UAW-Präsident Shawn Fain weist die große Mehrheit der Autoarbeiter an, nach Ablauf des Tarifvertrags weiterzuarbeiten

Shawn Fain, der Präsident der United Autoworkers (UAW) erklärte am Mittwochabend bei einer Liveveranstaltung auf Facebook, die drei großen amerikanischen Autokonzerne (Big Three) hätten selbst die grundlegendsten Forderungen der Gewerkschaftsmitglieder zurückgewiesen. Dennoch ordnete er an, dass die große Mehrheit der Arbeiter weiterzuarbeiten und die Produktion am Laufen zu halten haben. Nur einige wenige Werke sollten bestreikt werden.

Damit gibt die UAW-Bürokratie zu, dass sie die Autoarbeiter ausverkaufen will, indem sie sie weiter für die Big Three arbeiten lässt. Alle Behauptungen Fains, er werde mit der Korruption der Gewerkschaftsbürokraten der Vergangenheit brechen, wurden als Lügen entlarvt.

Fain erklärte den Arbeitern, selbst wenn bis um Mitternacht von Donnerstag auf Freitag kein Tarifvertrag vorliege, „werden wir nicht in allen Betrieben gleichzeitig streiken“. Es wird nur „begrenzte Streiks in einigen gezielten Betrieben geben.“ Fain machte deutlich, dass der UAW-Apparat versuchen wird, die Arbeiter an unabhängigen Aktionen hindern: „Ihr werdet nur streiken, wenn ihr von der nationalen Führung dazu aufgerufen werdet. Wenn euer Ortsverband nicht zum Streik aufgerufen hat, werdet ihr weiterarbeiten. Das ist extrem wichtig.“

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Fain erklärte, die UAW werde Arbeiter selbst ohne einen Tarifvertrag zum Arbeiten zwingen: „Ihr werdet nach dem abgelaufenen Abkommen arbeiten, nicht mit einer Verlängerung. Ich weiß, dass das für uns neu ist. Dieser Plan klappt nur, wenn diejenigen, die nicht zum Streik aufgerufen werden, weiterarbeiten.“

Absurderweise behauptete Fain, die Produktion weiterlaufen zu lassen, würde den Arbeitern „Druckmittel“ geben. Er bezeichnete dies als „Stand-up-Streik... eine ganz neue Form des Streiks.“ Der Begriff erinnere laut Fain an „die Sitzstreikbewegung von 1937, auf der unsere großartige Gewerkschaft aufgebaut wurde.“

Doch ein „Streik“, bei dem weitergearbeitet wird, ist weder ein „Sitzstreik“ noch ein „Stand-Up-Streik“, sondern eher ein „Bückstreik“.

Arbeiter reagierten mit erbosten Kommentaren im Facebook-Stream auf Fains Entscheidung, Werk gegen Werk auszuspielen. Einige davon lauteten:

  • „Warum streiken dann nicht alle gleichzeitig, das verwirrt mich. Wir müssen sie treffen, wo es wehtut!!! Die Gewerkschaft will das Geld aus irgendeinem Grund behalten!“
  • „Ich will nicht ohne Tarifvertrag arbeiten! Wir sind vereint... Einer läuft, alle laufen!!“
  • „Was ist mit dem Zusammenhalt passiert, Shawn?“
  • „Alle oder keiner! Wir wollen ihnen wehtun, deshalb müssen wir bei allen Dreien streiken!!! Wir drohen nur, das verschafft ihnen mehr Zeit!!! Alles oder nichts!!!“
  • „Dann kann das Unternehmen wirklich tun, was es will...“
  • „Was ist dann der Sinn von diesem Streik??“
  • „Das ist Schwachsinn... Wer will denn ohne Tarifvertrag arbeiten!“
  • „Er hat uns ausverkauft!!! Nach den ganzen großen Tönen knickt er einfach ein!“

Nach seiner langen, weitschweifigen und pastoralen Rede kündigte Fain an, er werde auf die Facebook-Kommentare reagieren. Allerdings brauchte er einige Zeit, bis er einen Kommentar fand, der seinen Plan zum Ausverkauf der Arbeiter nicht ablehnte.

Nach langem, betretenem Schweigen äußerte sich Fain defensiv zur Wut der Arbeiter: „Ich sehe, dass einige sagen, wir sollten sofort offen in den Streik treten. Aber wie schon gesagt, diese Entscheidung fällt man nicht von jetzt auf gleich. Sie wurde von vielen Leuten gefällt, und ich habe alle Optionen geprüft.“

Mit anderen Worten, die Entscheidung zum Ausverkauf der Forderungen der Arbeiter haben die Konzerne und die kapitalistischen Politiker der Demokratischen Partei getroffen, für die Fain Werbung gemacht hat. Dazu gehören wirtschaftsfreundliche Marionetten wie Haley Stevens und Debbie Dingell, laut Wahlspendendaten die dritt- und viertliebsten Politikerinnen der Autoindustrie.

