Nach Fiasko der Gewerkschaft RWDSU bei Amazon:

Plädoyer von Left Voice für die Gewerkschaftsbürokraten

Präsident Joe Biden selbst hatte sich nebst führenden Medien für das Projekt stark gemacht: Bei Amazon in Bessemer (Alabama) sollte die Einzel- und Großhandelsgewerkschaft RWDSU einziehen. Am Ende haben von 5.800 Arbeitern nur 738, weniger als dreizehn Prozent, dafür gestimmt, dass die Gewerkschaft ihre Interessen vertritt.

Diese demütigende Abfuhr, die die Amazon-Arbeiter der RWDSU erteilten, hat unter pseudolinken Fürsprechern der Gewerkschaft eine Welle von Rechtfertigungs- und Entschuldigungsversuchen ausgelöst.

Das berüchtigte Zelt am letzten Tag der Abstimmung (Quelle: WSWS Media)

Eine der Stimmen, die jetzt versuchen, die Glaubwürdigkeit der RWDSU zu retten, ist die US-amerikanische Zeitung Left Voice, die mit der Partido de los Trabajadores Socialistas–PTS (Sozialistische Arbeiterpartei) in Argentinien und der Revolutionären Internationalen Organisation (RIO) in Deutschland zusammenarbeitet. Monatelang versuchte Left Voice, die RWDSU-Kampagne als „historische Chance“ der Arbeiterklasse in den USA zu verkaufen.

Am 8. April publizierte sie dann einen Artikel unter dem Titel: „Amazon setzt sich mit Schikanen und Bestechung gegen die Gewerkschaft durch, aber der Kampf ist nicht vorbei“. Darin präsentiert die erfolglose Kampagne als mutiges, aber aussichtsloses Unterfangen gegen einen übermächtigen Gegner: „Von Anfang an war der Kampf um gewerkschaftliche Organisation eine Geschichte von 'David gegen Goliath' – und Goliath Amazon setzte sein gesamtes juristisches Waffen-Arsenal ein.“

Was waren die wichtigsten Faktoren in diesem Kampf „David gegen Goliath“? Amazon, so heißt es, „investierte in eine breit angelegte Anti-Gewerkschafts-Kampagne und gab mehr als 10.000 Dollar täglich aus, um die Mitgliederwerbung zu stoppen“. Wenn das stimmen würde und der Konzernriese wirklich nur 10.000 Dollar täglich dafür ausgegeben hätte, dann wäre das nur ein Hinweis darauf, dass Amazon-Eigentümer Jeff Bezos nicht allzu beunruhigt war. Der Konzern hat insgesamt einen Aktienwert von 1,7 Billionen Dollar, und eine Aktie wird für etwa 3.400 Dollar gehandelt, also sind 10.000 Dollar nicht einmal so viel wie drei Aktien.

Was den angeblichen „David“ betrifft, so ist auch die AFL-CIO ein Multi-Milliarden-Dollar-Unternehmen, das riesige Investitions- und Pensionsfonds besitzt. Die Gewerkschaft hätte leicht ein ebenso hohes Budget wie Amazon für Gegenmaßnahmen zur Verfügung stellen können. Für eine sechsmonatige Kampagne hätte dies 1,8 Millionen Dollar ausgemacht. Das ist 100.000 Dollar weniger als die Jahresgehälter für den RWDSU-Präsidenten, Stuart Appelbaum, und die nächsten acht höchstdotierten Gewerkschaftsbürokraten. Weitere 6 Millionen Dollar bezahlt die RWDSU jährlich an seine gesamten Gewerkschaftsfunktionäre.

Als entscheidenden Schachzug für Amazons Erfolg werten sowohl RWDSU als auch Left Voice das Aufstellen eines Briefkastens als Wahlurne in einem Zelt auf dem Firmengelände. Die Arbeiter konnten ihn zur freiwilligen Stimmabgabe nutzen. „Dieser Briefkasten“, schreibt Left Voice, der mitten in der Nacht aufgestellt worden war, war ein zentrales Element von Amazons Strategie, um die Gewerkschaft zu sabotieren. Amazon wollte, dass die Beschäftigten die Stimmzettel auf die Arbeit mitbringen, um sie unter Druck zu setzen, zu überwachen und die Zahl der ‚Nein‘-Stimmen zu erhöhen. Der Briefkasten wurde kurz nach Ende der Gewerkschafts-Abstimmung wieder entfernt.“

Dass die RWDSU diesem Briefkasten so viel Bedeutung zuschreibt, entlarvt nur den erbärmlichen Charakter ihrer ganzen Kampagne.

