Britisches Antistreikgesetz passiert weitere Parlamentsabstimmung ohne nennenswerten Protest der Gewerkschaften

Am Montagabend hat die Gesetzesvorlage für das Antistreikgesetz der britischen Tory-Regierung eine weitere Hürde auf dem Weg zur endgültigen Verabschiedung genommen. Der Entwurf mit dem offiziellen Namen „Minimum Service Levels Bill“ (Mindestdienstleistungsgesetz) soll einen Teil der Belegschaft während eines Streiks zwingen, die Arbeit fortzusetzen, und verweigert ihnen das Grundrecht, ihre Arbeitskraft nicht zur Verfügung zu stellen. Damit sabotiert es wirksame Arbeitskampfmaßnahmen.

Derzeit betrifft es die Eisenbahn und Feuerwehr sowie das Gesundheits- und Bildungswesen – und damit ein Fünftel aller Beschäftigten. Allerdings kann es auch auf weitere Teile der Erwerbsbevölkerung ausgedehnt werden.

Die Tories können das Antistreikgesetz dank ihrer großen Mehrheit im Unterhaus zwar durch die parlamentarischen Instanzen winken. Doch wie die Protestveranstaltung des Trades Union Congress (TUC) auf dem Parliament Square deutlich gemacht hat, ermöglicht erst das Fehlen eines organisierten Widerstands seine reibungslose Verabschiedung.

Die Protestveranstaltung des TUC gegen das Antistreikgesetz am 22. Mai 2023

An der bewusst zurückhaltenden Veranstaltung nahmen selbst nach großzügigen Schätzungen nur 600 Menschen teil. Der TUC rechtfertigte diese mäßige Beteiligung, indem er die Veranstaltung als „Notfall“-Protest darstellte, der kurzfristig anberaumt wurde. Doch das Antistreikgesetz wird im Parlament bereits seit Monaten vorbereitet. Der TUC, der formell 5,5 Millionen Arbeiter repräsentiert, hatte ausreichend Gelegenheit, eine größere Teilnehmerzahl für eine Großdemonstration am Wochenende zu mobilisieren.

Die Untätigkeit der Gewerkschaftsbürokratie entspricht ihrer von Anfang an zahmen Reaktion auf das Gesetz. Im Januar fand vor der Downing Street eine kleine Protestveranstaltung mit ein paar tausend Teilnehmern statt. Bereits laufende Arbeitskämpfe wurden auf den 1. Februar verlegt, damit sie mit einem „Protesttag“ des TUC gegen das Gesetz zusammenfallen. Auf diese Weise versuchte der TUC Widerstand zu zeigen, aber alles zu vermeiden, was die Regierung als politischen Streik auslegen könnte. Danach wurde bis zu diesem Montag nichts mehr unternommen.

Der TUC und die ihm angeschlossenen Gewerkschaften wollen keine Massenbewegung, um das Gesetz zu verhindern. Sie appellieren stattdessen an Bürgerrechtsorganisationen, das Oberhaus und an besorgte Tories, gemeinsam mit Labour, der Scottish National Party und den Liberal Democrats für eine Änderung des Gesetzes zu stimmen. Gleichzeitig drängen sie auf eine Labour-Regierung, die sich zur Rücknahme des Gesetzes verpflichtet.

Eine Massenbewegung wegen eines so grundlegenden Themas wie das Streikrecht in einer Zeit der tiefen sozialen und wirtschaftlichen Krise würde das Großkapital bedrohen, die Umsetzung brutaler Sparmaßnahmen behindern und die Schlüsselrolle des Vereinigten Königreichs im Krieg der Nato gegen Russland in der Ukraine gefährden. Sie würde zudem die Fähigkeit der Gewerkschaften, den Klassenkampf zu kontrollieren, auf eine harte Probe stellen.

Die Gewerkschaftsbürokratie verlangt von Labour die Wiederherstellung der Partnerschaft zwischen Arbeitgebern und Gewerkschaften. Die Tories haben diese Partnerschaft mit ihrem extremen Konfrontationskurs beschädigt, der – so die Sorge der Gewerkschaftsbürokratie – in der Arbeiterklasse eine unkontrollierbare Bewegung auslösen könnte.

