Wachsende Obdachlosigkeit bei drastisch steigenden Mieten

Mit dem flächendeckenden Anstieg der Mieten nimmt auch die Zahl der Wohnungslosen in Deutschland dramatisch zu.

Obdachlose unter einer Brücke im Zentrum Berlins

Laut einer Pressemitteilung der Bundesarbeitsgemeinschaft Wohnungslosenhilfe (BAGW) vom 7. November waren 2022 rund 607.000 Menschen in Deutschland wohnungslos. Davon sind etwa 50.000 Menschen obdachlos, also dauerhaft ohne ein Dach über dem Kopf. Ein Jahr zuvor waren es noch 383.000 Wohnungslose gewesen. Das entspricht einem Anstieg von 58,5 Prozent.

Betrachtet man die Zahlen zum Stichtag wird das Bild noch deutlicher. Am 30. Juni 2022 zählte die BAG 447.000 wohnungslose Menschen. 268.000 waren es exakt ein Jahr vorher. Das ist eine gigantische Zunahme von 67 Prozent. Dabei gilt es zu bedenken, dass es eine hohe Dunkelziffer gibt und die tatsächlichen Zahlen noch weit höher liegen.

Besonders krass von Obdachlosigkeit betroffen sind Ausländer und Flüchtlinge. Bei Wohnungslosen mit deutschem Pass beträgt die Zunahme 5 Prozent. Hingegen stieg die Zahl der betroffenen Menschen ohne deutsche Staatsangehörigkeit um 118 Prozent. 29 Prozent der Wohnungslosen am 30. Juni 2022 waren Deutsche. Dementsprechend liegt der Anteil der Nicht-Deutschen bei 71 Prozent. Etwas mehr als ein Viertel (26 Prozent) der Wohnungslosen sind Kinder und Jugendliche.

Besonders die Anzahl der wohnungslosen Flüchtlinge, die aus Syrien, Afghanistan und dem Irak kommen, ist in die Höhe geschossen. Diese Staaten wurden durch die Nato-Kriege seit dem Zusammenbruch der Sowjetunion buchstäblich in Schutt und Asche gelegt. Ebenso überdurchschnittlich betroffen sind Menschen aus der Ukraine. Dort verschärfen die führenden Nato-Staaten und insbesondere Deutschland den Stellvertreterkrieg gegen Russland ständig weiter, was immer mehr Ukrainer zur Flucht zwingt.

Neben der Flucht aus Kriegsgebieten, ist die starke Zunahme von Wohnungslosigkeit den steigenden Mieten und der explodierenden Inflation geschuldet. Nach den Daten des Dokumentationssystems zur Wohnungslosigkeit (DzW) verloren 57 Prozent der deutschen Wohnungslosen ihre Wohnung durch eine Kündigung und 21 Prozent durch Miet- und Energieschulden. 20 Prozent wurden obdachlos auf Grund von Konflikten im Wohnumfeld und 16 Prozent verloren ihre Wohnung durch Trennung bzw. Scheidung.

Die Geschäftsführerin der Bundesarbeitsgemeinschaft Wohnungslosenhilfe (BAGW), Werena Rosenke, kommentiert die dramatische Entwicklung folgendermaßen: „Inflation, gestiegene Kosten und steigende Mieten belasten einkommensschwache Haushalte in Deutschland. Dies führt zu (Energie-)Armut, Mietschulden und Wohnungsverlust. Besonders gefährdete Gruppen sind einkommensarme Ein-Personen-Haushalte, Alleinerziehende und kinderreiche Paare. Der fehlende bezahlbare Wohnraum ist und bleibt der Hauptgrund für die Wohnungsnot in Deutschland.“

Gleichzeitig sinkt seit Jahren die Anzahl der Sozialwohnungen. 1989 gab es nach Angaben der BAGW bundesweit noch etwa 1,8 Millionen Sozialwohnungen, aktuell sind es nur noch 1,08 Millionen. Das sind 40 Prozent weniger Sozialwohnungen als vor knapp 35 Jahren.

Die Hauptstadt Berlin hatte 2016 etwa 115.000 Sozialwohnungen. Sieben Jahre später sind es noch 93.000, Tendenz weiter fallend. Die Senatsverwaltung für Stadtentwicklung geht im Jahr 2028 von nur noch etwa 58.000 Sozialwohnungen aus. Das ist eine soziale Katastrophe mit Ansage. Benötigt würden ungefähr zehnmal so viele. Momentan haben 530.000 Haushalte in Berlin einen Wohnberechtigungsschein, mit dem sie – zumindest in der Theorie – eine Sozialwohnung erhalten können.

Hinzu kommt, dass allen Prognosen nach die Mieten weiter dramatisch ansteigen werden und der Wohnraum damit für immer mehr Haushalte unerschwinglich wird.