Der Klassenkampf in Amerika: eine Geschichte voller Gewalt

Quintessenz der Argumentation von Left Voice ist, dass die RWDSU die Wahl verloren hat, weil Amazon gegen die Gewerkschaft war. Nicht genug damit, dass Präsident Biden und Senator Rubio die Einführung der Gewerkschaft offensichtlich befürworteten: Für einen Sieg der RWDSU hätte sich offenbar auch Jeff Bezos stark machen müssen.

Die feigen Bürokraten und ihre Handlanger von Left Voice, die sich über die „brutale“ Antigewerkschaftskampagne beklagen, waren nie in einen echten Arbeitskampf verwickelt. Die Maßnahmen der Bürokraten, die RWDSU bei Amazon einzuführen gedenkt, haben mit einem Kampf gar nichts zu tun. Die Gewerkschaftsbürokraten haben keine Ahnung davon, wie der Klassenkampf in den USA in Wirklichkeit aussieht. Die Geschichte der amerikanischen Arbeiterbewegung war von Anfang an von staatlich-korporativer Gewalt geprägt.

Streikende Bergarbeiter in Alabama, 1934

In den 1870er Jahren mussten die Molly Maguires, eine geheime Arbeiterkampforganisation in den Kohlefeldern von Pennsylvania, mit Verhaftung und Hinrichtung durch die Kohle- und Eisenpolizei rechnen. Der Kampf für den Achtstundentag war mit brutalen Repressalien, wie zum Beispiel dem Haymarket-Massaker von 1886, konfrontiert. In den 1930er und 1940er Jahren bediente sich der Kampf gegen den Aufbau von Massengewerkschaften in der Industrie nicht nur eingeschleuster Spione, Entlassungen und schwarzer Listen. Gegen streikende Arbeiter wurden auch Schlägertrupps und staatliche Milizen eingesetzt, die sie zusammenschlugen und umbrachten. Die Gewerkschaftsorganisatoren wurden verleumdet und verfolgt, und viele von ihnen wurden ermordet.

In Alabama waren Bergarbeiter, Stahlarbeiter, Baumwollpflücker und viele andere Arbeiter noch in den 1960er Jahren mit dem brutalen Widerstand der Bosse, des Staats und des Ku-Klux-Klans konfrontiert.

Ein Wachmann der Bergwerksgesellschaft beobachtet eine Werksiedlung bei Birmingham (Alabama)

Der Historiker Robin D.G. Kelley schildert in seinem Werk, „Hammer and Hoe: Alabama Communists during the Great Depression“, wie die Industriellen in den werkseigenen Siedlungen der Stahl- und Bergbaustädte die Kontrolle ausübten. Diese Siedlungen waren „nach dem Vorbild eines bewaffneten Lagers gebaut“, und diese Struktur war dazu gedacht, „äußere Einflüsse, nämlich die Gewerkschaftsorganisatoren, von den Arbeitern fernzuhalten. Die Unternehmer finanzierten eine private Polizeitruppe, sie bezahlten Spione, die Informationen sammelten und die Aktivitäten der Arbeiter überwachten. Sie setzten jedes verfügbare Mittel ein, um die Arbeitergemeinden mit einem undurchdringlichen Schild zu umgeben.“

Kelley beschreibt die Verfolgung der Berg- und Stahlgewerkschaft Mine, Mill and Smelter Workers beim Streik 1934 gegen die Tennessee Coal and Iron Company (TCI), die zu US Steel gehörte, und gegen andere Stahlunternehmen im Raum Birmingham (Alabama):

