Universität Wien: Studierende protestieren gegen rechtsextremen Historiker Lothar Höbelt

In Wien protestieren Studierende seit Wochen gegen den rechtsextremen Historiker Lothar Höbelt, der enge Verbindungen zur Freiheitlichen Partei (FPÖ), zur deutschen AfD und zu deren Neonazi-Umfeld unterhält. Seine letzte Vorlesung in diesem Semester an der Universität Wien hielt Höbelt unter massivem Schutz von Polizei und Sicherheitskräften.

Die Universitätsleitung hatte im und vor dem Hörsaal Sicherheitspersonal postiert und vor dem Gebäude fuhren Polizeiwagen auf, um Höbelts Vorlesung vor den Protesten zu schützen. Im Hörsaal waren neben zahlreichen Medienvertretern auch Mitglieder der Identitären Bewegung (IB) um Martin Sellner anwesend. Sellner hatte bereits für vorangegangene Vorlesungen einen „Saalschutz“ organisiert und mehrfach Höbelts Vorlesungen besucht. Die Identitären sind eine ausländerfeindliche, rechtsradikale Bewegung, die 2018 vom späteren Christchurch-Attentäter Brenton Tarrant eine Spende von 1500 Euro erhielt.

Protest gegen Höbelt am 19.11.19 (CC BY-NC 4.0, Presseservice Wien - Netzwerk freier FotojournalistInnen)

Die Proteste gegen Höbelt hatten Mitte Januar einen Höhepunkt erreicht, als rund 200 Demonstranten den Zugang zum Hörsaal blockierten und Höbelts Vorlesung abgesagt werden musste. Laut Standard soll es dabei vor dem Hörsaal zu Auseinandersetzungen gekommen sein. Daraufhin sei ein Sicherheitsdienst gerufen worden, um, so die Leitung der Universität, eine weitere Eskalation zu verhindern.

Bereits am 30. Oktober vergangenen Jahres hatte die Österreichische Hochschüler_innenschaft (ÖH) an der Universität Wien in einer Presseerklärung die Entlassung Höbelts aus dem universitären Betrieb gefordert. Anlass war ein geplanter Vortrag Höbelts bei der „Herbstakademie“ des Freiheitlichen Akademikerverbandes Steiermark (FAV), die dem Thema „Volk“ gewidmet war. Mitorganisator der Tagung war das deutsche Institut für Staatspolitik (IfS), dessen Gründer Götz Kubitschek zu den führenden Ideologen des modernen Rechtsextremismus zählt.

Die ÖH ist mit den verfassten Studierendenschaften in Deutschland vergleichbar; alle Studierenden sind automatisch Mitglied. In der Presseerklärung heißt es, die ÖH an der Universität Wien trete „für einen konsequenten Antifaschismus ein“. Das bedeute, „rechtsextremen Ideologien entgegenzutreten, wo man sie findet. … Rechtsextreme und ihre Ideologie haben keinen Platz an der Universität oder sonst wo.“

Professor Höbelt, der seit 1997 Jahren an der Universität Wien Neuere Geschichte lehrt, bewegt sich seit seiner Jugend in rechten Kreisen. 1987 schrieb er einen Aufsatz, in dem er den damals amtierenden Bundespräsidenten und ehemaligen Nationalsozialisten und Wehrmachtsoffizier Kurt Waldheim in Schutz nahm.

In den 1990er Jahren war er Berater der FPÖ Jörg Haiders und Mitverfasser von deren Parteiprogramm. Auch später engagierte er sich aktiv für die FPÖ und publizierte bis zuletzt in den ultrarechten Publikationen Aula, Zur Zeit und Junge Freiheit. Er ist darüber hinaus Vorsitzender der von FPÖ-Mitgliedern gegründeten Genius-Gesellschaft für freiheitliches Denken sowie Mitglied im Kuratorium der Desiderius-Erasmus-Stiftung, die der AfD nahesteht.

