Neue Warnstreiks im Post- und Paketdienst

Ein bundesweiter Streik bei der Deutschen Post wird bis zum Samstagabend ausgeweitet. Er hat am Donnerstagnachmittag um 17 Uhr begonnen, als die Nachtschicht die Sortierzentren lahmlegte. Und am gestrigen Freitag streikten die Paket- und Briefzusteller ganztags. Die Dienstleistungsgewerkschaft Verdi, die in zwei Etappen zu dem Streik aufrief, reagiert damit auf die große Kampfbereitschaft, die bei der Post um sich greift.

Die Postbeschäftigten kämpfen um eine Lohnerhöhung von 15 Prozent bei einer Laufzeit von zwölf Monaten. Für Auszubildende soll es 200 Euro monatlich mehr geben. Bis zum Freitagmittag beteiligten sich nach Aussage eines Postsprechers der dpa schon rund 16.700 Postbeschäftigte an dem Streik, davon allein 2700 in Berlin und Brandenburg, 2000 in Südwestdeutschland, 2500 in Bayern und 5500 in Sachsen und Sachsen-Anhalt. Infolge des Streiks sind am Freitag ungefähr 2,3 Millionen Paketsendungen und 13 Millionen Briefe liegengeblieben, das ist mehr als die Hälfte der durchschnittlichen Tagesmenge.

Postkarre [Photo by Bernd Schwabe / wikimedia / CC BY-SA 4.0]

Trotz der damit verbundenen Probleme unterstützt ein großer Teil der Bevölkerung die Streiks bei der Post als berechtigt. Das drückt sich unter anderem in den Kommentarspalten der Medien aus.

So schreibt eine Arbeiterin in der Kommentarleiste des RBB: „Bin ich für die Inflation zuständig? Führe ich Krieg? Ist das alles meine Entscheidung? Was sind schon 15% Lohnforderungen gegenüber der Realität unserer Ausgaben für Leben, Existenz und Vorsorge!“

Ein anderer Leser schreibt, es sei „mehr als berechtigt und mehr als notwendig, die Beschäftigten an den Gewinnen und der Produktivitätssteigerung zu beteiligen, umso mehr, als die Gewinne ansonsten einfach nur an die Aktionäre fließen“.

Der Konzernvorstand der Post hat die Forderung als „realitätsfern“ zurückgewiesen. Er verzeichnete jedoch in den letzten zwei Jahren jeweils Gewinne von über 8 Milliarden Euro. Gleichzeitig weigerte er sich, die von der Regierung ermöglichte steuerfreie Prämie von 3000 Euro an die Beschäftigten auszuzahlen. Nun will der Vorstand, gestützt auf die Gewerkschaft, seine Bereicherungspolitik im Interesse der Aktionäre und auf Kosten der Beschäftigten weiter fortsetzen.

Die einst staatliche Deutsche Post, der heutige Logistikkonzern „Deutsche Post DHL Group“, hat seit der Privatisierung eine beispiellose Lohnsenkung und Verschlechterung der Arbeitsbedingungen durchgesetzt. Ganze Bereiche wurden in Tochter- und Sub-Unternehmen ausgegliedert. Heute sind fast 88 Prozent der Beschäftigten, nämlich 140.000 von 160.000 Tarifbeschäftigten, in den Entgeltgruppen 1 bis 3 eingruppiert, die zwischen 2108 und 3090 Euro brutto liegen. Viele Verteilzentren befinden sich jedoch in den teuren Großstädten, in denen die Mieten und Lebenskosten ständig steigen.

Im Dezember hat das Statistische Bundesamt nachgewiesen, dass die Gehälter in der Post- und Paketbranche seit 2011 deutlich geringer als in der Gesamtwirtschaft angestiegen sind. In diesen zehn Jahren wurden sie nur um 6 Prozent erhöht, während die durchschnittlichen Lohneinkommen der Gesamtwirtschaft um fast 24 Prozent anstiegen.

Gleichzeitig hat die Nachtarbeit und haben Überstunden zugenommen. Im Jahr 2021 mussten rund 60 Prozent der Zusteller und Sortierer auch am Wochenende arbeiten. Und jeder siebte Postbeschäftigte arbeitete auch zwischen 23 Uhr und 6 Uhr früh.