„Mobilisiert durch die Aktionskomitees [die von Mitgliedern der Kommunistischen Partei angeführt wurden], riefen die örtlichen Mine-Mill-Gewerkschaftsführer im Mai 1934 zum Streik auf. Der Appell richtete sich an Arbeiter bei TCI, Republic Steel Corporation, Sloss-Sheffield Iron and Steel Company und der Woodward Iron Company, und es ging um höhere Löhne, kürzere Arbeitszeiten und die Anerkennung der Gewerkschaft. Die Unternehmer lehnten eine Schlichtung ab und reagierten mit Entlassungen und der fristlosen Kündigung von Dutzenden Betriebswohnungen, in denen Gewerkschaftsmitglieder wohnten. In der gewaltsamen Auseinandersetzung zwischen Streikenden und der Werkspolizei kamen zwei Streikbrecher ums Leben, und mindestens neun Arbeiter wurden verletzt. Obwohl staatliche Truppen eingriffen, explodierten Bomben, und den ganzen Sommer hindurch kam es immer wieder zu Schießereien.

Durch Intervention des Arbeitsministeriums unter Frances Perkins wurde schließlich am 27. Juni eine Vereinbarung zwischen der Arbeitervertretung Mine Mill und TCI getroffen, die allerdings kaum einen Sieg für die Gewerkschaft bedeutete. Mine Mill wurde weiterhin nicht anerkannt, die Löhne stiegen nur geringfügig.“

Kelley beschreibt auch den Streik der Baumwollpflücker von 1934, den die Gewerkschaft Sharecroppers Union (SCU) führte, und bei dem die Arbeiter einen Dollar mehr Lohn pro hundert Pfund forderten: „In Lee County verhaftete die Polizei sieben Gewerkschaftsmitglieder wegen Verteilens von Flugblättern, die zum Streik aufriefen, und in Tallapoosa erschossen Bürgerwehren mindestens drei Streikende, darunter eine [kommunistische] Parteiorganisatorin. An den Türen mehrerer mutmaßlicher Streikender wurde folgende Botschaft angebracht: 'Warnung: Merkt euch, wenn ihr ein gutes und gesundes Leben haben wollt, dann tretet bei der Share Croppers Union aus.'“

Flyer des Ku-Klux-Klans aus den 1930er Jahren

Die Gewalttaten des Ku-Klux-Klans hielten bis in die 1960er Jahre hinein an. Es gab Ausschreitungen sowohl gegen die Bürgerrechts- als auch gegen die Arbeiterbewegung.

David North beschreibt in seiner Schrift von 1972, „Where Wallace Really Stands“ (Wo Wallace in Wirklichkeit steht), wie der Gouverneur George Wallace gewaltsam gegen die Arbeiterbewegung vorging.

Wallace‘ Schreckensherrschaft hatte sich anfangs gegen schwarze Führer und Bürgerrechtler gerichtet, was darin gipfelte, dass Viola Liuzzos in Alabama durch drei Mitglieder des Klans auf offener Straße ermordet wurde. Dann stellt North fest: „Ein weiterer Aspekt dieses Terrors, der selten diskutiert wird, war seine Anwendung gegen die Arbeiterbewegung in Alabama. Wallace baute die staatliche Straßenpatrouille aus, die von Al Lingo, einem Klan-Anhänger, geleitet wurde. Eine der Hauptaufgaben der Straßenpatrouille war das kriminelle Drangsalieren von Gewerkschaftsorganisatoren.“

Ein Gewerkschaftsfunktionär, der 1965 an einer Mitgliederkampagne teilnahm, erzählte North: „Als wir schwarze Arbeiter organisierten, kam es oft zu Störungen der Gewerkschaftsräume. Die Polizei umkreiste die Lokale. Einmal befürchteten wir, dass eine Bombe im Auto eines Gewerkschaftlers platziert worden sei. Die staatliche Polizei weigerte sich, das Auto zu überprüfen. Ich rief den Gouverneur an und fragte, ob das Leben eines Gewerkschafters etwa nicht geschützt werde. Dieser ganze Rassismus wurde nur dazu eingesetzt, die Gewerkschaften schwach zu halten. So hieß es beispielsweise, wer einen Weißen registriere, dürfe nicht auch einen Schwarzen registrieren, und umgekehrt.“

Der reaktionäre Rassengrundlage von Left Voice

Die RWDSU musste nichts annähernd Vergleichbares wie vor 50 Jahren in Alabama erleben.

