Gespräche der EU-Mächte in Moskau, Washington und Berlin vor dem Hintergrund zunehmender Kriegsgefahr

Nachdem am Wochenende Tausende von US-Soldaten in Osteuropa eingetroffen sind, wo sie die Westgrenze Russlands bedrohen, haben Vertreter von EU-Staaten hochrangige Gespräche geführt. Der französische Präsident Emmanuel Macron reiste am Montag nach Moskau, um sich mit dem russischen Präsidenten Wladimir Putin zu treffen, und Bundeskanzler Olaf Scholz reiste zu Gesprächen mit US-Präsident Joe Biden nach Washington.

Am Dienstag trafen sich dann Scholz und Macron mit dem polnischen Präsidenten Andrzej Duda in Berlin. Es war das erste Treffen im Rahmen des sogenannten „Weimarer Dreiecks“ seit elf Jahren. Bei allen drei Terminen ging es um die NATO-Propaganda, Russland bereite einen Einmarsch in die Ukraine vor.

Bundeskanzler Olaf Scholz (Mitte), der französische Präsident Emmanuel Macron (rechts) und der polnische Präsident Andrzej Duda in Berlin am 8. Februar 2022. (Hannibal Hanschke/Pool via AP)

„Wir haben eine beispiellose Konzentration russischer Truppen entlang der ukrainischen Grenze. Wir haben auch große Gruppierungen in Belarus, wo derzeit Militärübungen abgehalten werden, die bis zum 20. Februar anhalten sollen. Wir fragen uns alle, was danach passiert“, erklärte Duda in Berlin.

Die drei Regierungschefs erklärten zwar, „einen Krieg in Europa“ verhindern zu wollen, richteten aber wiederholt Drohungen an die Atommacht Russland. Scholz nannte das Vorgehen Russlands „sehr besorgniserregend“ und drohte Moskau für den Fall eines Angriffs auf die Ukraine mit „weitreichenden Konsequenzen“. Diese wären „politisch, wirtschaftlich und sicher auch geostrategisch“. Macron äußerte sich ähnlich.

Bereits die Gespräche vom 7. Februar in Washington und Moskau hatten jede Vorstellung widerlegt, die europäischen imperialistischen Mächte würden eine freundlichere und sanftere Alternative zu den USA darstellen, die an der Spitze der militärischen militärischen Eskalation gegen Russland stehen. Auch da riefen die Vertreter Deutschlands und Frankreichs zwar zu Diplomatie auf, stellten sich aber eindeutig hinter die Pläne der USA, Zehntausende von Soldaten in Osteuropa zu stationieren. Sie unterstützten die Aufnahme der Ukraine und anderer Anrainerstaaten Russlands in die NATO.

Im Anschluss an ihr vierstündiges Gespräch gaben Putin und Macron im Kreml eine Pressekonferenz. Putin bezeichnete Macrons Vorschläge zwar als mögliche „Grundlage für unsere weiteren gemeinsamen Schritte“, warnte jedoch unverblümt vor der Gefahr eines Weltkriegs, sollte die Ukraine der NATO beitreten. „Ich denke, dies ist eine Frage der Sicherheit nicht nur Russlands, sondern der ganzen Welt“, erklärte er und fuhr fort: „Wenn alle Frieden wollen, was ist dann so schlimm daran, keine offensiven Raketensysteme in der Nähe unserer Grenzen aufzustellen?“

An einen französischen Reporter gewandt sagte Putin: „Fragen Sie Ihre Leser, ob sie einen Krieg mit Russland wollen. Denn das wird passieren, wenn die Ukraine, die sich verpflichtet hat, die Krim mit Gewalt zurückzuerobern, der NATO beitritt … Sie werden einen Krieg gegen Russland führen.“

Nach dem von der NATO unterstützten Putsch in Kiew 2014, der von rechtsextremen ukrainischen Nationalisten angeführt wurde, stimmten die russisch-sprachigen Bewohner der Halbinsel Krim, auf der sich auch der russische Marinestützpunkt Sewastopol befindet, für den Wiederanschluss an Russland. Die NATO-Mächte weigern sich, die Abstimmung anzuerkennen, und unterstützen stattdessen die ukrainische Regierung, die mit der Erstürmung der Krim droht. Putin wies darauf hin, dass ein solcher Angriff Artikel 5 des NATO-Gründungsvertrags auslösen würde, der die NATO-Mächte verpflichtet, in einen Krieg gegen Russland einzutreten.

