Mit dem Herannahen der Amtseinführung von Donald Trump wachsen in Deutschland die Befürchtungen, der neue US-Präsident werde seine „Make America Great Again“-Agenda auf Kosten Europas verwirklichen. In den Konzernzentralen, Ministerien und Redaktionen herrscht deshalb Nervosität und Unsicherheit.
„Niemand sollte sich Illusionen machen über die Dimension dessen, was vor Deutschland und Europa liegt,“ warnt Thomas Kleine-Brockhoff, der Direktor der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik (DGAP) in der Fachzeitschrift Internationale Politik. „Zu erwarten steht für Amerika nicht allein ein Rückfall in Nationalismus und Isolationismus, sondern auch der Eintritt in die Unberechenbarkeit.“
Vor allem die angedrohten Strafzölle von 10 bis 20 Prozent auf Importe aus Europa würden die deutsche Wirtschaft schwer treffen. Berechnungen des Instituts für Makroökonomie und Konjunkturforschung (IMK) zufolge würden sie unmittelbar 300.000 Arbeitsplätze gefährden. Laut Prognos-Institut hängen insgesamt 1,2 Millionen deutsche Arbeitsplätze an Exporten in die USA. Mehrere deutsche Unternehmen verlagern aus Furcht vor den Zöllen bereits jetzt Produktionsstätten nach Übersee.
Trump verfügt aber noch über zahlreiche weitere Mittel, Europa zu schwächen. In Berlin geht die Furcht um, er werde versuchen, die Europäische Union zu spalten, von der Deutschland hochgradig abhängig ist und die es dominiert.
Die WirtschaftsWoche zählt unter der Überschrift „Es wird Trump leicht fallen, Europa zu spalten“ mehr als ein halbes Dutzend Gefahren auf, die der EU von der Trump-Administration drohen.
Sie warnt, Trump werde der Ukraine gemeinsam mit Moskau einen „Diktatfrieden“ aufzwingen, der auf Kosten Europas gehe. „Am Ende könne es so kommen, dass die Europäer für den Wiederaufbau bezahlen, die Amerikaner daran verdienen und den EU-Staaten außerdem noch die Verpflichtung zufiele, den Waffenstillstand entlang der langen Demarkationslinie zwischen der Ukraine und Russland militärisch abzusichern,“ zitiert sie einen „hohen Diplomaten“.
Des Weiteren wirft die WirtschaftsWoche Trump vor, er versuche durch das „Anbieten von Einzeldeals, die für ein EU-Land vorteilhaft, für die EU als Ganzes aber eher negativ sind, den Zusammenhalt der Europäer zu unterminieren“. Als Beispiel führt sie das 1,5 Milliarden Euro schwere Geschäft über ein geschütztes Kommunikationssystem an, das Italiens Ministerpräsidentin Giorgia Meloni am Rande eines Blitzbesuchs in Trumps Residenz Mar-a-Lago mit Elon Musk, dem Chef von SpaceX, vereinbart hat. Es torpediert die europäischen Bemühungen, ein eigenes solches System aufzubauen.
„Ähnlich leicht dürfte es Trump fallen,“ heißt es weiter, „die einzelnen EU-Staaten gegeneinander auszuspielen, wenn es um US-Investitionen in Europa geht oder um den Kauf von US-Militärgerät zulasten von Produkten aus den Airbus-Werken.“
Eine weitere Gefahr sieht die WirtschaftsWoche in der wachsenden Zahl rechtspopulistischer europäischer Regierungschefs, die der EU ablehnend oder skeptisch gegenüberstehen und von denen einige, wie Giorgia Meloni (Italien) und Viktor Orbán (Ungarn), „glühende Trump-Fans“ sind.
Schließlich warnt sie vor dem wachsenden Einfluss von US-Internetplattformen, die sich in die europäische Politik einmischen. Die Unterstützung von Elon Musk und seiner Plattform X für die AfD-Vorsitzende Alice Weidel und das Einschwenken von Meta-Chef Mark Zuckerberg auf Trump-Kurs wird auch von anderen deutschen Medien kritisiert. Die EU-Kommission diskutiert inzwischen Maßnahmen, um die Macht der US-Netzwerke einzuschränken.
