Ehrenpreis für Margarethe von Trotta

Bei der Verleihung der Deutschen Filmpreise Anfang Mai wurde die Regisseurin Margarethe von Trotta mit dem Ehrenpreis für herausragende Verdienste um den deutschen Film ausgezeichnet. Platz eins ging an „Gundermann“ von Andreas Dresen, gefolgt von „Styx“ von Wolfgang Fischer. Den dritten Preis erhielt die beliebte Komödie „Der Junge muss an die frische Luft“ von Caroline Link.

Margarethe von Trotta bei der Entgegennahme des Ehrenpreises (Eventpress Harald Fuhr - Deutshe Filmakademie)

Das Lob der Presse über von Trotta vermittelte den Eindruck, ihre Bedeutung bestehe vor allem darin, starke Frauen auf die Leinwand gebracht zu haben. Trotz ihrer stets weiblichen Hauptfiguren hat sie sich nach eigener Aussage jedoch nie als „Frauenfilmerin“ verstanden, womit sie zweifellos recht hat. Ihre weiblichen Protagonistinnen standen nie ausschließlich für Frauenthemen, sondern sahen die Probleme und Konflikte der Frauen immer im Zusammenhang umfassender gesellschaftlicher Fragen. Zur Me Too-Debatte, äußerte sie, habe sie ein eher zwiespältiges Verhältnis, die damit verbundenen Denunziationen empfinde sie als „eine Art umgekehrter Hexenjagd: Früher wurden Frauen gejagt, jetzt waren es zum Teil Männer“.

Margarethe von Trotta gehört zu den bedeutendsten deutschen Filmschaffenden der Nachkriegszeit. 1942 in Berlin geboren, ist sie Teil der Generation, die sich in den 1960er Jahren bewusst der Gesellschaft zuwandte, gegen alte Nazis und den Vietnamkrieg demonstrierte und Hoffnungen in die SPD setzte. Kindheit und Jugend verbrachte sie in Düsseldorf. Sie wird Schauspielerin. In Klaus Lemke s Film "Brandstifter“ (1969) verkörpert sie eine junge Frau, die aus politischem Protest ein Kaufhaus ansteckt. Vorbild waren die Frankfurter Kaufhausbrände von 1968 unter Beteiligung der späteren RAF-Terroristen Gudrun Ensslin und Andreas Baader. Von Trotta arbeitete auch mit anderen Regisseuren des Neuen Deutschen Films zusammen, wie Rainer Werner Fassbinder und Volker Schlöndorff, den sie 1971 heiratete.

Ab 1975 beginnt sie selbst, Filme zu machen. Beeindruckt ist sie von den Nouvelle-Vague-Filmen und vor allem von Ingmar Bergmanns „Das siebente Siegel“ (1957), ein Film, der wie andere seiner frühen Filme Zweifel und Pessimismus in die gesellschaftliche Entwicklung nach dem zweiten Weltkrieg reflektierte. Ein Impulsgeber für ihr eigenes Schaffen wird sein Film „Abend der Gaukler“ (1953). Der Film über den Direktor eines armseligen Straßenzirkus wirft die Frage auf: Kann der Mensch mehr sein als ein Opfer der Verhältnisse? Im letzten Jahr kam ihre filmische Hommage an Bergmann ins Kino.

Wie viele ihrer Generation verachtete von Trotta Heuchelei, Selbstmitleid und Verdrängung der Vergangenheit durch die Nazi-Mitläufer. Sie wollte durch aufgeklärte, zum Teil radikale Kritik eine neue, demokratische Gesellschaft gestalten.

Angezogen wird sie durch wache, widerständige Persönlichkeiten mit Gerechtigkeitssinn, die ihre Umgebung verstehen und verändern wollen, sei es im Privaten, sei es im Gesellschaftlichen. In einigen Filmen erforscht sie sehr hautnah private, zwischenmenschliche Gefühle. Immer wieder sind es Konflikte zwischen Schwestern, wie in „Die bleierne Zeit“ (1981), „Schwestern oder die Balance des Glücks“ (1979) oder dem Fernsehfilm „Die Schwester“ (2010).

