Der G7-Gipfel, der vom 19. bis 21. Mai im japanischen Hiroshima tagte, markiert einen großen Schritt in Richtung eines nuklearen, dritten Weltkriegs. Die G7 – USA, Japan, Deutschland, Großbritannien, Frankreich, Italien und Kanada – stellten Russland ein Ultimatum, das keinen Raum für diplomatische Lösungen lässt.
„Wir rufen Russland dringend auf, seinen fortdauernden Angriff zu stoppen und seine Truppen und sein Militärgerät unverzüglich, vollständig und bedingungslos aus dem gesamten international anerkannten Hoheitsgebiet der Ukraine abzuziehen,“ heißt es in der Erklärung, die der Gipfel zum Ukrainekrieg verabschiedete.
Die G7 erklären damit die bedingungslose Kapitulation Moskaus – einschließlich der Räumung der Krim und des strategisch wichtigen Flottenstützpunkts Sewastopol – zur Voraussetzung für jegliche Friedensverhandlungen. Gegenleistungen – etwa Sicherheitsgarantien für Moskau oder den Verzicht auf die Aufnahme der Ukraine in die Nato – bieten sie keine an. Stattdessen verpflichten sie sich, „der Ukraine weiterhin die erforderliche finanzielle, humanitäre, militärische und diplomatische Unterstützung zu gewähren, solange dies nötig ist“ – also bis zur militärischen Niederlage Russlands.
Die Entscheidung, die Ukraine mit atomwaffenfähigen F16-Kampfjets zu bewaffnen, steht in diesem Zusammenhang. Die F16 sind in der Lage, den Krieg tief ins russische Territorium hineinzutragen. Eine weitere militärische Eskalation, die Nato-Truppen direkt in die Kampfhandlungen einbezieht und ganz Europa in Flammen setzt, ist damit vorprogrammiert.
Der G7 beließen es nicht dabei, den vollständigen Rückzug Russlands zu verlangen. Sie wollen auch einen Regimewechsel in Moskau erzwingen und das Land wirtschaftlich und finanziell ausbluten. Sie beschlossen, weitere Sanktionen gegen Russland zu verhängen und sicherzustellen, „dass Russland für den langfristigen Wiederaufbau der Ukraine zahlt“ und dass seine Führer „für Kriegsverbrechen und andere Gräueltaten“ vor Gericht gestellt werden.
Es ist offensichtlich, dass das Regime von Wladimir Putin dieses Ultimatum nicht erfüllen kann, ohne sein eigenes Todesurteil zu unterzeichnen. Es ist ein Ultimatum, dessen einziger Zweck darin besteht, den Krieg so lange fortzuführen, bis die Nato ihr Ziel erreicht: die Errichtung eines Marionettenregimes in Moskau und die Zerschlagung der Russischen Föderation. Das Risiko einer nuklearen Eskalation nehmen die G7 dabei bewusst in Kauf.
Es gibt historische Präzedenzfälle für solche unannehmbare Ultimaten. Der bekannteste ist das Ultimatum, das Österreich-Ungarn 1914 Serbien stellte, nachdem ein bosnisch-serbischer Nationalist den österreichischen Thronfolger in Sarajewo ermordet hatte. Österreich wollte den Krieg und wurde dabei von Deutschland unterstützt. Es nutzte die ausweichende Antwort Serbiens, um den Ersten Weltkrieg zu eröffnen.
Die Großmächte „schlitterten“ nicht einfach unabsichtlich in den Krieg hinein, wie manche Historiker behaupten. Sie wollten den Krieg oder nahmen ihn zumindest billigend in Kauf. Dabei waren die politischen Entscheidungen, Provokationen und Verschwörungen, deren fatale Verkettung schließlich zum größten Blutbad in der bisherigen Geschichte der Menschheit führte, der bewusste Ausdruck von Klasseninteressen, die keinen fortschrittlichen Ausweg aus der Sackgasse des Kapitalismus zuließen.
Die vier Jahrzehnte vor dem Krieg waren von einer gewaltigen Entwicklung der Produktivkräfte geprägt, die den Rahmen des Nationalstaats sprengte. Die aufstrebenden Industriemächte Deutschland und USA lechzten nach Rohstoffen, Absatzmärkten und Investitionsmöglichkeiten, die ihre Rivalen Großbritannien und Frankreich kontrollierten.
Das kapitalistische System, das an Privateigentum und Nationalstaat gebunden ist, erlaubte keine rationale Organisation der Weltwirtschaft im Interesse gesellschaftlicher Bedürfnisse. Im Rahmen des Kapitalismus gab es auf den Widerspruch zwischen Weltwirtschaft und Nationalstaat nur eine Antwort: die gewaltsame Neuaufteilung der Welt unter den imperialistischen Großmächten. Das war die Hauptursache für den Ersten und auch für den Zweiten Weltkrieg.
Krieg gegen China
Die objektiven Widersprüche, die die G7 heute in den Krieg treiben, sind ungleich stärker als 1914. Ihre Kriegspolitik entspringt einer Position der Schwäche. Als die G7 1975 gegründet wurden, kamen sie noch für 60 Prozent der globalen Wirtschaftsleitung auf. Heute sind es nur noch 31 Prozent.
