Krisengeschüttelte polnische Regierung verschärft Intervention in Belarus

Am Mittwoch wurden Zbigniew Rau vom polnischen Präsidenten Andrzej Duda als neuer Außenminister vereidigt und Adam Niedzielski als neuer Gesundheitsminister. Diese Teilumbildung des Kabinetts findet in einer Situation statt, in der das Nachbarland Belarus in einer tiefen Krise steckt. Massenproteste und Streiks erschüttern das weißrussische Lukaschenko-Regime, und in Polen lebt die Corona-Pandemie wieder auf.

Zuvor hatte US-Außenminister Mike Pompeo am 15. August bei einem Besuch in Warschau ein Abkommen über eine verstärkte Zusammenarbeit in Verteidigungsfragen unterzeichnet. Der neue Außenminister Rau gilt als besonders erfahren im Umgang mit den USA.

US-Präsident Donald Trump und Polens Präsident Andrzej Duda am 12. Juni 2019 im Weißen Haus (Offizielles Foto des Weißen Hauses, Shealah Craighead)

Die polnische Regierung steckt in einer tiefen sozialen und politischen Krise. Präsident Andrzej Duda hatte mit einem antisemitischen und ultranationalistischen Wahlkampf die Wahl im Juli sehr knapp gewonnen.

Gesundheitsminister Lukasz Szumowski musste letzte Woche zurücktreten; ihm wurde Fehlverhalten bei der Beschaffung von medizinischen Gütern für den Kampf gegen das Coronavirus vorgeworfen. Polens Krankenhäuser waren schon in der ersten Welle der Pandemie von Patienten überwältigt, es fehlte an grundlegendster Schutzausrüstung. Ganze Städte waren ohne jegliche Beatmungsgeräte. Die schlesischen Kohlegruben wurden nicht einen Tag lang geschlossen. Daher sind Bergarbeiter die am stärksten von dem Virus betroffene Personengruppe. Ein Fünftel aller Infizierten im ganzen Land sind Bergarbeiter.

Noch während das Virus in den Bergarbeitersiedlungen wütet, hat sich die Regierung für eine verfrühte Wiederöffnung der Wirtschaft entschieden. Jetzt schießen die täglichen Fallzahlen noch schneller als während der ersten Welle in die Höhe. Mittlerweile gibt es mehr als 63.000 bestätigte Fälle im Land, und letzten Monat kamen 20.000 dazu.

Unter diesen Bedingungen hat die Streikbewegung in Polens östlichem Nachbarstaat Belarus in Warschau beträchtliche Angst vor einer Ausbreitung über die Landesgrenze hinweg nach Polen ausgelöst. Die Arbeitsniederlegungen haben die weißrussische Wirtschaft bereits Milliarden Dollar gekostet, der belarussische Rubel befindet sich im freien Fall. Die belarussische Region Grodno nahe der polnischen Grenze ist ein Hauptzentrum der Streikbewegung.

Als die Streiks in Belarus am 11. August zu eskalieren begannen, beschloss die polnische Regierung nach Gesprächen mit den Gewerkschaften die Bekanntgabe der Schließung mehrerer Bergwerke. Erst später wurde die damit drohende Entlassung von bis zu 7.700 Arbeitern bekanntgegeben. Diese Ankündigung hätte mit großer Sicherheit Streiks und Proteste ausgelöst. Bereits im Jahr 2019 wurde die Regierung durch einen landesweiten Streik von 300.000 Lehrern erschüttert, seit Beginn des Jahres hat sie sich bemüht, größere Proteste und Streiks der Bergarbeiter zu vermeiden.

In dieser Lage reagiert die polnische Regierung auf die Streikbewegung in Belarus und Alexander Lukaschenkos Hinwendung zum Kreml, indem sie selbst ihre Unterstützung für die EU-orientierte Opposition in Belarus verstärkte. Gemeinsam mit den imperialistischen Mächten, vor allem mit den USA, will Warschau die Krise ausnutzen, um seine eigenen geopolitischen Interessen in einer Region zu stärken, die zum Hauptaufmarschgebiet bei den Nato-Kriegsvorbereitungen gegen Russland geworden ist.

Bei dieser Einmischung in die belarussische Politik nutzt der polnische Staat seine seit Jahrzehnten bestehenden Beziehungen zur Lukaschenko-feindlichen Opposition. Der zweiundzwanzigjährige Blogger Stepan Putilo, der den Telegram-Kanal NEXTA betreibt, lebt in Warschau. NEXTA hat sich zu einer der wichtigsten Informationsquellen über die Proteste und Streiks entwickelt. Mehrere belarussische Oppositionsführer, u.a. der ehemalige Diplomat in Polen, Pawel Latuschko, haben ebenfalls enge Beziehungen zur polnischen Elite.

Letzte Woche stellte der polnische Ministerpräsident Mateusz Morawiecki ein „Fünfpunkteprogramm“ zur Unterstützung der Opposition vor und versprach mehr als 50 Millionen Zloty (mehr als elf Millionen Euro) für das Programm „Solidarität mit Belarus“. Dieses Programm zielt vorgeblich darauf ab, Oppositionelle in Belarus finanziell zu unterstützen, u.a. durch die Bezahlung von Behandlungskosten oder gerichtlichen Gebühren. Die polnische Regierung erlaubt Belarussen, nach Polen zu fliehen, damit sie keine Visakosten zahlen müssen, und verspricht ihnen finanzielle Unterstützung durch NGOs. Zudem erhöht der polnische Staat seine Finanzierung für den oppositionellen Fernsehsender Belsat, der zwar seine Sendezentrale in Warschau hat, aber auf Belarussisch sendet.

