Innenministerkonferenz plant Flüchtlinge in syrische Kriegsgebiete abzuschieben

Bei der letzten Innenministerkonferenz vom 16. bis 18. Juni haben die Vertreter aller Bundesländer darüber diskutiert, wie sie „die praktischen Möglichkeiten der Abschiebungen nach Syrien optimieren können“. Baden-Württembergs Innenminister Thomas Strobl (CDU), der den Vorsitz der Konferenz im badischen Rust innehatte, verkündete diese Marschroute stolz gegenüber der Deutschen Presse-Agentur.

Seit 2012 bestand ein offizieller Abschiebestopp in das durch die imperialistische Regimewechsel-Operation verwüstete Land. Auf Drängen der Innenminister von CDU und CSU wurde der Abschiebestopp zum Jahresende 2020 jedoch nicht mehr verlängert. Bis dato sind allerdings keine Geflüchteten nach Syrien abgeschoben worden.

Die Innenminister wollen nun sicherstellen, dass sich das schnellstmöglich ändert. Es ist bezeichnend, dass dies unter dem Vorsitz von Thomas Strobl aus Baden-Württemberg stattfindet, wo die CDU mit den Grünen unter Ministerpräsident Winfried Kretschmann regiert und eine rigorose Abschiebepolitik verfolgt. Die Innenminister wollen alle formalen Hindernisse aus dem Weg räumen und die Voraussetzungen dafür schaffen, dutzende vor Krieg geflüchtete Menschen inmitten der Coronapandemie in syrische Kriegsgebiete abzuschieben.

Ministerpräsident Winfried Kretschmann (rechts) und CDU-Koalitionspartner Thomas Strobl (Bild: Staatsministerium Baden-Württemberg / CC BY-SA 2.0)

Bereits im April berichtete Die Zeit, dass das Bundesinnenministerium aktiv nach Möglichkeiten suche, syrische Staatsbürger abzuschieben. Man konzentriere sich dabei auf die vorwiegend kurdischen Gebiete im Nordosten des Landes. Bei der Innenministerkonferenz hat das baden-württembergische Innenministerium nun seine Pläne präsentiert.

„Damit zunächst einmal überhaupt abgeschoben werden kann“, müsse „praktisch die Möglichkeit bestehen, eine Person zurückzuführen“, erklärte Strobl. Er spielt damit darauf an, dass es vom Auswärtigen Amt bestätigte „sichere Gebiete“ geben muss, um Flüchtlinge dorthin deportieren zu können. Der letzte vertrauliche Lagebericht des Auswärtigen Amts komme laut Zeit jedoch zu dem Urteil, dass es in allen Landesteilen „weiterhin zu massiven Menschenrechtsverletzungen durch verschiedene Akteure“ kommt und es somit keine „sicheren Gebiete“ in Syrien gibt.

Strobl kündigte während der Konferenz gegenüber dem SWR an, dass er und die Innenminister alles in ihrer Macht tun werden, um diese Einschätzung zu revidieren: „Die Zeiten ändern sich und die Situation vor Ort in Syrien kann sich ebenfalls ändern.“ Man müsse „darüber sprechen, ob wir die praktische Durchführung eher ermöglichen können“.

Zu Beginn der Innenministerkonferenz hatten PRO ASYL, die Landesflüchtlingsräte und Jugendliche ohne Grenzen ein bundesweites Abschiebungsmoratorium nach Syrien und Afghanistan gefordert. So drohe etwa Afghanistan „mit dem Abzug der NATO-Truppen erneut im Chaos zu versinken“, doch von Deutschland aus würden „nichtsdestotrotz weiterhin Menschen nach Afghanistan abgeschoben“, heißt es in einer Erklärung der Organisation.

„Während dieser Tage die westlichen Truppen evakuiert und in Sicherheit gebracht werden, starten gleichzeitig Abschiebeflieger in das nach wie vor gefährlichste Land der Welt.“

Auch „mit Blick auf Syrien“, so PRO ASYL, höhle die Bundesrepublik „das Fundament des modernen internationalen Systems zum Schutz von Flüchtlingen… sukzessive aus“. Dass der Abschiebungsstopp für Syrien „ausgelaufen ist und aktiv an der Durchsetzung von Abschiebungen gearbeitet wird“, sei „ein menschenrechtlicher Skandal“. Wie Medienberichten zu entnehmen sei, „arbeitet das Bundesinnenministerium jedoch daran, Abschiebungen von Straftätern und ‚Gefährdern‘ zu ermöglichen – zum Beispiel in die kurdischen Regionen im Nordosten Syriens“.

