Nach Protesten: StuPa der Humboldt-Uni weist Juso-Antrag für Solidarität mit Israel zurück

Am Dienstag lehnte das Studierendenparlament (StuPa) der Humboldt-Universität (HU) mit großer Mehrheit einen Antrag ab, der darauf abzielte, Israels Völkermord im Gaza-Streifen zu verteidigen und Kritik daran zu unterdrücken. Viele Besucher nahmen an der öffentlichen Sitzung teil und wiesen die Kriegspropaganda in scharfen Worten zurück.

Die Juso-Hochschulgruppe – der studentische Arm der SPD – hatte versucht, die Kriegspolitik der Netanjahu-Regierung als „Verteidigung“ zu verklären und Protest dagegen als „antisemitisch“ zu verleumden. Der Antrag ging so weit, das Andenken des Holocaust für die Rechtfertigung der Kriegspolitik zu missbrauchen.

Obwohl die Initiative auch von den offen rechten Fraktionen im StuPa unterstützt wurde und mehrere Abgeordnete versuchten, die Debatte bürokratisch abzuwürgen, scheiterte der Antrag. Stattdessen nahm das StuPa einen Antragstext an, der Antisemitismus und antimuslimischen Rassismus verurteilt und Solidarität mit allen vom Krieg betroffenen Studierenden fordert.

HU-Studierende protestieren gegen das Massaker in Gaza und das Schweigen der Universitätsleitung, 7. November 2023

Im Vorfeld der StuPa-Sitzung hatte die Hochschulgruppe der International Youth and Students for Social Equality (IYSSE) dazu aufgerufen, den Antrag abzulehnen, und eine intensive Kampagne unter Studierenden geführt. Bereits auf der vorherigen StuPa-Sitzung hatte die IYSSE-Fraktion den Antrag der Jusos öffentlich verurteilt und ein Ende des Genozids gefordert. Dem Aufruf der IYSSE folgten am Dienstag mehrere dutzend Besucher, darunter muslimische und palästinensische Studierende, sowie Angehörige der Black Student Union (BSU) und des Student Collective Berlin. Der Sitzungssaal war so voll wie seit Jahren nicht mehr.

In ihrem Eingangsplädoyer für den Antrag ließ Juso-Sprecherin Thekla M. keinen Zweifel daran, welche rechte Agenda dem Antrag zugrunde liegt. Sie verurteilte explizit einen offenen Brief von Studierenden und Mitarbeitern der Berliner Universitäten und mehrere studentische Protestaktionen, die die Unterstützung der Universitätsleitungen für Israel kritisieren und dazu aufrufen, das Töten zu stoppen.

Derartige Proteste, so die Juso-Sprecherin, hätten zur Folge, dass „sich jüdische Studierende an der Universität nicht mehr sicher fühlen“. In Wirklichkeit beteiligen sich Studierende jüdischer Herkunft gemeinsam mit ihren Kommilitonen weltweit massenhaft an den Protesten und spielen in ihnen eine prominente Rolle.

Gregor Kahl, StuPa-Abgeordneter der IYSSE, wies diese Lügen und den Antrag der Juso-Fraktion in seiner Gegenrede unmissverständlich zurück. Die „Vernichtung und Vertreibung von zwei Millionen Palästinensern“, so Kahl, habe nichts mit Selbstverteidigung zu tun, sondern komme einem Genozid gleich. Die deutsche Regierung habe mit ihrer Unterstützung für diese Politik „nicht den Schutz jüdischen Lebens im Sinn“, sondern wolle „ihren geopolitischen Einfluss in der ganzen Region ausdehnen“.

In der Tradition des Antisemitismus, so der IYSSE-Sprecher, stehen „nicht die Millionen Menschen, die sich weltweit für die Freiheit der Palästinenser einsetzen, sondern die deutsche herrschende Klasse, die das Andenken des Holocaust missbraucht, um neue Verbrechen zu legitimieren und gleichzeitig eine mörderische und rassistische Kampagne gegen Muslime und Geflüchtete fährt“. Abschließend rief Kahl alle Abgeordneten dazu auf, den Antrag der IYSSE-Fraktion zu unterstützen, der den Genozid in Gaza verurteilt und herausstellt, welche zentrale Rolle die Humboldt-Universität dabei spielt, die deutsche Kriegspolitik ideologisch zu rechtfertigen.

Daraufhin meldeten sich zahlreiche Besucher zu Wort, um das Massaker in Gaza zu verurteilen und den Antrag der Jusos abzulehnen. Viele unterstützten die Kritik der IYSSE und hoben weitere kritische Aspekte hervor. Zwischenzeitlich standen rund 20 Personen gleichzeitig auf der Rednerliste.