1998 beteiligte sich Höbelt an einer Festschrift für den britischen Holocaust-Leugner David Irving, dessen Thesen er als „historische Diskussionen“ bezeichnete, über die staatliche Gerichte unzulässig entschieden hätten. 2005 hielt er die Laudatio für den revisionistischen Historiker Stefan Scheil anlässlich der Übergabe des Gerhard-Löwenthal-Preises. Das AfD-Mitglied Scheil behauptet, ähnlich wie der Nazi-Apologet Ernst Nolte, der deutsche Überfall auf die Sowjetunion 1941 sei ein Präventivkrieg gewesen, um einem sowjetischen Angriff auf den deutschen Machtbereich zuvorzukommen.

„Identitäre“ und Burschenschafter in Höbelt-Vorlesung am 10.12.19 (CC BY-NC 4.0, Presseservice Wien - Netzwerk freier FotojournalistInnen)

Höbelts Vorlesungen an der Universität Wien wurden zum Anziehungspunkt für Rechtsextremisten. Ein Vorlesungsbesucher habe während der Protestaktion „Juden raus“ gerufen, sagte Noah Scheer, Präsident der Jüdischen österreichischen HochschülerInnen (JöH). In weiteren Berichten heißt es, dass mehrere Zuhörer während der Vorlesung das White-Power-Zeichen – ein Erkennungszeichen von Neonazis – gemacht hätten.

Höbelt war am „Historikerbericht“ der FPÖ beteiligt, der im Dezember 2019 veröffentlicht wurde und „dunkle Flecken“ der Parteigeschichte sowie nationalsozialistische Verstrickungen ihrer führenden Politiker aufarbeiten sollte.

Anlass für den Bericht war die sogenannte Liederbuchaffäre. 2018 war kurz vor der niederösterreichischen Landtagswahl in FPÖ-Kreisen ein antisemitisches Liederbuch der Burschenschaft Germania aufgetaucht. Darin standen unter anderem die Zeilen: „Gebt Gas, ihr alten Germanen, wir schaffen die siebte Million“ – eine offene Anspielung auf die sechs Millionen im Holocaust ermordeten Juden.

Aufgabe des Berichtes war es, die Verbindungen der Partei zum Faschismus zu leugnen oder zu relativieren. Obwohl es zahlreiche Belege für die Kontinuität der FPÖ zum Nationalsozialismus gibt, resümierte die Kommission, die FPÖ sei im Wesentlichen eine „Partei wie jede andere“, und warf den Medien vor, „Einzelfälle“ wie die Liederbuchaffäre aufzubauschen.

Während einer Aktuellen Stunde im österreichischen Nationalrat verharmlosten nahezu alle Parteien die rechtsextremen Auffassungen und Verbindungen Höbelts und griffen stattdessen die Studentenproteste an. Tonangebend war die FPÖ. Der frühere Innenminister Herbert Kickl warf den Studierenden vor, ihren „Hass“ im Netz und an den Universitäten zu verbreiten.

Andrea Kuntzl von den österreichischen Sozialdemokraten gab ausschließlich den im Hörsaal anwesenden Identitären die Schuld an den Ausschreitungen. Sie gehe davon aus, so Kuntzl, dass der Rektor der Universität die „Vorgänge“ im Auge behalten werde. Auch NEOS-Chefin Beate Meinl-Reisinger verteidigte Höbelt und erklärte, man könne nicht einfach alles verbieten, was nicht der eigenen Meinung entspreche.

