Griechische Regierung setzt über 11.000 Flüchtlinge auf die Straße

Seit dem 1. Juni haben die griechischen Behörden ein Räumungsverfahren gegen über 11.000 Flüchtlinge eingeleitet, deren Asylantrag vor Mai dieses Jahres genehmigt worden war.

Die rechtskonservative Regierung der Nea Dimokratia (ND) stützt ihr Vorgehen auf ein Gesetz, das im März in Kraft getreten ist. Es sieht vor, dass Flüchtlinge nach der Genehmigung ihres Asylantrags 30 Tage Zeit haben, die Lager, Wohnungen und Hotels, in denen sie untergebracht sind, zu verlassen. Alle Sozialleistungen, auf die sie als Asylsuchende Anspruch hatten, werden gestrichen.

Alle 67 Hotels, die als Aufnahmeeinrichtungen für Asylbewerber fungieren, werden bis Ende des Jahres geschlossen.

Die Vertreibungspolitik der ND-Regierung ist besonders brutal, weil sie inmitten der wieder aufflammenden Corona-Pandemie stattfindet. In Griechenland gibt es täglich über 200 registrierte Neuinfektionen; die Dunkelziffer dürfte um ein Vielfaches höher sein. Mittlerweile gibt es auch die ersten Fälle im überfüllten Flüchtlingslager Moria auf Lesbos.

Afghanische Flüchtlinge campieren mit ihren Familien auf einem Platz in Athen, nachdem sie das Moria-Lager verlassen haben. (AP Photo/Yorgos Karahalis)

Die Maßnahmen basieren auf einer Änderung des sogenannten „International Protection Act“ (IPA), der Ende 2019 vom griechischen Parlament verabschiedet wurde und Anfang dieses Jahres in Kraft trat. Das Gesetz umfasst eine Reihe von Maßnahmen, darunter ein neues beschleunigtes Asylverfahren, das das Recht auf Asyl, das vom Völkerrecht geschützt ist, massiv untergräbt. Das neue Verfahren wird vorrangig auf diejenigen angewandt, die seit Anfang dieses Jahres eingetroffen sind, wobei viele Anträge innerhalb weniger Tage nach ihrer Ankunft bearbeitet werden. Das Gesetz erlaubt die Ablehnung von Anträgen aufgrund geringfügiger administrativer Verstöße, zum Beispiel wenn jemand nicht an einer Anhörung teilnimmt oder nicht rechtzeitig seine Registrierung erneuert.

Damit wird die feindselige Politik, der Flüchtlinge in Griechenland bereits jetzt ausgesetzt sind, in Gesetzesform gegossen, um andere von der Einreise abzuhalten. Das machte der Migrationsminister Notis Mitarakis schon Anfang März in einem Interview mit Skai TV deutlich: „Unser Ziel ist es, innerhalb von zwei bis drei Monaten Asyl zu gewähren, wenn ein Anspruch besteht, und ihnen danach Leistungen und Unterkunft zu entziehen, weil all das Menschen angezogen hat, in unser Land zu kommen und diese Leistungen auszunutzen.“

Die Räumungen hatten sich aufgrund des Lockdowns um einige Monate verzögert, doch jetzt werden die Bilder des Elends sichtbar. Hunderte Flüchtlinge – darunter viele Familien – müssen auf dem Victoria-Platz im Zentrum Athens schlafen. Am 21. August schrieb das Magazin Vice: „Unter jenen, die auf Matten und Pappkartons zelten, sind Neugeborene und ältere Menschen mit Behinderungen. Sie sind der brütenden Hitze ausgesetzt und haben nicht genug Essen und Wasser.“

Am 3. August veröffentlichte Refugee Support Aegean (RSA) einen Bericht, der die Fälle mehrerer gefährdeter Familien dokumentiert, die vor kurzem aus dem berüchtigten Moria-Lager vertrieben wurden und jetzt obdachlos sind und am Victoria-Platz leben.

