Polen empfängt Selenskyj und bereitet direktes Eingreifen in Ukrainekrieg vor

Der Besuch des ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj in Warschau vergangene Woche hat vor allem eines deutlich gemacht: Der Nato-Krieg gegen Russland in der Ukraine eskaliert immer weiter. Er weitet sich geografisch aus und nimmt an Intensität zu. Polen spielt dabei eine Schlüsselrolle und bereitet sich in enger Koordination mit den führenden Nato-Mächten darauf vor, direkt in den Konflikt einzugreifen.

Polens Premierminister Mateusz Morawiecki und der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj am 5. April in Warschau [AP Photo/Michal Dyjuk]

Bei einem gemeinsamen Auftritt mit dem polnischen Premierminister Mateusz Morawiecki im Innenhof des Warschauer Königsschlosses pries Selenskyj Polens Rolle als einer der größten Kriegsunterstützer und warb für weitere Waffenlieferungen.

„Ist es noch weit zum Sieg? Nein!“, erklärte er. Man dürfe „nur bei der Solidarität nicht stehen bleiben. Wenn der Kampf Artillerie erfordert, muss man sie gewähren. Wenn der Sieg Panzer braucht, muss an der Frontlinie ihr Donnern zu hören sein, und wenn die Unabhängigkeit eine Luftwaffe erfordert, dann darf man nicht grübeln, wie wohl Russland auf Flugzeuge reagieren wird.“

Polen gehört zu den ersten Ländern, die Kampfflugzeuge an die Ukraine liefern, und will nun seinen gesamten Bestand an MiG-29-Kampfjets an Kiew abgeben. Das verkündete der polnische Präsident Andrzej Duda nach einem Treffen mit Selenskyj. Sein Land habe der Ukraine bereits acht Kampfjets geliefert und bereite aktuell sechs weitere MiG-29 für eine Übergabe vor. Warschau werde „in Zukunft in der Lage sein, seine gesamte MiG-Flotte“ aus etwa 30 Flugzeugen an die ukrainische Luftwaffe zu übergeben, „sofern die Nato-Verbündeten zustimmen“.

Am Donnerstag bewilligte die Bundesregierung den Antrag der polnischen Regierung auf den Export von MiG-29 Kampfjets aus Beständen der früheren DDR an Kiew. Im Jahr 2002 hatte die damalige rot-grüne Bundesregierung 23 Kampfjets an Polen verkauft, die die Bundeswehr von der Nationalen Volksarmee übernommen hatte. Laut Angaben der polnischen Regierung verfügt die polnische Luftwaffe heute noch etwa über ein Dutzend davon, die nun an die ukrainische Armee gehen.

Die geplanten polnischen Waffenlieferungen beschränken sich nicht auf Kampfjets. In Warschau unterzeichnete die ukrainische Delegation weitere Verträge über polnische Haubitzen, Flugabwehrraketen, Truppentransporter und Radpanzer. Finanziert werden sollen die Rüstungskäufe durch Unterstützungsgelder aus der EU und den USA. Außerdem wurde vereinbart, gemeinsame Produktionslinien zur Herstellung von 125-mm-Panzermunition für die ukrainische Armee aufzubauen.

Der gesamte Besuch war darauf ausgerichtet, das enge Bündnis zwischen Warschau und Kiew zu zelebrieren. Nachdem ihn Duda mit dem höchsten militärischen Orden Polens empfangen hatte, sprach Selenskyj von einer „Freundschaft für Jahrhunderte“ zwischen der Ukraine und Polen. Doch unter der Oberfläche schwelen die historischen Konflikte.

In diesem Sommer jähren sich zum 80. Mal die Massaker ukrainischer Nationalisten und Faschisten an schätzungsweise 70.000 bis 100.000 Polen in Wolhynien und Ostgalizien. Die Führer und Anstifter des Massenmords werden von der heutigen Führung in Kiew verherrlicht. Am 1. Januar 2023 feierten das ukrainische Parlament und die ukrainische Militärführung den 114. Geburtstag des berüchtigten Faschisten, Antisemiten und Nazi-Kollaborateurs Stepan Bandera, dessen Organisation Ukrainischer Nationalisten (OUN-B) und ihr paramilitärischer Flügel, die Ukrainische Aufständische Armee (UPA), eine zentrale Rolle im Holocaust und Vernichtungskrieg gegen die Sowjetunion spielten.

