Erneut gab es Anfang Dezember gleich zwei schwere und tödliche Arbeitsunfälle bei der Deutschen Bahn.
Am 6. Dezember kamen auf dem Güterbahnhof Köln-Eifeltor zwei Männer beim Absturz von einer Hebebühne zu Tode. Die beiden sollten in fast 20 Meter Höhe eine Verladebrücke für Container reparieren, als um die Mittagszeit ein dritter Arbeiter eine weitere Container-Verladebrücke in Bewegung setzte. Diese zweite mobile Brücke prallte gegen die Hebebühne, in deren Arbeitskorb die beiden Arbeiter standen, und brachte sie zum Kippen. Die zwei Männer stürzten in die Tiefe, wo sie von der umkippenden Hebebühne erschlagen wurden. Einer der beiden, ein 83-jähriger (!) Arbeiter, war auf der Stelle tot. Der andere, ein 64-Jähriger, starb noch am selben Tag in der Klinik an seinen schweren Verletzungen.
Der Güterbahnhof Köln Eifeltor, einer der größten Containerumschlagbahnhöfe, wird von der Deutschen Umschlaggesellschaft Schiene-Straße (DUSS) betrieben, einer Tochter der Deutschen Bahn. Das Management der DUSS hatte die Arbeiter über ein Subunternehmen angeheuert und so den 83-Jährigen und seinen Kollegen dieser tödlichen Gefahr ausgesetzt.
Nur zwei Tage vor dem tragischen, zweifachen Todesfall in Köln kam es im ICE-Betriebswerk München an der Landsbergerstraße ebenfalls zu einem schlimmen Arbeitsunfall bei der Bahn: Am 4. Dezember erlitt ein Techniker (56) einen schweren Stromschlag, als er Reparaturarbeiten an einer Oberleitung ausführte. Die Leitung war abgeschaltet, es kam jedoch zu einem Spannungsüberschlag von einer stromführenden Oberleitung des Nachbargleises. Der Techniker wurde auf seiner Arbeitsplattform zu Boden geschleudert. Dank seiner Kollegen, die die Plattform über die Notentriegelung herunterfuhren, konnte er rasch geborgen werden, und mit lebensgefährlichen Verletzungen kam er in die Klinik.
Bei der Suche nach den Ursachen lautet das Urteil meistens schnell: „menschliches Versagen“. Dieser oder jener Arbeiter und Kollege habe einen Fehler begangen. Die gravierende Häufung der Unfälle weist jedoch sehr klar auf ein Systemversagen: Die Bahn, eigentlich eine gemeinwohl-orientierte Infrastruktur, wird immer stärker auf Profit getrimmt, und die Sicherheit am Arbeitsplatz bleibt auf der Strecke.
In diesem Jahr haben sich bei der Bahn schon mindestens zwölf tödliche Arbeitsunfälle ereignet, darunter im Frühling vier tödliche Unfälle in nur vier Wochen. Mindestens neun weitere Arbeiter wurden schwer verletzt. Diese Unfälle beleuchten grell, was das Aktionskomitee Bahn seit Jahren erklärt: Um die Ursachen der Unfälle herauszufinden und sie in Zukunft zu vermeiden, müssen Arbeiter selbst aktiv werden und sich in unabhängigen Aktionskomitees zusammenschließen.
Hier im Folgenden die lange, vermutlich unvollständige Liste der Unfälle dieses Jahres:
- Am 4. März 2025 erlitten zwei Arbeiter im ICE-Betriebswerk München bei Wartungsarbeiten an der Oberleitung gefährliche Stromschläge. Einer von ihnen erlitt Verletzungen dritten Grades.
- Am Ostermontag, den 21. April, starb ein 52-jähriger Eisenbahner in Kehl (B.-W.) im Hafengebiet am Rhein. Bei Rangierarbeiten war er beim Zusammenkuppeln zweier Waggons zwischen die Pufferstempel geraten, eingeklemmt und tödlich verletzt worden.