Durch die gestiegenen Zinsen für Baukredite haben viele Immobilienunternehmen kaum Interesse, in Deutschland neue Wohnungen zu bauen. Gleichzeitig verteuert sich der zu knappe Wohnraum ständig. Die sechs größten Städte Deutschlands verzeichnen laut Informationen des Immobiliendienstleisters Savills zum ersten Mal eine durchschnittliche Angebotsmiete für Neubauwohnungen von über 20 Euro pro Quadratmeter. Die französische Bank BNP Paribas, die stark am deutschen Immobilienmarkt mitmischt, verzeichnete eine Mietexplosion von acht Prozent im vergangenen Halbjahr im Vergleich zu 2021, und in den kreisfreien Städten und bei Neubauten sogar um 12 Prozent.

Andere Prognosen zeichnen ein noch düstereres Bild für die Zukunft und warnen vor den gesellschaftlichen Implikationen. „Wir befinden uns in einer Immobilien-Rezession, wie wir sie seit 45 Jahren nicht hatten“, warnt der Bauunternehmer Dieter Becken. „Die Zinsen sind sprunghaft von 0,8 auf fast 5 Prozent gestiegen, ebenso haben sich die Baupreise extrem erhöht, die Inflation ist hoch, und auch Grundstücke sind knapp und teuer. In dieser Kombination und in dieser kurzen Zeit ist das einzigartig.“

Weiter erklärt er: „Wir steuern auf einen Notstand beim bezahlbaren Wohnraum zu. Ich sehe enorme gesellschaftspolitische Risiken, weil Teile der Bevölkerung einfach kein Dach mehr über dem Kopf finden.“ Die Voraussage von Becken: „Die Mieten werden deutlich steigen, sehr deutlich. Im Neubau werden 20 bis 30 Euro Kaltmiete pro Quadratmeter zum Normalfall werden.“

Das schwedische Immobilienunternehmen Heimstaden erhöhte im September bereits bei etwa 6500 der insgesamt 20.000 seiner Wohnungen in Berlin die Mieten um mehr als 20 Prozent. Die Mieterhöhungen waren derart hoch, dass sie zum großen Teil sogar aufgrund der sogenannten Kappungsgrenze rechtlich unwirksam sind. Ein Vermieter darf innerhalb von drei Jahren die Miete um maximal 15 Prozent erhöhen.

Auf Unterstützung von Seiten der etablierten Parteien können Mieter dabei nicht hoffen. Tatsächlich arbeiten sie eng mit den Immobilienhaien zusammen und schaffen die rechtlichen Grundlagen, damit diese sich zu Lasten der Mieter bereichern. Gleichzeitig werden die Haushaltsmittel für Wohnen immer weiter gekürzt, da jeder Cent in die innere und äußere Aufrüstung fließt. Auch die noch im öffentlichen Besitz befindlichen Wohnungskonzerne erhöhen schamlos die Mieten.

Deutlich zeigt sich das in der Hauptstadt Berlin. Hier sind die Mieten wie in kaum einer anderen Großstadt in den letzten Jahren explodiert. Nachdem sich 2021 die große Mehrheit der Berliner in einem Referendum für die Enteignung großer Wohnungskonzerne ausgesprochen hatte, setzten die damaligen Senatsparteien SPD, Grüne und Linkspartei alles daran, dies zu verhindern.

Im sogenannten Bündnis für Wohnungsneubau und bezahlbares Wohnen arbeitete der rot-rot-grüne Senat mit den Immobilienhaien zusammen, um sicherzustellen, dass es zu keinerlei Beschneidung der Profitinteressen der Konzerne kommt. Seit dem Regierungswechsel Anfang des Jahres setzen CDU und SPD die Angriffe auf Mieter verschärft fort.

So sollen die Mieten in den landeseigenen Wohnungen in den nächsten Jahren kräftig angehoben werden. Nach anderthalb Jahren, in denen Mieterhöhungen ausgeschlossen waren, sollen sie ab 2024 wieder erhöht werden dürfen – und zwar um 2,9 Prozent pro Jahr. Diese Vereinbarung traf der Berliner Senat mit den sechs landeseigenen Wohnungsbaugesellschaften. Damit werden die Mieten allein bis zum Ende der Legislaturperiode um voraussichtlich neun Prozent steigen.

Darüber hinaus dürfen die Gesellschaften bei Erstvermietung künftig 15 Euro pro Quadratmeter verlangen. In der letzten Kooperationsvereinbarung waren noch 11,50 Euro festgeschrieben gewesen. Zusätzlich können bei einer energetischen Sanierung zusätzlich zwei Euro pro Quadratmeter auf die Mieter umgelegt werden. Mit der ihm eigenen Arroganz verteidigte Stadtentwicklungssenator Christian Gaebler (SPD) die geplanten Mieterhöhungen. Diese seien „keine übermäßige Belastung“.

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