Während des Livestreams kündigte Fain an, er werde einen Tag nach Ablauf des Tarifvertrags eine Veranstaltung mit demokratischen Politikern wie Bernie Sanders organisieren. Deren Hauptaufgabe wird es sein, von den Arbeitern Vertrauen in Fain und Gefolgschaft für die UAW-Führung zu fordern. Die Arbeiter sollten sich daran erinnern, dass die Biden-Regierung, Demokraten und Republikaner gemeinsam im letzten Dezember dafür gestimmt hatten, einen potenziellen Streik von 100.000 Eisenbahnern für illegal zu erklären und sie gezwungen hatten, einen zuvor bereits abgelehnten Ausverkaufstarifvertrag anzunehmen.

Fains Entscheidung fiel in einer Lage, in der die Arbeiter aller Industriebranchen zunehmend Kampfbereitschaft zeigen. In Michigan traten am Mittwochmorgen bei Blue Cross Shield etwa 1.400 Arbeiter und UAW-Mitglieder in den Streik. Nur wenige Tage zuvor hatten mehr als 100 Arbeiter des Zuliefererbetriebs Pottstown (Pennsylvania) einen Streik begonnen.

Viele Arbeiter äußerten nach Fains Ankündigung auch ihre Wut über die Tatsache, dass Arbeiter, die während eines begrenzten Streiks entlassen werden, keinen Anspruch auf Arbeitslosenhilfe haben. Mit anderen Worten, die Strategie der UAW wird die Arbeiter in die Armut treiben, ihre Entschlossenheit schwächen und die Streikkasse der UAW-Bürokratie schützen. Ein Arbeiter erklärte: „Nur in streikenden Werken wird Streikgeld gezahlt... Die meisten von uns werden gefeuert und bekommen nichts!! Die Bundesstaaten werden ihnen die Arbeitslosenhilfe verweigern...“

Ein weiteres legales Problem ist, dass die UAW-Bürokratie die Arbeiter, die sie ohne einen Tarifvertrag weiterarbeiten lassen will, dem Risiko einer unrechtmäßigen Entlassung oder Disziplinierung aussetzt. Laut Bundesgesetz haben Arbeiter keinen Anspruch auf Vermittlung gegen unrechtmäßige disziplinarische Strafen.

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Der sozialistische UAW-Präsidentschaftskandidat Will Lehman veröffentlichte als Reaktion auf Fains Rede die folgende Erklärung:

Mit der Ankündigung, dass die UAW auch ohne einen Tarif nur zu begrenzten ‚Stand-up- Streiks‘ in ein paar Werken aufrufen wird, hat UAW-Präsident Shawn Fain zugegeben, dass die UAW-Bürokratie die Arbeiter ausverkaufen will.

Fain fordert die Arbeiter nicht zum ‚Aufstehen‘ auf. Er fordert, dass wir uns hinlegen und akzeptieren, was die Konzerne wollen. Durch die Isolation des Streiks auf eine Handvoll Werke wird er so wirkungslos wie möglich werden. Wenn die Produktion weiterläuft, wird er die Profite der Konzerne erhöhen und die Streikkasse der UAW weiter füllen, nachdem sich die Bürokraten daraus jahrzehntelang ihre aufgeblähten Gehälter gezahlt haben.

Die Entscheidung gegen einen offenen Streik ist nicht rechtmäßig. Sie widerspricht dem eindeutigen Willen der Arbeiter, die zu 97 Prozent für den Streik bei allen drei Konzernen gestimmt haben. Sie wurde hinter dem Rücken der Mitglieder und auf Geheiß der Konzerne und der Biden-Regierung gefällt. Sie wurde von einem Präsidenten angekündigt, der durch massive Unterdrückung der Wahlbeteiligung und mit den Stimmen von nur drei Prozent der Mitglieder gewählt wurde. Die meisten Arbeiter haben letztes Jahr nie einen Wahlzettel erhalten.

Wir dürfen nicht zulassen, dass diese Verräter die Kontrolle behalten!

Die UAW-Bürokratie hat klargestellt, auf wessen Seite sie steht. Das bedeutet, dass wir, die Arbeiter an der Basis, uns selbst organisieren müssen. Veranstaltet heute Abend und morgen Notfallsitzungen in euren Fabriken und Lagerhäusern, um demokratisch zu diskutieren und zu planen, wie man diesem Verrat entgegentreten, und welche gemeinsamen Aktionen notwendig sind. Wenn bis Mitternacht kein Tarifvertrag vorliegt, dürfen wir uns nicht spalten lassen, wie es Fain will. Wir müssen im Streik alle zusammenhalten!

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