Die USA versuchen seit langem, ihre schwindende wirtschaftliche Macht durch militärische Gewalt wettzumachen, und werden dabei von den europäischen Mächten unterstützt. Die Kriege in Afghanistan, Irak und Syrien verfolgten dieses Ziel. Der Stellvertreterkrieg, den die Nato in der Ukraine gegen Russland führt, knüpft an diese Kriege an.
Nachdem die stalinistische Bürokratie 1991 die Sowjetunion aufgelöst hatte, rückte die Nato immer weiter nach Osten vor. Das Putin-Regime reagierte darauf mit dem reaktionären militärischen Angriff auf die Ukraine. Die Nato nutzte ihn als Vorwand für einen umfassenden Krieg, der nicht nur gegen Russland zielt. Vor allem die USA betrachten China als ihren wichtigsten wirtschaftlichen und geopolitischen Rivalen.
Auch das wurde in Hiroshima deutlich. Die Schlusserklärung des Gipfels greift China in außerordentlicher Schärfe an. Sie beschuldigt Peking, die militärische und wirtschaftliche Sicherheit anderer Länder zu bedrohen, wirft ihm „einseitige Versuche zur gewaltsamen oder erzwungenen Änderung des Status quo“ im Ost- und Südchinesischen Meer und „böswillige Praktiken“, wie „unrechtmäßigen Technologietransfer oder unrechtmäßige Datenpreisgabe“ sowie „wirtschaftlichen Zwang“ vor.
Weiter heißt es in der Schlusserklärung: „Wir werden unserer Besorgnis über die Menschenrechtslage in China, auch in Tibet und in Xinjiang, wo Zwangsarbeit uns große Sorge bereitet, weiter Ausdruck verleihen.“ China wird außerdem aufgefordert, sich der Front gegen Russland anzuschließen: „gegenüber Russland darauf zu dringen, dass es seine militärische Aggression stoppt und seine Truppen unverzüglich, vollständig und bedingungslos aus der Ukraine abzieht.“
Auf Drängen von Scholz und Macron, die die wirtschaftlichen Auswirkungen eines abrupten Bruchs mit China fürchten, wurde zwar auch eine versöhnlichere Passage eingefügt. Man wolle China nicht schaden und seinen wirtschaftlichen Fortschritt nicht behindern, heißt es dort. Man wolle kein „de-coupling“, also keine Abkoppelung von China, sondern betreibe lediglich ein „de-risking“, eine Reduzierung des Risikos. Doch das ist reine Kosmetik. Die Botschaft der G7 ist unmissverständlich: Die imperialistischen Mächte bereiten sich auf einen Krieg gegen die Nuklearmacht China vor.
Globaler Süden
In diesem Zusammenhang steht auch das Bemühen der G7, die Länder des sogenannten Globalen Südens auf ihre Seite zu ziehen. Zu diesem Zweck wurden unter anderen der indische Regierungschef Narendra Modi und der brasilianische Präsident Lula da Silva nach Hiroshima eingeladen. Beide nehmen im Ukrainekonflikt eine abwartende Haltung ein und tragen die Sanktionen gegen Russland nicht mit.
Um die beiden zu bearbeiten, wurde der ukrainische Präsident Selenskyj in einer französischen Staatsmaschine eingeflogen. Er sollte, wie es Präsident Macron formulierte, die Rolle des „Game-changer“ (Präsident Macron) übernehmen und, wie die Frankfurter Allgemeine schrieb, „den Block der Neutralen aufbrechen“.
Der ausgebildete Schauspieler Selenskyj zog alle Register. Er schreckte auch nicht davor zurück, die Opfer des Ukrainekriegs auf eine Stufe mit den Opfern des Atombombenabwurfs auf Hiroshima zu stellen. An der grausigen Ironie dieses Vergleichs störte er sich offenbar nicht.
Für die Ermordung hunderttausender Zivilisten in Hiroshima und Nagasaki – nach heutigem Recht ein schweres Kriegsverbrechen – war nämlich nicht irgendein „Bösewicht“, sondern Selenskyjs Verbündeter USA verantwortlich. Der Abwurf der Atombombe erfüllte keinen militärischen Zweck, sondern diente der Einschüchterung aller realen und potentiellen Gegner der USA. Er schuf die Grundlage für die US-dominierte Nachkriegsordnung, die die Nato heute verteidigt, indem sie einen Nuklearkrieg riskiert.
Modi ließ sich auf ein Treffen mit Selenskyj ein und sicherte ihm unverbindlich zu, der Ukraine „bei den Schwierigkeiten“ zu helfen. Lula weigerte sich dagegen, mit dem ukrainischen Präsidenten zu sprechen. Beide weisen die Kriegspolitik der Nato nicht zurück, sondern warten lediglich ab. So arbeitet Indien bei den Kriegsvorbereitungen gegen China eng mit den USA zusammen, ist aber derzeit nicht bereit, seine Wirtschaftsbeziehungen zu Russland zu kappen.
