Hessen: Weiterer Drohbrief der „NSU 2.0“ gegen Anwältin

Die hessische Anwältin Başay-Yıldız hat ein weiteres, mit „NSU 2.0“ unterzeichnetes Fax erhalten, das sie und ihre Familie bedroht. Es stammt, wie bereits das erste, offenbar von einem Neonazi-Netzwerk im Polizeiapparat.

Ein erstes Drohfax hatte die Anwältin, die im NSU-Prozess fünf Jahre lang die Opferfamilie Simsek verteidigt hatte, bereits im August letzten Jahres bekommen. Die Ermittlungen deckten daraufhin eine rechtsradikale Chatgruppe in der Stadtpolizei Frankfurt auf, die Hitlerbilder und Hakenkreuze austauschte. Eine Polizistin aus dieser Gruppe hatte offenbar die im Drohbrief verwendeten Daten über Frau Başay-Yıldız‘ Familie und Wohnadresse aus dem internen Polizeicomputer abgerufen. Im Dezember wurden sechs Polizeibeamte, fünf davon vom Revier 1 in Frankfurt, vom Dienst suspendiert.

Nun hat die Anwältin erneut per Fax einen Drohbrief erhalten, wie die Süddeutsche Zeitung berichtet. Wie beim ersten Mal ist er mit „NSU 2.0“ unterzeichnet. Unter dem Namen NSU hatte das Terrortrio von Beate Zschäpe, Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos zwischen 2000 und 2006 mindestens zehn Menschen ermordet.

Der zweite Brief lässt keinen Zweifel zu, dass die rechtsradikalen Absender mindestens mit der Polizei in Verbindung stehen, wenn sie nicht selbst Polizisten sind. Die direkte Verbindung zur hessischen Polizei wird spätestens dort ersichtlich, wo es heißt: „Dir … [vulgäre Beschimpfung] ist offensichtlich nicht bewusst, was du unseren Polizeikollegen angetan hast.“

Auch im zweiten Fax wird die Anwältin wieder aufs Übelste rassistisch beschimpft und eingeschüchtert. Ihre zweijährige Tochter wird erneut mit dem Tod bedroht und weitere enge Angehörige – der Ehemann, die Mutter, der Vater – werden mit richtigem Namen genannt. Diese Namen können nur aus dem Polizeicomputer stammen, da sie niemals in sozialen Netzwerken kursierten.

Die rechtsradikalen Urheber können sich offenbar auf Protektion bis in die höchsten politischen Kreise hinein verlassen. Das zweite Fax war schon am 20. Dezember bei Frau Başay-Yıldız eingetroffen, nur einen Tag nach dem Sonderausschuss des Innern zum Polizeiskandal. Aber der hessische Innenminister Peter Beuth (CDU) hielt es nicht für notwendig, das Parlament oder auch nur den innenpolitischen Ausschuss, geschweige denn die Öffentlichkeit darüber zu informieren. Das Drohfax wurde erst bekannt, als die Anwältin sich letzte Woche selbst an die Süddeutsche Zeitung wandte.

Die massiven Drohungen einer selbsternannten „NSU 2.0“ gegen die Anwältin und ihre zweijährige Tochter sind Beuth schon seit Anfang August bekannt, als das erste Fax bei Frau Başay-Yıldız einging und sie es sofort zur Anzeige brachte. „Um die Ermittlungen nicht zu gefährden“, wurde der Fall monatelang geheim gehalten. Den Ermittlungen hat das aber nichts genützt: Mehr als fünf Monate später ist der Fall immer noch nicht aufgeklärt, und die Täter sind nicht gefasst.

Peter Beuth handelt als Innenminister nach demselben Muster, das schon Volker Bouffier (CDU), heute Ministerpräsident Hessens, als Innenminister prägte. Als 2006 Halit Yozgat in Kassel vom NSU ermordet wurde, hatte Bouffier so lange es ging verschwiegen, dass der V-Mann Andreas Temme am Tatort anwesend war, und auch den parlamentarischen Innenausschuss nicht darüber informiert.

Hinzu kommt, dass der hessische Staat heute offenbar keinen Finger rührt, um Frau Başay-Yıldız zu schützen. Die Polizei habe ihr bloß angeboten, „dass ich einen Waffenschein haben kann, um mich zu schützen“, sagte sie der Süddeutschen Zeitung. „Da drängt sich mir natürlich die Frage auf: Brauche ich in Deutschland eine Waffe? Wozu?“

Lehrreich ist auch das Verhalten führender Politiker aller Parteien. Vor wenigen Tagen überboten sie sich noch in Solidaritätserklärungen für den AfD-Abgeordneten Frank Magnitz, der einen gewaltsamen Angriff durch Unbekannte auf sich selbst maßlos aufgebauscht und falsch dargestellt hatte. Von den Politikern, die Magnitz öffentlich verteidigten –Heiko Maas, Frank-Walter Steinmeier, Cem Özdemir und viele andere – hat sich bisher nicht ein einziger mit Frau Başay-Yıldız solidarisiert.

Inzwischen wurde bekannt, dass auch ein weiterer Rechtsanwalt, der Kölner Anwalt Mustafa Kaplan, einen mit „NSU 2.0“ unterzeichneten Drohbrief erhalten hatte. Auch Kaplan war am NSU-Gerichtsprozess als Opferanwalt beteiligt. Er vertrat dort eins der Opfer eines Nagelbombenanschlages in der Kölner Keupstraße am 9. Juni 2004. Auch er wurde im Drohschreiben als Familienvater persönlich bedroht.

