Perspektive

„Ungleichheit tötet“: Der Kapitalismus und die Pandemie

Der jüngste Bericht der britischen Hilfs- und Entwicklungsorganisation Oxfam, der am Montag erschien, dokumentiert die extreme Zunahme der sozialen Ungleichheit in den ersten zwei Jahren der Corona-Pandemie.

Während die Einkommen der untersten 99 Prozent der Bevölkerung sanken und Millionen Menschen an Covid-19 starben, verdoppelte sich das Vermögen der 10 reichsten Männer der Welt.

Der Titel des Oxfam-Berichts fasst die Ergebnisse treffend zusammen: „Ungleichheit tötet.“

Der Bericht zeigt die unbestreitbare Realität: Die Pandemie ist eine katastrophale Folge des kapitalistischen Systems, in dem die Gesellschaft von der Finanzoligarchie beherrscht wird. In dem Bericht wird der Zusammenhang zwischen dem Tod von Millionen Menschen auf der ganzen Welt und der Politik der Regierungen hergestellt, die „die Bedingungen für eine gefährliche Mutierung des Covid-19-Virus geschaffen haben“.

Behandlung eines Covid-Patienten auf der Intensivstation in Alabama, USA, 10. Dezember 2020 (AP Photo/Julie Bennett)

Gleichzeitig, so die Schlussfolgerung des Berichts, haben die Regierungen „die Bedingungen für eine völlig neue Variante der Milliardärsvermögen geschaffen. Diese Variante, die Milliardärsvariante, ist extrem gefährlich für unsere Welt.“

Oxfam schreibt: „Seit Beginn der Pandemie ist alle 26 Stunden ein neuer Milliardär hinzugekommen. Die zehn reichsten Männer der Welt haben ihr Vermögen verdoppelt, während über 160 Millionen Menschen in die Armut getrieben wurden. Inzwischen sind schätzungsweise 17 Millionen Menschen an Covid-19 gestorben – ein Ausmaß an Verlusten, das es seit dem Zweiten Weltkrieg nicht mehr gegeben hat.“

Weiter heißt es: „Die kleine Weltelite der 2.755 Milliardäre hat ihr Vermögen während der Pandemie stärker vermehrt als in den gesamten vierzehn Jahren zuvor – vierzehn Jahre, die selbst schon einem Goldrausch für Superreiche glichen.“

Seit 1995 hat das reichste Prozent fast 20-mal mehr Vermögen angehäuft als die ärmsten 50 Prozent der Menschheit. (Grafik: Oxfam)

Oxfam stellt das beispiellose Ausmaß der Bereicherung in einen historischen Kontext: „Das ist der größte jährliche Zuwachs an Milliardärsvermögen seit Beginn der Erhebung. Er findet auf allen Kontinenten statt. Ermöglicht wird dies durch explodierende Börsenkurse, einen Boom unregulierter Unternehmen, einen Anstieg der Monopolmacht und Privatisierungen sowie die Erosion von Unternehmenssteuersätzen und -vorschriften und der Rechte und Löhne von Arbeitnehmern.“

Der Bericht fährt fort:

Laut aktuellen Zahlen und Analysen, die im Dezember 2021 vom World Inequality Lab veröffentlicht wurden, hat das reichste Prozent der Weltbevölkerung seit 1995 19-mal mehr vom globalen Wohlstandswachstum erhalten als die unteren 50 Prozent der Menschheit. Die Ungleichheit ist heute so groß wie auf dem Höhepunkt des westlichen Imperialismus zu Beginn des 20. Jahrhunderts. Das Goldene Zeitalter des späten 19. Jahrhunderts ist übertroffen worden.

Laut Oxfam hat die Pandemie weltweit zu einem starken Anstieg der Armut geführt:

Schätzungen zufolge leben heute 163 Millionen Menschen mehr von weniger als 5,50 Dollar pro Tag als zu Beginn der Pandemie. Die Krise hat gezeigt, dass es für den Großteil der Menschheit keinen dauerhaften Ausweg aus Armut und Unsicherheit gibt.

Die Prognosen der Weltbank, des IWF und der Credit Suisse zeigen Oxfam zufolge, dass „das Armutsniveau nicht einmal bis 2030 auf den Stand vor der Corona-Krise sinken wird. Armut verursacht nicht nur unermessliches Leid. Armut ist tödlich. Sie ist eine Form von wirtschaftlicher Gewalt, die sich täglich gegen Milliarden von Menschen auf der ganzen Welt richtet. In jedem Land leben die ärmsten Menschen kürzer und sterben früher als die nicht armen Menschen.“

Wie die deutsche Zusammenfassung des Oxfam-Berichts aufzeigt, ist die Ungleichheit in Deutschland besonders stark gestiegen:

Die zehn reichsten Personen haben ihr kumuliertes Vermögen seit Beginn der Pandemie von ca. 144 Milliarden auf etwa 256 Milliarden US-Dollar gesteigert – ein Anstieg um rund 78 Prozent. Allein dieser Gewinn entspricht annähernd dem Gesamtvermögen der ärmsten 40 Prozent, also von 33 Millionen Deutschen. Währenddessen erreicht die Armutsquote in Deutschland mit 16,1 Prozent einen Höchststand.