Zu Beginn der Protestveranstaltung am Montag forderte TUC-Generalsekretär Paul Nowak „eine Verpflichtung von Labour und allen anderen Oppositionsparteien: Sobald es zu einem Regierungswechsel kommt, werden wir diese Gesetzgebung aufheben“. Weiter erklärte er, wenn die Tory-Regierung „der arbeitenden Bevölkerung keinen neuen Deal liefert, werden wir dafür sorgen, dass sie den Preis bei der Wahl zahlt“. Danach stellte er die Labour-Abgeordnete Jo Stevens „mit größtem Vergnügen“ als Rednerin bei der Kundgebung vor.

Paul Nowak bei der Protestveranstaltung der TUC gegen das Antistreikgesetz am 22. Mai 2023

Der Vorsitzende der Gewerkschaft Rail Maritime and Transport (RMT), Mick Lynch, hatte vor Zehntausenden gerufen „Genug ist genug“, bevor er den Streik bei Network Rail ausverkaufte und das gleiche im Tarifstreit mit den Zugbetreibern versuchte. Am Montag erklärte er den wenigen hundert Teilnehmern, er und der TUC fordern: „Herr Starmer und die Labour Party, stimmen Sie gegen dieses Gesetz... Sie müssen dieses Gesetz nicht nur entschieden ablehnen, es muss aufgehoben werden. Und Sie müssen während dieser Debatte zu Protokoll geben, dass eine Labour-Regierung es in den ersten 100 Tagen [!] nach ihrem Wahlsieg vollständig zurücknehmen wird.“

Nowak und Lynch riefen Labour auf, „noch weiter zu gehen“ und ein „Gesetz über die Rechte“ von Arbeitern einzuführen. Lynch forderte „die Aufhebung der gewerkschaftsfeindlichen Gesetze der letzten vier Jahrzehnte“.

Mick Lynch bei der Protestveranstaltung des TUC gegen das Antistreikgesetz am 22. Mai 2023

Jeder Arbeiter auf einer solchen Kundgebung würde sich fragen, ob es hier um den gleichen Sir Keir Starmer und die gleiche Labour Party geht, die ihren Abgeordneten verboten hat, an Streikposten teilzunehmen und die jedem mit Parteiausschluss droht, der die Nato kritisiert. Die Redner versuchen verzweifelt, falsche Hoffnungen in einen erwiesenen Feind der Arbeiterklasse zu wecken, damit die Arbeiter auf einen der schwerwiegendsten antidemokratischen Angriffe in der jüngsten britischen Geschichte passiv reagieren.

Der Vorsitzende der National Education Union, Kevin Courtney, stellte sogar die Frage: „Wie wehren wir uns?“, und antwortete: „Nun, ich hätte nie gedacht, dass ich das bei einer Gewerkschaftsveranstaltung sage, aber gut für das Oberhaus. Sie haben einige Änderungen verabschiedet. Wenn Sie ein Oberhausmitglied kennen, bringen Sie ihn dazu, wieder dagegen zu stimmen. Wenn Sie einen Unterhausabgeordneten kennen, kontaktieren Sie ihn; auf der Website des TUC gibt es massenweise Briefe, die Sie benutzen können.“

Im Unterhaus erschienen kaum Labour-Abgeordnete zur Debatte. Nur 13 ergriffen das Wort, als diverse Änderungsvorschläge des Oberhauses abgelehnt wurden. Diejenigen, die sich meldeten, sprachen sich gegen den „unnötigen“ und provokanten Charakter des Gesetzes aus und beriefen sich auf den Widerstand sowohl der Gewerkschaften als auch der Arbeitgeber.

