Das Ergebnis der Schlichtung im hessischen Busfahrerstreik muss abgelehnt werden: Es bindet den Busfahrern durch den Streikverzicht auf fünf Jahre hinaus die Hände.
Das Ergebnis kommt inmitten einer Situation, in der der Klassekampf europaweit explodiert. In Frankreich steht der Personennahverkehr seit einer Woche still, und auch in Deutschland nehmen die Busfahrer in einem Bundesland nach dem andern den Kampf für bessere Bedingungen auf.
Unter diesen Umständen hat sich die Dienstleistungsgewerkschaft Verdi gemeinsam mit den Omnibusunternehmern und den Behörden auf ein Ergebnis für den Gehalts- und für den Manteltarifvertrag geeinigt, das von April 2019 bis Ende März 2024 Gültigkeit haben soll. Die Busfahrerinnen und -fahrer, die ihm zustimmen, verpflichten sich damit, fünf Jahre lang auf Streiks zu verzichten.
Was kriegen sie dafür? Im Verlauf der fünf Jahre soll der Grundlohn stufenweise von heute 13,50 Euro die Stunde auf 17,40 Euro angehoben werden. Für die Zeit von April bis Dezember 2019 sollen die Busfahrer eine Pauschalsumme von 950 Euro erhalten – brutto, versteht sich – und ab dem 1. Januar 2020 soll der Grundlohn 15,00 Euro betragen. Diesen anfänglichen Sprung von 11 Prozent bezeichnete Verdi-Sekretär Jochen Koppel als „historisch einmalig“.
Nüchtern betrachtet wird das Gehalt der Busfahrerinnen und -fahrer auch am Ende dieser fünfjährigen Periode keineswegs in den Himmel wachsen. Durch die Privatisierung sind die Busfahrerlöhne im hessischen Öffentlichen Personennahverkehr (ÖPNV) vor zwanzig Jahren dramatisch abgesenkt worden. Seither haben die Fahrer kein Urlaubsgeld, kein Jobticket, keine Altersvorsorge und nur ein geringes Weihnachtsgeld erhalten. Für ihre verantwortungsvolle und aufreibende Tätigkeit ist das Gehalt insgesamt immer noch äußerst bescheiden.
Ferner soll die seit langem versprochene betriebliche Altersversorgung ab 2020 endlich schrittweise eingeführt werden: Beginnend mit einem Prozent des Monatsgrundlohns soll sie bis 2023 auf vier Prozent steigen. Voraussetzung ist eine zweijährige Betriebszugehörigkeit.
Ein wichtiger Grund für die Wut der Busfahrer waren von jeher die unbezahlten Pausenzeiten. Busfahrer sind oft zwölf oder mehr Stunden unterwegs, bekommen aber nur acht oder neun Stunden dafür bezahlt. Diese unbezahlten Pausenzeiten sollen bis in fünf Jahren weiter abgesenkt, jedoch längst nicht abgeschafft werden. Im ländlichen Raum soll es auch im Jahr 2024 noch möglich sein, den Busfahrerinnen und -fahrern bis zu 13,5 % ihrer effektiven Dienstzeit vorzuenthalten. In den städtischen Ballungszentren soll die Obergrenze der unbezahlten Zeiten bei 8,5 % der Gesamtzeit liegen.
Im November hatten die Busfahrer zwei Wochen lang für bessere Löhne und Arbeitsbedingungen gestreikt. Das Ergebnis der Urabstimmung, die 99,5 % für unbefristete Streikmaßnahmen ergab, zeugt von der Entschlossenheit der Busfahrer, die unhaltbaren Zustände ein für alle Mal zu ändern. Über 3000 Busfahrer hatten sich am Streik beteiligt, bis Verdi diesen am 29. November – erst einmal ohne Ergebnis – für die Schlichtung unterbrach.
Vom 2. bis zum 10. Dezember verhandelten die Verdi-Sekretäre Jochen Koppel und Ronald Laubrock hinter verschlossenen Türen mit den Omnibusbetreibern. In dieser Zeit, in der Friedenspflicht herrschte, begann der Streik in Frankreich. Damit hätte sich die Möglichkeit für eine europaweite Offensive eröffnet. Schon zuvor war es in diesem Jahr zu Busfahrerstreiks in Berlin und im Saarland gekommen.
Am 29. November hatten acht Berliner Busfahrer ein Solidaritätsschreiben an die hessischen Busfahrer gerichtet, in dem es heißt: „Auch wir hier in Berlin … sind mit ähnlich katastrophalen Arbeitsbedingungen und Niedriglöhnen konfrontiert … Wir sind davon überzeugt, dass Euch zehntausende Verkehrsarbeiter in anderen Ländern und Städten zur Hilfe eilen und mit eigenen Streiks unterstützen würden, wenn Verdi dies nicht verhindern würde.“ Dies hat das Schlichtungsergebnis voll und ganz bestätigt.
