Am letzten Mittwoch begannen in Straßburg Gespräche zwischen Vertretern der europäischen Regierungen über die Aufkündigung zentraler Bestimmungen der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK).
Von den Sozialdemokraten bis zu den faschistischen Parteien drängen alle auf ein Abkommen bis zum Frühjahr 2026, das das Ende jeder Bindung an die universalistischen Prinzipien markieren wird, die der EMRK unmittelbar nach den entsetzlichen von den Nazis im Zweiten Weltkrieg verübten Verbrechen gegen die Menschlichheit proklamierte.
Dass die Gespräche von der dänischen sozialdemokratischen Ministerpräsidentin Mette Frederiksen und der italienischen faschistischen Ministerpräsidentin Giorgia Meloni initiiert wurden, unterstreicht die Einmütigkeit innerhalb des politischen Establishments. Im Mai veröffentlichten die beiden einen offenen Brief, der von sieben weiteren EU-Mitgliedsstaaten unterzeichnet wurde. Darin griffen sie den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte wegen seiner Einmischung in nationale politische Entscheidungen an und forderten Unabhängigkeit von den Beschränkungen der EMRK.
Der offene Brief wetterte gegen „kriminelle Ausländer“ und „feindliche Staaten“, die versuchen Immigranten gegen Europa zu „instrumentalisieren“. Er unterschied sich dabei kaum von der jüngsten Erklärung der Trump-Regierung, Europa drohe die „Auslöschung der Zivilisation“ aufgrund von „illegaler Zuwanderung“.
Der Brief ist Ausdruck eines entscheidenden Kurswechsels der herrschenden Klasse Europas mit dem Ziel, das Völkerrecht auszuhebeln und die staatlichen Interessen rücksichtslos gegen die Arbeiterklasse durchzusetzen. Gleichzeitig soll das massive Aufrüstungsprogramm den europäischen Imperialismus in die Lage versetzen, gegen seine globalen Rivalen zu kämpfen. Auch die Unterstützung des israelischen Völkermords an den Palästinensern und der blutige Ukrainerieg gegen Russland verdeutlichen den kriminellen Charakter dieser Agenda. Sie erfordert einen uneingeschränkten Angriff auf den Lebensstandard und die Rechte der Arbeiterklasse einschließlich der Immigranten, die einen wesentlichen Bestandteil der arbeitenden Bevölkerung stellen.
Am 8. Dezember einigten sich die EU-Einwanderungsminister auf ein Maßnahmenpaket, um Massenabschiebungen zu beschleunigen und die Schaffung von Konzentrationslagern für Migranten in autoritären Staaten, die nicht an europäisches Recht gebunden sind, zu erleichtern. Die Maßnahmen beinhalten eine deutliche Ausweitung der Liste „sicherer Drittstaaten“, in die die EU-Mitglieder Flüchtlinge abschieben können, und die Erlaubnis zum Bau von „Rückführungszentren“ außerhalb der Grenzen der EU zur Bearbeitung von Asylanträgen.
In Deutschland setzt die Koalition unter Bundeskanzler Friedrich Merz die Zuwanderungspolitik der faschistischen AfD ebenso um wie schon ihre sozialdemokratisch geführte Vorgängerregierung. Anfang des Jahres erhielt Merz begeisterte Unterstützung der faschistischen Rechten, als er sich in offen rassistischer Terminologie über das „Stadtbild“ in deutschen Innenstädten beschwerte: Aufgrund von massenhafter Zuwanderung sei es nicht mehr wiederzuerkennen.
Nach der Bekanntgabe des EU-Abkommens schimpfte Innenminister Alexander Dobrindt im Ton der AfD: „Die illegale Migration hat in den vergangenen zehn Jahren Europa in Unordnung gebracht. Gemeinsam mit unseren europäischen Partnern bringen wir nun wieder Ordnung in die europäische Migrationspolitik. Unsere gemeinsamen Ziele sind: Starke EU-Außengrenzen, schnelle Rückführungen, innovative Abschiebezentren.“
In Großbritannien stellte die rechte Labour-Regierung von Keir Starmer Dänemark als Vorbild dar, als sie letzten Monat eine rechtsextreme Zuwanderungspolitik präsentierte. Labours Ziel ist die Abschaffung der in der EMRK festgelegten Rechte, darunter das Recht auf ein Familienleben und Schutz gegen Folter und erniedrigende Behandlung, sowie eine massive Ausweitung von Abschiebungen.
Die europäischen Regierungen verfolgen mit ihrer „Festung Europa“ seit langem eine brutale, immigrantenfeindliche Politik. Sie findet ihren mörderischsten Ausdruck im Mittelmeer, das zum Massengrab für Tausende von Menschen geworden ist, weil alle legalen Wege zum Kontinent blockiert sind und Seenotrettung verboten wurde. Laut dem Missing Migrants Project der Internationalen Organisation für Migration wurden seit Beginn der Aufzeichnungen im Jahr 2014 etwa 33.220 Migranten im Mittelmeer als vermisst gemeldet. Für das Jahr 2025 nähert sich die Gesamtzahl der Marke von 2.000.
