Macht vor Recht: Bundesverwaltungsgericht rechtfertigt deutsche Beihilfe zu US-Drohnenmorden

Am 25. November hat das Bundesverwaltungsgericht in dritter Instanz die Klage von drei jemenitischen Staatsangehörigen zurückgewiesen, die die Bundesregierung verpflichten wollten, die Nutzung der Ramstein Air Base für völkerrechtswidrige Drohnenangriffe in ihrer Heimat zu unterbinden. Die Kläger fürchten um ihr eigenes Leben und das ihrer Familien, nachdem Drohnenangriffe der USA zahlreiche Unbeteiligte getötet oder verletzt haben, darunter auch eigene Angehörige.

Einer der Kläger, Faisal bin Ali Jaber, hatte am 29. August 2012 im Dorf Kashamer im Ostjemen die Hochzeit seines Sohnes gefeiert, als US-amerikanische Drohnen vier Raketen auf das Gebiet feuerten und zwei Familienmitglieder töteten. Die beiden Getöteten waren Gegner von Al-Qaida, gegen die sich die Angriffe angeblich richteten. Die Mutter eines Getöteten erlitt einen Schock und verstarb wenige Wochen später.

Global Hawk Drohne der US-Air Force

Die US-Air Base im rheinland-pfälzischen Ramstein spielt bei diesen Angriffen eine unverzichtbare Rolle. Laut Verfassungsblog, einem Internetportal für Verfassungsrecht, gäbe es „die US-Drohnenangriffe in Ländern wie Pakistan, Libyen, Afghanistan, Somalia, Jemen und dem Irak ohne die Militärbasis Ramstein nicht“.

Ramstein sei „der größte Luftwaffenstützpunkt der USA und bislang der einzige Militärstützpunkt, der ihnen die technischen Voraussetzungen für Drohnenangriffe im Nahen Osten bietet. Aufgrund der Erdkrümmung und der hohen Distanz ist die Koordination von Flugdrohnen im Nahen Osten direkt aus den USA nur mit zeitlicher Verzögerung möglich.“ Daher würden „alle Daten von den USA aus an die Militärbasis Ramstein übermittelt und von dort aus an die Drohnen gesandt“.

Die Jemeniten hatten ursprünglich in den USA gegen die tödlichen Angriffe geklagt, waren dort aber in zwei Instanzen abgewiesen worden. Auch in Deutschland hatten sie in der ersten Instanz, dem Verwaltungsgericht Köln, keinen Erfolg. Die zweite Instanz, das Oberverwaltungsgericht (OVG) Münster, gab ihrer Berufung dann teilweise statt.

In einer ausführlichen Entscheidung vom März 2019 verpflichtete das OVG Münster die Bundesregierung, „sich durch geeignete Maßnahmen zu vergewissern, dass eine Nutzung der Air Base Ramstein durch die Vereinigten Staaten von Amerika für Einsätze von unbemannten Fluggeräten, von denen Raketen zur Tötung von Personen abgeschossen werden, … nur im Einklang mit dem Völkerrecht“ stattfindet. Erforderlichenfalls müsse die Bundesregierung gegenüber den USA auf die Einhaltung des Völkerrechts hinwirken.

Dieses Urteil hat nun die dritte Instanz, das Bundesverwaltungsgericht in Leipzig, am 25. November wieder aufgehoben. Es hat damit gezielten Tötungen, an deren Völkerrechtswidrigkeit die Vorinstanz wenig Zweifel gelassen hatte, im Namen übergeordneter imperialistischer Interessen seinen Segen erteilt.

Das Oberverwaltungsgericht Münster hatte in seinem Urteil unter anderem folgende Leitsätze formuliert:

