Perspektive

Bericht des Generalinspekteurs: US Capitol Police ließ Trumps Putschversuch vom 6. Januar geschehen

Ein neuer 104-seitiger Bericht des Generalinspekteurs der US Capitol Police bestätigt, dass Personen aus der gesamten Führungsriege der Abteilung durch Untätigkeit und regelrechte Sabotage zu dem von Trump befeuerten Angriff auf das Kapitol beigetragen haben.

Der „für die Strafverfolgung vorbehaltene“ Bericht trägt den Titel „Untersuchung der Ereignisse rund um die Einnahme des US-Kapitols am 6. Januar 2021“ („Review of the Events Surrounding the Jan. 6, 2021, Takeover of the US-Capitol“). In Auszügen, die von der Presse eingesehen werden konnten, stellt Generalinspekteur Michael Bolton fest, dass der an vorderster Front des Angriffs auf das Kapitol eingesetzten Polizei von ihrer Führung verboten wurde, einige ihrer wirksamsten Taktiken und Einsatzmittel zur Aufstandsbekämpfung zu verwenden – und dies, obwohl eindeutige Erkenntnisse vorlagen, die auf einen Angriff auf das Kapitol hinwiesen.

Der Bericht war gestern Gegenstand einer Anhörung des Verwaltungsausschusses des Repräsentantenhauses und wird möglicherweise in der einen oder anderen Form für die Öffentlichkeit freigegeben werden. Er folgt auf ein internes Pentagon-Dokument, das vor weniger als einer Woche an die Presse durchgesickert war und welches bestätigt, dass hochrangige Militärs verzweifelte Bitten von Parlamentsabgeordneten und Vizepräsident Mike Pence ignorierten, Soldaten der Nationalgarde gegen den laufenden Angriff einzusetzen.

Bolton merkte an, dass die speziell für den Umgang mit solch aggressiven Menschenmengen geschaffene Capitol Police Civil Disturbance Unit (CDU) „durch Befehle ihrer Führung“ daran gehindert wurde, „schwerere und weniger tödliche Waffen“ einzusetzen.

Über die allgemeine Bereitschaft der CDU für den Einsatz gegen Demonstranten schrieb Bolton, dass die Einheit „auf einem verminderten Niveau der Einsatzbereitschaft operiert, als Ergebnis eines mangelhaften Ausrüstungsstandards“. Als Beispiel nannte der Bericht, dass die wenigen Polizeischilde, die die Abteilung an diesem Tag verteilte, unsachgemäß gelagert worden waren, was zu vielen Rissen führte, während mehrere andere Schilde offenbar in einem Bus eingeschlossen und während des gesamten Angriffs nicht verfügbar waren.

Jede lokale Polizeieinheit im ganzen Land ist mit solchen Waffen ausgestattet. Es kann keine unschuldige Erklärung dafür geben, dass die mit dem Schutz des Kongresses beauftragte Capitol Police mit ihrem Jahresbudget von fast einer halben Milliarde Dollar angesichts von tausenden Trump-Anhängern, hunderten White-Supremacy-Rassisten und faschistischen Milizionären nicht von solchen Waffen Gebrauch machen durfte.

Trump-Unterstützer gebärden sich vor Beamten der US Capitol Police im Gang vor der Senatskammer des Kapitols. Mittwoch, 6. Januar 2021, Washington(AP Photo/Manuel Balce Ceneta)

Bolton widersprach der Aussage des ehemaligen Chefs der Capitol Police Steven Sund, der vor dem Kongress erklärt hatte, dass es „keine Erkenntnisse“ gegeben habe, die einen bevorstehenden Angriff nahegelegt hätten. Er stellte fest, dass die eigene Geheimdiensteinheit der Abteilung drei Tage vor dem Angriff davor gewarnt worden war, dass Anhänger Trumps unter dem Eindruck seiner verlogenen Behauptung von einer „gestohlenen Wahl“ den Kongress ins Visier nahmen und wahrscheinlich gewalttätig werden würden.

Die Bedrohungsanalyse der Capitol Police vom 3. Januar stellt unumwunden fest: „Im Gegensatz zu Protesten nach früheren Wahlen sind am 6. Januar nicht notwendigerweise die Gegendemonstranten das Ziel der Trump-Anhänger, sondern der Kongress selbst.“ Weiter heißt es: „Die Tendenz von ‚Stop the Steal‘, White-Supremacy-Rassisten, Mitglieder von Milizen und andere gewaltorientierte Personen anzuziehen, könnte eine erhebliche Gefährdungslage für Strafverfolgungsbehörden und Öffentlichkeit gleichermaßen herbeiführen.“

Der Bericht hält fest, dass in der Bedrohungsanalyse Social-Media-Kommentare auf einer Pro-Trump-Website zitiert werden, die Angriffe auf Mitglieder des Kongresses propagieren und eine Karte des unterirdischen Tunnelsystems enthalten.