Den Film „Die verlorene Ehre der Katharina Blum“ (1975), nach der Erzählung von Heinrich Böll, der auch am Drehbuch mitarbeitete, drehte sie gemeinsamen mit Volker Schlöndorff. Er spielt während der hysterisch aufgeladenen Atmosphäre der Verfolgung der RAF-Mitglieder, in der viele Intellektuelle – u.a. Böll selbst – als Sympathisanten denunziert wurden.

Die verlorene Ehre der Katharina Blum

Katharina (Angela Winkler), eine junge Frau, nimmt in einer Karnevalsnacht Ludwig (Jürgen Prochnow) mit nach Hause, der von der Polizei überwacht wird. Als diese ihn am nächsten Morgen verhaften will, ist er verschwunden. Katharina wird sofort öffentlich als Komplizin beschuldigt. Völlig unschuldig, ist sie der umgebenden Gehässigkeit und Lüge hilflos ausgeliefert. In äußerster Verzweiflung erschießt sie den verantwortlichen Boulevard-Journalisten. Dessen Grabrede hält sein Chef, der Herausgeber von "Die Zeitung" (angelehnt an die reale BILD-Zeitung). Er verurteilt Katharinas Verzweiflungstat zynisch als Angriff auf die Pressefreiheit. Der Film, der vor einem demokratiefeindlichen, gesellschaftlichen Filz von Polizei, Presse, Justiz und Wirtschaft warnt, wurde im In- und Ausland ein großer Erfolg.

Er gibt ein Bild davon, wie dünn der Lack der Nachkriegs-Demokratie über dem braunen Untergrund der Nazi-Vergangenheit war. Das galt nicht nur für die 60er Jahre, wo in aufgeheizter antikommunistischer Atmosphäre der Studentenführer Rudi Dutschke angeschossen wurde, sondern auch für das sogenannte sozialdemokratische Jahrzehnt mit seinen Angriffen auf demokratische Rechte im Namen der Terrorismusbekämpfung. Nicht wenige kritische linke Intellektuelle befürchteten die Entwicklung von Polizeistaat und Diktatur.

Margarethe von Trottas erster eigener Film ist „Das zweite Erwachen der Christa Klages“ (1978). Christa (Tina Engel) ist eine impulsive junge Frau mit großer Klappe und ebensolchem Herzen, die soziale Gerechtigkeit einfordert und eine Bank überfällt, um ihren Kinderladen vor dem finanziellen Aus zu retten. Im Laufe ihrer Flucht erkennt sie, dass eine individuelle kapitalistische „Enteignung“ im Kleinen an der großen Ungerechtigkeit nichts ändern kann. Als Kriminelle verabscheut zu werden, die das Leben Unschuldiger riskiert, kann nicht dem Fortschritt dienen. „Warten können“ schreibt sie schließlich an ihre Zimmerwand.

Die bleierne Zeit

Einer der bedeutendsten Filme von Trottas ist „Die bleierne Zeit“, für den sie 1981 in Venedig den Goldenen Löwen erhielt. Darin stehen sich zwei ungleiche Schwestern, Marianne und Juliane, gegenüber. Die Filmhandlung orientiert sich an der Geschichte der RAF-Terroristin Gudrun Ensslin und ihrer Schwester Christiane.

Geboren im Zweiten Weltkrieg – wie die Filmemacherin – wachsen sie in einer Pfarrersfamilie auf und erleben die bigotte und konservative Atmosphäre der 1950er Jahre. Ihr Vater, ein Pfarrer, führt seinen jungen Gemeindemitgliedern den ersten Dokumentarfilm über den Holocaust vor, der in der Bundesrepublik gezeigt wurde, „Nacht und Nebel“ (1956, Regie: Alain Resnais). Er wird zu einem Schlüsselerlebnis für die Schwestern, das sie im Innersten trifft. Nie wieder soll so etwas geschehen. Später alarmieren sie ebenso die erschreckend ähnlichen Filmbilder von der US-Invasion in Vietnam, die von der Bundesregierung unterstützt wird. International scheint der Faschismus auf dem Vormarsch, und die Schwestern beschließen, sich dem mit aller Kraft entgegenzustellen.

Die bleierne Zeit (Studiocanal)

Juliane wählt bewusst den mühsamen Weg der kleinen Schritte und lehnt Mariannes anarchistische Ignoranz ab. Sie ist die stärkere Figur im Film. Bodenständiger als die christlich märtyrerhafte Schwester, hat sie ein Gespür dafür, dass der Kampf für eine gerechte Gesellschaft die Geduld erfordert, die Mehrheit zu gewinnen.