Weiter hat die Erhebung des statistischen Bundesamts ein hohes Maß an atypischen Beschäftigungsverhältnissen ergeben. Fast jeder dritte Post-, Kurier- und Expressfahrer (31 Prozent) war im Jahr 2021 entweder befristet oder in Teilzeit angestellt, geringfügig beschäftigt oder in Zeitarbeit. So werden die Sortierer und Paket- und Brief-Zusteller für harte Knochenarbeit mit Niedriglöhnen abgespeist, während der Postkonzern, wie die anderen Logistikkonzerne, nicht zuletzt vom Online-Versandhandel profitiert. Das erklärt die große Streikbereitschaft in den Post- und Verteilzentralen.

Allerdings sind die Streikenden mit der Gefahr konfrontiert, dass sie Verdi auch diesmal wieder ausverkauft. Die Verhandlungsführerin, die stellvertretende Verdi-Vorsitzende Andrea Kocsis, bleibt mit ihrer Forderung nach einem „Inflationsausgleich“ und einer „Beteiligung am Unternehmenserfolg“ bewusst im Vagen. Die Funktionärin, die jährlich allein aus Aufsichtsratstantiemen mehr als eine halbe Million Euro kassiert, bereitet sich auf einen Abschluss in der dritten Verhandlungsrunde vor, die am 8. und 9. Februar stattfinden soll.

Die aktuelle Forderung nach einer 15-prozentigen Lohnerhöhung wurde gegen den Willen der Gewerkschaft erhoben. In einer Umfrage, an der sich im letzten Herbst mehr als 43.000 Mitglieder beteiligten, wurde die Forderung von 10,5 Prozent, die Verdi derzeit für den öffentlichen Dienst erhebt, als unzureichend zurückgewiesen. 65 Prozent der Mitglieder lehnten diese Forderung als zu gering ab, und rund 91 Prozent erklärten sich bereit zu einem Streik.

Schon im Jahr 2020, bei dem letzten Arbeitskampf, hatte die Dienstleistungsgewerkschaft die Streikbereitschaft abgewürgt und mit ihrem Tarifabschluss die aktuellen Reallohnsenkungen ermöglicht. Der letzte Abschluss sah vor, dass die Löhne und Gehälter im Jahr 2020 überhaupt nicht ansteigen und dann zum 1. Januar 2021 um drei Prozent und zum 1. Januar 2022 noch einmal um zwei Prozent. Mit einer Vertragslaufzeit von 28 Monaten verschaffte Verdi der Post fast zweieinhalb Jahre Ruhe.

In der Zwischenzeit hat die Verdi-Führung, wie auch die ganze DGB-Führung, die Profite-vor-Leben-Politik in der Corona-Pandemie und die eskalierende Aufrüstung und Kriegspolitik der Ampel-Koalition unterstützt und mitgetragen. Während die Profite der Reichen und Aktionäre in die Höhe schossen wie noch nie, hat die Inflation mit beispiellosen Preissteigerungen bei den Lebensmitteln und der Energie die Löhne aufgefressen.

Um die Situation zu ändern und den begonnenen Arbeitskampf zu einem wirklichen Erfolg zu führen, müssen die Postbeschäftigten ihn in die eigenen Hände nehmen. Die Sozialistische Gleichheitspartei schlägt vor, in allen Betrieben Aktionskomitees zu gründen, die sich unabhängig von Verdi organisieren und den Kampf auf eine internationale und sozialistische Grundlage stellen.

Diese Komitees werden Kontakt zu den Kolleginnen und Kollegen in anderen Logistikkonzernen und bei der Post auf der ganzen Welt aufnehmen. Weltweit arbeiten über eine halbe Million Beschäftigte für die Deutsche Post. Im Paketdienst sind allein in Deutschland weit über eine halbe Million, nämlich 530.000 Personen beschäftigt.

Der Streik ist Teil eines neuen Aufschwungs im Klassenkampf. In Frankreich haben am selben Tag, dem 19. Januar, zwei Millionen Arbeiter gegen Macrons Angriffe auf die Rente gestreikt. In Großbritannien streiken seit Monaten immer wieder Beschäftigte des Gesundheitsdienstes, der Eisenbahnen und der Post. Weiter bestreiken aktuell hunderte Eisenbahner die SWEG in Stuttgart und die HLB in Nordhessen, und 2,3 Millionen Beschäftigte im öffentlichen Dienst bereiten sich auf die Tarifrunde vor.

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