Einige Medien thematisieren inzwischen auch die „Verbindung von Macht und Kapital“ in Trumps Regierung und dessen autoritäre Bestrebungen. Der Spiegel erscheint an diesem Wochenende mit dem Titelbild eines grimmig dreinblickenden Trump mit Lorbeerkranz und der Schlagzeile: „Der Imperator. Wie Trump der Welt seinen Willen aufzwingen will.“ Im Vorspann heißt es: „Donald Trump kehrt ins Weiße Haus zurück, so mächtig und entschlossen wie nie zuvor. Seine Feinde sind die liberale Weltordnung, die Amerika mit aufgebaut hat, und die Demokratie im eigenen Land.“
Doch nach einer Erklärung sucht man vergeblich. Seit einem Vierteljahrhundert beteiligen sich deutsche Regierungen an den Kriegen der USA – von Jugoslawien über Afghanistan, Irak und Syrien bis hin zum Ukrainekrieg und dem Völkermord in Gaza – und rechtfertigen dies mit der Verteidigung der „liberalen Weltordnung“ und der „Demokratie“. Doch nun übernimmt in den USA als Ergebnis dieser Kriege ein erbitterter Feind der Demokratie die Macht!
Wie ist das möglich? Aus Trumps Individuum lässt es sich nicht erklären. Der Aufstieg dieses vulgären Gangsters an die Spitze des mächtigsten kapitalistischen Landes ist vielmehr das Ergebnis des Bankrotts und der Fäulnis des kapitalistischen Systems im Weltmaßstab, das nur noch soziale Ungleichheit, Krieg und Zerstörung hervorbringt.
Seit dem ersten Golfkrieg 1990–1991 führen die Vereinigten Staaten ununterbrochen Krieg. Gestützt auf ein marxistisches Verständnis der Widersprüche des US- und des Weltimperialismus analysiert David North die Militärinterventionen und geopolitischen Krisen der letzten 30 Jahre.
In ihrer Neujahrserklärung schrieb die Redaktion der WSWS:
Der Charakter der neuen Regierung spiegelt eine brachiale Neuausrichtung des Staates wider, die dem Wesen der kapitalistischen Gesellschaft entspricht. Die reichsten Einzelpersonen und Unternehmen der Welt kontrollieren Ressourcen von unvorstellbaren Ausmaßen. …
Diese Prozesse, die sich in den Vereinigten Staaten klar abzeichnen, sind tatsächlich universell. Überall auf der Welt werden die kapitalistischen Regierungen von massiven politischen Krisen erschüttert, sehen sich mit dem Widerstand der Bevölkerung konfrontiert und greifen zu autoritären Maßnahmen.
Entsprechend reagiert auch die herrschende Klasse in Deutschland und Europa auf Trump. „Ihre Antwort auf ‚Make America Great Again‘ lautet ‚Deutschland über alles‘,“ heißt es dazu in der Wahlerklärung der Sozialistischen Gleichheitspartei.
DGAP-Direktor Kleine-Brockhoff unterscheidet in dem bereits zitierten Artikel drei europäische Reaktionen auf Trump: Anpasser, Souveränisten und Rechtspopulisten. Die „Anpasser“, zu denen er Polen, aber auch Deutschland zählt, halten den Erhalt der Nato und den nuklearen Schutzschirm der USA für derart wichtig, „dass sie Trump gefallen, bezaubern, beeindrucken oder ablenken wollen“.
Die „Souveränisten“, angeführt von Frankreich, „möchten Europa von Amerika distanzieren und den Kontinent als einen machtpolitisch unabhängigen Pol in einer nach ihrer Ansicht multipolaren Weltordnung etablieren.“ Und die „Rechtspopulisten“ unter Führung Ungarns unterstützen Trump, weil sie ihm ideologisch nahstehen und „er die Lösung Europas von Amerika betreibt“.
Kleine-Brockhoff tritt „für eine Allianz zwischen den verschiedenen Lagern“, ein und hält dies auch für möglich. Tatsächlich sind sich die verschiedenen Lager in den Grundfragen einig. Ihre Antwort auf Trump lautet: Noch mehr Aufrüstung, noch mehr Ausbeutung und Sozialabbau, und noch mehr Flüchtlingshetze und Staatsaufrüstung.