Die als Kind so sanfte Marianne (Barbara Sukowa) greift, nach dem Vorbild lateinamerikanischer Guerillas, zur Waffe. Juliane (Jutta Lampe) wird Journalistin, geht in die Frauenbewegung und kämpft gegen das Abtreibungsverbot. Als Marianne verhaftet wird, besucht die Schwester sie im Gefängnis. Diese will zunächst nicht mit ihr sprechen, aber Juliane gibt nicht auf, und Erinnerungen an die gemeinsame Kindheit flackern auf. Während der Gefängnisbesuche wirft Marianne der Schwester vor, die Zeit mit belanglosem Kram zu verplempern. Juliane entgegnet ihr, sie verbräme ihren Kampf selbstherrlich zu revolutionären Taten. Dennoch hält sie zu ihr und anerkennt, mit welcher Energie Marianne sich bemüht, an dem dranzubleiben, was sie beide einst in die Politik trieb, auch wenn sie ihre Mittel verurteilt.

Nach Mariannes Tod weist Juliane mit der Hartnäckigkeit und Energie ihrer Schwester nach, dass der Tod kein Selbstmord gewesen sein kann, und geht damit auch über den engen Horizont der Frauenbewegung hinaus. Der Tod der RAF-Häftlinge von Stammheim 1977 war damals ein heißes Diskussionsthema und ist bis heute nicht wirklich aufgeklärt. Es gibt Hinweise auf staatlichen Mord. Nicht auszuschließen ist aber auch eine verzweifelte Aktion der Häftlinge, um der Öffentlichkeit, ganz im Sinne ihrer Aktionen davor, den „faschistischen“ Staat vor Augen zu führen.

Die Journalistin Christiane Ensslin lernte von Trotta 1977 persönlich kennen, auf der Beerdigung von Gudrun und den anderen RAF-Toten von Stammheim.

Beunruhigt über die gesellschaftliche Rechtsentwicklung, gleichzeitig voll politscher Vorurteile gegenüber den „verbürgerlichten“ Arbeitern, sympathisierten damals etliche Intellektuelle nicht nur mit dem bewaffneten Kampf nationaler Befreiungsbewegungen, wie der PLO im Nahen Osten, sondern zeigten auch ein gewisses Verständnis für die Anschläge der RAF. Von Trotta versteckte zeitweise einen Koffer und engagierte sich in der Roten Hilfe für bessere Haftbedingungen der RAF-Mitglieder.

In einem Interview mit dem Tagesspiegel sagte sie über diese Zeit: „Ich bin vielleicht zu sehr einer Ideologie gefolgt, anstatt zu überlegen, ob ich es selber alles für richtig halte. Heute denke ich, ich habe mich mitreißen lassen, obwohl ich immer noch nicht alles ablehne, was wir damals geglaubt haben.“

Ähnlich, wie Rainer Werner Fassbinder, der Anfang der 70er Jahre die Fernsehserie „Acht Stunden sind kein Tag“ über junge Arbeiter dreht, zeigt sie eine Sensibilität gegenüber der schwierigen Lage einfacher Leute. Als Emigrantenkind (die Mutter, eine ehemals deutsch-baltische Adlige war aus Moskau geflohen), lernte sie die Welt von unten kennen und sich früh durchs Leben schlagen. Noch bis Mitte der 60er Jahre lebte Margarethe von Trotta als Staatenlose. Erst durch Heirat erhielt sie die deutsche Staatsbürgerschaft.

Rosa Luxemburg

Vor dem Hintergrund der Friedensbewegung der 1980er Jahre gegen die verstärkte Aufrüstung entsteht von Trottas Film „Rosa Luxemburg“ (1986). Er skizziert an Hand authentischer Texte die letzten 20 Jahre der sozialistischen Kriegsgegnerin und Revolutionärin, die 1919 zusammen mit Karl Liebknecht in Berlin von Freikorpssoldaten der Konterrevolution mit Billigung der SPD-geführten Regierung ermordet wurde.