In ihrem Plädoyer für die RWDSU argumentiert Left Voice weiter: „Alabama ist ein tiefroter, rechtsgerichteter Staat“ [tiefrot im Sinne eines ausgeprägten Republikaner-Staats]. „Hier wird regelmäßig gewerkschaftsfeindliche Propaganda verbreitet“, und deshalb „war es wenig wahrscheinlich, dass der Goliath Amazon ausgerechnet an diesem Ort besiegt werden konnte“.

Allerdings wird der 7. Wahlbezirk von Alabama wohl kaum ein Zentrum der Republikaner und ihrer „Recht-auf-Arbeit“-Propaganda [zum Schutz der Streikbrecher] sein. Zu diesem Bezirk der Region Birmingham gehören Bessemer und andere überwiegend afroamerikanisch bewohnte Stadtteile. Der Bezirk ist einer von nur elf Wahlkreisen, in denen sich die Republikaner in der Legislaturperiode 2020 nicht einmal die Mühe machten, einen Kandidaten aufzustellen. Im Süden der USA gibt es nur drei solche Wahlkreise. Bei den Präsidentschaftswahlen gewann Biden dort 70 Prozent. Die meisten Arbeiter in Bessemer sind Afroamerikaner und haben zweifellos für Biden gestimmt, sofern sie überhaupt zur Wahl gingen.

Tatsächlich haben die RWDSU und die AFL-CIO gerade deshalb das Bessemer-Werk ausgewählt. Allerdings appellierten sie nicht auf einer Klassen- sondern auf einer Rassengrundlage an die Arbeiter. „Da die Unterstützung unter jungen schwarzen Männern im Werk am schwächsten ist, hoffen viele, dass die Black-Lives-Matter-Bewegung jüngere schwarze Aktivisten dazu bringen kann, sich mehr für sie zu engagieren“, schrieb ein Anhänger der AFL-CIO in einem Bericht für die Gewerkschaftszeitschrift Pay Day.

Left Voice spielte eine führende Rolle bei dem Versuch, die Gewerkschaftskampagne in rassistische Kanäle und in das Fahrwasser der Black-Lives-Matter-Bewegung zu lenken.

In ihrem Artikel vom 7. März, „Schlachtfeld Bessemer“, schrieb Left Voice: „Dieser Gewerkschaftskampf ist ein direktes Produkt der Black-Lives-Matter-Bewegung. Die Bewegung fiel mit den verheerenden Auswirkungen der Coronapandemie zusammen und zeigte alle Ungerechtigkeiten des rassistischen Kapitalismus auf. Wer im Sommer auf die Straße ging, erklärte unmissverständlich, dass schwarze Menschen etwas Besseres verdienen. Schwarzem Leben sollte mit Achtung begegnet werden. Das hat aber für Polizisten keine Bedeutung; sie terrorisieren systematisch Schwarze und ermorden sie. Und für Amazon ist schwarzes Leben auch ohne Wert.“

Mit dieser Taktik schadete sich Left Voice jedoch selbst, denn die Arbeiter in der Region wissen seit Langem, welche reaktionären politischen Implikationen die rassistische Spaltung hat.

Nach ihrem langen Plädoyer für die Gewerkschaft RWDSU geht Left Voice dazu über, die angebliche Rückständigkeit der Arbeiter zu tadeln. Sie zitiert einen RWDSU-Lakai, der die jungen Arbeiter im Bessemer-Werk an den Pranger stellt: „Sie wissen nichts über Gewerkschaften, also fressen sie, was man ihnen [von Seiten Amazons] vorsetzt.“ Laut den wohlbestallten Schreiberlingen von Left Voice, verdienen die Arbeiter die RWDSU einfach nicht.

Das wirkliche Problem für die RWDSU war nicht, dass die Arbeiter wenig über Gewerkschaften wussten. Sie wussten zu viel.

Kein Programm, keine Arbeiter

Die RWDSU hat nie auch nur eine einzige Forderung nach besseren Löhnen und Arbeitsbedingungen aufgestellt. Daran zeigt sich, dass die ganze Kampagne von ganz oben angeordnet war. In allen früheren Mitgliederkampagnen war der Kampf für eine Gewerkschaft immer klar mit konkreten Forderungen verbunden. Es ging um mindestens so grundlegende Fragen wie Löhne, Länge der Arbeitswoche, Bandgeschwindigkeit, Gesundheit und Arbeitsplatzsicherheit.