Die Situation in Syrien hat sich im letzten Jahr – während der Corona-Pandemie – enorm verschärft. Nach Angaben der Vereinten Nationen gibt es so wenig zu essen wie nie zuvor seit Beginn des Syrienkriegs. Laut Welternährungsprogramm (WFP) haben 12,4 Millionen Menschen Probleme, sich zu ernähren, was knapp 60 Prozent der Einwohner entspricht. Vor einem Jahr hatten noch 7,9 Millionen in Syrien gehungert.

Das Auslaufen einer UN-Resolution am 10. Juli wird die Situation noch weiter verschärfen, da dann auch der letzte Grenzübergang für Hilfslieferungen in das umkämpfte Gebiet um Idlib geschlossen wird. Amnesty International warnt, dass dadurch über eine Million Menschen von „Nahrung, Wasser, Corona-Impfstoffen und lebensrettenden Medikamenten abgeschnitten werden“, wie die Tagesschau berichtet.

Auch in Deutschland hat die Corona-Pandemie die Situation vieler Flüchtlinge enorm verschlechtert. Die Ankerzentren hatten schon zuvor die Aufgabe, Schutzsuchende zur „freiwilligen Rückkehr“ zu zwingen, und sind in der Pandemie zu regelrechten Corona-Hotspots geworden. Laut PRO ASYL hängt das formale Bleiberecht vieler Geflüchteter davon ab, ob sie „durchgängig arbeiten und ihren Lebensunterhalt selbst bestreiten“ können. Unter Pandemiebedingungen, eingepfercht und von der Bundeswehr überwacht, ist das nicht möglich. Die Flüchtlings-Organisationen befürchten nun, dass dieser Umstand genutzt wird, um zahlreiche Menschen aus Deutschland abzuschieben.

Die Regierungen in ganz Europa überbieten sich darin, die Pandemie für beendet zu erklären, während sich die hochansteckende Delta-Variante rasend schnell ausbreitet. Im Zuge der Öffnungspolitik sollen jetzt auch die Abschiebungen wieder nach oben getrieben werden, nachdem sie im ersten Jahre der Corona-Pandemie aufgrund der Lockdown-Beschränkungen zurückgegangen waren.

Gerade auch in Baden-Württemberg wird durch den neuen Koalitionsvertrag zwischen den Grünen und der CDU die Flüchtlingspolitik weiter verschärft. So sollen Asylsuchende „schnell Klarheit über ihren weiteren Verbleib in Deutschland“ erhalten. Deshalb werden die Erstaufnahmeeinrichtungen bzw. Ankerzentren weiter ausgebaut, um „die Asylverfahren noch während des Aufenthalts in der Erstaufnahme zum Abschluss zu bringen“.

Die Kretschmann-Regierung hatte schon 2019 insgesamt 2648 Asylsuchende abgeschoben und 2020 während der Pandemie weitere 1383 Geflüchtete deportiert. Jetzt sollen diese Zahlen auf ein neues Rekordhoch gebracht werden.

Zuletzt wurden Anfang Juni Menschen aus dem Abschiebegefängnis in Pforzheim nach Afghanistan und Sri Lanka abgeschoben. Den schutzsuchenden Tamilen droht in Sri Lanka Verfolgung und Folter. Zudem breitet sich die Pandemie auf der Insel rasant aus – bei geringer Gesundheitsversorgung und kaum Impfmöglichkeiten.

Die Abschiebung dieser Flüchtlinge stellt eine reale Bedrohung für ihr Leben dar. Das Ende des 36-jährigen Bürgerkriegs in Sri Lanka im Jahr 2009 hat der staatlichen Unterdrückung der Minderheit der Tamilen und Muslime kein Ende gesetzt. Die tamilische Bevölkerung steht ständig unter der Beobachtung des militärischen Geheimdienstes und ist polizeilicher Brutalität und Willkür ausgesetzt.

Seit den terroristischen Selbstmordattentaten an Ostern im April 2019, bei denen 270 Menschen ihr Leben verloren, wurden Tausende Muslime verhaftet. Die gesamte muslimische Bevölkerung ist rassistischen Anschuldigungen der Regierungs- und Oppositionsparteien ausgesetzt. Mit ihrer menschenverachtenden Abschiebepraxis macht sich die grün-schwarze Landesregierung in Baden-Württemberg zur Komplizin dieser reaktionären Politik.

Loading