Afghanische Flüchtlinge stehen vor den stählernen Mauern und Stacheldrahtzäunen der europäischen Mächte

Seit der Eroberung Kabuls durch die Taliban am 15. August ringen die internationalen Regierungen ununterbrochen die Hände um das Schicksal von zehntausenden verzweifelten Flüchtlingen, die aus dem Land fliehen wollen. Es handelt sich jedoch um die gleichen Regierungen, deren Kriege in den letzten drei Jahrzehnten, darunter der Afghanistankrieg, Dutzende Millionen Menschen zu Flüchtlingen gemacht und ganze Gesellschaften zerstört haben.

Bis die imperialistischen Streitkräfte im August nach fast zwanzig Jahren endlich abgezogen sind, gab es in Afghanistan seit Beginn des Jahres 550.000 Binnenflüchtlinge. Zuvor hatten bis Ende 2020 fast drei Millionen Afghanen das gleiche Schicksal erlitten.

Trotz aller Krokodilstränen über das Schicksal der Ortskräfte, die mit der Besatzung zusammengearbeitet haben und jetzt fliehen wollen, haben die europäischen Regierungen seit der Niederlage gegen die Taliban kaum mehr als ein paar tausend Flüchtlinge aufgenommen.

Griechische Polizisten patrouillieren am 21. Mai 2021 an einer Stahlwand am Evros nahe dem griechischen Dorf Poros an der griechisch-türkischen Grenze (AP Photo/Giannis Papanikos, Archiv)

Im Jahr 2015 machten rechtsextreme Kräfte gegen die Entscheidung von Bundeskanzlerin Angela Merkel mobil, im Rahmen eines Verteilungssystems die Grenzen des Landes für etwa eine Million Flüchtlinge aus dem Syrienkrieg zu öffnen. Diesmal soll es kein derartiges Vorgehen geben; die Europäische Union und ihre Mitgliedsstaaten konzentrieren sich stattdessen darauf, die Grenzen der Festung Europa zu verstärken.

Am Sonntag twitterte der slowenische Ministerpräsident Janez Jansa: „Die EU wird KEINEN Migrationskorridor durch Europa für Afghanistan öffnen,“ und erklärte, der „strategische Fehler“ von 2015 werde sich nicht wiederholen. Derzeit hat Slowenien die alle sechs Monate abwechselnde EU-Ratspräsidentschaft inne. Jansa ist ein ehemaliger Stalinist, rechter Eiferer und enger Verbündeter des faschistischen ungarischen Präsidenten Viktor Orban.

Der Präsident des Europäischen Parlaments Davide Sassoli kritisierte Jansas Aussage, obwohl sie die Politik der EU zutreffend beschreibt. Am 18. August, drei Tage nach dem Fall von Kabul, erklärte die EU-Kommissarin Ylva Julia Margareta Johansson bei einer Sondersitzung der Innenminister: „Wir sollten nicht warten, bis die Leute an den Außengrenzen der Europäischen Union ankommen. Das ist keine Lösung. Wir sollten sie daran hindern, auf unsicheren, irregulären und unkontrollierten, von Schmugglern betriebenen Routen in die Europäische Union zu reisen.“

Das Problem sei kein europäisches, da „zahlreiche afghanische Staatsbürger bereits in Nachbarstaaten geflohen sind... Wir werden unsere Programme fortsetzen und unsere Zusammenarbeit mit Aufnahmeregionen in Pakistan, dem Iran und Tadschikistan sowie anderen regionalen Staaten, wie der Türkei, intensivieren.“

Die EU-Mitgliedsstaaten haben keine konkreten Pläne für die Aufnahme auch nur eines einzigen afghanischen Flüchtlings ausgearbeitet. Stattdessen haben sich die Großmächte ausschließlich darauf konzentriert, ihre Streitkräfte sowie ein paar tausend Zivilisten aus dem Land zu bringen, die für Präsident Ashraf Ghanis Marionettenregierung gearbeitet hatten.

Der CDU-Vorsitzende Armin Laschet, den Merkel als ihren Nachfolger im Kanzleramt unterstützt hat, twitterte fast direkt nach dem Sturz von Kabul: „Die Fehler im Umgang mit dem syrischen Bürgerkrieg dürfen nicht noch einmal gemacht werden. 2015 soll sich nicht wiederholen.“ Einen Tag später erklärte Alice Weidel von der rechtsextremen AfD, der größten Oppositionspartei: „2015 darf sich nicht wiederholen. ... Echten #Flüchtlingen muss möglichst in ihrer Heimatregion geholfen werden.“

Frankreichs Präsident Emmanuel Macron wollte sich nicht darauf festlegen, Flüchtlinge aus Afghanistan aufzunehmen und erklärte, seine Hauptsorge sei es, dass sich Frankreich „auf eine Welle von Migranten einstellen und davor schützen muss.“ Paris werde auf „eine Initiative zum Aufbau einer robusten, koordinierten und vereinten Reaktion ohne Verzögerungen“ bestehen, die „den Kampf gegen irreguläre Fluchtbewegungen... und den Aufbau von Kooperation mit Transit- und Aufnahmeländern wie Pakistan, der Türkei und dem Iran beinhaltet.“

Der österreichische Bundeskanzler Sebastian Kurz erklärte am Sonntag: „Ich bin klar dagegen, dass wir jetzt freiwillig mehr Menschen aufnehmen – das wird’s unter meiner Kanzlerschaft auch nicht geben.“ Stattdessen müsse man so lange wie möglich abschieben.

