Wahlkampf in Polen: Kriegshysterie und Ausländerhetze

Noch rund zwei Monate sind es bis zur Parlamentswahl in Polen am 15. Oktober. Je näher der Wahltermin rückt, um so mehr scheinen sich die politischen Eliten des Landes in einen reaktionären Fieberwahn zu steigern. Mehr Aufrüstung, mehr Nationalismus, mehr Rassismus und vor allem mehr antirussische Kriegshysterie sind dabei die zentralen Pfeiler. Dahinter steckt die Angst der polnischen Bourgeoisie, die ungeachtet fraktioneller Streitigkeiten eine soziale Explosion fürchtet. Ihre Lösung lautet Krieg.

Polnische Soldaten errichten 2021 einen ersten provisorischen Zaun an der belarussischen Grenze (Foto: Attila Husjenow/Instagram)

Polen spielt eine zentrale Rolle beim Aufmarsch der Nato gegen Russland und soll diese nach dem Willen von Regierungsparteien und Opposition noch weiter ausweiten. Als Dreh- und Angelpunkt der Nato-Ostflanke mit ihrer auf 300.000 Mann aufgestockten „schnellen Eingreiftruppe“ verbindet Polen die baltischen Staaten und den Ostseeraum im Norden mit dem Balkan und der Schwarzmeerregion im Süden und den westeuropäischen Nato-Staaten.

Seit Beginn des Krieges in der Ukraine ist Polen zum wichtigsten Drehkreuz für die gesamte militärische Logistik geworden. Ob Waffen oder ausländische Besucher – alles landet in der Nähe der polnische Kleinstadt Rszeszow und legt die letzten 100 Kilometer in die Ukraine über Land zurück.

Polen selbst hat bereits Waffen und Material im Wert von über drei Milliarden Euro an die Ukraine geliefert, darunter rund 250 Panzer. Vor der Lieferung deutscher Panzer stand es damit vor Deutschland auf Platz 3 der Waffenlieferanten. Seit Kriegsbeginn im Februar 2022 hat es obendrein seinen eigenen Militärhaushalt beinahe verdoppelt. Von 2,3 stieg er auf mehr als vier Prozent des Bruttoinlandsprodukts, das sind etwa 28 Milliarden Euro. Polen hat sich das Ziel gesteckt, mit 300.000 Soldaten die größte Landarmee Europas aufzubauen.

Während die Vertreter aller Parteien dies gebetsmühlenartig als notwendige Reaktion auf die „russische Aggression“ darstellen, hat Polen selbst eine führende Rolle dabei gespielt, den russischen Angriff auf die Ukraine zu provozieren.

Bereits 2008 hatte der damalige Ministerpräsident und heutige Oppositionsführer Donald Tusk mit US-Präsident George W. Bush die Errichtung eines US-Raketenabwehrschilds in Polen vereinbart und damit die Konfrontation mit Russland gezielt verschärft.

Eine entscheidende Rolle spielte Polen dann 2014 beim Maidan-Putsch. Der polnische Außenminister Radosław Sikorski reiste gemeinsam mit seinem deutschen Amtskollegen Frank-Walter Steinmeier und dem französischen Außenminister Laurent Fabius nach Kiew, um den gewählten Präsidenten Janukowitsch zum Rücktritt zu zwingen. Sikorski ist wie Tusk Mitglied der Bürgerplattform (PO) und mit der amerikanischen Publizistin Anne Applebaum verheiratet.

Nach dem Beginn des Bürgerkriegs in der Ukraine verlegte die Regierung den Schwerpunkt der polnischen Armee vom Westen an die Ostgrenze. Der damalige Regierungschef Donald Tusk forderte im April 2014, die NATO müsse mehr Truppen nach Polen verlegen. Seither hat sich die polnische Politik sowohl unter Herrschaft der PO wie der nationalkonservativen PiS, die seit Ende 2015 die Regierung führt, immer weiter nach rechts verschoben.