Allerdings stellt der jetzige Kurswechsel etwas Neues dar: Regierungen aller politischen Richtungen brechen explizit selbst mit dem Anschein internationalen Rechts. Sie erklären offen, die demokratischen Grundrechte, welche die Bourgeoisie nach den Schrecken des Zweiten Weltkriegs gewähren musste, seien heute nicht mehr zeitgemäß und müssten aus den nationalen und internationalen Rechtssystemen gestrichen werden. Gleichzeitig arbeiten Parteien in allen großen europäischen Staaten systematisch daran, faschistische Kräfte an die Macht zu bringen, was sie in Italien und Tschechien bereits erreicht haben.
Während die Politik europaweit scharf nach rechts rückt, bleibt der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte, der 1959 gegründet wurde, um die in der EMRK festgelegten Rechte durchzusetzen, einer der wenigen Orte, wo Flüchtlinge, politische Dissidenten und andere verfolgte Minderheiten zumindest die Möglichkeit haben, staatliche Unterdrückung und die systematische Verletzung ihrer Rechte anzufechten.
So hat der Gerichtshof im Oktober 2024 festgestellt, dass beispielsweise Deutschland und Griechenland gegen EU-Recht verstoßen, indem sie die automatische Abschiebung von Asylsuchenden durchsetzen, ohne ihnen vorher die Möglichkeit zu geben, die ihnen offenstehenden Rechtsmittel einzulegen. In dem konkreten Fall ging es um eine Person namens H.T., die von den deutschen Behörden zwangsweise nach Griechenland abgeschoben und dort unter unmenschlichen Bedingungen in einem der berüchtigten Konzentrationslager für Flüchtlinge festgehalten wurde. Der Gerichtshof entschied, dass beide Länder gegen Artikel 3 der EMRK verstoßen hatten, der vor unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung schützen soll.
Im Juli 2025 akzeptierte der Gerichtshof eine Beschwerde des ukrainischen Sozialisten Bogdan Syrotjuk, der im April vom imperialistisch unterstützten Selenskyj-Regime verhaftet und wegen „Hochverrats unter Kriegsrecht“ angeklagt worden war. In der Klage heißt es, Bogdan stelle als Anführer der Jungen Garde der Bolschewiki-Leninisten eine Gefahr für die Gesellschaft dar, weil er Widerstand gegen den gegenwärtigen Krieg, das Selenskyj- und das Putin-Regime leiste und für die Einheit der russischen und ukrainischen Arbeiter im Kampf gegen imperialistischen Krieg kämpfe.
Die Angriffe auf die Arbeiterklasse, die die Regierungen in ganz Europa in den kommenden Jahren planen, um den europäischen Imperialismus „kriegstüchtig“ zu machen, sind so umfassend, dass kein Widerstand dagegen toleriert werden kann, selbst wenn er im streng kontrollierten Rahmen der bürgerlichen Legalität erfolgt. In Deutschland hat eine parteiübergreifende Koalition eine Billion Euro für Kriegsausgaben bewilligt, die jetzt durch die Zerstörung der öffentlichen Ausgaben und Sozialprogramme aus der Arbeiterklasse gepresst werden muss. Merz erklärte dazu, der jetzige Sozialstaat sei nicht mehr finanzierbar. Der französische Präsident Emmanuel Macron hat sich zu Ausgabenkürzungen in Höhe von zweistelligen Milliardenbeträgen verpflichtet, um eine massive Erhöhung des Militäretats zu finanzieren.
Die EU-Mitgliedsstaaten haben sich auf ein gemeinsames Militärausgaben-Programm in Höhe von 850 Milliarden Euro geeinigt, das durch Sparmaßnahmen finanziert werden soll. In allen Ländern werden Tausende von Arbeitern entlassen, während die zivile Industrie auf Kriegsproduktion umgestellt wird und die Kapitalisten die ausufernde Krise, die durch den Niedergang des Kapitalismus verursacht wird, den Arbeitern aufbürden. Die gleichen rücksichtslosen Methoden, die die herrschende Klasse gegen Immigranten und Flüchtlinge – die schutzbedürftigsten Teile der Arbeiterklasse – perfektioniert hat, sollen nun gegen alle Arbeiter zum Einsatz kommen, die versuchen sich dieser brutalen Klassenkriegs-Agenda zu widersetzen.
Wie die World Socialist Web Site immer wieder betont hat, ist die Verteidigung der Rechte von Immigranten ein zentraler Bestandteil der Verteidigung der Rechte aller Arbeiter. Der Kampf für die politische Unabhängigkeit der Arbeiterklasse von den kriegstreiberischen und nationalistischen bürgerlichen Parteien muss das uneingeschränkte Recht aller verteidigen, im Land ihrer Wahl zu leben und zu arbeiten. Sie muss für die Abschaffung aller Zuwanderungsquoten und diskriminierenden Maßnahmen, die auf Nationalität und ethnischer Zugehörigkeit basieren, kämpfen.
Der Kampf gegen imperialistischen Krieg und Militarismus erfordert ein sozialistisches und internationalistisches Programm, dessen Ziel die Abschaffung der obsoleten nationalstaatlichen Grenzen und die Zurückweisung der nationalistischen Rhetorik ist, mit der die herrschenden Eliten aller Länder die Einheit der Arbeiterklasse verhindern wollen. Die Arbeiter müssen eine politische und industrielle Massenbewegung gegen Krieg und kapitalistische Sparmaßnahmen aufbauen und die Worte „Proletarier aller Länder vereinigt Euch!“ aus dem Kommunistischen Manifest von Marx und Engels zu ihrem Schlachtruf machen.
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