Barbara Sukowa als Rosa Luxemburg

Der Film greift entscheidende politische und persönliche Episoden aus dem Leben der Revolutionärin auf, die sie selbst, ihren großen Mut und ihre Unbeirrbarkeit im politischen Kampf ebenso lebendig werden lassen.

1905 bricht in Russland die Revolution aus. Eine Welle spontaner Massenstreiks überzieht das Land. Die deutsche SPD-Führung, dominiert vom konservativen Gewerkschaftsflügel, reagiert reserviert, als Rosa Luxemburg (Barbara Sukowa) 1906 aus Russland nach Berlin zurückkommt und das Glas auf die Revolution erhebt. Massenaktionen wie in Russland? Dafür sei es zu früh. Auch der alternde Parteivorsitzende August Bebel (Jan Biczycki) erklärt: „Du kannst die russische Situation nicht mit Deutschland vergleichen.“

Schärfer als Bebel erkennt Luxemburg die russische Revolution als Ausdruck der neuen historischen Epoche, die die relativ friedliche Ära der letzten 40 Jahre beendet. Es gehe ihr nicht darum, Massenaktionen von oben zu kommandieren, wie man ihr vorwirft, sondern „eine geschichtliche Epoche bewusst mitzumachen“. Die Beschränkung auf Gewerkschaftsarbeit und Parlament isoliere die Partei von der eigentlichen, internationalen Arbeiterbasis. Die neue kapitalistische Entwicklung verlange, dass die SPD die Massenbewegung in Russland als ihre eigene betrachten müsse.

Kurz darauf kritisiert Luxemburg auf dem Mannheimer Parteitag 1906 Bebels Zurückhaltung in der Frage, wie sich die SPD bei einem deutschen Angriff gegen Russland verhalten sollte. Sein Beitrag lege nahe, man könne nichts tun. Sie begrüßt die damalige Haltung der französischen Partei, die für den Fall eines Kriegsausbruchs generell erklärt hatte: „Lieber Volksaufstand als Krieg!“

Luxemburgs leidenschaftliche Rede auf einer Arbeiterversammlung in Frankfurt/Main 1913 wäre auch heute höchst aktuell: „Der Wahn vom Hineinwachsen in den Frieden ist heute verronnen. Die auf 40 Jahre europäischen Frieden hinwiesen, vergaßen die Kriege, die außerhalb Europas sich abspielten und in denen Europa die Hand mit im Spiel hatte. Für die über der Kulturwelt schwebende Kriegsgefahr sind die Klassen verantwortlich, die den Rüstungswahnwitz zu Wasser und zu Lande unter dem Vorwand der Sicherung des Friedens unterstützten. Aber auch die liberalen Parteien, die jede Opposition gegen den Militarismus aufgegeben haben. (...) Die Regierenden glauben, sie hätten das Recht, in so einer lebenswichtigen Frage über das ganze Volk hinweg zu entscheiden. (...) Wenn uns zugemutet wird, die Mordwaffe gegen unsere französischen und anderen Brüder zu erheben, so erklären wir: Nein, das tun wir nicht!“

Die Bewilligung der Kriegskredite durch die SPD-Reichstagsfraktion im August 1914 ist ein gigantischer Schlag für Luxemburg und die gesamte sozialistische Arbeiterbewegung, der die Aufklärungsarbeit der letzten 40 Jahre mit einem Mal zunichte machte. „In der Stunde der Not dürfen wir die Vaterlandsliebe nicht nur den Rechten überlassen“, schwört der neue Parteivorsitzende Hugo Haase die SPD-Reichstagsfraktion patriotisch ein. Karl Liebknecht (Otto Sander) und Luxemburg gründen die linke Opposition in der SPD, die sich bald „Spartakus“ nennt. Weitere Kriegskredite lehnt Karl Liebknecht ab, der sich im August 1914 noch der Fraktionsdisziplin gebeugt hatte.