- Am Sonntag, den 27. April, verunglückte ein Bahnarbeiter im Rangierbahnhof Neuseddin (Brandenburg) tödlich, weil er ebenfalls zwischen zwei Waggons geriet und dabei regelrecht zerquetscht wurde.
- Am 29. April wurde ein 58-jähriger Mitarbeiter eines Bautrupps in Hamburg vom ICE erfasst. Er überlebte schwerverletzt.
- Am 9. Mai wurde ein 50-jähriger Arbeiter erneut zwischen zwei rangierenden Güterwaggons eingeklemmt, als er im Bahn-Instandhaltungsbetrieb Oberhausen (Oberbayern) einen langsam rollenden Waggon begleitete. Er geriet in das Gleis zwischen die Züge und wurde getötet.
- Am 14. Mai wurde ein Arbeiter des Bahn-Instandhaltungswerks Wittenberge (Brandenburg), der Sandstrahlarbeiten ausgeführt hatte, tot aufgefunden.
- Am 23. Mai erlitten zwei Bahnarbeiter in Böblingen (Baden-Württemberg) schwere Verbrennungen durch Stromschlag. Auch hier gab es einen Spannungsüberschlag von einer Oberleitung.
- Am 24. Juni wurde in Kronach (Oberfranken) ein 35-jähriger Eisenbahner beim Rangieren getötet. Der Arbeiter fuhr auf dem letzten Waggon mit, um den Lokführer beim Rückwärtsfahren eines Zuges zu unterstützen, übersah jedoch eine Gleissperre. Der Waggon entgleiste und der Mann stürzte ins Gleisbett und wurde vom Waggon überrollt.
- Am 3. Juli wurde ein Bahnarbeiter (30) in Düsseldorf–Rath bei Gleisarbeiten schwer verletzt, als ein Schienenbagger sein Bein überrollte und ihm den Fuß abtrennte.
- Am 30. Juli wurden bei der schweren Bahnhavarie in Riedlingen der 32-jährige Lokführer und ein weiterer Bahnmitarbeiter (36) getötet. Auch eine Passagierin kam dabei ums Leben.
- Am 19. August starb ein Eisenbahner (49) im Güterbahnhof Horka (Sachsen), als er unter einen einfahrenden Zug geriet.
- Am 26. August wurde in Baar-Ebenhausen (Bayern) ein sehr junger Arbeiter (21) beim Gleisbau von einem Regionalzug erfasst und getötet.
- Am 17. September wurde ein Gleisarbeiter (44) in Geislingen (Baden-Württemberg) von einem passierenden Regionalzug erfasst und schwer verletzt.
- Am 25. September wurde ein Arbeiter (30) nördlich von Hamburg schwer verletzt, als er in Wrist (Schleswig-Holstein) beim Gleisbau vom Zug erfasst und am Kopf getroffen wurde.
- Am 30. September wurde erneut ein 21-jähriger Eisenbahn-Mitarbeiter getötet; er war in Ebelsbach (Unterfranken) vom Regionalzug erfasst worden.
- Am 4. Dezember kam es im ICE-Werk München zu einer weiteren schweren Verletzung, als der Techniker einen Stromschlag erlitt.
- Am Samstag, 6. Dezember prallte auf dem Güterbahnhof Köln–Eifeltor eine mobile Containerbrücke mit einer Hebebühne zusammen und warf sie um, was den Tod der zwei Arbeiter, 83- und 64-jährig, verursachte.
Die Häufung schwerer und tödlicher Arbeitsunfälle bei der Bahn ist atemberaubend, und sie weist wiederkehrende Muster auf. Dies allein widerlegt schon die Konzentration auf das angeblich „menschliche Versagen“ einzelner Kollegen.
