Aktion „Lebenslaute“ fordert Abschaltung des Verfassungsschutzes

Mit einem großen Abschlusskonzert hat das Musik-Aktionsnetzwerk „Lebenslaute“ am Dienstagmorgen vor begeisterten Zuhörern und Zuhörerinnen seinen Protest gegen das Bundesamt für Verfassungsschutz in Köln beendet. Bereits am Montag hatten Musiker und Sänger der Gruppe alle Zufahrten und Zugänge blockiert. Die WSWS berichtete darüber.

Das Abschlusskonzert

Die Musiker und Musikerinnen nebst Chor spielten in einem fast zweistündigen Konzert sinfonische Werke, ein türkisches Klagelied sowie eigene Bearbeitungen des James-Bond-Themas und des Geier-Lieds aus dem „Dschungelbuch“ („That what friends are for“).

Ludwig van Beethovens Coriolan-Ouvertüre, Auszüge aus der Oper “Orphée und Euridice“ von Christoph Willibald Gluck wechselten sich mit Chören ab. Zum Schluss tanzten viele der Anwesenden zu Dmitri Schostakowitschs Walzer Nr. 2.

Der Dirigent Ulrich Klan kündigte den Walzer mit den Worten an: „Von Schostakowitsch haben wir gelernt, wie man unter allgegenwärtiger Bespitzelung und Überwachung wunderschöne Musik machen kann.“

Lebenslaute führt seit über 30 Jahren Sommeraktionen gegen „Unrechtsorte“ durch. Die diesjährige Sommeraktion richtete sich gegen den Verfassungsschutz. Sie stand unter dem Motto: „Mit Suite und Kantate gegen den Staat im Staate – Geheimdienste abschalten!“

Aktion „Lebenslaute“ fordert Abschaltung des Verfassungsschutzes

Die Initiative „Keupstraße ist überall“, die gemeinsam mit Lebenslaute den Protest organisierte, zeichnete in einer „Aktenschredder-Performance“ das Vorgehen des Referatsleiters mit Tarnnamen „Lothar Lingen“ im Kölner Bundesamt nach, der nach der Entdeckung des Nationalsozialistischen Untergrunds Akten schreddern ließ, die die Verstrickung des Verfassungsschutzes mit der Thüringer Neonaziszene belegt hätten. Sie zitierten „Lingens“ geheime Aussage vor der Bundesanwaltschaft aus dem Jahr 2014, in der er zugab, er habe die Akten vorsätzlich schreddern lassen.

Ayse Gül von der Initiative beklagte in ihrer Rede, dass auch der NSU-Prozess viele Fragen der Opfer und ihrer Familien zur Rolle der Geheimdienste unbeantwortet gelassen habe. Der Quellenschutz von über 40 meist vorbestraften V-Leuten im Umfeld des NSU stehe über der Aufklärung seiner mindestens zehn Morde.

Reporter der WSWS und Mitglieder der Sozialistischen Gleichheitspartei (SGP) sprachen mit vielen Musikern, Sängern und Zuhörern. Sie erhielten viel Unterstützung für die Erklärung „Verteidigt die Sozialistische Gleichheitspartei gegen den Angriff des Verfassungsschutzes“, die sie verteilten. Sie protestiert dagegen, dass die SGP vom Verfassungsschutz beobachtet wird.

Wolfgang Rothe ist Dozent an einer Privatschule in Köln. Er kam zum Konzert, weil es ein wichtiges Thema sei, „wie das Bundesamt für Verfassungsschutz sich mit Nazis gemein macht“. Er erinnerte daran, dass das Verbotsverfahren gegen die NPD vor 15 Jahren vom Bundesverfassungsgericht eingestellt worden war, „weil das alles voller V-Männer war“.

Der NSU-Prozess sei auch unglaubwürdig. Rothe kann nicht glauben, dass das Trio aus Mundlos, Böhnhardt und Zschäpe die Morde ohne Unterstützung vor Ort – von Nazis mit Ortskenntnissen – durchgeführt haben.

Rothe sprach sich insbesondere gegen den Aufbau eines Polizeistaates aus. „Ich bin gegen die Verquickung von Polizei und Geheimdienst. Das hat es schon einmal gegeben und nannte sich Gestapo.“ Die neuen Polizeiaufgabengesetze ermöglichten „Einschüchterung und beinahe unbegrenzte Vorbeugehaft“ nur aufgrund eines „abstrakten Gefährdungsverdachts“. „Das ist extra schwammig gehalten, damit man alles darunter fassen kann.“

Als Rothe erfuhr, dass der Verfassungsschutzbericht zur Begründung der Beobachtung der SGP auch explizit deren Kapitalismuskritik nennt, sagte er: „Das ist sehr bedenklich, die Regierung will Kapitalismuskritik zu etwas Verfassungsfeindlichem machen und die Verteidigung des Kapitalismus zur Staatsräson erheben.“

Susanne, junge Lebenslaute-Musikerin, reagierte überrascht auf die Auffassung des Verfassungsschutzes, das Kapitalismuskritik linksextrem sei: „Krass, dass der Verfassungsschutz Kapitalismus mit Demokratie gleichsetzt.“

Albert Müller, Student und einer der Sprecher von Lebenslaute, erklärte, die Definition des Linksextremismus durch den Verfassungsschutz male ein Bild eines „sehr hörigen Staatsbürgers, der sich an die Regeln zu halten hat, nichts in Frage zu stellen hat“. Das sei das Gegenteil eines freiheitlichen Staates.