Die barbarische Erfahrung des Kriegs löst 1917 die Russische Revolution aus und greift 1918 auf Deutschland über. Der Film gibt eine aufrüttelnde Rede Karl Liebknechts im Berliner Tiergarten wieder. „Die Revolution ist da. (...) Wir rufen auf zu revolutionärer Tatbereitschaft und zur Entfaltung aller Energie; auf, dass wir den Neubau der Welt in unsere Hände nehmen. Entweder wir gleiten zurück in den Sumpf der Vergangenheit oder wir setzen den Kampf fort bis zur Erlösung der ganzen Menschheit von dem Fluche der Knechtschaft. Es lebe die Weltrevolution! Es lebe Spartakus!“

Liebknecht geißelt, mit Blick auf die SPD, diejenigen, die 1914 die Minderheit sozialistischer Kriegsgegner als Verräter beschimpften und nun, bereits wieder obenauf, gegen Spartakus hetzen.

Die SPD verteidigte ganz offen den "Sumpf der Vergangenheit". Kurz vor dem Zusammenbruch der Monarchie war sie 1918 in die kaiserliche Regierung eingetreten. Wochen später werden Liebknecht und Luxemburg Opfer der Konterrevolution unter der neuen sozialdemokratischen Regierung von Friedrich Ebert.

Noch in den 1970er Jahren löste eine Briefmarke mit dem Portrait Luxemburgs in der Bundesrepublik hysterische Reaktionen aus. Von Trotta begegnet mutig der antikommunistischen Hetze gegen die „blutige Rosa“, indem sie die Revolutionärin gerade nicht zur Pazifistin verfälscht. Sie macht deutlich, dass sich Luxemburg im Januar 1919 nicht gegen den Spartakusaufstand stellte, weil Arbeiter zur Waffe griffen, sondern weil er völlig isoliert war. Die sozialistische Revolution, für die sie eintrat, hat nichts mit einem Putsch oder dem „revolutionären“ Terror der RAF zu tun, ebensowenig mit dem Stalinismus. Die revolutionäre „Entfaltung aller Energie“, für die sie kämpft, ist nicht ohne die Arbeiterklasse, die Bevölkerungsmehrheit, möglich.

Der Respekt der Regisseurin vor der konsequenten Kriegsgegnerin Luxemburg durchzieht den Film. Die Film-Reden entstammen Originalreden, die Alltagszenen wurden an Hand der über 2500 erhaltenen Briefe entwickelt. Da sind auch Liebe, die unerfüllte Sehnsucht nach Kindern und Familie. Manchmal scheint die Konzentration auf ihre weichen Seiten übertrieben. Die immer wieder zitierten Gefängnisbriefe geben Einblick in Luxemburgs mentalen Zustand unter den harten Bedingungen der Haft und Briefzensur. Es wäre falsch hieraus allgemeine Schlüsse zu ziehen.

Der Film tut es nicht. Luxemburgs große Sensibilität gegenüber ihrer Umgebung, ihr Mitgefühl gegenüber allem Schwachen, Schutzlosen ist die andere Seite ihrer harten Unnachgiebigkeit im Kampf für den Sozialismus. Zutiefst erschüttert, dass die Internationale den Weltkrieg nicht verhinderte, denkt sie kurz an Selbstmord. Aber „wer soll sonst unsere Arbeit tun“, erklärt sie Clara Zetkin (Doris Schade) im Film und wünscht sich ein Buch, das mit Keulenschlägen auf die Zeit losschlägt. Sie selbst wird es im Gefängnis schreiben. „Die Krise der Sozialdemokratie“, die berühmte Junius-Broschüre, erscheint 1916, ein Jahr vor dem zweiten „Keulenschlag“, Lenins Analyse der imperialistischen Epoche.

Die Eindringlichkeit des Films resultierte 1986, neben dem hervorragenden Spiel von Barbara Sukowa als Rosa Luxemburg, auch aus seiner Aktualität: Die bundesdeutsche Gesellschaft war nach dem Zerfall der 68er Studentenbewegung in Bewegung geraten, eine neue kritische Jugend hatte sich zu Wort gemeldet. 1969 hatte es anhaltende Streiks gegeben. Die Notstandsgesetze wurden verabschiedet. Die SPD reagierte zusehends feindlicher auf diese Linksentwicklung. Schon unter Willy Brandt wurde der Radikalenerlass angewandt, um Linke aus dem öffentlichen Dienst zu entfernen oder ihnen eine Berufslaufbahn zu verwehren.