  • Ein Recht auf präventive bzw. „präemptive“ Selbstverteidigung auch in Situationen, in denen noch keine unmittelbare Gefahr („imminent threat“) besteht, sondern „über Zeit und Ort des feindlichen Angriffs Ungewissheit herrscht“, findet im geltenden Völkerrecht keine Grundlage.
  • Das humanitäre Völkerrecht kennt keine potenziell weltweiten nicht internationalen bewaffneten Konflikte. Solche gibt es auch nicht in Gestalt eines sogenannten Kriegs gegen den internationalen Terrorismus.
  • Das Gebot der Unterscheidung zwischen Zivilisten und Kämpfern sowie zwischen zivilen und militärischen Objekten ist auch für nicht internationale bewaffnete Konflikte Inhalt des Völkervertragsrechts und Teil des Völkergewohnheitsrechts.
  • Die Annahmen eines globalen Krieges gegen den Terrorismus sowie eines Rechts auf präventive Selbstverteidigung auch in Situationen der Unsicherheit über Zeit und Ort eines etwaigen Angriffs bergen selbst dort, wo tatsächlich ein nicht internationaler bewaffneter Konflikt besteht, ein erhebliches strukturelles Risiko von Verstößen gegen das Unterscheidungsgebot und das grundsätzliche Verbot direkter Angriffe auf Zivilpersonen.
  • Die völkerrechtlichen Vorschriften zum Schutz der Menschenrechte finden im Falle eines bewaffneten Konflikts neben den speziellen Vorschriften des humanitären Völkerrechts ergänzende Anwendung.
  • Das völkerrechtliche Verbot willkürlicher Tötungen verlangt, dass wirksame amtliche Ermittlungen durchgeführt werden, wenn Personen durch Gewaltanwendung insbesondere durch Vertreter des Staates getötet werden.

Mehrmals hielten die OVG-Richter fest, dass die Bundesregierung demgegenüber lediglich erklärt habe, sie habe keinen Anlass an der Zusicherung der USA zu zweifeln, dass Aktivitäten in US-Militärliegenschaften in Deutschland im Einklang mit dem geltenden Recht erfolgten.

Dennoch sah das OVG keinen Anspruch der Kläger, dass Deutschland die Nutzung der Air Base Ramstein für bewaffnete Drohneneinsätze in ihrer Heimatregion unterbinde. Dies, obwohl das Gericht selbst festgestellt hatte: „Für die Kläger begründet die geschilderte Einsatzpraxis der USA eine grundrechtlich erhebliche Gefahr, durch einen unter Einbindung der Air Base Ramstein durchgeführten völkerrechtswidrigen Drohnenangriff an Leib oder Leben zu Schaden zu kommen.“

Das OVG billigte der Bundesregierung einen weiten Ermessensspielraum zu, bezeichnete aber die von ihr getroffenen Maßnahmen zum Schutz von Leib und Leben der Kläger als völlig unzureichend. Der Ermessensspielraum stelle die Bundesregierung nicht über das Gesetz, er bedeute nicht, „dass der Bundesregierung (schon) bezogen auf die völkerrechtliche Bewertung des jeweiligen Sachverhalts ein nicht justiziabler Beurteilungsspielraum zukäme.“

„Die Qualifizierung einer Person oder eines Objekts als legitimes militärisches Ziel im Rahmen eines bewaffneten Konflikts oder in Wahrnehmung des Selbstverteidigungsrechts ist keine politische Entscheidung, die einer gerichtlichen Kontrolle von vornherein entzogen wäre, sondern eine Frage des Völkerrechts“, heißt es weiter im OVG-Urteil.

Das Bundesverwaltungsgericht hat ihre Aufhebung dieses Urteils bisher nur in einer Pressemitteilung begründet. Es lässt schon offen, ob Deutschland überhaupt Schutzpflichten gegenüber den Klägern habe. Schließlich gehe es hier nur „um einen rein technischen Übermittlungsvorgang“.

Das OVG war in seinem Urteil unter Berufung auf den NSA-Untersuchungsausschuss zum Schluss gelangt, dass die Bundesregierung den USA 2010 gestattet hatte, in Ramstein ein „einzigartiges Kontrollzentrum“ aufzubauen, das „eine wesentliche Rolle für den Einsatz von US-Drohnen spielt“. Das hatte auch die Bundesregierung selbst im gerichtlichen Verfahren nicht bestritten. Doch für die Leipziger Richter ist das ein „rein technischer Übermittlungsvorgang“ und keine Beihilfe zu völkerrechtswidrigen Tötungen.

Auch sei gar nicht klar, ob die Drohnenangriffe überhaupt rechtswidrig seien, heißt es weiter in der Pressemitteilung des Bundesverwaltungsgerichts. Bei der völkerrechtlichen Beurteilung müsse man die „vertretbare Bandbreite von Rechtsauffassungen“ berücksichtigen. Diese verschwurbelte Formulierung kann eigentlich nur bedeuten, dass deutsche Bundesrichter es für diskutabel halten, ob es rechtmäßig sei, ohne Rücksicht auf zivile Verluste weltweit Bomben und Raketen niedergehen zu lassen.

Selbst wenn man eine Schutzpflicht annehmen würde, so die Bundesrichter, wäre die Bundesregierung dieser mit ihren „Konsultationen“ mit den USA ausreichend nachgekommen. Sie habe sogar „eine Zusicherung der USA eingeholt, dass Aktivitäten in US-Militärliegenschaften in Deutschland im Einklang mit geltendem Recht erfolgen“.