Immer neue Hinweise belegen die enge Verbindung zwischen Polizeiorganen und rechtsextremen Strukturen. Dabei handelt es sich keineswegs, wie Politiker behaupten, um „bedauerliche Einzelfälle“.

Letzte Woche wurde am Rande eines Prozesses im sächsischen Halle gegen ein schwer bewaffnetes, rechtsextremes Paar aus Hessen bekannt, dass die Frau offenbar mit einem hessischen Polizisten befreundet war und von diesem Informationen aus dem Polizeicomputer bekommen hatte. Die Frau gehört zu einer Gruppe von so genannten „Aryans“, die am 1. Mai 2017 in Halle vermeintliche Gegner, in Wirklichkeit unbeteiligte Wanderer, überfallen und verprügelt hatten.

Auch in diesem Fall bestätigte das hessische Innenministerium „laufende Ermittlungen“, erklärte jedoch, bei dem betreffenden Polizist gebe es „keine Anzeichen auf eine rechtsextreme Gesinnung“, und er habe sich nach Niedersachsen versetzen lassen. Der Fall habe insgesamt nichts mit den Ermittlungen in Halle zu tun. Dennoch ist die offenbar enge Vertrautheit eines Polizisten mit einer rechtsextremen und gewaltbereiten Straftäterin Grund für Misstrauen in die Polizei.

In Frankfurt hat das 1. Polizeirevier offenbar ein großes Problem mit rechter Polizeigewalt. So wurde bekannt, dass ein Video von einer Polizeikontrolle am 9. Dezember an der Frankfurter Hauptwache existiert, das einen nicht-provozierten und gewaltsamen Übergriff der Polizei dokumentiert. Der Frankfurter Rundschau, die darüber berichtete, liegt das Video vor. Für die Hauptwache ist das 1. Polizeirevier zuständig. Als die Polizei feststellte, dass ihre Aktionen gefilmt wurden, schleppten sie den jungen Mann, der das Video aufgenommen hatte, mit andern zusammen auf die Wache und drohten, ihn zusammenzuschlagen, um die Herausgabe der Handy-PIN zu erzwingen.

Bei der hessischen Polizei gebe es „keine Anhaltspunkte für ein rechtes Netzwerk“, behauptet Innenminister Beuth immer wieder. Obwohl er als Minister die Verantwortung für die rechtsextremen Umtriebe in der Polizei trägt, bleibt er auch in der neuen Landesregierung im Amt. Am morgigen Freitag muss er sich einer Abstimmung im Landtag stellen, wenn Ministerpräsident Bouffier und sein Stellvertreter, der Grüne Tarik Al Wazir, das neue Kabinett vorstellen.

Auch die Grünen unterstützen Peter Beuth weiterhin als Innenminister. Sie erweisen sich als verlässliche Partner der CDU und des starken Staats. Im Koalitionsvertrag haben sie gemeinsam mit der CDU ein neues Demonstrationsrecht beschlossen. Es soll künftig erlauben, dass sämtliche Teilnehmer einer Demonstration mittels Hubschrauber, Mini-Drohne oder Kamerawagen gefilmt werden. Das neue Gesetz soll auch ein Verbot von „militantem und einschüchterndem Auftreten“ enthalten. Das Uniform- und Vermummungsverbot im bisherigen Recht sei nicht ausreichend, behauptete Jürgen Frömmrich, der parlamentarische Geschäftsführer der Grünen. Er schwärmte, das neue Gesetz sei ein „Strahlpunkt“ im Koalitionsvertrag.

Auch Die Linke wendet sich im Fall der Neonazis in der Polizei bezeichnenderweise an den Staat und die Polizei selbst, um die faschistischen Umtriebe aufzudecken. Die Partei zitiert ihren innenpolitischen Sprecher, Hermann Schaus, mit den Worten: „Ich hoffe sehr, dass die Polizei hier intensiv ermittelt und auch die Polizisten hier intensiv befragt werden, die offenbar die Personaldaten aus dem Polizeicomputer herausgegeben haben.“

Dieses Statement verrät die ganze bankrotte Orientierung der Linken: Sie appelliert an denselben Staat, in dessen Schutz die rechtsradikalen Verbrechen begangen werden, und aus dem heraus die AfD ihre größte Unterstützung bezieht. Nicht zufällig teilt Die Linke die Forderungen der andern Parteien nach innerer Aufrüstung. Schon in ihrem Programm zur Bundestagswahl 2017 hat Die Linke Forderungen nach mehr Polizisten, besserer Polizeiausrüstung und mehr Überwachung aufgestellt und geschrieben: „Viele Menschen wünschen sich mehr Sicherheit und bessere Erreichbarkeit der Polizei.“

Das Verhalten der Linkspartei erinnert an die kleinbürgerlichen Demokraten der 1930er Jahre, über die Leo Trotzki im Übergangsprogramm zu folgendem Urteil kam: Sie „hämmern den Arbeitern systematisch die Vorstellung ein, dass die hochheilige Demokratie dann am besten gesichert ist, wenn die Bourgeoisie bis an die Zähne bewaffnet ist und die Arbeiter entwaffnet sind.“

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