Großbritannien wird dieses Jahr im Rahmen seines Afghan Relocations and Assistance Policy-Systems nur 5.000 Afghanen aufnehmen, die aus den Ortskräften der britischen Streitkräfte und Regierungsvertretern ausgesucht werden. Hierbei handelt es sich „um Afghanen, die die britischen Bestrebungen in Afghanistan unterstützt haben, etwa Übersetzer“. Priorisiert werden außerdem Regierungsvertreter. In den nächsten Jahren ist lediglich die Aufnahme von weiteren 20.000 geplant.

Die USA haben nur die Aufnahme von 10.000 Afghanen aus einer Bevölkerung von 38 Millionen versprochen. Österreich wird 3.000 aufnehmen, wozu sich das Land bereits im Rahmen eines bestehenden Programmes verpflichtet hatte.

Deutschland selbst hat die heute geschmähte Politik von 2015 bereits im Jahr 2016 aufgegeben, als Merkel im Namen der EU ein Abkommen mit der pseudolinken griechischen Syriza-Regierung und der Türkei unterzeichnete, um die Südgrenze Europas für Asylsuchende abzuriegeln. Dieser schmutzige Deal, der offen gegen das Völkerrecht verstieß und das Asylrecht faktisch abschaffte, sieht vor, dass das autoritäre türkische Regime zehntausende Immigranten aufnimmt, als Gegenleistung für Milliarden von der EU. Griechenland unterstützt die Massenabschiebung von Flüchtlingen in die Türkei, wenn diese über die Ägäis die Küsten der EU erreichen.

Der griechische Zuwanderungsminister Notis Mitarachi erklärte nach der Machtübernahme der Taliban: „Unser Land wird für illegale afghanische Zuwanderer kein Durchgang nach Europa werden.“

Beispielhaft für die bösartige Reaktion der EU-Mächte auf die Flüchtlinge, die Opfer ihrer Kriege sind, war Griechenlands Ankündigung vom letzten Freitag, es habe die Nordgrenze zur Türkei mit einem massiven 40 Kilometer langen Stahlzaun und einem neuen elektronischen Überwachungssystem vollständig abgesichert. Der Abschluss der Bauarbeiten, die 2012 begonnen und während der Amtszeit von Syriza (2015-19) fortgesetzt wurden, wurde aufgrund der Ereignisse in Afghanistan stark vorangetrieben. Letzten Freitag besuchten der Minister für Bürgerschutz Michalis Chrysochoidis, der Verteidigungsminister und der Oberbefehlshaber der Streitkräfte die Region Evros, um die Grenzmauer zu inspizieren. Er erklärte, der Fall von Kabul habe „die Möglichkeit für Zuwanderungsströme geschaffen... Wir dürfen nicht passiv auf die möglichen Auswirkungen warten... Unsere Grenzen werden sicher und unverletzlich bleiben.“

Jede einzelne Landroute wird systematisch durch Zäune und Stacheldraht gegen Flüchtlinge abgeriegelt, alle Seewege dagegen von Patrouillenschiffen kontrolliert.

Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan warnte, die Türkei werde nicht „Europas Depot für Migranten“ werden. Der Gouverneur der osttürkischen Grenzprovinz Van, Mehmet Emin Bilmez, erklärte: „Wir möchten der ganzen Welt zeigen, dass unsere Grenzen unpassierbar sind... Unsere größte Hoffnung ist, dass es keine Flüchtlingswelle aus Afghanistan gibt.“

Am Montag kündigte Ankara die Verlängerung der bestehenden drei Meter hohen Grenzmauer zum Iran um weitere 64 Kilometer bis Ende des Jahres an. Der 2017 begonnene Bau wird allen Flüchtlingen den Zugang zur Türkei verwehren, die den wochenlangen Fußmarsch durch den Iran unternehmen. Reuters erklärte, der Rest der 560 Kilometer langen Grenze werde mit „Gräben, Draht und ganztägigen Patrouillen von Sicherheitskräften“ verstärkt werden.

Die britische Innenministerin Priti Patel setzt einige der weltweit restriktivsten immigrantenfeindlichen Maßnahmen um, von denen ein Großteil auf dem brutalen griechischen System basiert. Verteidigungsminister Ben Wallace schrieb am Sonntag in einer Zeitungskolumne, die Johnson-Regierung werde eine „Reihe von 'Aufnahmezentren' für Flüchtlinge in Afghanistans Nachbarstaaten einrichten. Wenn sie beweisen können, dass sie das Recht haben, nach Großbritannien zu kommen, werden sie eingeflogen.“

Die Türkei leugnete am Sonntag, dass sie ein solches Aufnahmezentrum auf ihrem Staatsgebiet erlauben würde und warnte: „Wir werden eine solche Aufforderung unmöglich akzeptieren, selbst wenn sie gestellt würde.“

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