Perspektive

Nein zu Macrons Rentenkürzungen! Arbeiter bezahlen nicht für den Krieg!

Am Dienstag demonstrierten in Frankreich 3 Millionen Menschen gegen die von Präsident Emmanuel Macron geplanten Rentenkürzungen. Auch in anderen europäischen Ländern kam es zu zahlreichen Streiks.

Bereitschaftspolizisten in Kettenformation auf einer Kundgebung gegen die geplante Heraufsetzung des Rentenalters in Paris, Esplanade des Invalides, 31. Januar 2023 [AP Photo/Thibault Camus]

Die Proteste richten sich gegen die Sparmaßnahmen und die steigenden Energie- und Lebensmittelpreise, die Arbeiter weltweit in Armut stürzen.

Am selben Tag gingen in Brüssel Beschäftigte des Gesundheitswesens gegen die unerträglichen Zustände in den Krankenhäusern auf die Straße, die durch Covid-19 sichtbar geworden sind. In Finnland legten Beschäftigte von Tech-Unternehmen zum Auftakt der dortigen Tarifrunde die Arbeit nieder. Und in Großbritannien waren insgesamt eine halbe Million Beschäftigte im Ausstand, um Lohnerhöhungen zum Ausgleich der Inflation zu fordern und gegen ein Antistreikgesetz im öffentlichen Dienst zu protestieren.

Die Streiks in Frankreich werfen wichtige Fragen auf, die sich Arbeitern weltweit stellen: Der Angriff auf die sozialen Rechte der Arbeiterklasse kann nicht zurückgeschlagen werden, ohne eine Bewegung gegen den Krieg aufzubauen, den die USA und die Nato in der Ukraine gegen Russland führen und der zu einem atomaren Weltkrieg zu eskalieren droht.

Macron weiß natürlich, dass seine Pläne weder demokratisch legitimiert sind noch in der Bevölkerung auf Zustimmung stoßen. Mit der Anhebung des Mindestrentenalters auf 64 Jahre sollen die Gesamtausgaben für die Altersversorgung um mehr als 5 Prozent bzw. rund 13 Mrd. Euro pro Jahr gesenkt werden. Umfragen zufolge lehnen 70 Prozent der Franzosen diese Pläne ab, und 79 Prozent halten eine soziale Explosion in den kommenden Monaten für „möglich“. Dennoch erklärt Premierministerin Élisabeth Borne die Kürzungen für „nicht verhandelbar' und mobilisiert Zehntausende von Bereitschaftspolizisten gegen die Arbeiter und Jugendlichen, die dagegen protestieren.

Macron schickt unterdessen Panzer in die Ukraine und erhöht die französischen Militärausgaben im Zeitraum 2024–2030 um fast 100 Mrd. auf 413 Mrd. Euro. Gleichzeitig behauptet er zynisch, dass Rentenkürzungen „unverzichtbar“ seien, um „das System“ vor dem Staatsbankrott zu bewahren. Die Schuld schiebt er dem russischen Präsidenten Wladimir Putin zu: „Aufgrund der russischen Aggression gegen die Ukraine gibt es keine Friedensdividende mehr.“

Macron vertritt das, was die herrschenden Klassen in allen imperialistischen Ländern fordern. Unter der Überschrift „Warum Frankreich eine Rentenreform braucht“ wiederholte das Wall Street Journal in seinem Leitartikel vom Dienstag die Argumente, die von der Bourgeoisie der imperialistischen Länder auch bei Ausbruch der beiden Weltkriege des 20. Jahrhunderts vorgebracht wurden. Um einen Großmachtkrieg zu führen, muss der Lebensstandard der Arbeiter drastisch gesenkt werden:

„Die Ausgaben, die zur Bewältigung der Bedrohungen erforderlich sind, setzen Reformen voraus, mit denen die Renten und Ansprüche auf Sozialleistungen nachhaltiger gestaltet werden. Dies ist eine Debatte, die in ganz Europa und in den USA geführt werden muss. Das Ende des Kalten Krieges brachte die Illusion hervor, dass die Sozialstaaten immer großzügigere Leistungen gewähren könnten. Wenn sich Demokratien gegen autoritäre Bedrohungen verteidigen wollen, ist dies jedoch nicht möglich.“

Diese Argumentation ist von A bis Z erlogen. Der Grund für die Rentenkürzungen liegt nicht in Putins reaktionärem Einmarsch in die Ukraine, sondern in den materiellen Interessen einer winzigen Finanzoligarchie, die über die Gesellschaft herrscht und sie ausplündert.