Soziale Krise und Ausländerhetze

Obwohl Regierung und Opposition in der alles dominierenden Kriegsfrage an einem Strang ziehen, fürchtet die regierende PiS offenbar, dass sich der Widerstand gegen die Kriegspolitik und ihre verheerenden sozialen Folgen anderweitig Bahn bricht.

Die arbeitende Bevölkerung muss die gewaltigen Kosten von Aufrüstung und Krieg in vollem Umfang tragen. Seit Kriegsbeginn stieg die Inflation rasant. Zwischenzeitlich lag sie bei rund 18 Prozent, die Lebensmittelpreise verdoppelten sich im letzten Jahr zum Teil sogar. Inzwischen ist die offizielle Inflationsrate auf 11 bis 12 Prozent zurückgegangen, die von Lebensmitteln auf knapp 20 Prozent. Laut offiziellen Zahlen der OECD ist die durchschnittliche Kaufkraft der polnischen Löhne allein im vergangenen Jahr um 7 Prozent gesunken.

Die Regierung hat mit einer Reihe von Subventionen und Steuersenkungen versucht, die sozialen Folgen der Inflation zu dämpfen, diese aber mit Absinken der Inflation auch ebenso schnell wieder zurückgenommen. Als Tropfen auf den heißen Stein ist nur noch die Aussetzung der Mehrwertsteuer auf Lebensmittel geblieben. Trotzdem sind Lebensmittel in Polen nur unwesentlich billiger als im benachbarten Deutschland, und das bei Löhnen, die nur halb so hoch sind. Auch die Mieten sind in letzter Zeit explodiert und erreichen in Großstädten wie Warschau und Krakau westeuropäisches Niveau.

Bereits in den letzten Jahren war es wiederholt zu Massenprotesten gegen die unhaltbaren sozialen und politischen Zustände in Polen gekommen. So kämpften im September 2021 zehntausende Ärzte, Pflegekräfte und andere Beschäftigte des Gesundheitswesens für höhere Löhne und bessere Arbeitsbedingungen. Und im Juni dieses Jahres protestierten in Warschau fast eine halbe Million gegen die Bemühungen der PiS, eine diktatorische Herrschaft aufzubauen.

Die PiS-Regierung reagiert auf die soziale Krise und den Widerstand dagegen mit den erprobten Methoden der extremen Rechten. Sie entfesselt eine nationalistische Kampagne und versucht, die sozialen Spannungen auf die Schwächsten der Gesellschaft, auf Flüchtlinge und Migranten abzulenken. Zeitgleich mit der Parlamentswahl plant sie ein Referendum, in dem die Wähler vier Suggestivfragen beantworten sollen, die unter anderem dazu dienen, Rassismus und Flüchtlingsfeindlichkeit zu schüren.

Teilweise richtet sich die Demagogie der PiS-Regierung auch gegen die Europäische Union, mit der sie in mehreren Fragen im Rechtsstreit liegt. Gleichzeitig ist Polen wirtschaftlich von EU-Geldern und dem europäischen Markt abhängig ist. Oppositionsführer Tusk war fünf Jahre lang Präsident des Europäischen Rates.

Eine der Referendumsfragen lautet: „Unterstützen Sie die Aufnahme von Tausenden illegaler Einwanderer aus dem Nahen Osten und Afrika nach dem von der europäischen Bürokratie auferlegten Zwangsumsiedlungsmechanismus?“

In dem dazugehörigen Wahlvideo mischt die PiS Stimmen von Oppositionspolitikern mit Szenen von brennenden Autos, Vandalismus und einem vermummten Schwarzen, der ein Messer ablenkt. Regierungschef Mateusz Morawiecki stellt dazu die Frage: „Wollt ihr, dass dies auch in Polen geschieht? Wollt ihr aufhören, die Herren eures eigenen Landes zu sein?“ Die primitive wie abstoßende Bildsprache lässt Assoziationen zum Nazi-Hetzblatt Der Stürmer aufkommen.