Ein HU-Student palästinensischer Herkunft geißelte den Antrag als „schändlich“ und „voller Heuchelei, Ignoranz und schierer Bigotterie“. Er erklärte: „Im Grunde müssen wir heute entscheiden, ob wir zustimmen oder nicht, dass die Palästinenser es verdienen, als Menschen betrachtet zu werden.“

„Es ist eine Ironie des Schicksals, dass wieder einmal die Jugendorganisation der Regierungspartei als Instrument genutzt wird, um Angriffe und Verleumdungskampagnen gegen eine unterdrückte Minderheit anzuführen, die auf Schritt und Tritt verfolgt, von ihrem Arbeitsplatz entfernt, geächtet und sogar deportiert wird. Diese Verfolgung erstreckt sich übrigens auch auf antizionistische Juden.“

„Ich werde sagen, was viele sich nicht trauen zu sagen“, schloss er. „Es ist nicht ‚kompliziert‘. Israel ist ein Staat, kein Volk, und es ist ein rassistischer, kolonialer, ethnisch-religiöser Apartheidstaat. Israel ist eine terroristische Organisation.“

Mehrere Sprecher kritisierten den Antrag unter anderem aus einer jüdischen Perspektive. So erklärte Benny, dessen Angehörige als Juden aus Osteuropa fliehen mussten:

„Bitte hört auf, Judentum mit Israel gleichzusetzen. Legitime Kritik am Staat Israel haben Juden inklusive in Israel selbst. Ich finde es lächerlich, mit diesem Hammer des Antisemitismus jede Kritik an Israel zu zerstören. Wenn ich höre, wie hier zum Teil gesprochen wird, habe ich das Gefühl, dass die Thematik manche Menschen eigentlich gar nicht interessiert. Euch will ich bitten, vielleicht mal ein paar Bücher zu lesen. Wenn für euch die ganze Sache am 7. Oktober anfängt, dann zeigt das nur, wie ignorant ihr seid.“

Anschließend prangerte Benny die „ganze Diskussion, wie sie in den Medien und der Öffentlichkeit geführt wird“, an. Er schloss: „Ich bitte euch alle, darüber nachzudenken, wie es sich für eure muslimischen Mitbürger anfühlt – für all die Leute um euch herum, die aus verschiedenen Ländern geflüchtet sind –, wenn ihre Leben nicht als menschliche Leben wahrgenommen und nicht erwähnt werden, wie zum Beispiel im Antrag der Jusos.“

Ein weiterer Student wies die Benutzung des Begriffs „historische Verantwortung“ im Juso-Antrag als „schändlich“ zurück: „Meine Großmutter hat sich daran erinnert, was die Deutschen getan haben. Viele von uns haben sich erinnert. Ich denke, die historische Verantwortung besteht darin, für die Menschenrechte einzutreten. Auch wenn das bedeutet, dass man nicht auf der Seite seines Staates steht. Stattdessen steht man zu den jüdischen Israelis, zu den jüdisch-arabischen Israelis, zu den Palästinensern, und verurteilt den anhaltenden Völkermord.“

„Das ist eine sehr grundlegende Aussage. Ich denke, wir stimmen heute über den Begriff der Solidarität sowohl mit jüdischen Studenten als auch mit palästinensischen Studenten ab. Der Antrag, den die SPD-Bourgeoise einbringen, ist ganz klar einseitig. Jeder, der ihn gelesen hat, sieht das. Wir haben weit über 13.000 Tote. Lasst uns Israel und den Völkermord verurteilen. Die Geschichte wird sonst ein Tribunal halten.“

Alban, dessen Großvater in Jugoslawien gegen die Nazis gekämpft hatte, verwies auf die Kritik internationaler Menschenrechtsorganisationen und prangerte an, dass das Andenken an den Holocaust missbraucht wird, um neue Verbrechen zu rechtfertigen:

„Ich bin sehr beunruhigt darüber, dass wir in Deutschland, wo sechs Millionen jüdische Menschen getötet und der Holocaust begangen wurde, die Augen davor verschließen, dass das palästinensische Volk abgeschlachtet und niedergemetzelt wird. Das ist ekelhaft und verachtenswert. Ich wünsche mir, dass das deutsche Volk die Lektion aus der Geschichte und dem Holocaust gelernt hat: Dass Menschenrechte für alle Menschen gültig sein müssen. Aus diesem Grund möchte ich dazu aufrufen, alle Opfer der Kriege und Verbrechen anzuerkennen und den Völkermord in Gaza zu beenden.“

Thao kritisierte das antidemokratische Vorgehen gegen palästinensische Organisationen und die Beschränkung der Meinungsfreiheit an den Universitäten: „Personen und Institutionen, die sich mit palästinensischen Menschen solidarisieren, wird vorgeworfen, dass sie Hamas unterstützen. Sie werden ohne jede differenzierte Einschätzung mit Antisemitismus in Verbindung gebracht. Sie werden gefeuert oder ihnen wird ihre Finanzierung entzogen. Das trifft gerade auch solche Institutionen, die sich seit Jahren aktiv und differenziert mit Rassismus und Antisemitismus auseinandergesetzt haben und aktuell auseinandersetzen wollen.“

