Perspektive

Bidens Einmischung in die Tarifverhandlungen der US-Autoindustrie: Eine Warnung an alle Autoarbeiter

Präsident Joe Biden spricht vor Gewerkschaftsvertretern in Philadelphia, 17. Juni 2023 [AP Photo/Joe Lamberti]

Einen Monat vor dem Auslaufen der Tarifvereinbarung für 150.000 Automobilarbeiter in den USA bei General Motors, Ford und Stellantis versucht die US-Regierung unter Präsident Biden, den enormen Widerstand der Belegschaft gegen einen Ausverkauf auszuhebeln.

Sowohl Biden als auch die Gewerkschaftsbürokratie der United Auto Workers (UAW) sind sehr nervös, da die Kampfbereitschaft unter Autoarbeitern offenbar wächst. Die Beschäftigten sind zunehmend entschlossen, jahrzehntelange von der UAW erzwungene Zugeständnisse rückgängig zu machen, und sie erwarten große Fortschritte bei Löhnen, Sozialleistungen und Arbeitsbedingungen.

Biden befürchtet, dass die Gewerkschaft UAW die Situation nicht unter Kontrolle hat. Er forderte am Montag die Automobilunternehmen und den UAW-Apparat auf, gemeinsam eine Vereinbarung auszuarbeiten. Diese muss seiner Vorstellung nach massive Angriffe auf die Arbeiter beinhalten.

Die Erklärung des US-Präsidenten ist eine weitere Warnung an die Autobeschäftigten: Solange der Verhandlungsprozess in den Händen der UAW-Bürokratie und der Biden-Regierung bleibt, kann es nur zu historischen Angriffen auf die Arbeitsplätze und den Lebensstandard der Arbeiter kommen. Um dies zu verhindern, müssen die Arbeiter das Netz der von ihnen kontrollierten Aktionskomitees ausbauen und sich auf einen umfassenden Kampf vorbereiten.

In der Erklärung von Biden heißt es: „Da die drei großen Autokonzerne und die United Auto Workers einen Monat vor dem Auslaufen ihres Vertrags zusammenkommen, um eine neue Vereinbarung auszuhandeln, möchte ich meinen Standpunkt klarstellen. Ich fordere alle Seiten auf, zusammenzuarbeiten, um eine faire Einigung zu erzielen.“

Mit „alle Seiten“ meint Biden in Wirklichkeit nur eine Seite, nämlich diejenigen, die die Interessen der Konzerne vertreten: das Management und die UAW-Funktionäre. Die Arbeiter und ihre Interessen sind von diesem Prozess völlig ausgeschlossen.

In den letzten Wochen hat die UAW versucht, einer Revolte der Belegschaft zuvorzukommen. Sie tat so, als fordere sie eine Reihe populärer Maßnahmen, darunter die Abschaffung der Stufenlöhne, die Wiedereinführung von Inflationszulagen und Betriebsrenten sowie substanzielle Lohnerhöhungen, zusammen mit anderen Vertragsbestimmungen, auf die sie zuvor verzichtet hatte. Der Gewerkschaftsvorsitzende Shawn Fain hatte diese angeblichen Vorschläge direkt aus einer weit verbreiteten Erklärung des Autoworkers Rank-and-File Committee Network übernommen. Im Gegensatz zur UAW skizziert diese Erklärung der Autoarbeiter-Aktionskomitees jedoch eine Strategie für Arbeiter, wie sie konkret für ihre Forderungen kämpfen und sie durchsetzen können.

Die Konzerne lassen jedoch keinen Zweifel daran, dass sie sich gegen die Wiedereinführung früherer Zugeständnisse an die Arbeiter erbittert wehren werden. Berichten zufolge verlangt Stellantis weitreichende neue Zugeständnisse, wobei die Führungsriege provokativ damit droht, andernfalls die Arbeitsplätze massiv anzugreifen.

Im Grunde genommen sind die Konflikte zwischen den Konzernmanagern und der UAW-Bürokratie weitgehend theatralischer und relativer Natur. Die Führungskräfte der Großen Drei in der amerikanischen Automobilproduktion wissen, dass Fain und seine Gefolgsleute in der Vergangenheit bestens mit dem Management zusammengearbeitet haben. Sie haben Zugeständnisse durchgesetzt und werden dies auch in der Zukunft tun.