Mike Amesbury befürchtete, das Gesetz könne „die Beziehung zwischen Arbeitgebern und Arbeitern beträchtlich verschlechtern“. Rachael Maskell erklärte, es „könnte die Dinge viel schwieriger machen... Warum stellt sich der Minister gegen die Arbeitgeber und nicht einfach gegen die Gewerkschaften?“

Sam Tarry bezeichnete den Gesetzentwurf als „kontraproduktiv, weil sogar die Analyse der Regierung besagt, dass die Mindestdienstniveaus zu noch mehr Streiks und anderen Formen von Arbeitskämpfen führen könnten“, d.h. spontanen Streiks außerhalb des mäßigenden Einflusses der Bürokratie.

Die stellvertretende Parteivorsitzende Angela Rayner zählte eine Liste geschätzter Kritiker des Gesetzes auf: „die Eisenbahnbranche, das Chartered Institute of Personnel and Development, der Vorstandschef des Verbands der Personalvermittlungs-Unternehmen, der Vorstandschef der NHS Confederation, US-Präsident Bidens Arbeitsminister, die International Labor Organisation, alle britischen Gewerkschaften, der TUC, die Regierungen von Wales und Schottland“ und die Tory-Abgeordneten Stephan McPartland und Jacob Rees-Mogg!

Labours Versprechen, das Gesetz wieder aufzuheben, sind wertlos. Die Regierungen von Blair und Brown, die von Starmer und seiner Fraktionsspitze gepriesen werden, haben in ihrer Amtszeit alle bestehenden gewerkschaftsfeindlichen Gesetze beibehalten. Und angesichts der schweren Wirtschaftskrise und eines Kriegs auf europäischem Boden würde von Starmers Regierung ein noch offener wirtschaftsfreundlicher und arbeiterfeindlicher Kurs eingefordert werden.

Das Gleiche gilt für das Gerede der Gewerkschaftsführer über „Ungehorsam und Widerstand“ sobald das Gesetz verabschiedet ist. Lynch kündigte an: „Wir werden uns diesem Gesetz widersetzen“ und forderte den TUC auf, „die gleiche Haltung einzunehmen“. Nowak erklärte: „Sie können das Gesetz vielleicht in Kraft setzen, aber wir werden nicht zulassen, dass Sie auch nur einen einzigen Pfleger oder Sanitäter entlassen... weil sie ihr Recht auf Streik ausüben.“

Doch wenn die Gewerkschaftsbürokratie keinen ernsthaften Kampf gegen das Gesetz führt, bevor es in Kraft getreten ist, warum sollte man dann erwarten, dass sie es danach tun wird? Die Gewerkschaftsführer haben die letzten Monate damit verbracht, die Streikwelle gegen die hohen Lebenshaltungskosten zu sabotieren. Hunderttausende von Arbeitern wurden ausverkauft, und die Tarifkämpfe von weiteren Hunderttausenden wurden von den Gewerkschaftsführungen auf Eis gelegt.

Der ehemalige Labour-Parteichef Jeremy Corbyn, der aus der Parlamentsfraktion ausgeschlossen wurde, meldete sich bei der Debatte nicht zu Wort, veröffentlichte aber im Labour Outlook eine Kolumne im Stil eines Predigers, in der er deutlich machte, dass er nicht gegen die anhaltenden Verrätereien von Starmer und Co. kämpfen wird. Er rief seine „Kollegen aus allen Parteien“ höflich auf, demokratische Rechte zu verteidigen. Die „Arbeiterbewegung“ forderte er auf, „Widerstand zu leisten“ und „eine Vision zur Umverteilung von Reichtum und Macht in den Betrieben und Kommunen zu formulieren“, um das „heutige turbulente Terrain und die gesellschaftlichen Brüche“ mit einer „Politik der Hoffnung“ zu heilen.

Die Gefahr, die das Antistreikgesetz der Tories birgt, erfordert eine massive Mobilisierung der Arbeiterklasse unabhängig vom Gewerkschaftsapparat, mit dem Ziel, die Regierung zu stürzen, das Gesetz zu verhindern und eine wirklich sozialistische Partei zu gründen, die für die Interessen der Arbeiter kämpft.

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