Und schließlich: „Weitergehende Schritte, wie insbesondere die von den Klägern letztlich geforderte Kündigung der völkervertraglichen Grundlagen für die Nutzung der Air Base Ramstein musste die Bundesregierung wegen der massiven nachteilhaften Auswirkungen für die außen-, bündnis- und verteidigungspolitischen Belange der Bundesrepublik Deutschland nicht in Betracht ziehen.“

2005 hatte das Bundesverwaltungsgericht noch eine andere Auffassung vertreten. Es hatte einen Fall zu beurteilen, in dem es sich ausführlich mit den Unterstützungsleistungen Deutschlands für den – vom selben Gericht als völkerrechtswidrig beurteilten – Irakkrieg beschäftigte, insbesondere der Gewährung der Nutzung von militärischen Einrichtungen und von Überflugrechten für die kriegsführenden Mächte USA und Großbritannien.

Damals hatte es festgestellt: „Die Unterstützung einer völkerrechtswidrigen Militäraktion kann nicht nur durch die militärische Teilnahme an Kampfhandlungen erfolgen, sondern auch auf andere Weise. Ein völkerrechtliches Delikt kann durch ein Tun oder – wenn eine völkerrechtliche Pflicht zu einem Tun besteht – durch Unterlassen begangen werden. Eine Beihilfe zu einem völkerrechtlichen Delikt ist selbst ein völkerrechtliches Delikt.“

Mit Beihilfe war damals wohlgemerkt die bloße Gewährung von Überflugrechten gemeint. Auswirkungen auf die Politik der damaligen rot-grünen Regierung Gerhard Schröders, die sich im Verfahren weitgehend die Rechtsauffassung der Bush-Regierung zur Rechtfertigung des Angriffs auf den Irak zu eigen gemacht hatte, gingen von dem Urteil allerdings nicht aus.

Das aktuelle Urteil ist bedeutsam. Es zeigt schwarz auf weiß, wieviel Regierung und Gerichten der Schutz von Menschenleben wert ist, wenn globale Interessen des deutschen Imperialismus auf dem Spiel stehen: Gar nichts. Die Rechtmäßigkeit von Drohnenmorden in beliebigen Ländern aufgrund eines selbst proklamierten globalen „Kriegs gegen den Terror“ ist diskutabel. Die bloße „Zusicherung“, das eigene Handeln sei rechtmäßig, reicht aus, wenn es von einem (derzeitigen) Bündnispartner kommt. Die Unterbindung von völkerrechtswidrigen Drohnenangriffen muss Deutschland nicht einmal „in Betracht ziehen“, wenn es dadurch seine „außen-, bündnis- und verteidigungspolitischen Belange“ gefährdet sieht.

Das Urteil ist nicht nur eine Verbeugung vor dem künftigen US-Präsidenten Joe Biden, der US-Vizepräsident war, als die Drohnenangriffe stattfanden, die Gegenstand des Verfahrens waren. Tatsächlich will Deutschland selbst baldmöglichst Kampfdrohnen einsetzen. „Die Beschaffung bewaffneter Drohnen für die Bundeswehr“ sei „ein zentrales Vorhaben“ für das Jahr 2021, hat Bundesverteidigungsministerin und CDU-Vorsitzende Annegret Kramp-Karrenbauer erst kürzlich erklärt.

Anfang dieses Jahres hatte Deutschland bereits deutlich gemacht, dass es kein Problem mit „außergerichtlichen Tötungen“ durch Killerdrohnen hat. Als der iranische General Qasem Soleimani im Januar durch eine US-Drohne im Irak getötet wurde – unter offener Missachtung der irakischen Souveränität –, weigerte sich die Bundesregierung, dies zu verurteilen, obwohl ein Gutachten des wissenschaftlichen Dienstes des Bundestages und die UNO-Sonderberichterstatterin zu außergerichtlichen Tötungen den Angriff eindeutig als völkerrechtswidrig einschätzten.

Schon dass der Befehlshaber des Massakers im afghanischen Kunduz, Bundeswehroberst Georg Klein, von allen deutschen Gerichten freigesprochen und zum General befördert wurde, war ein deutliches Warnsignal. Nun hat ein deutsches Bundesgericht ausdrücklich die Kriminalisierung der Außen- und Sicherheitspolitik abgesegnet: Wenn es im außenpolitischen Interesse ist, geht Macht vor Recht und über Leichen.

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