Doch wer glaubt, dieser Schmutz komme nur von der PiS, liegt weit daneben. Zuvor hatte Oppositionsführer Tusk bereits die Ausschreitungen in Frankreich nach einem Polizeimord zum Anlass genommen, um auf Twitter zu fordern: „Das polnische Volk muss die Kontrolle über sein Land und seine Grenzen zurückgewinnen!“ Tusk warf PiS-Führer Jaroslaw Kaczynski vor, er habe allein im letzten Jahr „schnell und einfach“ 130.000 Arbeitsmigranten aus Indien, Nigeria und Pakistan ins Land gelassen.

Die Asylpolitik trägt allerdings nicht nur in Polen zunehmend faschistische Züge. In ganz Europa tobt eine flüchtlingsfeindliche Kampagne, die tausenden Flüchtlingen das Leben kostet.

Auch die zweite Referendumsfrage hat eine flüchtlingsfeindliche Zielrichtung. Sie lautet: „Unterstützen Sie die Beseitigung der Barriere an der Grenze zwischen der Republik Polen und der Republik Belarus?“

Gemeint ist der 5,5 Meter hohe und 186 km lange Grenzzaun, der 2022 fertiggestellt wurde, von Videokameras und militärisch bewaffneten Patrouillen bewacht wird und 350 Millionen Euro gekostet hat. Polen und die EU werfen Belarus vor, es führe einen „hybriden Krieg“ – so die menschenverachtende Sprache –, indem es Flüchtlinge an die Grenze vorlasse. Das Bollwerk reiht sich ein in insgesamt über 2000 Kilometer Grenzzäune der „Festung Europa“.

Aufrüstung und Kriegspläne

Die faschistische Hetze gegen Flüchtlinge wird durch eine intensive militaristische Kampagne ergänzt.

Am 15. August fand am traditionellen „Tag der Armee“ in Warschau unter dem Motto „kräftig rot und weiß“ die größte Militärparade seit dem Ende der Volksrepublik Polen statt. 2000 Soldaten der polnischen Armee und von Nato-Verbündeten marschierten zu Marschmusik und in einem Meer von Nationalflaggen an der Hauptbühne vorbei, wo Präsident Duda, Ministerpräsident Morawiecki und Verteidigungsminister Blaszczak die Parade abnahmen. Ergänzt wurde die martialische Show durch 200 Fahrzeugen auf der Straße und rund 100 Flugzeuge am Himmel.

Stolz wird auf der Seite des Verteidigungsministeriums das neueste Gerät aufgelistet, das als Teil des gewaltigen Aufrüstungsprogramms angeschafft wurde. Allein für 1300 amerikanische Abrams- und südkoreanische K2-Panzer hat die Regierung im letzten Jahr Rüstungsaufträge im Wert von 15 Milliarden Dollar abgeschlossen.

Im ganzen Land fanden außerdem rund 70 sogenannte „Militärpicknicks“ statt, wo ebenfalls militärische Ausrüstung präsentierte wurde und Lokalpolitiker, flankiert von Vertretern der Armee und Milizen, Veteranen und minderjährigen Pfadfindern „patriotische“ Reden hielten.

Der Pfadfinderverband und die Nationalmiliz WoT haben 2020 eine Kooperationsvereinbarung geschlossen, und in polnischen Schulen wurde ab der 8. Klasse ein neues Fach „Sicherheitsausbildung“, inklusive Schießtraining, eingeführt. Das unterstreicht, wie weit die Militarisierung der ganzen Gesellschaft geht.

Auch hier verfolgt die Opposition denselben Kurs wie die Regierung und greift diese teilweise von rechts an. So wurde das „Gesetz zur Vereidigung des Vaterlandes“ zur militärischen Aufrüstung in beiden Kammern des polnischen Parlaments fast einstimmig angenommen.