Die Behauptung der PiS-Regierung, sie würde in Belarus „Demokratie“ unterstützen, ist offensichtlich absurd. Die PiS-Regierung hat seit ihrer Machtübernahme im Jahr 2015 demokratische Rechte und Institutionen in Polen zerschlagen und die freie Meinungsäußerung über die Verbrechen polnischer Antisemiten während des Holocaust verboten. Die Förderung von Antisemitismus, Homophobie und rechtsextremem Nationalismus sind zu zentralen ideologischen Säulen ihrer Herrschaft geworden.

Höchstwahrscheinlich diskutiert und koordiniert Warschau alle Schritte hinsichtlich Belarus sorgfältig mit Washington und der Nato. Polen ist seit 1989 einer der engsten Verbündeten der USA in Europa und spielt eine wichtige Rolle bei der Aufrüstung gegen Russland.

Am 15. August unterzeichnete US-Außenminister Mike Pompeo das Abkommen über die verstärkte Zusammenarbeit in Verteidigungsfragen, das auch die Stationierung eines Großteils der US-Truppen in Polen ermöglicht, die Trump zuvor aus Deutschland abgezogen hat. Zu den bereits stationierten 4.500 US-Soldaten kommen weitere 1000 hinzu. Dieses Abkommen bezeichnete US-Präsident Trump als „historisch“.

Während seines Besuchs äußerte sich Pompeo auch zu Belarus. Er erklärte, die Wahl sei weder frei noch gerecht gewesen und kündigte an, die USA würden die „Zivilgesellschaft“ von Belarus unterstützen.

Am 18. August diskutierte Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg mit dem polnischen Präsidenten Andrzej Duda über die Krise in Belarus.

Unter der PiS-Regierung hat sich Warschau offen die Strategie des so genannten „Intermariums“ oder „Drei Meere-Initiative“ zu eigen gemacht. Diese Strategie sieht den Aufbau von rechten nationalistischen Regimes in ganz Osteuropa vor, die gegen Russland oder andere potenzielle Gegner mobilisiert werden können. Die Trump-Regierung hat diese Strategie offiziell gebilligt. Neben der Ukraine, den baltischen Staaten und Rumänien gilt Belarus als wichtiger Bestandteil eines Bündnisses, das nicht nur gegen Russland gerichtet werden kann, sondern auch gegen andere Rivalen der USA in Europa, zum Beispiel Deutschland. Es kann auch eine Rolle gegen China spielen.

Pompeo versuchte während seiner Tournee durch Ost- und Mitteleuropa, die am 15. August in Warschau endete, die Gastgeberländer für die Kampagne der USA gegen Chinas 5G-Netzwerk und Huawei zu mobilisieren. Die militant anti-russische Washingtoner Denkfabrik Atlantic Council erklärte: „Peking hat im Rahmen seiner ‚Belt and Road Initiative‘ (BRI) in Mittel- und Osteuropa Eingriffe durch Investitionen und wirtschaftliche Anreize durchgeführt.“

Weiter hieß es, die USA betrachteten diese Entwicklungen "nicht nur als geopolitische Herausforderung, sondern als konkrete Gefahr für ihre Sicherheit“. Die Denkfabrik rief die US-Regierung auf, ihre Bündnisse mit den osteuropäischen Staaten zu verstärken und die „Drei Meere-Initiative“ unter Warschaus Führung als Instrument gegen China einzusetzen.

Einiges deutet darauf hin, dass es bei den geopolitischen Streitigkeiten um Belarus nicht nur um den Einfluss Russlands geht, das äußerst enge wirtschaftliche Beziehungen mit dem Land hat, sondern auch um die zunehmende Rolle Chinas in der belarussischen Wirtschaft. In den letzten zehn Jahren hat Lukaschenko nicht nur ein Gleichgewicht zwischen der Nato und dem Kreml gehalten, sondern auch die Beziehungen des Landes zu China deutlich ausgeweitet.

China betrachtet Belarus als „Zugang“ zu Europa und wichtigen Bestandteil seiner “Belt and Road Initiative“ Im Rahmen dieser Initiative haben China und Belarus Hunderte Millionen Dollar in den Great Stone-Industriepark investiert, in dem zahlreiche Fabriken, Wohngebäude und Forschungszentren entstehen sollen. Der endgültige Wert des Komplexes wird auf eine Summe zwischen zwei und fünf Milliarden Dollar geschätzt. Chinas Präsident Xi Jinping bezeichnete ihn als „Vorzeigeprojekt“ der Initiative, und auch Lukaschenko nannte den Industriepark eins der wichtigsten Wirtschaftsprojekte.

China hat der angeschlagenen belarussischen Wirtschaft auch beträchtliche Darlehen gewährt, u.a. einen Kreditrahmen von fünfzehn Milliarden für die belarussische Entwicklungsbank. Die New York Times erklärte im Jahr 2019, dieses Darlehen sei zwanzigmal größer als die derzeitigen Darlehen der Europäischen Bank für Wiederaufbau und Entwicklung.

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