„Russland ist eine der führenden Atommächte der Welt. Es würde keine Sieger geben“, warnte Putin und fügte hinzu, dass Macron „ein solches Ergebnis nicht wünscht. Ich auch nicht.“

Macron lehnte Putins Positionen jedoch rundweg ab und beharrte auf einer Politik der „offenen Tür“, die der Ukraine den Beitritt zur NATO ermöglicht. Er machte lediglich vage Vorschläge zur „Transparenz“ in Bezug auf die Raketenbasen, die die NATO im Falle eines Beitritts der Ukraine an den Grenzen Russlands stationieren würde. Gleichzeitig schulmeisterte Macron Putin und warf Russland Verstöße gegen das Völkerrecht vor.

„Diese Rechte wurden auf unserem Kontinent verletzt: die Anwendung von Gewalt, die Unverletzlichkeit der Grenzen, die Nichteinmischung in innere Angelegenheiten, die Missachtung von Grund- und Menschenrechten“, sagte er.

Macrons Anschuldigungen wurden von dem außenpolitischen Sprecher der EU, Josep Borrell, auf einer Pressekonferenz mit US-Außenminister Antony Blinken in Washington aufgegriffen. „Meines Erachtens erleben wir den gefährlichsten Moment für die Sicherheit in Europa seit dem Ende des Kalten Krieges“, sagte Borrell, der die Krise ausschließlich Russland zuschrieb. „Niemand versammelt 140.000 schwer bewaffnete Soldaten an der Grenze eines Landes“, ohne eine „starke Bedrohung“ darzustellen, sagte Borrell und bestritt, dass die Haltung der USA in irgendeiner Weise alarmistisch sei. „Dies ist kein Alarmismus. Das sind einfach die Fakten.“

In Wirklichkeit sind die NATO-Mächte die Aggressoren. Ihre Kriegstreiberei gegen Russland basiert auf der grundfalschen Annahme, dass Russland eine Invasion in der Ukraine vorbereitet. Selbst der Chef des NATO-Marionettenregimes in der Ukraine, Präsident Wolodymyr Selenskyj, hat öffentlich erklärt, dass das russische Militär keine umfassende Invasion der Ukraine anstrebt. Dennoch behaupten hochrangige NATO- und EU-Vertreter immer wieder, dass eine massive militärische Aufrüstung notwendig sei, um einer russischen Bedrohung der Ukraine zu begegnen.

Mit dreister Scheinheiligkeit warf Macron Moskau alles vor, dessen sich in Wirklichkeit die NATO schuldig macht. In den 30 Jahren, seit das stalinistische Regime 1991 mit der Auflösung der Sowjetunion das wichtigste militärische Hindernis für imperialistische Kriege beseitigt hat, haben die NATO-Mächte ununterbrochen Gewalt angewendet. Die wiederholten Invasionen oder Interventionen gegen den Irak, Somalia, Afghanistan, Pakistan, Libyen, Syrien und Mali kosteten Millionen von Menschen das Leben. In den 1990er Jahren zerstückelte die NATO Jugoslawien nach ethnischen Gesichtspunkten und bombardierte seine Hauptstadt Belgrad. 2014 organisierte sie einen Putsch in der Ukraine.

Es ist unübersehbar, wie weit die europäischen Mächte in diesem Zeitraum nach rechts gerückt sind. Als 2002 und 2003 die US-Invasion im Irak mit der Lüge der Bush-Regierung begründet wurde, dass der irakische Präsident Saddam Hussein „Massenvernichtungswaffen“ besäße, schlossen sich Paris und Berlin der Kritik Moskaus an und lehnten den Kriegskurs der USA ab. Doch angesichts der aktuellen Kriegstreiberei der USA gegen Russland werden die europäischen Regierungskreise von Kriegshysterie ergriffen. In einer Kolumne von Sylvie Kauffmann in Le Monde wurde dies jüngst besonders deutlich.

„Nein, wir werden den großen Konflikt im Westen über die Invasion des Irak im Jahr 2003 und seine angeblichen Massenvernichtungswaffen nicht wegen der Ukraine neu aufrollen. Es wird keine Neuauflage der „Smoking-Gun-Saga“ geben, dem Beweis für die Verbrechen Saddam Husseins, den einige Europäer vergeblich von den USA gefordert haben ... Die Parole ist unter den Verbündeten endlich klar formuliert: Einheit!“, schrieb sie und fügte hinzu: „Der russische Präsident bedroht nicht nur das Recht der Ukrainer, selbst zu entscheiden, welchem Lager sie angehören möchten. Er stellt auch die Beilegung des Kalten Krieges in Frage, den die Vereinigten Staaten gewonnen haben.“