Ein fatales Muster zeigen zum Beispiel die Unfälle auf den Rangier- und Güterbahnhöfen, wo Lokführer und Eisenbahner lange Züge rangieren und zusammenkuppeln, oft im Rückwärtsgang, oft indem sie sich außen am Führerstand oder am letzten Waggon oder neben dem Zug aufhalten. Mehrfach kam es hierbei zu schweren und tödlichen Unfällen. Dabei ließe sich die Gefahr heutzutage durch moderne Technologie wie vollintegrierte Kameras, Fernsteuerung und automatische Abläufe und Sicherung vollständig vermeiden.
Das Problem ist nicht auf Deutschland beschränkt. Erst am 3. Dezember ist in Ontario (Kalifornien) der 46-jährige Triebfahrzeugführer Steve Crowe in einer Kollision während eines solchen Rangiermanövers tödlich verunglückt. Er dirigierte seinen Zug beim Rückwärtsfahren, was eine besonders gefährliche Situation ist. Wie die WSWS berichtet, ereigneten sich von 20 Todesfällen von Lokführern, die der US-Bahnbehörde seit Januar 2020 gemeldet wurden, 14 bei einem solchen Rangiermanöver.
Große Gefahr bietet auch eine Situation, wo Gleisbauarbeiten im zweigleisigen Bereich bei laufendem Zugbetrieb durchgeführt werden. Nur eine Spur ist gesperrt, zudem ist die Arbeit laut, so dass Warnsignale nicht immer gehört werden. Und oft ist die Fahrdienstleitung, die die Lokführer der passierenden Züge auf die Baustelle hinweist, nicht ausreichend informiert. So sind in letzter Zeit mehrere Arbeiter von vorbeifahrenden ICEs oder Regionalzügen am Kopf getroffen worden. So ist auch schon Ali Ceyhan (33) am 11. September 2023 in Köln-Kalk ums Leben gekommen.
Große Gefahr geht auch von den Oberleitungen aus, die üblicherweise 15.000 Volt führen. Immer wieder kommt es hier zu lebensgefährlichen Verletzungen und Verbrennungen dritten Grades. So kam es in demselben Münchner ICE-Werk sowohl am 4 März als auch am 4. Dezember zu schlimmen Verbrennungen durch Stromschlag. Auch in Baden-Württemberg wurden zwei junge Arbeiter, nur 20 und 26 Jahre alt, durch Stromschläge schwer verletzt. Immer heißt es, die Leitung ist abgeschaltet und geerdet, aber immer wieder kommt es zu Spannungsbögen von den benachbarten Oberleitungen.
Bei einem solchen Unfall wurde vor drei Jahren Frank S., ein Mitglied des Aktionskomitees Bahn, in Frankfurt am Main von einem schweren Stromschlag getroffen. „Ich hätte tot sein können“, sagte Frank damals. Sein Unfall zeigte dem neugegründeten Aktionskomitee, wie rasch die Öffentlichkeit die Version der Bahn AG, der Polizei, der Berufsgenossenschaften oder der Gewerkschaften von dem „menschlichen Versagen“ übernimmt. Und er führte dazu, dass das Komitee begann, sich intensiv mit den Bahnunfällen zu befassen.
Keiner dieser Fälle ist ein isolierter Unglücksfall. Vielmehr sind sie Ergebnis eines Systems, das den Profit über das Leben und Wohlergehen der Arbeiter stellt, und das zudem rasch auf Krieg zusteuert: Gerade stellt die Regierung sämtliche Ressourcen der Gesellschaft in den Dienst von Aufrüstung und Kriegswirtschaft.
So ist die Sicherheit am Arbeitsplatz keine Priorität, für keinen der Verantwortlichen: Nicht für die neue Bahnvorständin Evelyn Palla, nicht für die Bundesregierung, Eigentümerin der Deutschen Bahn, nicht für die Aufsichtsbehörden, und auch nicht für die Eisenbahngewerkschaften EVG und GDL. Sie alle sind an der Durchsetzung rigoroser Sparprogramme, von Personalabbau und steigender Arbeitshetze beteiligt, und infolgedessen werden Sicherheitsstandards zwangsläufig unterlaufen und Risiken bewusst in Kauf genommen. Der Konzern müsse „schneller, schlanker und wirtschaftlicher werden“, wie Verkehrsminister Patrick Schnieder (CDU) verkündete.