Juliette erklärte, dass der Juso-Antrag eine Definition von Antisemitismus zugrunde lege, die wissenschaftlich unhaltbar ist und „aus vielen Perspektiven kritisiert und angezweifelt wird“. Sie fuhr fort: „Wie wir schon in einigen Beiträgen sehen konnten, führt das zu einer Konflation von Israelkritik mit Antisemitismus. Gerechtfertigte Israelkritik wird als antisemitisch abgetan und delegitimiert, und so werden akademische Freiheit und Redefreiheit eingeschränkt.“

„Das ist in einem akademischen Kontext besonders problematisch, weil akademische Freiheit uns eigentlich erlauben sollte, einen Raum zu haben, in dem genau diese Dinge auch auf einer akademischen Ebene diskutiert werden können.“

Tobias stellte in seinem Beitrag fest, dass nicht die Gegner des Massakers in Gaza in der antisemitischen Tradition der deutschen Eliten stehen, sondern die Verfechter des Juso-Antrags. Dieser identifiziere jüdische Menschen weltweit mit den genozidalen Verbrechen der israelischen Regierung:

„Mein Opa war im Konzentrationslager und meine Oma ist zur Zwangsarbeit nach Deutschland verschleppt worden. Die Nachkommen derjenigen, die diese Verbrechen begangen haben, wollen jetzt im Namen dieser Opfer einen weiteren Genozid befürworten. Sie tun das, weil sie genauso sind wie ihre Großeltern.“

„So zu tun, als ob alle Juden Verbrecher wären und einen Genozid befürworten, ist Antisemitismus. So zu tun, als ob Israel für alle Juden sprechen würde, ist Antisemitismus. Denn alle sehen, dass Verbrechen gegen Kinder und die Zivilbevölkerung begangen werden, dass Israel Krankenhäuser und Schulen bombardiert.“

Gerade die Repräsentanten der deutschen Regierung verkörperten „dasselbe wie ihre Großeltern“, so Tobias. „Dieser Staat, der damals die Verbrechen beging, macht es auch heute noch. Und er ist ein Fürsprecher des Antisemitismus. Ja, wir müssen Antisemitismus bekämpfen. Fangen wir mit diesen Leuten an.“

Während des gesamten Verlaufs der Debatte versuchten Abgeordnete anderer Listen immer wieder, Kritik am Juso-Antrag mit antidemokratischen Vorstößen zu unterbinden und die Debatte bürokratisch abzuwürgen. Während die IYSSE-Fraktion stets Widerrede einlegte und dagegen stimmte, fanden mehrere dieser Anträge unter den Abgeordneten eine Mehrheit.

So stellte eine Abgeordnete des SDS (Hochschulgruppierung der Linkspartei) einen Antrag, wonach jeder Redner nur einmal sprechen dürfe. Der RCDS (CDU/CSU) beantragte wenig später, die Redezeit pauschal auf zwei Minuten pro Redner zu begrenzen. Die Juso-Fraktion selbst versuchte einen Antrag auf sofortigen Abbruch der Debatte zu forcieren, als erkennbar war, dass es sich bei den nächsten sechs Rednern auf der Rednerliste um Gegner ihres Antrags handeln würde.

Einem HU-Absolventen, der im Juso-Antrag spezifisch angegriffen wurde, sollte sogar das Recht verweigert werden, sich zu den Vorwürfen gegen seine Gruppe zu äußern. Georg, der inzwischen als Wissenschaftler am „Zentrum Moderner Orient“ tätig ist, wurde mit der Begründung, dass er kein Student mehr sei, vom Präsidium aus das Mikrofon abgeschaltet.

Als er ohne Mikrofonzugang vor dem Plenum erläuterte, dass ein von den Jusos kritisierter Protest im Jahr 2018 nichts mit Antisemitismus zu tun hatte, erteilte das Präsidium dem Sprecher ein Hausverbot und organisierte eine 20-minütige Unterbrechung der Debatte, um den Wachdienst zur Beaufsichtigung der restlichen Sitzung herbeizurufen.

Georg hatte klarzustellen versucht, dass sich der Protest gegen eine rechte Sicherheitspolitikerin und Knesset-Abgeordnete gerichtet hatte, die den Gaza-Krieg bereits 2014 unterstützt hatte. Die von den Jusos als „antisemitisch“ verleumdete Kritikerin sei selbst jüdische Israelin, Friedensaktivistin und Kriegsdienstverweigerin.

Da ausschließlich Abgeordnete – nicht jedoch Besucher – Stimmrecht genossen, wurde der Antrag der IYSSE gegen die Stimmen der IYSSE-Fraktion und unter Protest mehrerer Teilnehmer abgelehnt. Stattdessen nahm eine Mehrheit der Abgeordneten einen Antrag an, der Solidarität für „alle von der Gewalteskalation betroffenen Studierenden und Forschenden“ fordert, aber weder die Kriegspolitik Israels noch Deutschlands kritisiert.

Die IYSSE rufen zu weiteren Protesten gegen das Massaker in Gaza auf. Kontaktiert uns, um die Bewegung zu entwickeln und die Einschüchterungs- und Zensurmaßnahmen an den Universitäten zurückzuweisen!

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