Die Grünen-Politikern Eva Blimlinger verwies ebenfalls auf die Meinungsfreiheit. Höbelt sei für sie aber eindeutig dem rechtsextremen Spektrum zuzuordnen. Trotzdem spielte sie seine Rolle in zynischer Manier herunter: „Das Thema Höbelt an der Universität Wien hat sich Gott und Göttin sei Dank bald erledigt, weil er in Pension geht.“

Nico Marchetti von der regierenden Österreichische Volkspartei (ÖVP) verteidigte die rechten Umtriebe an der Uni Wien. „Die Grenzen der Meinungsfreiheit liegen nicht beim Parteiprogramm“, kritisierte er die Proteste. Auch der parteilose Bildungsminister Heinz Faßmann, selbst Professor an der Universität Wien und ein enger Vertrauter von Kanzler Sebastian Kurz, verwies lapidar auf die Meinungsfreiheit und bezeichnete die österreichischen Universitäten als Orte der freien Lehre und des Diskurses.

Wie bereits in anderen Fällen dieser Art stellen sich zahlreiche Medien hinter den rechten Ideologen und attackieren die kritischen Studierenden. Besonders abstoßend ist ein Leitartikel der Wiener Zeitung von Daniel Bischof. Unter dem Titel „Professor Freiwild“ verurteilt er jeden Protest gegen rechte Ideologie als Angriff auf die Meinungsfreiheit.

„Diese beklemmenden Ereignisse erinnern an dunkle Zeiten“, schreibt Bischof und meint damit nicht Höbelts rechtsextreme Aktivitäten, sondern die legitimen Proteste dagegen. Er geifert gegen angebliche „Linksextreme“ und erklärt zu Höbelt lapidar: „Ja, der Mann ist FPÖ-nahe, so what?“

Die offizielle Stellungnahme der Universität Wien liest sich wie ein Freifahrtschein für Rechtsextreme. Ohne Höbelts rechte Verstrickungen auch nur zu erwähnen appelliert Rektor Engl an ein respektvolles Miteinander und betont, wie wichtig die Freiheit der Wissenschaft sei. Weiter heißt es: „In diesem Sinne wird die Universität alles ihr Mögliche unternehmen, um den ungestörten Lehrbetrieb sicherzustellen.“

Das Leitungsteam des Instituts für Zeitgeschichte der Universität Wien, an dem Höbelt lehrt, bemerkt zwar in einer Stellungnahme, man habe diesen mehrfach aufgefordert, bei seinen Vorlesungen deeskalierend einzugreifen und den von Sellner organisierten „Saalschutz“ zu beenden. „Rechtsextremen Auftreten seitens der Hörer*innen darf in Hörsälen nicht nochmals eine Bühne geboten werden“, heißt es darin. Das rechtsextreme Auftreten von Höbelt selbst wird dagegen nicht erwähnt. Ihm soll an der Universität wohl auch in Zukunft eine Bühne für seine rechte Ideologie geboten werden.

Die Ereignisse an der Universität Wien zeigen ein weiteres Mal, dass sich die herrschenden Kreise bemühen, die Hochschulen wie vor dem Ersten und Zweiten Weltkrieg in Brutstätten für rechte Ideologie und Kriegspropaganda zu verwandeln und Opposition dagegen zu kriminalisieren und zu unterdrücken.

Seit Jahren treibt der rechtsextreme Historiker Jörg Barberowski an der Humbolt-Universität zu Berlin sein Unwesen. „Hitler war kein Psychopath, er war nicht grausam“, erklärte er 2014 im Spiegel. Baberowskis „akademisches“ Werk ist geprägt von der Verharmlosung des Nationalsozialismus und der Verbrechen des Dritten Reichs. Trotzdem verteidigen ihn die Universitätsleitung, die Bundesregierung und zahlreiche Medien.

Der Asta der Universität Hamburg wird seit November letzten Jahres mit Hassmails und Gewaltandrohungen überschwemmt, weil Studierende gegen die Rückkehr des AfD-Gründers Bernd Lucke auf seinen Lehrstuhl protestiert haben. Ebenfalls im letzten Jahr organisierten die International Youth and Studends for Social Equality (IYSSE) eine öffentliche Veranstaltung an der Universität Cambridge, um gegen die Entscheidung der dortigen Universität zu protestieren, dem Eugeniker Noah Carl ein prestigeträchtiges Forschungsstipendium zu gewähren.

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