Perspektive

Arbeiter fordern besseren Schutz

Auf der ganzen Welt wächst die Wut unter Arbeitern darüber, dass sie trotz der rapiden Ausbreitung der Coronavirus-Pandemie ihren Arbeitsplatz nicht verlassen dürfen, und dass keine Maßnahmen zum Schutz ihres Lebens und ihrer Existenzgrundlage ergriffen werden.

In den Vereinigten Staaten versammelten sich viele Fiat-Chrysler-Arbeiter am Dienstagnachmittag (17. März) vor ihrem Werk in Tipton (Indiana, USA). Sie trotzten der Anweisung, im gesamten Bundesstaat größere Versammlungen außerhalb der Arbeit zu unterlassen, und hielten vor Schichtbeginn eine Protestversammlung ab. Die Unternehmensleitung drohte jedem, der nicht zur Arbeit erscheine, mit Entlassung, und die Gewerkschaft United Auto Workers (UAW) unterstützte diese Drohung. In einer Betriebsversammlung setzten die Betriebsräte die Beschäftigten unter Druck, an die Produktionslinie zurückzukehren.

Am selben Tag verweigerten zahlreiche Beschäftigte des Autozulieferers Lear Seating in Hammond (Indiana) die Arbeit und erzwangen die Schließung der Teilefabrik, sowie auch des nahe gelegenen Ford-Montagewerks von Chicago. Auch Busfahrer in Detroit haben sich geweigert, unter unsicheren Bedingungen weiterzufahren.

Ford-Arbeiter in der LKW-Herstellung, Ford-Werke Louisville/Kentucky (AP Photo/Timothy D. Easley)

Am Vortag hatten schon Arbeiter einer Lackiererei im LKW-Montagewerk Fiat Chrysler in Warren bei Detroit die Arbeit niedergelegt. Eine ähnliche Aktion hatten kanadische Fiat-Chrysler-Arbeiter schon am vergangenen Donnerstag in Windsor (Ontario) organisiert. In Italien und Spanien traten tausende Beschäftigte in der Automobilbranche und in anderen Industriezweigen in Streik, weil man sie gezwungen hatte, trotz des landesweiten Stillstands weiterzuarbeiten.

In den USA sind schon eine ganze Reihe von Autoarbeitern positiv getestet worden, unter anderem im Montagewerk Sterling Heights bei Detroit (Michigan). Zweifellos haben sich infolge der kriminellen Entscheidung, die Produktion aufrechtzuerhalten, schon viel zu viele Arbeiter angesteckt.

Überall in den Vereinigten Staaten geht die Produktion weiter. Der Boeing-Konzern, der vom Staat Dutzende Milliarden Dollar an Rettungsgeldern fordert und die Betriebsleitung angewiesen hat, von zuhause aus zu arbeiten, zwingt gleichzeitig seine Arbeiter, täglich herzukommen und die Produktion aufrechtzuerhalten. Mehrere Boeing-Mitarbeiter haben sich bereits mit dem Coronavirus infiziert, und das Virus hat sich zweifellos schon viel weiter ausgebreitet als bekannt.

Auch in der Dienstleistungsbranche arbeiten die Beschäftigten weiter, obwohl sie dadurch täglich mit Hunderten von Menschen in Kontakt kommen.

Amazon stellt gerade Hunderttausende Arbeiter ein, um der steigenden Nachfrage nach Online-Shopping gerecht zu werden. Auch hier arbeitet das Management von zuhause aus, aber die Arbeiter sind weiterhin den schrecklichen Bedingungen in den Amazon- Lagerhäusern ausgesetzt. Ein Arbeiter sagte gegenüber Buzzfeed News: „Es gibt überhaupt keine vorbeugenden Maßnahmen, sondern nur Bezahlung für die Arbeiter, wenn wir angesteckt worden sind. Das trägt überhaupt nicht dazu bei, die Ausbreitung der Pandemie zu verlangsamen oder das Risiko, an der Pandemie zu sterben, zu herabzumindern.“

Mit anderen Worten: Amazon betrachtet das Leben seiner Mitarbeiter als entbehrlich, und die Lohnfortzahlung im Krankheitsfall, die der Konzern denjenigen anbietet, die sich mit dem Virus infiziert haben, wird als Geschäftskosten abgebucht und durch die steigenden Gewinne mehr als wettgemacht.

Tatsächlich haben Arbeiterinnen und Arbeiter nicht den mindesten Grund, in denjenigen Branchen weiterzuarbeiten, die für das Funktionieren der Gesellschaft gar nicht unentbehrlich sind. Und wo es um systemrelevante Betriebe geht, wie zum Beispiel im Gesundheitswesen, können Beschäftigte nur arbeiten, wenn sie geschützte und sichere Arbeitsbedingungen haben.

Im Gesundheitswesen steigt allgemein die Wut der Beschäftigten, weil sie überall gezwungen sind, ihre lebenswichtige Tätigkeit unter hochgefährlichen Bedingungen und oftmals ohne die elementarste Sicherheitsausrüstung auszuführen.

In anderen Branchen werden die Arbeiter entlassen oder auf Kurzarbeit gesetzt, ohne dass ihr Einkommen gesichert wird. Schon beginnt die Arbeitslosigkeit zu steigen. In den USA könnte sie Schätzungen zufolge auf bis zu 20 Prozent ansteigen. Besonders Arbeiter, die nur Jobs in der so genannten „Gig-Economy“, zum Beispiel bei Uber, Airbnb, Foodora, etc., haben, sind als moderne Tagelöhner gefährlichen und prekären Bedingungen ausgesetzt, wenn sie überhaupt noch Arbeit haben.