Aus dem neuen Oxfam-Bericht über die weltweite Ungleichheit geht hervor, dass das oberste 1 Prozent der Gesellschaft in den Jahren 2020–2021 63 Prozent der gesamten Vermögenszuwächse, d. h. mehr als 26 Billionen Dollar, abgeschöpft hat. In Frankreich haben die Unternehmen, die im Aktienindex CAC 40 erfasst sind, im vergangenen Jahr Rekordgewinne von 172 Mrd. Euro erzielt, und das Land ist die Heimat des derzeit reichsten Mannes der Welt, Bernard Arnault. Begünstigt durch die Bankenrettungsaktionen der Europäischen Zentralbank stieg der Wert von Arnaults Aktienbesitz von 85,7 Mrd. Euro im Jahr 2020 auf 213 Mrd. im Jahr 2023.

Die 13 Mrd. Euro, die Macron bei den jährlichen Rentenausgaben einsparen will, entsprechen weniger als einem Drittel des jährlichen Anstiegs von Arnaults Privatvermögen (42 Mrd. Euro) seit Beginn der Corona-Pandemie.

Der Angriff auf den Lebensstandard der Arbeiter geht nicht auf russische Militäraktionen zurück, sondern auf tiefgreifende Veränderungen der Weltpolitik seit 1991. Nach der Auflösung der Sowjetunion durch die stalinistische Bürokratie begannen die Nato-Mächte unter der Führung der USA einen neokolonialen Feldzug, der Millionen Menschenleben kostete. Das waren die Kriege im Irak, Jugoslawien, Afghanistan, Mali, Syrien und anderen Ländern. Innenpolitisch holten die EU-Regierungen zum Schlag gegen grundlegende soziale Rechte aus, die die herrschende Klasse nach dem Zweiten Weltkrieg zugestanden hatte, nachdem Nazideutschland von der Sowjetunion besiegt worden war.

In Frankreich sind Verhandlungen zwischen dem Staat und den Gewerkschaftsbürokratien über „Reformen“ zur Kürzung von Renten und wichtigen Sozialleistungen zur fast jährlichen Routine geworden, seit die Rentenkürzungen von Premierminister Alain Juppé im November-Dezember 1995 einen spontanen Massenstreik bei der Bahn auslösten.

Macron kürzt die Renten nicht deshalb, weil dies die einzige Möglichkeit wäre, eine Reaktion auf eine unerwartete Bedrohung durch Russland zu finanzieren, das traditionell enge diplomatische Beziehungen zu Frankreich unterhält. Vielmehr riskiert er einen Weltkrieg, um den sozialen Kahlschlag im eigenen Land fortzusetzen.

Im Jahr 2019 hatte Macron in einem Interview mit dem Economist die Drohungen der Nato gegen die russischen Streitkräfte im Nahen Osten noch kritisiert. Er bezeichnete die Nato als „hirntot“ und rief dazu auf, „unsere Haltung gegenüber Russland zu überdenken“. Weiter sagte er: „Wenn die Vereinigten Staaten Russland gegenüber sehr hart sind, ist das eine Form von staatlicher, politischer und historischer Hysterie.“ Frankreich hingegen wolle „Beziehungen aufbauen, um zu verhindern, dass die Welt in einen Flächenbrand gerät“.

Mit Beginn des Ukrainekriegs schlug sich Macron dann auf die Seite der Nato, weigerte sich aber zunächst, Panzer zu schicken: „Wir wollen keinen Weltkrieg. Wir helfen der Ukraine, auf ihrem Territorium Widerstand zu leisten, ohne Russland anzugreifen“, twitterte er im Oktober letzten Jahres. Im Dezember sagte er, seine „rote Linie“ sei jeder Schritt, mit dem Frankreich zur „Kriegspartei“ werde.