Dennoch ist Präsident Biden zweifellos nervös, dass der öffentliche „Krieg der Worte“ die Wut der Arbeiter schüren und den Widerstand an der Basis festigen könnte. Der Präsident ist besonders besorgt, dass ein Aufstand der Automobilarbeiter eine breitere Bewegung in der Arbeiterklasse auslösen und die Pläne des US-Imperialismus durchkreuzen könnte, den Krieg mit Russland zu eskalieren und einen Krieg gegen China vorzubereiten.

Daher drängt Biden die Unternehmensleitung und die UAW-Bürokratie, ihre Bemühungen um eine Einigung zu verdoppeln, die zwangsläufig mit massiven Stellenstreichungen und anderen Angriffen auf die Arbeiter einhergehen. Natürlich kann Biden dies nicht offen sagen, also muss er auf Doppelzüngigkeit, vage Andeutungen und Lügen zurückgreifen.

Erstens erklärt Biden, dass die „Autofirmen das Recht, sich zu organisieren, anerkennen sollten“. Damit meint er, dass die Unternehmen mit der UAW-Bürokratie zusammenarbeiten sollten, die seit Jahrzehnten als verlässliches Instrument des Managements fungiert, und dass die Konzerne die Präsenz von Gewerkschaften in neuen Elektrofahrzeugwerken begrüßen sollten. Zudem sagt Biden, dass „die UAW einen Vertrag verdient, der die Mittelklasse unterstützt“. Wenn dies irgendwas bedeutet, dann das: Die Unternehmen sollen weiterhin die oberen Schichten unterstützen, die Teil der UAW-Bürokratie sind, denn die hauptamtlichen Gewerkschaftsfunktionäre beziehen zum Teil sechsstellige Gehälter.

Zweitens: Was versteht Biden unter einer „fairen“ Vereinbarung, da er dieses Wort in der Erklärung dreimal verwendet?

Um seine Definition des Begriffs zu verstehen, müssen sich die Arbeiter nur an die brutale Umstrukturierung der Autoindustrie unter der Obama-Regierung erinnern. Damals war Joe Biden der Vizepräsident. Die von der Obama-Biden-Regierung gestützten Tarifverträge von 2009 hatten die Vernichtung Zehntausender Arbeitsplätze, die Dezimierung des Arbeitslosenschutzes und die Streichung von Inflationszulagen zur Folge. Die Löhne für alle Neueinstellungen wurden um die Hälfte gekürzt, und die Betriebsrenten wurden durch den Ausbau des Stufensystems abgeschafft.

Diese historischen Angriffe auf die Arbeiter wurden mit maßgeblicher Unterstützung der UAW-Bürokratie durchgeführt. Auch Shawn Fain hat sie aktiv unterstützt und als Mitglied des nationalen Verhandlungskomitees der UAW bei Chrysler für die Zugeständnisse gestimmt. Im Gegenzug erhielt der UAW-Apparat eine Mehrheitsbeteiligung an Chrysler und Milliarden Dollar an Aktien von GM und Ford.

In seiner Erklärung stellt Biden den Übergang zur E-Produktion als eine „Win-Win-Chance“ für die Unternehmen und die Arbeiter dar: „Damit wird den Arbeitern ermöglicht, gute Löhne und Sozialleistungen zu erhalten, um ihre Familien zu ernähren. Und Amerika wird gleichzeitig in eine Zukunft geführt, in der es eine Vorreiterrolle bei der Verringerung der Fahrzeugemissionen und bei der Herstellung von Autos spielen wird, die im nationalen und globalen Wettbewerb erfolgreich sind.“

Allerdings ist kein Ergebnis denkbar, das sowohl für die Konzernoligarchie als auch für die Autoarbeiter eine „Win-Win-Situation“ darstellen würde. Und Biden weiß das. Die kolossalen Gewinne der Großen Drei - eine Viertel Billion US-Dollar im letzten Jahrzehnt - beruhen auf einer brutalen Verschärfung der Ausbeutung der Arbeiter.

