – erstmals seit 15 Jahren! – einen Warnstreik durchgeführt. Ein weiterer solcher Streik wurde in letzter Minute abgewendet, als sich am 29. November der Marburger Bund mit dem Charité-Vorstand auf eine „Weiterentwicklung“ des Haustarifs einigte.

Sie wird keines der Probleme lösen, weder die chronische Unterbesetzung noch die Auswirkungen der Corona-Pandemie und der grassierenden Inflation. Neben einer Einmalprämie von 3800 Euro sollen die Ärztinnen und Ärzte ab Januar 2023 eine Gehaltserhöhung von 3,5 Prozent und ab Juli 2023 von weiteren 2,2 Prozent erhalten. Damit werden auch sie angesichts der 10-prozentigen Inflation effektiv eine Reallohnsenkung hinnehmen müssen.

Überall arbeiten die Pflegekräfte am Limit und kämpfen gegen Pflegenotstand, Personalmangel und Pandemie. Inzwischen gerät auch die Lage in den Intensivstationen der Kinderkliniken außer Kontrolle, da eine starke Grippewelle auf eine ungewöhnliche heftige Ausbreitung von Atemwegserkrankungen trifft. Immer mehr Kinderärzte sehen die Ursache zu Recht darin, dass auch die Kinderkliniken, wie die Krankenhäuser, Profit bringen sollen, anstatt Kranke zu heilen.

In dieser Woche gab es Warnstreiks an vier Unikliniken in Baden-Württemberg, und die Aktionen von Verdi zeigen, wie groß die Kampfbereitschaft ist. Die Gewerkschaft sah sich gezwungen, die Warnstreiks auf vier Tage auszudehnen. Indessen weigert sie sich, die Urabstimmung einzuleiten und einen unbefristeten Erzwingungsstreik zu führen. Rund 2000 Pflegekräfte haben in dieser Woche in Tübingen, Ulm, Heidelberg und Freiburg gestreikt. Schon in der Vorwoche war es erneut auch zu Streiks an den hessischen Unikliniken Gießen und Marburg gekommen.

Auch die Streiks im Pflegebereich sind Teil einer europaweiten und internationalen Bewegung. So streiken in Frankreich die niedergelassenen Ärzte seit Donnerstag noch bis einschließlich Samstag, vor allem für höhere Honorare. Die Initiative dazu ist von einer freien Vereinigung junger Ärzte, der „Médecins pour demain“ (Ärzte für Morgen) ausgegangen.

Im Fernverkehr sind die Lokführer, Bahnbegleiter und Eisenbahner unzufrieden, da ihre Löhne und Gehälter nicht mit der Inflation Schritt halten. Ihre Kämpfe sind Bestandteil von Lohnkämpfen der Eisenbahner in Frankreich, Großbritannien, Belgien, Österreich und den Vereinigten Staaten. In Baden-Württemberg sind Lokführer bei der Südwestdeutschen Landesverkehrs GmbH (SWEG) und der SWEG-Bahn Stuttgart GmbH nach fünf Wochen ergebnislosen Verhandlungen streikbereit. Beide Gesellschaften sind im Besitz des Landes Baden-Württemberg.

Die Energiekrise trifft auch die Universitäten, wo die Mitarbeiter und Studierenden jetzt unter Raumtemperaturen von 19 Grad Celsius (statt 21 Grad) arbeiten müssen. Andere Einrichtungen, wie die Hochschule Koblenz, haben den Betrieb für fünf Wochen, bis am 8. Januar, auf Digitalbetrieb umgestellt, um Energie zu sparen. In dieser Zeit finden sämtliche Vorlesungen online statt, Labore, Bibliotheken und die Mensa bleiben geschlossen.

Die Ruhruni Bochum (RUB) hat einen halbjährigen Einstellungsstopp im nicht-wissenschaftlichen Bereich verfügt, um bis zu 250 Stellen abzubauen und damit sieben Millionen Euro einzusparen. Die RUB kopiert damit die Uni Wien, die bis zum Februar 2023 keine neuen Mitarbeiter einstellt. Dieser Einstellungsstopp betrifft dort auch Beschäftigte auf befristeten Stellen, deren Verträge jetzt nicht mehr erneuert werden.

Diese keineswegs erschöpfende Aufzählung macht deutlich, dass die soziale Katastrophe, vor der die arbeitende Bevölkerung steht, direkt mit der Bereicherung von Konzern- und Finanzeliten zusammenhängt. Der allgemeine Trend, der klar zutage tritt, ist die Vertiefung der Kluft zwischen Reich und Arm, zwischen der herrschenden Elite und der Arbeiterklasse. Gleichzeitig wächst der Widerstand, der immer stärker internationale und antikapitalistische Züge trägt und sich auch gegen die Gängelung und Sabotage durch die Gewerkschaftsbürokratien wendet. Als Ursache und Verschärfung der Not wird immer deutlicher die Kriegspolitik der Herrschenden wahrgenommen.

In dieser Situation ist der Aufbau unabhängiger Aktionskomitees notwendig, um den Kampf gegen Arbeitsplatzabbau, Lohnsenkungen und Krieg in die eigenen Hände zu nehmen. Das Internationale Komitee der Vierten Internationale (IKVI) hat die Internationale Arbeiterallianz der Aktionskomitees (International Workers Alliance of Rank-and-File Committees, IWA-RFC) gegründet, um diesen Aktionskomitees eine Orientierung zu geben und sie zu koordinieren. Das beste Beispiel für diesen Kampf ist der große Erfolg, den der Autoarbeiter Will Lehman im Kampf gegen die UAW-Bürokratie in den USA erzielte.

Nur auf diese Weise kann der Krieg selbst gestoppt und seine Auswirkungen in Form von Arbeitsplatzabbau und Reallohnsenkungen abgewehrt werden. Wir rufen alle Arbeiterinnen und Arbeiter auf, sich per Whatsapp-Nachricht bei folgender Nummer zu melden: +491633378340 oder sich gleich hier unten für die Aktionskomitees zu registrieren.

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