Die Vertreter von Verdi, die am Dienstagabend gemeinsam mit dem LHO-Geschäftsführer Volker Tuchan und dem Schlichter Volker Sparmann vor die Presse traten, waren sich offensichtlich der politischen Bedeutung des Abkommens bewusst. So betonte der Schlichter ausdrücklich, dass sich die Verhandlungspartner in derselben Besetzung jährlich wieder treffen würden, denn: „Sowohl im Mantel als auch im Entgelt-Tarifvertrag ist eine ungewöhnlich lange Laufzeit beschlossen worden.“
Verdi hatte Volker Sparmann als einzigen Schlichter benannt, obwohl er beim letzten Streik vor drei Jahren noch die Gegenseite, die privaten Busunternehmer, als Schlichter vertreten hatte. Sparmann ist heute Mobilitätsbeauftragter der hessischen Landesregierung und gilt als rechte Hand von Tarek Al-Wazir (Grüne), Verkehrsminister und stellvertretender hessischer Ministerpräsident. Davor war Sparmann 17 Jahre lang Geschäftsführer des Rhein-Main-Verkehrsverbundes, und zwar genau in der Zeit, als die Busbetriebe systematisch privatisiert wurden.
Sparmann räumte ein, dass die Anhebung des Grundlohns auch im Interesse der Unternehmen sei, denn überall würden Fahrer dringend benötigt. Er versicherte, dass das Land Hessen den so genannten „Hessen-Index“ anheben werde, der die Höhe der Gelder bestimmt, die von dem Land an die Nahverkehrs-Unternehmen fließen. Am Donnerstagvormittag werde darüber im hessischen Landtag eine Debatte stattfinden. Das könnte heißen, dass die finanzielle Grundlage des Deals nach wie vor nicht in trockenen Tüchern ist und letzten Endes an der hessischen Landesregierung noch scheitern könnte.
Auch Ronald Laubrock (Verdi) machte deutlich, dass die Gewerkschaft ihre ganzen Hoffnungen auf die Landesregierung setzt. Der Landesfachbereichsleiter Verkehr bei Verdi Hessen, der auch das Amt des stellvertretenden Aufsichtsratsvorsitzender der Fraport AG und andere Ämter bekleidet, behauptete, Hessen werde „deutlich mehr Geld“ für seine Fahrer ausgeben und dafür sorgen, dass „die Altersarmut für Busfahrer eingedämmt“ werde.
Verdi-Sekretär Jochen Koppel betonte derweil die gesellschaftliche Bedeutung des Abkommens, das einen Streikverzicht auf fünf Jahre beinhaltet. Er erklärte, es liege ihm „besonders am Herzen“, sich bei der Bevölkerung dafür zu entschuldigen, dass die Busse zeitweise nicht gefahren seien. „Verdi will nicht streiken, sondern Verdi musste streiken“, betonte Koppel.
In Wirklichkeit hatte der Streik aus der Bevölkerung große Unterstützung und Solidarität erfahren. Auch die anderen Beschäftigten des hessischen Nahverkehrs verfolgten ihn mit Spannung. Die Straßenbahnfahrer in Darmstadt traten einen Tag lang in den Solidaritätsstreik, und Koppel selbst hatte noch am 29. November vor den streikenden Busfahrern in Frankfurt gesagt: „Hört nicht auf, macht weiter … ganz Deutschland guckt auf euch.“ Der Verdi-Sekretär hatte sogar versprochen, dass in Frankfurt notfalls auch die VGF „die Straßenbahnen zumacht … dann wird im Weihnachtsgeschäft kein Bus und keine Straßenbahn mehr fahren“.
Was diese Versprechungen wert sind, erfahren die Busfahrerinnen und -fahrer in Hessen nicht das erste Mal. Schon vor drei Jahren hatte Verdi einen entschlossenen und solidarisch geführten Arbeitskampf abrupt abgewürgt. Viele Versprechungen von damals, zum Beispiel die Altersversorgung, wurden seither nicht erfüllt.
Daraus müssen die Busfahrer Lehren ziehen. Um ihre Lage prinzipiell zu ändern, müssen sie die Führung ihrer Kämpfe selbst in die Hand nehmen. Wie es in dem Brief der acht Berliner Busfahrer heißt: „Nehmt Verdi den Streik aus der Hand! Gründet gewerkschaftsunabhängige Aktionskomitees und wendet euch an die Hunderttausenden Kollegen und Arbeiter in der Bevölkerung! Nehmt Kontakt zu uns und der World Socialist Web Site (wsws) auf, die Euch als einzige politisch unterstützt.“