Aber die RWDSU stellte keine Forderungen auf, denn dann wäre es mit der Hilfe der Biden-Regierung und der Demokratischen Partei sofort aus gewesen. Außerdem gibt es für hochbezahlten Führungskräfte der RWDSU wie Appelbaum (Gehalt 2020: 344.464 $) nichts, was ihnen mehr Furcht einjagen könnte, als ein militanter Kampf der Arbeiterklasse.

Eine Amazon-Arbeiterin sagte der New York Times, dass sie nicht für die RWDSU gestimmt habe, denn beim Telefonanruf eines Gewerkschaftsvertreters vor der Abstimmung habe dieser „auf die kritische Nachfrage, was die Gewerkschaft denn an Verbesserungen zusagen könne, keine Antwort geben. Er hat einfach aufgelegt“, sagte sie. „Wenn man versucht, mir etwas zu verkaufen, muss ich dieses Produkt weiterverkaufen können.“

Aus mehreren Artikeln seit der Niederlage geht hervor, dass die RWDSU so gut wie keinen Kontakt mit Arbeitern hatte. Jane McAlevey von der Nation, die zu den Unterstützern der Kampagne gehörte, schrieb: „Die Ergebnisse waren jedoch nicht überraschend, und zwar aus Gründen, die mehr mit der Herangehensweise der Kampagne selbst zu tun haben als mit irgendeinem anderen Faktor.“

Zu Anfang, als die RWDSU im November 2020 die Gewerkschaftswahl beantragte, kannte sie laut McAlevey nicht einmal die Zahl der am Standort beschäftigten Arbeiter. Sie sei von 1.500, nicht von 5.800 ausgegangen. Die RWDSU schickte keine Organisatoren in die Wohngebiete der Arbeiter. Im Wesentlichen hätten Gewerkschaftsvertreter aus dem ganzen Land versucht, Arbeiter telefonisch zu erreichen. RWDSU-Organisatoren, die vor den Werkstoren Flugblätter verteilten, konnten keine Arbeiter aus Bessemer finden, die bereit gewesen wären, ihre Kollegen beim Verlassen des Werksgeländes anzusprechen und für die Gewerkschaft zu gewinnen. „Was die Arbeiter stattdessen zu Gesicht bekamen, waren bezahlte Gewerkschaftsfunktionäre und Unterstützer von außerhalb“, schreibt Jane McAlevey.

Die Gewerkschaft konnte weder Fotos noch ein öffentliches Plakat, kein Flugblatt und keine Website vorweisen, auf denen Unterschriften oder Gesichter von Arbeitern zu sehen waren, die ihre Absicht bekundeten, mit Ja zu stimmen. Sie hatte keine.

Dagegen stützte sich die RWDSU auf Prominente, die öffentliche Erklärungen abgaben, und lud Bernie Sanders zu einer Rede ein. Die Sanders-Kundgebung in Birmingham am 26. März war ein Flop, der so gut wie niemanden anlockte. In einem früheren Artikel gab Left Voice selbst zu: „Sanders kam in die Stadt und sprach zu einem Publikum, das hauptsächlich aus Pressevertretern und lokalen Aktivisten bestand. Von den 5.800, die am Versandstandort arbeiten, waren nur 10–15 Arbeiter bei der Kundgebung; einige erfuhren zu spät von der Veranstaltung.“

Kundgebung mit Bernie Sanders, 26. März 2021. Nur eine Handvoll Amazon-Arbeiter nahm teil

 

Left Voice’s Betrug mit der Basisarbeit

Nachdem Left Voice das RWDSU-Debakel schöngeredet hat, übt sie Kritik von „links“. Sie beschwert sich: „Die RWDSU-Führung hätte eine bessere Gewerkschaftsaufbau-Kampagne führen sollen“, und sie kritisiert, es sei versäumt worden, engere Kontakte mit den Arbeitern herzustellen. „Während der neoliberalen Jahrzehnte ist die Tradition der kämpferischen Gewerkschaftsarbeit verloren gegangen, und viele Gewerkschaftsbürokraten haben sich so verhalten, dass die Gewerkschaften zu Werkzeugen der Bosse wurden und die Arbeiter bevormunden. Die Entwicklung einer kämpferischeren Arbeiterbewegung erfordert, dass sich die Basis selbst organisiert.“