Unter dem Vorwand, Sympathisanten der RAF zu bekämpfen, trieb Brandts Nachfolger als SPD-Kanzler, Helmut Schmidt, den Aufbau der Polizei voran. Erstmals wurde Technologie zur Massenüberwachung eingesetzt. Künstler und Schriftsteller wie Heinrich Böll wurden von der Presse als geistige Brandstifter und Sympathisanten eines roten Terrors beschimpft. Als Massenproteste gegen die Stationierung neuer atomarer US-Mittelstreckenraketen ausbrachen, Tausende den Krefelder Appell dagegen unterzeichneten und Kasernentore blockierten, stellten sich Schmidt und der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) demonstrativ hinter die Bundeswehr.

Dementsprechend empört reagierte der Spiegel auf den Film, weil er angeblich die konterrevolutionäre Soldateska mit der SPD gleichsetze.. Margarethe von Trotta und Christiane Ensslin, die gemeinsam das Buch zum Film herausbrachten, druckten auch einen Teil des entlarvenden Spiegel-Interviews von 1962 mit Hauptmann Pabst ab, der deutlich gemacht hatte, dass die von ihm angeordneten Morde an Liebknecht und Luxemburg nicht ohne grünes Licht der SPD-Regierung erfolgt sein konnten. Den Mord an Liebknecht und Luxemburg rechtfertigen Sozialdemokraten bis heute.

Margarethe von Trotta blieb lange der Nachkriegs-SPD verbunden, das hinderte sie jedoch nicht, die Existenz der Alt-Nazis und ihren Aufstieg in politischen Ämtern in der bundesdeutschen Nachkriegsgesellschaft und die politische Rechtsentwicklung der SPD in den 70er Jahren mit kritischem Blick zu verfolgen. Im letzten Jahr prangerte sie in einer Fernsehdokumentation die durchgehend rechte Tradition der deutschen „Demokratie“ an. Die für Deutschland typische enge Verbindung zwischen Politik und Gewalt sei vor allem gegen linke Kritiker gerichtet gewesen, beginnend mit dem Mord an Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht.

Nie erscheint in ihrem Filmwerk der deutsche Staatsapparat als sorgender „Vater Staat“, sondern stets als gefährlicher Machtapparat, der für die Aufrechterhaltung von Ruhe und Ordnung auch keine Berührungsängste mit anderen Diktaturen kennt. Gleich zu Beginn ihres Films „Das Versprechen“ (1995) über ein Liebespaar, das der Kalte Krieg 40 Jahre trennte, wird erwähnt, dass der Stacheldraht für den Mauerbau von Firmen aus dem Westen geliefert wurde.

Wirkliche Demokratie, das vermittelt der Film „Rosa Luxemburg“, wird durch Menschen wie Rosa möglich. Sie baute auf die selbstständige Massenbewegung einer durch die internationale Sozialdemokratie politisch aufgeklärte Arbeiter-Bevölkerung. Luxemburg ist bedingungslose Demokratin, deshalb sozialistische Revolutionärin. Als Staatsfeindin angeklagt, verteidigt sie sich in einer Szene gegenüber dem Staatsanwalt, allein die Bevölkerung, nicht die Regierung, habe über die Frage von Krieg oder Frieden zu entscheiden: „Keinen Krieg gegen unseren Willen.“

Dem starken Willen einfacher Menschen setzt von Trotta auch in dem Film „Rosenstraße“ (2003) ein Denkmal. Er handelt von Kampf mutiger Frauen für die Freilassung ihrer von den Nazis festgenommenen Männer.

„Rosa Luxemburg“ ist sicher Margarethe von Trottas bedeutendster Film. Luxemburgs Leben und ihre Schriften „Massenstreik, Partei und Gewerkschaften (1906) und „Die Krise der Sozialdemokratie“ (1916), die der Film indirekt erwähnt, sind der stärkste Ausdruck dessen, dass der Mensch nicht in seiner Zeit gefangen sein muss. Es ist die Frage, der von Trotta seit ihrem ersten Film nachgeht. Erkenntnis und Wissen ermöglichen darüber hinauszugehen. Aufklärende, mutige Persönlichkeiten haben sie fasziniert, so unterschiedliche, wie die wissbegierige Nonne Hildegard von Bingen aus dem 12. Jahrhundert im Film „Vision“ (2009), die Philosophin Hannah Ahrendt in dem gleichnamigen Film  von 2012 oder die sozialistische Revolutionärin Rosa Luxemburg.

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