Die aktuelle ukrainische Regierung sieht sich in dieser Tradition. Unter anderem veröffentlichte das ukrainische Parlament einen Tweet, der ein Bild von Walerij Saluschnyj, dem Oberbefehlshaber der ukrainischen Streitkräfte, vor dem Konterfei Banderas zeigt und diesen mit den Worten zitiert: „Der vollständige und endgültige Sieg des ukrainischen Nationalismus wird erst errungen sein, wenn das russische Imperium nicht mehr existiert.“

Nach einem öffentlichen Aufschrei in Polen sah sich die ukrainische Rada zwar gezwungen, den Post wieder zu löschen. Aber der Verherrlichung Banderas und anderer Faschisten in der Ukraine tut das keinen Abbruch. Das Selenskyj-Regime wendet Millionen für Denkmäler und die Umbenennung von Straßen zu Ehren von Nazi-Kollaborateuren und Neofaschisten auf.

Tatsache ist, dass auch die rechtsextreme polnische Regierungspartei Recht und Gerechtigkeit (PiS) einen extremen anti-russischen Kurs verfolgt und dabei offen mit faschistischen und antisemitischen Kräften paktiert. Ihr Protest gegen den Tweet erfolgte vor allem auch deshalb, weil die Verherrlichung Banderas durch die ukrainische Regierung den wirklichen Charakter des Kriegs offenbart.

Es handelt sich nicht um einen „Kampf um die Freiheit“, wie Selenkyj in Warschau behauptete. Der reaktionäre russische Einmarsch ändert nichts an der Tatsache, dass die Nato in der Ukraine einen imperialistischen Stellvertreterkrieg gegen die Atommacht Russland führt. Mit der systematischen militärischen Einkreisung Russlands und der Aufrüstung der Ukraine hat sie die militärische Reaktion des Putin-Regimes zunächst provoziert. Nun eskaliert die Nato den Konflikt systematisch, um das rohstoffreiche Land zu unterwerfen. Dabei geht es den führenden Nato-Mächten auch um die Kontrolle über die Ukraine selbst.

Die polnische Führung machte gegenüber Selenskyj keinen Hehl daraus, dass sie ihren Anteil an der Aufteilung der Kriegsbeute erwartet. Beim Wiederaufbau werde Warschau wohl hoffentlich auch in Zukunft der wichtigste Handelspartner der Ukraine sein, forderte Duda. Am Tag zuvor hatte bereits der deutsche Wirtschaftsminister Robert Habeck die Ukraine mit einer Wirtschaftsdelegation besucht, um den deutschen Anspruch auf eine führende Rolle in der Ukraine geltend zu machen.

Die Nato-Mächte verfolgen aber nicht nur wirtschaftliche Interessen. Hinter den Kulissen werden längst die Messer für die revanchistische Neuaufteilung der Ukraine und ganz Osteuropas gewetzt.

„Zu den wenig diskutierten Folgen des Krieges gehört das Wiederaufflammen der territorialen Streitigkeiten, die sich aus der Regelung nach dem Zweiten Weltkrieg ergeben haben“, heißt in einem aktuellen Statement der World Socialist Web Site.

Die herrschende Klasse in Deutschland habe „nicht vergessen, dass die polnische Stadt Wroclaw einst Breslau hieß und zu Beginn des zwanzigsten Jahrhunderts die sechstgrößte Stadt des Deutschen Reiches war“. Und auch die polnische Regierung habe „nicht vergessen, dass die Stadt Lviv in der Westukraine vor dem Ausbruch des Zweiten Weltkriegs als drittgrößte Stadt Polens unter dem Namen Lwów bekannt war“.

Um derart weitreichende Ziele geht es, wenn die imperialistischen Mächte aufrüsten und sich auf ein direktes Eingreifen in den Krieg vorbereiten. Auch hier prescht die polnische Regierung vor.

Ende März drohte der polnische Botschafter in Paris, Jan Emeryk Rościszewski, in einem Interview mit dem französischen Fernsehsender LCI offen mit einer militärischen Intervention. „Wenn die Ukraine ihre Unabhängigkeit nicht verteidigt, haben wir keine andere Wahl, wir werden gezwungen sein, in den Konflikt einzutreten.“

Rościszewski reagiert mit seiner Drohung auf die sich zuspitzende Krise in der Ukraine. Militärisch, politisch aber auch wirtschaftlich steht das Selenskyj-Regime ein Jahr nach Kriegsbeginn enorm unter Druck. Die Nato verfolgt das erklärte Ziel, Russland in der Ukraine militärisch zu besiegen. Und es ist klar, dass dafür die jüngsten Waffenlieferungen nicht ausreichen.

Die offene Ankündigung eines direkten militärischen Eingreifens ist alarmierend, aber nicht neu. Ende März warnte der ungarische Ministerpräsident Viktor Orbán, die europäischen Mächte stünden kurz davor, Gespräche über die Stationierung von „Friedenstruppen“ zu beginnen.