„Leider“, schreibt Left Voice, habe die RWDSU keine „konkreten Maßnahmen ergriffen, um die Arbeiter in Basisversammlungen zur Planung und Entscheidung über Richtung und Zukunft des Kampfes eigenständig zu organisieren“. Die Arbeiter am Standort „hatten wenig oder gar keinen Kontakt zur Gewerkschaft, abgesehen von ein paar Textnachrichten und einem Telefonanruf (...) Ein fataler Fehler.“

Einsamer RWDSU-Organisator mit drei Mitgliedern pseudolinker Organisationen am Amazon-Werkstor in Bessemer (Quelle: WSWS Media)

Left Voice macht sich nie die Mühe, sich die Frage zu stellen, geschweige denn zu beantworten, was die Gründe dafür sind, dass sich die AFL-CIO wie eine „Unternehmergewerkschaft“ verhält, denn das würde den Bankrott ihrer eigenen Perspektive offenlegen. Die Niederlage der RWDSU bei Amazon ist das Produkt von vierzig Jahren endloser Verrätereien der AFL-CIO. Dies reicht zurück bis auf die bewusste Isolation der PATCO-Fluglotsen, die die Reagan-Regierung im Jahr 1981 entlassen hatte. Die Führungskräfte der AFL-CIO haben sich in Instrumente der Unternehmensleitungen verwandelt. Sie profitieren von der Ausbeutung der Arbeiter, von denen sie ein Zugeständnis nach dem andern erpressen.

Wer heute die Gewerkschaften in die Betriebe bringt, legt in Wirklichkeit den neuen Kampforganisationen, die sich an der Basis entwickeln, eine Zwangsjacke an. Der nächste Schritt wird sein, den Arbeitern Gesetze aufzuzwingen, die die Gewerkschaften als ihre „einzig legitime Vertretung“ sanktionieren. Die einzige Konsequenz einer Zulassung der RWDSU – oder irgendeiner Gewerkschaft – würde für Arbeiter darin bestehen, dass sie einer Organisation, auf die sie überhaupt keinen Einfluss haben, Beiträge bezahlen müssen.

Left Voice kennt den wachsenden Einfluss der Socialist Equality Party auf Amazon- und andere Arbeiter sehr genau. Wie die Gewerkschaftsvorstände, denen sie dient, sieht sie eine große Gefahr in der Entwicklung eines Netzwerks von Aktionskomitees, die nicht von der AFL-CIO kontrolliert werden.

Left Voice bekennt sich sogar zur Unterstützung unabhängiger Organisationen und ruft zur Bildung von „Basiskomitees“ auf, deren Zweck aber genau das Gegenteil von dem wirklich unabhängiger Arbeiterorganisationen ist. Zur Gewerkschaftskampagne schreiben sie in ihrem Artikel vom 11. April: „Die Gewerkschaft verfehlte in Bessemer ihr Ziel, aber die vereinten Arbeiter an der Basis können und werden bei Amazon siegen.“ Und: „Basiskomitees hätten Massenkundgebungen in der ganzen Gegend organisieren und abhalten können (auch hätten sie Arbeiter aus anderen Gewerkschaften auffordern können, sich ihnen anzuschließen). Sie hätten erklären können, was Gewerkschaften sind, warum sie wichtig sind, auch welche enormen Errungenschaften sie für die Arbeiter in diesem Land erreicht haben.“

Mit anderen Worten, die „Basiskomitees“, die Left Voice meint, sind Komitees von Pseudolinken aus der Mittelschicht, deren Hauptaufgabe darin besteht, die Arbeiter zu belügen, die wahre Rolle der Gewerkschaften zu vertuschen und zu versuchen, die Rebellion der Arbeiter gegen diese Organisationen abzuwürgen.

Als Gegenleistung für ihre Dienste bei der Stärkung der Gewerkschaften erwarten die Kräfte um Left Voice (wie die Zeitschrift Jacobin, die Democratic Socialists of America, usw.) Karrierechancen für sich selbst. Sie hoffen darauf, als Mittelsmänner zwischen den reichen Führungskräften in der AFL-CIO-Zentrale und den Arbeitern gebraucht zu werden, weil letztere voller Feindschaft auf die korporatistischen Organisationen im Dienste des Managements blicken.