Bezeichnenderweise listet in Deutschland keine Behörde alle Bahnunfälle systematisch auf, weder die DB AG selbst, noch das Eisenbahn-Bundesamt (EBA), noch die Bundesstelle für Eisenbahnunfall-Untersuchungen (BEU). Keinesfalls interessiert es sie, wenn (wie in Köln–Eifeltor) Beschäftigte eines Subunternehmens betroffen sind. Noch weniger ziehen sie aus den Unfällen irgendwelche Konsequenzen.
Im Allgemeinen erfährt die Öffentlichkeit nur in kurzen, dürren Sätzen aus dem Polizeibericht darüber. Wie es weitergeht, wird nirgendwo berichtet, weder was mit den Schwerverletzten passiert – ob sie ihren schweren Verletzungen am Ende erliegen, oder ob sie gerettet werden können, und was es für ihr weiteres Leben und ihre Familien bedeutet. Noch wird über die Triebfahrzeugführer berichtet, die die Situation zwar erfassen und eine Notbremsung einleiten, aber den Unfall nicht verhindern können. Sie sind in der Regel schwer geschockt und traumatisiert.
In letzter Zeit haben mehrere Angehörige von Eisenbahnern, die bei Bahn-Unfällen getötet wurden, schwere Vorwürfe in der Öffentlichkeit erhoben, weil sie keine Informationen und Aufklärung der Todesfälle ihrer Angehörigen erhalten. Unter diesen Mutigen, die nicht locker lassen, sind Katharina Duarte, Partnerin des in Köln-Kalk getöteten Weichenmechanikers Ali Ceyhan, oder Silke Hedemann und Steffen Rach, die ihren Sohn und Bahn-Azubi Simon Hedemann verloren haben. Sie haben diese Fälle auch den Bundestagsabgeordneten aller Parteien vorgetragen und Antworten vom DB-Konzern verlangt – bisher ohne sichtbares Ergebnis.
Auch von den Gewerkschaften gibt es keine Antworten. So sind EVG und GDL für die Unfälle mitverantwortlich. Immer wieder haben sie die verlangten Sparmaßnahmen, Reallohnsenkungen und Verschlechterungen der Arbeitsbedingungen akzeptiert und den Kampf dagegen systematisch ausverkauft. Was die Bundestagsparteien und die Gewerkschaften betrifft, so sind die Weichen für eine weitere Zunahme schrecklicher Unfälle jetzt schon gestellt.
Der einzige Weg, Konsequenzen aus den gehäuften Arbeitsunfällen bei der Bahn zu ziehen, ist der Aufbau unabhängiger Aktionskomitees, also eine politische Neuorientierung der Arbeiterklasse auf die eigene Klassenstärke. Die WSWS und die Internationale Arbeiterallianz der Aktionskomitees (IWA RFC) schlagen die Einrichtung unabhängiger, demokratisch von den Kollegen geführte Aktionskomitees vor, um die Unfälle zu untersuchen, Konsequenzen daraus zu ziehen und sie durchzusetzen.
Diese Unfälle sind ein globales Phänomen: Die IWA-RFC hat ähnliche Fälle schon in den USA, Australien, Deutschland, der Türkei und Sri Lanka aufgegriffen. Notwendig ist eine internationale Zusammenarbeit der Arbeiterklasse, um den Kampf über Landesgrenzen hinweg gemeinsam zu führen, Informationen auszutauschen und sich gegenseitig zu verteidigen. Die WSWS und die IWA-RFC bieten dabei Beratung und Kontakt zu Gleichgesinnten, bei garantiertem Schutz für Whistleblower. Fülle dazu bitte das untenstehende Formular aus!