Seit dem ersten Golfkrieg 1990–1991 führen die Vereinigten Staaten ununterbrochen Krieg. Gestützt auf ein marxistisches Verständnis der Widersprüche des US- und des Weltimperialismus analysiert David North die Militärinterventionen und geopolitischen Krisen der letzten 30 Jahre.
Die Eskalation des Ukrainekriegs und der Konfrontation mit China sowie die in Hiroshima demonstrativ zur Schau gestellte Einheit der G7 dienen schließlich auch dazu, die wachsenden Gegensätze zwischen ihren Mitgliedern selbst zu unterdrücken. Im Krieg sind die europäischen Mächte auf die Unterstützung der militärisch überlegenen USA angewiesen – bemühen sich aber, davon loszukommen.
So hatte Präsident Macron bereits nach seiner letzten Chinareise gewarnt, Europa dürfe nicht zum „Vasallen“ der USA werden. Deutschland nutzt den Ukrainekrieg, um seinen alten Traum vom „Lebensraum“ im Osten neu zu beleben und wieder zur militärischen Führungsmacht Europas aufzusteigen.
In deutschen Medien erschienen während des Gipfels zahlreiche Artikel, die den „schwindenden Einfluss Europas in der neuen Weltordnung“ (Spiegel) beklagen und auf neue Allianzen und eine beschleunigte Aufrüstung drängen. Bundeskanzler Scholz betreibt eine eifrige Reisediplomatie. Er hat in Begleitung großer Wirtschaftsdelegationen zweimal Afrika, Indien, Japan und Südkorea besucht, um neue Verbündete und Märkte für Deutschland zu erschließen. Die Bundeswehr verstärkt ihren Einsatz in Afrika.
Krieg und Klassenkampf
Bereits der Erste Weltkrieg hatte gezeigt, dass pazifistische Appelle an die Herrschenden völlig wirkungslos sind. Was den Krieg kennzeichnete, war der geschlossene Übergang der Ober- und Mittelschichten ins Lager des Militarismus. Selbst die Führung der Sozialdemokratie, die bis kurz vor Kriegsausbeginn internationale Friedenskongresse organisiert hatte, versank im Kriegstaumel.
Nur eine kleine marxistische Minderheit, angeführt von Lenin, Trotzki, Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht, widersetzte sich der chauvinistischen Kriegshysterie und setzte auf die internationale Einheit der Arteiterklasse und die sozialistische Revolution. Ihre Perspektive wurde im Oktober 1917 bestätigt, als die Arbeiterklasse in Russland unter Führung Lenins und Trotzkis die Macht ergriff und den Krieg beendete.
In Deutschland blieb die Novemberrevolution 1918 auf halbem Wege stehen, weil sich die SPD mit der Obersten Heeresleitung verbündete, um sie gewaltsam zu unterdrücken und das kapitalistische Privateigentum zu verteidigen. Die Folgen waren Hitler und der Zweite Weltkrieg.
Auch heute haben sich ehemalige Pazifisten aus dem Kleinbürgertum in Kriegstreiber verwandelt. Grüne, SPD und Teile der Linkspartei zählen zu den größten Scharfmachern. Die Gefahr einer nuklearen Katastrophe kann nur durch eine internationale Bewegung der Arbeiterklasse und der Jugend verhindert werden, die völlig unabhängig von den bürgerlichen Parteien ist und den Kampf gegen Krieg mit dem Kampf gegen seine Ursache, den Kapitalismus, verbindet.
Die objektiven Voraussetzungen für eine solche Bewegung entwickeln sich schnell. Die Bereicherung der unersättlichen Finanzoligarchie auf Kosten der Arbeiterklasse hat weltweit zum Ausbruch heftiger Klassenkämpfe geführt. In Frankreich haben Arbeiter monatelang gegen die Rentenkürzungen Präsident Macrons rebelliert. In den USA und Europa hat die Inflation zu einer starken Zunahme von Lohnkämpfen geführt, deren Unterdrückung den Gewerkschaften zunehmend schwerfällt.
Der Ukrainekrieg verschärft die Klassengegensätze weiter. Je höher die Kosten von Krieg und Aufrüstung, desto schärfer die Angriffe auf Einkommen und Sozialleistungen. Hinzu kommt die Krise des aufgeblähten Finanzsystems, das die Weltwirtschaft in den Abgrund zu ziehen droht.
Die Herrschenden reagieren auf den wachsenden Widerstand mit autoritären Maßnahmen und der weiteren Eskalation von Militarismus und Krieg. Die demokratischen Formen der bürgerlichen Herrschaft zerbrechen. Ultrarechte Figuren, wie Donald Trump in den USA oder Giorgia Meloni in Italien, steigen in höchste Staatsämter auf. Das setzt revolutionäre Klassenauseinandersetzungen auf die Tagesordnung. Sie müssen vorbereitet werden durch den Aufbau der Sozialistischen Gleichheitspartei und der Vierten Internationale zur neuen Massenpartei der Arbeiterklasse.