In Argentinien hält die PTS, zu der Left Voice gehört, Führungspositionen in den argentinischen Lehrergewerkschaften. Dort spielt sie während der Ausbreitung der Pandemie eine entscheidende Rolle dabei, den Widerstand gegen die Wiedereröffnung der Schulen zu unterdrücken.

Der Weg vorwärts für Amazon-Arbeiter

Die verschiedenen Organisationen, die der RWDSU bei Amazon halfen, konnten nie erklären, warum auch führende Teile des politischen Establishments ihre Kampagne unterstützten; dazu gehören nicht nur der Präsident der Vereinigten Staaten, Joe Biden, sondern auch Erzreaktionäre, wie der republikanische Senator Marco Rubio.

Bidens aggressives Eingreifen zugunsten der Gewerkschaftskampagne, einschließlich eines Videos, in dem er die Arbeiter geradezu drängt, mit „Ja“ zu stimmen, ist das Ergebnis eindeutiger strategischer Überlegungen. Die Reaktion der herrschenden Klasse auf die Pandemie hat allein in den Vereinigten Staaten zum Tod von mehr als 580.000 Menschen. Diese Tatsache, das massive Anwachsen sozialer Ungleichheit und die katastrophale Lage von Millionen von Arbeitern üben eine gründlich radikalisierende Wirkung auf das Bewusstsein von Arbeitern und Jugendlichen aus.

Ein bedeutender Teil der herrschenden Klasse sieht in der AFL-CIO und ihren korporatistischen Mitglieds-Organisationen ein wichtiges Instrument, um soziale Opposition abzuwürgen. Unter Bedingungen, wo zunehmende militaristische Provokationen gegen Russland und China stattfinden, betrachtet die herrschende Klasse die Gewerkschaften außerdem als mögliches Instrument, um die Arbeiterklasse den Kriegsplänen des amerikanischen Imperialismus unterzuordnen.

Für Bezos geht es nicht darum, dass die Einbindung der AFL-CIO bei Amazon höhere Löhne erzwingen könnte. Schließlich verdienen die Arbeiter unter der Kontrolle der Gewerkschaften in anderen Unternehmen oft sogar weniger als bei Amazon. Vielmehr fürchtet er, dass die Gewerkschaft als Mechanismus benutzt werden könnte, um Druck auf ihn im Interesse der Konkurrenten von Amazon auszuüben, oder um seine eigenen Geschäftsinteressen den geopolitischen Imperativen der herrschenden Klasse insgesamt unterzuordnen.

Wenn die Arbeiterklasse Erfolg in ihrer Gegenoffensive gegen die herrschende Elite haben will, benötigt sie ihre eigenen Organisationen: Ein Netzwerk von Aktionskomitees in den Betrieben und Wohnvierteln, das Arbeiter einzelner Betriebe über Branchen und größere Sektoren hinweg international zusammenschließt.

Während die Abstimmung bei Amazon ein Fiasko erlitt, gibt es überall in den USA wichtige Hinweise auf den wachsenden Widerstand der Arbeiterklasse. Nur 40 Kilometer südwestlich von Bessemer findet ein Streik statt: In Brookwood (Alabama) haben 1.100 Bergarbeiter von Warrior Met Coal ein Abkommen abgelehnt, mit dem die Bergarbeitergewerkschaft UMWA ihren Streik ausverkaufen wollte. In den letzten Wochen gab es außerdem wichtige Kämpfe von Stahlarbeitern, Autoarbeitern, Studierenden und Beschäftigten des Gesundheitswesens.

Das ist nur der Anfang für einen sozialen Aufstand im ganzen Land und auf der ganzen Welt. Die Socialist Equality Party und die World Socialist Web Site unterstützen die Arbeiter bei der Bildung eines Netzwerks unabhängiger Aktionskomitees in Fabriken, Schulen und in allen Betrieben. Unser Aufruf zur Bildung von Aktionskomitees resultiert aus dem Kampf zur Befreiung der Arbeiterklasse von den vorhandenen kapitalistischen Strukturen. Er dient dazu, die Arbeiterbewegung auf der Grundlage eines internationalen und revolutionären sozialistischen Programms wieder aufzubauen.

Wenn du Unterstützung beim Aufbau eines Komitees an Deinem Arbeitsplatz benötigst, wende dich an die WSWS.

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