Das Department of Homeland Security (DHS) leitete diese Karte weiter – zusammen mit mehreren Kommentaren auf der Website, die laut DHS dafür plädierten, „Kongressabgeordnete zu stellen und während des Protestes Schusswaffen zu tragen“. Ein im Bericht zitierter Kommentar lautete: „Bringt Waffen mit. Jetzt oder nie.“ Ein anderer lautete: „Wir können ihnen keine Wahl lassen. Unsere einzige Chance ist die bewaffnete Überzahl.“

Niemand kann die Behauptung ernst nehmen, dass die Capitol Police in der Bundeshauptstadt nicht das hätte tun können, was gegen linke Proteste in jeder amerikanischen Stadt routinemäßig getan wird. Nach der Tötung von Daunte Wright setzte die politische Führung der Demokraten in Minnesota alle verfügbaren Mittel ein, um die zunehmenden Proteste zu unterdrücken. Polizeikräfte wurden mobilisiert, um Straßensperren zu errichteten, Stacheldrahtzäune aufzustellen und verfassungswidrige „Ausgangssperren“ durchzusetzen.

In den kommenden Tagen werden wahrscheinlich weitere Details ans Licht kommen, aber was bereits über die Untersuchung des Generalinspekteurs der Capitol Police berichtet wurde, macht deutlich, dass im Vorfeld des Aufstandes vom 6. Januar eine absichtliche Demobilisierung der Polizei stattgefunden hat.

Während sich dies abspielte, hielt sich das Militär selbst bereit und ließ die Entwicklung der Ereignisse tatenlos zu. Das interne Pentagon-Dokument, das am vergangenen Wochenende an die Presse weitergegeben wurde, dokumentiert die Serie von Anrufen, die Kongressabgeordnete an Beamte des Verteidigungsministeriums gerichtet haben, während der Angriff stattfand.

In einer Zeugenaussage vor dem Kongress Anfang März sagte William Walker, Kommandant der Nationalgarde von D.C., dass er um 13:49 Uhr die Entsendung von Truppen der Nationalgarde zum Kapitol angefordert habe, als die faschistischen Umstürzler dem Gebäude näherkamen. Der von Trump handverlesene kommissarische Verteidigungsminister Christopher Miller erteilte die Genehmigung erst um 17:08 Uhr, drei Stunden und 19 Minuten später.

In der Zwischenzeit forderten Kongressabgeordnete sowie der damalige Vizepräsident Mike Pence in verzweifelten Anrufen die Evakuierung des Kapitols. Dazu zählte ein 30-minütiges Telefonat zwischen der Sprecherin des Repräsentantenhauses Nancy Pelosi, dem Mehrheitsführer im Senat Chuck Schumer, und dem Vorsitzenden der Joint Chiefs of Staff General Mark Milley um ca. 4:40 Uhr, in dem Pelosi und Schumer „den Nationalen Sicherheitsapparat beschuldigten, von einem geplanten Angriff der Demonstranten auf das Kapitol gewusst zu haben“, so der Bericht.

Das Militär und das Verteidigungsministerium – denen viele Personen angehörten, die Trump in den Monaten zuvor installiert hatte – griffen nicht in den Lauf der Ereignisse ein, und gaben Trump damit den benötigten Handlungsspielraum, um die Operation durchzuführen. Sie schritten erst zur Tat, als klar wurde, dass die Operation ihre Ziele nicht erreicht hatte.

In ihrer Perspektive „199 Minuten im Januar“ schrieb die World Socialist Web Site am 5. März 2021:

Zudem kamen die Ereignisse vom 6. Januar alles andere als überraschend. Dem Aufstand ging eine monatelange politische Krise voraus, in der der Präsident der Vereinigten Staaten deutlich machte, dass er eine friedliche Machtübergabe nicht akzeptieren würde. Die Geheimdienste und das Militär waren sich der Pläne und Drohungen, die insbesondere auf den 6. Januar abzielten, sehr wohl bewusst.

Es wurde vielmehr bewusst entschieden, nicht zu handeln, während eine eindeutige politische Strategie in die Tat umgesetzt wurde. Mehr als drei Stunden lang hatten die faschistischen Gruppen praktisch freie Hand über das Kapitol-Gebäude. Die militärisch ausgebildeten Elemente unter den Randalierern wussten, dass ihnen Zeit gegeben wurde, um Geiseln unter den Senatoren und Repräsentanten zu suchen.

Die zwischenzeitlich bekannt gewordenen Enthüllungen haben diese Einschätzung bestätigt. Die Behauptungen, dass der Angriff unvorhergesehen kam oder das unerwartete Ergebnis unberechenbarer Trump-Anhänger war, werden durch die monatelange Planung widerlegt, die in den Angriff eingeflossen ist, sowie durch die bewusste Zurückhaltung von Polizei und Militär.

Trumps versuchte Machtergreifung, die von ihrem Erfolg nur Minuten entfernt war, muss der Arbeiterklasse als todernste Warnung vor dem fortgeschrittenen Verfall demokratischer Herrschaftsformen in den USA und der ganzen Welt dienen.

Die anhaltende Bedrohung durch faschistische Gewalt bleibt trotz des Scheiterns des Putsches vom 6. Januar bestehen, weil die Demokratische Partei und Präsident Biden alles daran setzen, die Gefahr zu vertuschen und die Verantwortung der Republikanischen Partei zu verschleiern. Vor allem anderen streben sie nach überparteilicher „Einheit“ mit ihren „republikanischen Kollegen“, um die gemeinsame Agenda ihrer Klasse durchzuführen: die Verteidigung der Interessen des amerikanischen Imperialismus im Ausland und die Wiederöffnung der Wirtschaft – ungeachtet der Coronavirus-Pandemie – um die Profite und den Reichtum der Finanzaristokratie aufrechtzuerhalten.

Loading