Dieselbe Orientierung wurde deutlich, als Bundeskanzler Olaf Scholz während seines Antrittsbesuchs in den USA Biden zusicherte, dass Berlin sich gegen Russland mit Washington verbünden werde. Biden erklärte, dass er die Gaspipeline Nord Stream 2 zwischen Russland und Deutschland, die den US-Regierungen seit langem ein Dorn im Auge ist, stoppen würde, wenn die NATO erkläre, dass Russland in die Ukraine eingedrungen sei. „Wenn Russland einmarschiert, d.h. Panzer oder Truppen die ukrainische Grenze überqueren, dann wird es Nord Stream 2 nicht mehr geben“, sagte Biden. „Wir werden dem ein Ende setzen.“

Trotz des Drängens von Reportern legte sich Scholz nicht ausdrücklich auf die Beendigung des Pipeline-Projekts fest, versprach aber eine enge Zusammenarbeit mit Washington und dem gesamten NATO-Bündnis. „Wir haben uns intensiv darauf vorbereitet, dass wir die notwendigen Sanktionen konkret ergreifen können, falls es zu einer militärischen Aggression gegen die Ukraine kommt“, sagte er und fügte hinzu: „Es wird auch keine Maßnahmen geben, bei denen wir unterschiedlich agieren.“

Hinter dem rücksichtslosen Militarismus der imperialistischen NATO-Mächte stehen wachsende Klassengegensätze und internationale Spannungen, die das kapitalistische Weltsystem zerreißen. Die NATO begrüßt eine Kriegskrise als Ablenkung von den enormen menschlichen Kosten und der sozialen Krise, die durch ihre Politik der Masseninfektion in der Corona-Pandemie verursacht werden. Über 2 Millionen Menschen sind in den NATO-Ländern gestorben, und jede Woche erkranken Millionen. Im Angesicht der zunehmenden Wut in der Arbeiterklasse heben die Regierungen alle verbleibenden Maßnahmen im Bereich der öffentlichen Gesundheit auf. Sie reagieren darauf, indem sie versuchen, die internen Klassenspannungen nach außen in einen Krieg abzulenken.

Das geopolitische Kalkül der NATO wurde von Vertretern Frankreichs dargelegt, die darauf hinwiesen, dass eine harte Linie gegenüber Russland das Land zwingen könnte, sich der NATO zu unterwerfen und als Stützpunkt für Einsätze gegen China zu dienen. Der ehemalige sozialdemokratische Außenminister Hubert Védrine erklärte gegenüber dem Journal du Dimanche, dass ein „aggressiver Dialog“ mit Russland unerlässlich sei. „Niemand wird eine schriftliche Zusage machen, dass [die Ukraine] niemals der NATO beitreten können wird“, erklärte er. Die russischen Eliten dürften über die Annäherung an China nicht glücklich sein. Wir sollten diese Ängste benutzen. Sie geben uns ein Druckmittel in die Hand, um zu handeln.“

In der Tat sieht das bankrotte postsowjetische kapitalistische Regime in Moskau keinen Ausweg aus dieser Krise. Es ist weder willens noch fähig, sich auf den Widerstand der internationalen Arbeiterklasse gegen den Krieg zu stützen. Es ist gespalten in eine Fraktion, die eine aggressive Politik in Osteuropa befürwortet und einen Krieg riskieren will, und eine andere, die für eine bedingungslose Kapitulation vor der NATO eintritt. Letztere äußerte sich in einem offenen Brief, der von dem russischen Generaloberst Leonid Iwaschow unterzeichnet wurde und die verlogene Propaganda der NATO widerspiegelt, die Russland als Aggressor in der Ukraine darstellt.

Iwaschow forderte die Regierung auf, „die verbrecherische Politik der Provokation eines Krieges aufzugeben, in dem sich die Russische Föderation allein gegen die vereinigten Kräfte des Westens wiederfindet.“ Er verlangte, dass Putin „von Artikel 3 der Verfassung der Russischen Föderation Gebrauch macht und zurücktritt“.

Diese Äußerungen unterstreichen, dass keiner der kapitalistischen Rivalen Washingtons eine Alternative zu dem von der Regierung Biden angeführten Kriegskurs gegen Russland bietet. Die einzige Kraft, die gegen die Kriegsgefahr und auch gegen die Covid-19-Pandemie mobilisiert werden kann, ist die internationale Arbeiterklasse, die sich auf einen Kampf für Sozialismus und gegen imperialistischen Krieg stützt.

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