Jaroslaw Kaczynski, der Vorsitzende der regierenden PiS-Partei, hatte bereits vor einem Jahr eine „Friedensmission“ der NATO zur Unterstützung der Ukraine gefordert. Im Mai letzten Jahres brachte der pensionierte US-General Jack Keane eine „internationale Koalition“ ins Spiel, um die Kontrolle über das Schwarze Meer gegen Russland zu sichern.

Seitdem treiben die Nato-Mächte ihre Kriegsvorbereitungen zunehmend aggressiv voran. Im vergangenen Juni verkündete der Nato-Vorsitzende Jens Stoltenberg die Schnelle Eingreiftruppe des Militärbündnisses an der Nato-Ostflanke von 40.000 auf 300.000 aufzustocken. In den letzten Monaten hat die Nato zehntausende Soldaten in Osteuropa stationiert und arbeitet an der Aufstellung einer regelrechten Invasionsarmee. Polen spielt dabei eine zentrale Rolle.

Am 22. März wurde die erste dauerhafte Garnison der US-Armee in Poznan offiziell eröffnet, die das Weiße Haus bereits im vergangenen Sommer beschlossen hatte. Es handelt sich um einen offenen Bruch der Nato-Russland-Grundakte aus dem Jahr 1997, die die „dauerhafte Stationierung substantieller Kampftruppen“ in ehemaligen Mitgliedstaaten des Warschauer Pakts untersagt.

„Wir haben uns jahrelang darum bemüht, um dieses Wort ‚permanent‘, und jetzt ist es Wirklichkeit geworden“, frohlockte Verteidigungsminister Mariusz Błaszczak bei der Eröffnungszeremonie. Zudem verwies er auf die naheliegende „Abrams Academy“ in Biedrusko. Dort bildet die US-Armee polnische Soldaten an Abrams M1A2-Kampfpanzern aus. 250 davon hatte Polen im letzten Jahr für umgerechnet 4,75 Milliarden Dollar gekauft.

Die rechtsextreme PiS-Regierung hat sich das Ziel gesetzt, die stärkste Landarmee Europas aufzubauen, und dafür ihren Wehretat in diesem Jahr auf vier Prozent des BIP erhöht. Vor kurzem hat Verteidigungsminister Błaszczak die Ankunft der ersten neu gekauften amerikanischen Abrams und südkoreanischen K2-Kampfpanzer verkündet. Insgesamt hat Polen über 1000 Panzer bestellt. Auch die Truppenstärke der polnischen Armee soll massiv aufgestockt werden – von aktuell 164.000 auf 300.000 Soldaten. Hinzu kommen zehntausende weitere für die Nationalgarde.

Im Februar wurde außerdem die Aufstellung einer Polnischen Freiwilligenlegion (Polski Korpus Ochotniczy – PDK) bekannt. Berichten zufolge fand die Gründung am 15. Februar in Kiew statt – unter Anwesenheit eines Vertreters des ukrainischen Verteidigungsministeriums, mehrerer polnischer Freiwilliger, des polnischen Organisators der Legion und des Befehlshabers des Russischen Freiwilligenkorps.

Letzteres ist eine im August 2022 gebildete Einheit russisch-stämmiger Freiwilliger, die seit 2014 für die Ukraine kämpfen. Führer der Einheit ist der berüchtigte Neonazi Denis Nikitin. Zuletzt hatte er damit geprahlt, mit seiner Einheit russische Dörfer hinter der Front, in der Nähe der russischen Stadt Bryansk, angegriffen zu haben.

Die Aufstellung von Kommandoeinheiten wie der PDK, rekrutiert aus NATO-Ländern, kann nur als Vorstufe zur Entsendung von NATO-Bodentruppen verstanden werden. Bereits jetzt agieren mehr als 150 Spezialkräfte aus Großbritannien, den USA, Frankreich und anderen Nato-Ländern in der Ukraine.

Die in den nächsten Wochen und Monaten stattfindenden massiven Nato-Manöver – darunter Defender Europe 23, Baltops 23, Sea Breaze 23 und Air Defender 23 – umfassen mehrere Zehntausend Nato-Truppen und nehmen zunehmend die Form eines Sprungbretts für eine direkte Militärintervention an.

In Polen laufen aktuell die Vorbereitungen für das Nato-Großmanöver Anakonda 23 auf Hochtouren. Vom 17. April bis zum 16. Mai werden etwa 10.000 polnische Soldaten und fast 3.000 Soldaten aus verbündeten Nato-Ländern mobilisiert. Die Übungen finden auf dem Hauptübungsplatz in Polen sowie auf Übungsplätzen in Estland, Lettland, Litauen und Schweden statt.

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