Bidens Verweise auf „gute Löhne und Sozialleistungen“ sind Augenwischerei, sie sind wertlos. Die oberste Priorität des Präsidenten ist eine Umstrukturierung der Automobilindustrie, die es den in den USA ansässigen Unternehmen ermöglichen soll, „im nationalen und globalen Wettbewerb erfolgreich“ zu sein. Im rasanten kapitalistischen Wettbewerb um die Vorherrschaft auf den Märkten und in den Technologien für Elektrofahrzeuge kann ein solches Ergebnis nur durch die Vernichtung von Zehntausenden Arbeitsplätzen oder weitere, brutale Kostensenkungen und andere Angriffe erreicht werden.

Der letzte Absatz der Erklärung macht Bidens Engagement für Werksschließungen und Arbeitsplatzabbau deutlich. Zunächst sagt er zynisch, dass die Konzerne „jeden möglichen Schritt unternehmen sollten, um schmerzhafte Werksschließungen zu vermeiden“. Sodann erklärt Biden jedoch, „sofern Übergänge [d. h. Werksschließungen] nötig sind“, sollten sie „fair“ verlaufen und „darauf bedacht sein, sich in denselben Fabriken und Gemeinden zu vergleichbaren Löhnen umzustellen, neu zu starten und wieder einzustellen, während man den Arbeitern vor Ort die erste Chance gibt, diese Arbeitsplätze zu besetzen“.

Dies ist eine Blaupause für eine neue Welle von Werksschließungen, die Industrieregionen wie Rockford (Illinois), wo Stellantis sein nahegelegenes Montagewerk in Belvidere stillgelegt hat, weiter in Mitleidenschaft ziehen. Wenn ein Werk wiedereröffnet wird, dann mit einer stark reduzierten Belegschaft und unterdurchschnittlichen Löhnen und Sozialleistungen.

Biden, der sich selbst als „gewerkschaftsfreundlichster Präsident der US-Geschichte“ bezeichnet, hat sich während seiner Amtszeit auf die Gewerkschaftsbürokratien verlassen, um eine wachsende Bewegung der Arbeiterklasse einzudämmen und zu unterdrücken. Gleichzeitig hat das Weiße Haus wiederholt Maßnahmen ergriffen, um die Legitimität des UAW-Apparats und insbesondere den Vorsitzenden Shawn Fain zu stärken. Bidens Arbeitsministerium hat versucht, die falschen, antidemokratischen Wahlen zur UAW-Spitze in den Jahren 2022-2023 reinzuwaschen. Es hat die Beweise für eine weit verbreitete Entmündigung der Mitgliedschaft rundweg zurückgewiesen, die der Spitzenkandidat Will Lehman zusammengetragen hat.

Bidens Regierung hat auch eng mit der US-Transpostarbeitergewerkschaft Teamsters, der International Longshore and Warehouse Union und anderen Gewerkschaften zusammengearbeitet, um Streiks der Beschäftigten bei der Eisenbahn, bei UPS und in den Docks an der Westküste zu verhindern und die Forderungen der Unternehmen nach Lohnzuwächsen unterhalb der Inflationsrate durchzusetzen.

Wo der Klassenkampf aus der Kontrolle der Gewerkschaftsbürokratien auszubrechen drohte - wie bei den Bahnarbeitern im letzten Jahr - hat Biden gezeigt, dass er bereit ist, die gesamte Macht des kapitalistischen Staates gegen die Arbeiter einzusetzen. In diesem Sinne arbeitete er mit den Demokraten und Republikanern im Kongress zusammen, um einen Bahnstreik zu verbieten und einen Tarifabschluss gegen den Willen der Arbeiter durchzusetzen.

Um die von den Unternehmen, der UAW-Bürokratie und der Biden-Regierung gegen sie vorbereitete Verschwörung zu vereiteln, müssen sich die Arbeiter unbedingt organisieren. Sie müssen sich widersetzen, indem sie das Netzwerk der Aktionskomitees ausbauen. Diese Komitees kämpfen dafür, die unternehmensfreundliche UAW-Bürokratie abzuschaffen, die Macht an die Belegschaft zu übertragen und eine Gegenoffensive im Sinne der echten Forderungen der Arbeiter zu starten.

Ein unverzichtbares Element, um einen solchen Kampf zu führen, ist die Einsicht, dass die Arbeiter ihre Unabhängigkeit von der Regierung Biden, der Demokratischen Partei und allen politischen Vertretern ihrer Klassenfeinde herstellen müssen.

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