Oxfam betont, dass die gegenwärtige Katastrophe, mit der sich Massen von Menschen weltweit konfrontiert sehen, kein Zufall ist, sondern das Ergebnis einer bewussten Regierungspolitik. „Riesige Summen öffentlicher Mittel, die in unsere Wirtschaft geflossen sind, haben die Aktienkurse dramatisch in die Höhe getrieben und dann die Bankkonten der Milliardäre mehr denn je gefüllt.“

Jeden Tag trägt Ungleichheit zum Tod von 21.300 Menschen bei. Das ist eine Person alle vier Sekunden. (Grafik: Oxfam)

Die ungleiche Impfstoffverteilung im Weltmaßstab sei ein „Schandfleck in der Geschichte unserer Spezies“, so der Bericht. „Die Coronavirus-Pandemie wurde aufgrund der Ungleichheit unmittelbar tödlicher, langwieriger und existenzbedrohender. Die Einkommensungleichheit ist ein stärkerer Indikator dafür, ob man an Covid-19 stirbt, als das Alter.“

Oxfam deckt auch die Mechanismen auf, mit denen die Finanzelite die Pandemie zum größten Anstieg ihres Reichtums in der Geschichte genutzt hat.

Als sich Covid-19 ausbreitete, pumpten die Zentralbanken weltweit Billionen in die Wirtschaft, um die Weltwirtschaft liquide zu halten. Ein Großteil dieser Anreize floss in die Finanzmärkte und von dort in das Nettovermögen der Milliardäre. Die Regierungen haben seit Beginn der Pandemie 16 Billionen Dollar in die Weltwirtschaft gepumpt. Da die staatlichen Eingriffe die Aktienkurse in die Höhe getrieben haben, hat sich in der Folge das Vermögen der Milliardäre seit März 2021 um 5 Billionen Dollar erhöht, und zwar von 8,6 auf 13,8 Billionen Dollar.

Im Juli 2020 nannte die World Socialist Web Site Covid-19 eine „Pandemie der Ungleichheit“. Diese Analyse ist nun unbestreitbar. Das Massensterben durch Covid-19 ist, in den Worten von Oxfam, der „Tod durch Ungleichheit“.

Die Pandemie ist ein „Trigger-Ereignis“ in der Geschichte, das alle grundlegenden Entwicklungen zum Ausdruck bringt und massiv verstärkt. Die Gleichgültigkeit der Regierungen und der herrschenden Eliten gegenüber dem Massensterben ist das Ergebnis jahrzehntelanger sozialer Ungleichheit in einer Gesellschaft mit immer stärkeren oligarchischen Strukturen.

Seit Beginn der Pandemie Anfang 2020 haben Regierungen auf der ganzen Welt, allen voran die USA, Profite über Leben gestellt. Anfang 2020 vertuschten die Trump-Administration und Demokraten wie Republikaner die große Gefahr des Virus.

Als sich die Realität nicht mehr verbergen ließ und die Märkte stark einbrachen, verabschiedeten die Trump-Regierung und die Federal Reserve ein 6 Billionen Dollar schweres Rettungsprogramm, dessen Löwenanteil an die Unternehmen und Aktienmärkte floss.

Das Vermögen der 10 reichsten Männer hat sich verdoppelt, während die Einkommen der untersten 99 Prozent der Bevölkerung wegen Covid-19 gesunken sind. (Grafik: Oxfam)

Geführt von beiden großen Parteien der USA öffneten die Bundesstaaten wieder die Schulen und Betriebe, was zu einer Welle nach der anderen führte, die in der bisher schlimmsten Welle durch die Omikron-Variante gipfelten.

Obwohl Biden die Wahl im Jahr 2020 mit dem Versprechen gewonnen hat, „der Wissenschaft zu folgen“, hat seine Regierung jeden Anschein aufgegeben, das Virus einzudämmen, geschweige denn zu eliminieren. Sie durchseucht Tag für Tag fast eine Million Menschen.

Diese Entscheidungen beruhten allesamt auf dem einen Ziel, die Finanzoligarchie auf Kosten der Arbeiterklasse zu bereichern. Der Oxfam-Bericht macht deutlich, dass die Pandemie für die herrschende Elite extrem profitabel war. Und das ist der Hauptgrund, warum sie nicht die Absicht hat, die Pandemie zu stoppen.

Auf dem Milliardärstreffen beim Weltwirtschaftsforum wurde Anthony Fauci, der medizinische Chefberater von US-Präsident Biden, gefragt, ob 2022 „tatsächlich das Jahr ist, in dem wir von einer Pandemie zu einer Endemie übergehen“ können, aufgrund der Fähigkeit des Virus, „sich zu verbreiten und Immunität durch eine Infektion zu bieten“.

Fauci antwortete: „Ich hoffe, dass das der Fall ist...“

Mit anderen Worten: Nach Ansicht des führenden Vertreters des US-Gesundheitssystems wird Covid-19 im „besten Fall“ in der Bevölkerung „endemisch“ und lässt den Tod von Hunderttausenden zum Dauerzustand werden.

Daraus ergibt sich unausweichlich eine Schlussfolgerung: Das Grundproblem besteht darin, dass der Kapitalismus seinem Wesen nach im Gegensatz zu den Bedürfnissen der Gesellschaft steht. Deshalb muss eine Bewegung der internationalen Arbeiterklasse gegen diese Gesellschaftsordnung aufgebaut werden, die sich auf einen Kampf zur Eliminierung und Ausrottung des Virus auf der Basis einer Zero-Covid-Politik stützt.

Ein solcher Kampf kann nur geführt werden, wenn er sich auf das sozialistische und internationalistische Programm stützt, für das das Internationale Komitee der Vierten Internationale und die World Socialist Web Site kämpfen.

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