Auch hier übte die Opposition Kritik von rechts. Die quantitative Aufblähung der Armee auf 300.000 Mann sei nicht zielführend, man brauche mehr Qualität, lautete ein Kritikpunkt. Die zuletzt auf 4,0 Prozent des BIP gesteigerten Rüstungsausgaben dürften nicht durch Schulden finanziert werden, sondern müssten mit Sozialkürzungen einhergehen, ein anderer.

Es wird immer deutlicher, dass Polen nicht nur massiv aufrüstet, sondern sich darauf vorbereitet, als erste Nato-Macht mit eigenen Soldaten im Ukraine-Krieg einzugreifen oder eine neue Front gegen Belarus zu eröffnen.

Polen hat an der Grenze zu Belarus schon seit längeren neben 5000 militärisch bewaffneten Grenzschützern auch 2000 Soldaten im Einsatz, um die „hybriden Angriffe“ abzuwehren. Im Juni verfünffachte Polen die Anzahl seiner Soldaten an der Grenze: 4000 sollen dauerhaft im Rahmen der neuen Task Force „Rengaw“ stationiert sein, die restlichen 6000 in Reserve stehen. Als Vorwand diente das „Asyl“, das Belarus den Wagner-Söldnern und ihrem Führer Prigoschin nach ihrem gescheiterten Putschversuch angeboten hatte.

Seitdem überschlagen sich die Meldungen über eine angebliche Bedrohung durch Wagner-Söldner. Als Flüchtlinge getarnt könnten diese nach Polen einsickern und das Land destabilisieren. Tatsächlich verwies selbst das US-amerikanische Institute for the Study of War (ISW) Ende Juni in einem Lagebericht nur auf ein neues militärisches Zeltlager für 30 bis 50 Personen bei Assipowitschy, über 300 km von der Grenze entfernt. Neuere Berichte des ISW verweisen sogar auf einen Abzug von Wagner-Personal.

Kürzlich wurde die angebliche Luftraumverletzung durch zwei belarussische Hubschrauber auf der Grundlage von Social-Media-Beiträgen medial zur militärischen Provokation aufgebauscht.

Es wird immer deutlicher, dass fieberhaft an Plänen für ein Eingreifen der polnischen Armee gearbeitet wird. Jaroslaw Kaczynski, der Vorsitzende der regierenden PiS-Partei, hatte bereits kurz nach Kriegsbeginn eine „Friedensmission“ der Nato zur Unterstützung der Ukraine gefordert. Im Mai letzten Jahres brachte der pensionierte US-General Jack Keane eine „internationale Koalition“ ins Spiel, um die Kontrolle über das Schwarze Meer gegen Russland zu sichern.

Im März dieses Jahrs drohte der polnische Botschafter in Paris, Jan Emeryk Rościszewski, in einem Interview mit dem französischen Fernsehsender LCI offen mit einer militärischen Intervention. „Wenn die Ukraine ihre Unabhängigkeit nicht verteidigt, haben wir keine andere Wahl, wir werden gezwungen sein, in den Konflikt einzutreten.“ Das jüngst in der Washington Post eingeräumte desaströse Scheitern der ukrainischen Sommeroffensive verleiht dieser Drohung erneute Aktualität.

Bereits jetzt kämpft das Polnischen Freiwilligenkorps (Polski Korpus Ochotniczy – PDK) ganz offen in der Ukraine an der Seite des rechtsextremen russischen Freiwilligenkorps. Aus Russland gab es zuletzt Vorwürfe, dass die 2009 gegründete Litauisch-polnisch-ukrainische Brigade (LITPOLUKRBRIG) bei einer Intervention eine Schlüsselrolle spielen könnte, da sie aus Nato und Nicht-Nato-Soldaten bestehe.

So werden die Wahlen im Herbst als „Kriegswahlen“ in die Geschichte eingehen. Welche diskreditierte, rechte Partei als Sieger aus der Wahl hervorgeht, wird an der Kriegsentwicklung nichts ändern. Nur eine unabhängige Bewegung der internationalen Arbeiterklasse kann den Kriegswahnsinn stoppen.

Loading