Unter ihnen ist ein Mann aus Afghanistan, der gefoltert wurde und einen autistischen Sohn hat. Er sagt: „Der Zustand meines Kindes ist sehr ernst. Es darf sich nicht an Orten aufhalten, wo es laut und stressig ist. Jede zusätzliche Spannung verschlechtert seine psychische Situation und seine Gesundheit. Seit wir auf den Straßen von Athen sind, scheint er unter schweren Kopfschmerzen zu leiden. Er fasst sich oft an den Kopf, drückt und schlägt ihn. Unser größtes Problem ist, dass wir kein Zuhause haben, keinen sicheren Ort, keinen Schutz... Wir sind krank, und wir werden immer kränker. Wir sind gestresst, und wir werden noch gestresster. Ich spüre eine tiefe Angst in mir...“

Human Rights Watch berichtete von Basira, „einer 21-jährigen Frau aus Afghanistan, die allein in Griechenland ist“. Sie hatte nur wenige Tage Zeit, um im August ihr Zelt im Lager Moria zu räumen, nachdem ihr Asyl gewährt worden war. Basira sagte: „Sie kürzten die finanzielle Unterstützung und erklärten mir, ich müsse gehen... Sie sagten, wenn sie wiederkommen und mich [im Zelt] finden, würden sie mich mit Gewalt holen. Ich hatte Angst und war verzweifelt, weil ich allein bin. Ich wusste nicht, wohin ich gehen sollte.“

Migrationsminister Mitarakis versuchte in provokativer Manier, die Schuld auf die Flüchtlinge selbst abzuwälzen. Am 3. Juli twitterte er: „Dieses Jahr haben 16.000 Migranten unsere Inseln verlassen, leider befinden sich 110 Personen auf dem Victoria-Platz. Es gibt ein Unterstützungsprogramm für die Wohnungs- und Arbeitssuche, sie müssen ‚auf ihren eigenen Füßen stehen‘, wir können ihnen keine Privilegien auf Lebenszeit geben."

Ein Schriftsatz, den RSA und Pro Asyl im Juni dieses Jahres beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte eingereicht haben, entlarvt die Behauptungen von Mitarakis. Er zeigt das kafkaeske Labyrinth, in das Flüchtlinge geraten, die „auf ihren eigenen Füßen stehen“ wollen. Darin heißt es: „Menschen mit anerkanntem Asylstatus sehen sich in Griechenland nachwievor mit besonderen Herausforderungen konfrontiert, da es große administrative Hürden beim Zugang zu verschiedenen Arten amtlicher Unterlagen gibt. Diese Hürden hindern die Menschen daran, die notwendigen Voraussetzungen zu erfüllen, um Zugang zu Grundrechten wie Gesundheitsversorgung, Wohnung, Sozialhilfe und Arbeitsmarkt unter den gleichen Bedingungen wie griechische Staatsangehörige zu erhalten.“ Ein Beispiel hierfür ist die Steueridentifikationsnummer (AFM), für die ein Adressnachweis erforderlich ist. Das bringt jene, die gerade aus ihren Unterkünften vertrieben wurden, in ein Dilemma, weil die AFM auch benötigt wird, um eine Wohnung zu mieten oder ein Bankkonto zu eröffnen.

Parallel zu dem neuen Gesetz hat die griechische Küstenwache auch die sogenannten „Push-backs“ verschärft, bei denen Boote mit Flüchtlingen zurück über die griechische Seegrenze gedrängt werden – eine Praxis, die gegen das Völkerrecht verstößt.

Laut einem Recherchebericht der New York Times vom 14. August gab es seit März mindestens 31 solcher Abschiebungen mit mindestens 1.072 Asylsuchenden. Die Times schreibt: „Zum Beispiel wurden Migranten auf manchmal undichte Rettungsinseln gezwungen, und dann ließ man sie an der Seegrenze zwischen der Türkei und Griechenland treiben. Andere wurden in ihren eigenen Booten treiben gelassen, nachdem griechische Beamte ihre Motoren deaktiviert hatten.“

Die 50-jährige syrische Lehrerin Najma al-Khatib erzählte der Times, dass maskierte griechische Beamte sie und 22 andere Menschen, darunter zwei Babys, am 26. Juli in der Dunkelheit aus einem Haftzentrum auf der Insel Rhodos geholt und dann in einem ruder- und motorlosen Rettungsboot ausgesetzt haben. Sie wurden schließlich von der türkischen Küstenwache gerettet.

Najma al-Khatib sagte: „Ich habe Syrien aus Angst vor den Bombenanschlägen verlassen – aber als das hier passierte, wünschte ich mir, ich wäre unter einer Bombe gestorben.“

Ylva Johansson, die bei der Europäischen Kommission für Migrationspolitik zuständig ist, erklärte in Reaktion auf den Bericht der New York Times, sie sei „besorgt“ über diese Vorwürfe, aber „machtlos, ihre Richtigkeit zu überprüfen“. Sie fügte hinzu: „Wir können unsere europäischen Grenzen nicht schützen, indem wir europäische Werte verletzen und die Menschenrechte missachten. Grenzkontrolle kann und muss Hand in Hand gehen mit der Achtung der Grundrechte.“

Diese leere Rhetorik wird durch die Tatsache widerlegt, dass die Politik Griechenlands Teil der strategischen Ziele der EU ist.