„Alles soll so bleiben, wie es ist“, sagte er. „Die Frage der Ungleichheit, der großen ungleichen Verteilung und der Ungerechtigkeit bleibt unangetastet, und selbst Kritik daran zu äußern oder auch nur Diskussionen dazu anzustoßen, soll unmöglich sein. Das ist eine krasse Kriminalisierung von jeglichem Widerspruch.“

Zur Nennung der SGP im Verfassungsschutzbericht sagte er: „Im Prinzip sind es auch solche Dinge, die uns dazu gebracht haben, diese Aktion hier aufzuführen. Hier wird von staatlicher Seite entschieden, wer kriminalisiert wird und wer nicht.“ Indem die Geheimdienste und insbesondere der Verfassungsschutz definierten, wer politisch „gut und akzeptabel“ und wer abzulehnen sei, greife er „aktiv in den politischen Prozess ein“.

Hedi

Hedi (Hedwig Sauer-Gühr) ist schon seit Jahren dabei, durch Konzerte „Unrechtsorte“ öffentlich zu machen: „Es war höchste Zeit, dass wir hier sind und den Verfassungsschutz als Unrechtsort benannt haben.“ Sie erinnerte an die braune Geschichte der Behörde, die 1956 sehr schnell die Argumente für das Verbot der KPD lieferte und die durch den Radikalen-Erlass in den 1970er Jahren jungen, linksorientierten Menschen die berufliche Existenz zerstörte. Sie habe viele davon betroffene Freundinnen.

„Der Verfassungsschutz ist aber auch ein Unrechtsort, weil er Menschen ausspioniert und einschüchtern möchte. Und immer geht es nur gegen links, nicht gegen rechts, dort, wo es wirklich gewaltvoll ist. Der Verfassungsschutz steuert die Strukturen, indem alles, was links ist, diskriminiert wird, und im Gegensatz dazu, die rechte Szene einschließlich der AfD freien Lauf erhält.“

Ulrich Klan

Der Dirigent Ulrich Klan ist ein international aktiver Musiker und Komponist. Er initiierte und leitete internationale Musik-, Erinnerungs-, Verständigungs- und andere Projekte (darunter ein europäisch-australisches und ein deutsch-türkisch-aserbaidschanisches). Sein musikalisches Repertoire reicht von Klassik bis zu Neuer Musik des 20. und 21. Jahrhunderts. Für sein musikalisches und politisches Engagement haben er und seine Partner zahlreiche Preise erhalten.

Klan war schon 1986 bei Gründung der Gruppe dabei. „Ich freue mich daher besonders, dass diese tolle Bewegung nicht nur immer noch existiert, sondern dass sie voller neuer junger Musikerinnen und Musiker ist. Das ist eine Bewegung, die sich verjüngt.“

Klan berichtete uns, dass sich die Mitglieder der Lebenslaute in diesem Januar zunächst lange schwer getan hatten, die Frage des Verfassungsschutzes in ihrer jährlichen Sommeraktion aufzunehmen. Das Thema erschien damals wenig populär. „Wir sehen aber jetzt, im August 2018, dass wir hier etwas losgetreten haben, dass wir ein komplexes Thema aufgemacht haben.“ Der Verfassungsschutz habe mit dem Schreddern von Akten „nicht nur Aufklärung behindert, sondern Verbrechen vertuscht und womöglich selbst begangen“.

Für ihn sei der Verfassungsschutz „eine kriminelle Vereinigung“. „Er schützt unsere Verfassung nicht, er bedroht sie massiv. Es ist besonders zu kritisieren, dass er nach all den Skandalen immer mehr Befugnisse, immer mehr Geld erhält, dass er im Verfassungsschutzbericht immer mehr Gruppen erfasst und als angebliche Linksextreme tituliert. Das heißt, er ist übergriffig. Es steht ihm überhaupt nicht zu, zu bestimmen, was extrem ist und was nicht. Extrem ist seine Behörde.“

Auf den Hinweis, dass die SGP im neuen Verfassungsschutzbericht als linksextremistisch benannt werde, antwortete Klan spontan, dies sei ein Grund mehr, zusammenzuarbeiten. „Besonders skandalös ist das, weil er auf der anderen Seite beim faschistischen und nationalsozialistischen Terror des NSU und seiner mehreren hundert Anhängern, die nicht im Prozess verfolgt worden sind, merkwürdig schweigsam ist.“

Der Verfassungsschutz sei von Geburt an antikommunistisch und gegen links gewesen. „Er wurde nach dem Krieg von echten Alt-Nazis aufgebaut und auch heute sind Rechtsextreme tonangebend. Der neueste Skandal ist, dass jetzt herausgekommen ist, dass der Chef des Bundesverfassungsschutzes Hans-Georg Maaßen engen Kontakt zu Rechtsextremen pflegt. Es kann daher nicht anders sein: Der Verfassungsschutz muss abgeschaltet werden.“

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