Was die Gewerkschaften angeht, so behindern sie jeden Schritt an kollektiven Maßnahmen, den die Arbeiter jetzt gehen, um ihre Gesundheit und diejenige ihrer Angehörigen zu sichern. Die Gewerkschaftsfunktionäre sind Lakaien der Konzerne, und für sie haben die Profitinteressen der Unternehmen Vorrang vor dem Leben der Arbeiter, die sie zu vertreten behaupten.

Am Dienstagabend gab die Autogewerkschaft UAW bekannt, dass sie nicht gedenke, irgendetwas zu unternehmen. Die UAW ist ein kriminelles Syndikat, dessen gesamte Führungsspitze im Verdacht der Korruption oder schon unter Anklage steht. Sie kündigte an, mit den Konzernen zusammenzuarbeiten, um „neue Maßnahmen zu ergreifen, damit die CDC-Empfehlung zur sozialen Distanzierung am Arbeitsplatz besser eingehalten wird“.

Das Abkommen über diese „Maßnahmen“ hat die UAW als einen „Teil-Shutdown“ angepriesen. In Wirklichkeit sieht es maximal vor, die Produktion um eine Schicht zu reduzieren, sonst aber fortzusetzen. Das Ziel ist es, die Linien am Laufen zu halten. Der letzte Cent an Gewinn soll aus den Arbeitern herausgepresst werden, auch wenn deren Leben dadurch in höchste Gefahr gerät.

Seit Dienstagabend reagieren viele Arbeiter mit empörten Kommentaren in den sozialen Medien. Das betrifft auch die UAW-Facebook-Seite, wo das Abkommen bekanntgemacht wurde. Dort heißt es beispielsweise: „Wieder wird also nichts getan, und die Arbeiter sind nicht geschützt.“ – „Wie wäre es mit einem Massenstreik?“ – „Legt die Fabriken doch jetzt still!“ – „Sie [die UAW] haben stundenlang geredet und sind zu dem Schluss gekommen, dass wir genau das tun sollen, was wir bis jetzt getan haben … klingt nach Tarifverhandlungen!“

Wenn die weitere Ausbreitung des Virus gestoppt und Millionen Menschenleben gerettet werden sollen, dann müssen sofort alle nicht unbedingt notwendigen Arbeitsplätze stillgelegt werden! Kein Arbeiter darf sein Leben in Gefahr bringen. Die gesamte Produktion muss jetzt auf die Herstellung des Notbedarfs, einschließlich der Ausrüstung für das Gesundheitswesen, umgeleitet werden. Die Arbeiter werden gerne weiterarbeiten, wenn sie wissen, dass ihre Arbeit Menschenleben rettet, und dass diese Arbeit unter sicheren Bedingungen stattfindet! Und dass sie von Wissenschaftlern und Gesundheitsexperten kontrolliert und geleitet wird.

Alle entlassenen Arbeiterinnen und Arbeiter müssen den vollen Lohn weiterbekommen, finanziert von den Unternehmen und aus staatlichen Mitteln. Alle müssen sie vollen Zugang zu Lohnfortzahlung im Krankheitsfall bekommen. Während der Coronavirus-Krise müssen Miete, Hypotheken und Versorgungsleistungen gestundet werden, um sicherzustellen, dass jeder Arbeiter, dessen Einkommen vermindert wird, die Grundbedürfnisse befriedigen kann.

Die Behauptung, es sei „kein Geld da“, um diese Forderungen zu erfüllen, ist der Gipfel des Absurden. All diese Konzerne haben durch die Ausbeutung ihrer Arbeiter Milliarden an Profiten angehäuft. Viele Billionen sind an die Wall Street geflossen. Diese Ressourcen müssen stattdessen für die Befriedigung dringender sozialer Bedürfnisse eingesetzt werden.

Um für diese Forderungen zu kämpfen, müssen Arbeiter unabhängig von den korrupten Gewerkschaften Fabrik- und Aktionskomitees bilden, damit sie ihre Gesundheit und Sicherheit wirkungsvoll verteidigen können.

Die Beschäftigten der Betriebe und Konzerne sollten alle Mittel nutzen, die ihnen zur Verfügung stehen, einschließlich der sozialen Medien, um dem Widerstand zu organisieren. In Online-Meetings und Diskussionen müssen sie auf die Beschäftigten in anderen Branchen zugehen, um sich gemeinsam und international abzustimmen. Es ist nicht möglich, die Rechte der Arbeiter durch individuelle Maßnahmen zu verteidigen, sondern dazu braucht es einen kollektiven Kampf.

Ein Aktionsprogramm zur Verteidigung der gesamten Arbeiterklasse muss aufgestellt werden, und es muss eine der wichtigsten Forderungen sein, flächendeckende Coronavirus-Tests zu verlangen. Weiter müssen eine kostenfreie und hochwertige Gesundheitsversorgung für alle und die massive Umverteilung der Ressourcen gefordert werden, um das tödliche Virus zu bekämpfen. Es ist notwendig, der Finanzoligarchie ihre Dollar-Billionen aus der Hand zu nehmen und sie für eine global koordinierte Antwort auf die Pandemie einzusetzen.

Dazu heißt es in der Erklärung der amerikanischen Schwesterpartei der SGP („Ein Aktionsprogramm für die Arbeiterklasse“): Im Wesentlichen muss folgendes Prinzip gelten: Die Bedürfnisse der arbeitenden Menschen müssen absoluten und bedingungslosen Vorrang vor allen Profitinteressen und Privatvermögen haben. Es geht nicht darum, was die herrschende Klasse behauptet, sich leisten zu können, sondern darum, was die Masse der Menschen braucht.“

Jetzt ist es an der Zeit, sich zum Kampf zu rüsten und ein solches Programm umzusetzen. Es geht um Millionen von Menschenleben.

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