Johansson selbst flog im März zusammen mit der Generaldirektorin für Migration und Inneres der Europäischen Kommission, Monique Pariat, nach Griechenland, wo sie sich mit Mitsotakis und Mitarakis trafen. Laut einer Erklärung der Kommission war der Besuch „die Fortsetzung der in der vergangenen Woche angekündigten Unterstützungsmaßnahmen zur Bewältigung der Migrationskrise in Griechenland“.

Gegen Ende Juni lobte Pariat in einem Brief an Mitarakis „die Fortschritte der Migrations- und Asylbehörden unter der Leitung von Herrn Mitarakis“ und fügte hinzu, dass seine Bemühungen „nicht nur für Griechenland und die EU wichtig sind“.

Noch bedrohlicher ist, dass die EU-Grenzschutzagentur Frontex angekündigt hat, ihre Streitkräfte in der Ägäis aufzustocken. Anfang März, just zu dem Zeitpunkt, als Griechenland seine Push-Back-Operationen intensivierte, erklärte Frontex-Direktor Fabrice Leggeri: „Angesichts der sich rasch entwickelnden Situation an den griechischen Außengrenzen zur Türkei habe ich beschlossen, einen Soforteinsatz an der Grenze [Rapid Border Intervention] zu bewilligen, der von Griechenland beantragt wurde. Es ist Teil des Frontex-Mandats, einen Mitgliedstaat zu unterstützen, der sich in einer Ausnahmesituation befindet und um dringende Hilfe mit Beamten und Ausrüstung aus allen EU-Mitgliedstaaten und assoziierten Schengen-Ländern bittet.“

Leggeri fuhr fort: „Ab dem nächsten Jahr werden wir uns auf die ersten 700 Einsatzkräfte des ständigen Korps der Europäischen Grenz- und Küstenwache verlassen können, um im Falle eines schnellen Grenzeinsatzes operative Flexibilität zu gewährleisten.“ Er beklagte sich: „Heute sind wir vollständig davon abhängig, dass die EU-Mitgliedstaaten und die assoziierten Schengen-Ländern in dieser kritischen Zeit ihren Beitrag leisten.“

Evelien van Roemburg, Migrations-Expertin im Brüsseler Büro von Oxfam International, erklärte in einer Pressemitteilung: „Das neue griechische Asylrecht ist ein unverhohlener Angriff auf die humanitären Verpflichtungen Europas zum Schutz von Menschen, die vor Gewalt und Verfolgung fliehen. Die EU macht sich mitschuldig daran, denn sie benutzt Griechenland seit Jahren als Testlabor für ihre Migrationspolitik. Wir sind äußerst besorgt, das neue griechische Asylrecht könnte als Blaupause für die anstehende Reform des europäischen Asylsystems dienen.“

Die pseudolinke Oppositionspartei Syriza (Koalition der radikalen Linken) versucht, die Maßnahmen von ND als unmenschlich darzustellen und tut so, als ob Einwanderer und Flüchtlinge während ihrer Regierungszeit von 2015 bis 2019 harmonisch in der Gesellschaft gelebt haben.

Was für ein Betrug! Im Rahmen eines schmutzigen Deals zwischen der Türkei und der EU verwandelte die Regierung unter Alexis Tsipras Griechenland in den Grenzpolizisten und Gefängniswärter der Festung Europa. Wie die WSWS in ihrer Serie über das reaktionäre Vermächtnis Syrizas feststellte, hebelte dieses EU-Türkei-Abkommen „das Grundrecht auf Asyl aus und wurde von mehreren Menschenrechtsorganisationen sowie den Vereinten Nationen als illegal eingestuft. Eingesperrt in den überfüllten Hotspots leben Tausende Flüchtlinge mittlerweile schon seit Jahren unter katastrophalen Verhältnissen. Zwei Monate nach dem Deal ging die Syriza-Regierung mit Tränengas und Blendgranaten gegen protestierende Flüchtlinge in Idomeni vor und ließ das wilde Lager räumen.“

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