Doch als Macron zum Jahreswechsel eine Debatte über die Rentenpolitik zugunsten massiv unpopulärer Kürzungen beendete, warf er diese anfängliche Zurückhaltung über Bord. Am 4. Januar sagte er zu, Panzer vom Typ AMX-10 in die Ukraine zu schicken. Um die Kürzung der Renten und die Aufstockung der Polizei und des Militärs zu rechtfertigen, wurde beschlossen, Frankreich zur Kriegspartei zu machen und eben den Weltkrieg zu riskieren, vor dem Macron selbst gewarnt hatte.

Am Vorabend des Zweiten Weltkriegs erklärte Leo Trotzki im „Übergangsprogramm“, dem Gründungsprogramm der Vierten Internationale von 1938, dass der Kapitalismus in seine Todeskrise eingetreten sei. Heute, 85 Jahre später, steht der Kapitalismus erneut vor einer tödlichen Krise.

Es ist unbedingt notwendig, die Arbeiter in Amerika, Europa, der Ukraine, Russland und weltweit zu einem gemeinsamen internationalen Kampf gegen Krieg zu mobilisieren, der untrennbar mit dem Kampf gegen sozialen Kahlschlag verbunden ist.

Zwischen den heutigen Situation und den Weltkriegen des 20. Jahrhunderts gibt es einen wesentlichen Unterschied. Im Ersten Weltkrieg dauerte es fast drei Jahre, bis die Arbeiterklasse die erste Offensive gegen den Krieg startete: die Revolution von 1917 in Russland, die Lenin, Trotzki und die Bolschewiki an die Macht brachte. Heute jedoch sieht sich die Bourgeoisie bei ihrem Versuch, die Welt in einen dritten Weltkrieg zu ziehen, international einer explosiven Opposition und Massenstreiks gegenüber.

Um den Krieg und die sozialen Angriffe zu stoppen, muss der Kampf den nationalen Gewerkschaftsbürokratien, wie der stalinistischen CGT in Frankreich, aus der Hand genommen werden. Diese Bürokratien spalten die Arbeiterklasse verschiedener Länder, handeln mit den kapitalistischen Regierungen Sozialkürzungen aus und blockieren den Widerstand gegen den Krieg. Im vergangenen Jahr gaben die CGT-Bürokratie und die mit ihnen verbündete Nouveau parti anticapitaliste (NPA), Erklärungen ab, in denen sie die Argumente der Nato für einen Krieg mit Russland unterstützten.

Der Weg vorwärts besteht darin, in den Betrieben und Schulen Aktionskomitees aufzubauen, die unabhängig von den Gewerkschaftsbürokratien sind. Auf diese Weise ist es möglich, zusammen mit der Internationalen Arbeiterallianz der Aktionskomitees die überall ausbrechenden Kämpfe von Arbeitern und Jugendlichen zu einer starken, internationalen Bewegung zu vereinen, die dafür kämpft, den Krieg zu beenden und reaktionäre Regierungen wie die von Macron zu stürzen.

Die marxistisch-internationalistische Perspektive, auf die sich eine solche Bewegung gründen muss, wird nur vom Internationalen Komitee der Vierten Internationale (IKVI), der trotzkistischen Weltbewegung vertreten. Vor 70 Jahren brachen die pablistischen Vorläufer der französischen NPA mit dem IKVI, weil sie der Meinung waren, dass stalinistische Bürokratien den Arbeitern eine revolutionäre Führung geben würden. Die Unterstützung der CGT und der NPA für die Nato im gegenwärtigen Krieg stellt eine vernichtende objektive Widerlegung dieser Position dar.

Die politische Alternative, die aufgebaut werden muss, ist das IKVI und seine französische Sektion, die Parti de l'égalité socialiste, die für die Perspektive der sozialistischen Weltrevolution kämpft.

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