Will Lehmans Brief an die UAW-Mitgliedschaft: „Ich kandidiere für den Vorsitz, um die Macht an die Basis zu übertragen“

Die WSWS veröffentlicht nachstehend den Wortlaut eines Briefes von Will Lehman, einem 34-jährigen Arbeiter bei Mack Trucks, der für das Amt des UAW-Vorsitzenden kandidiert. Der Brief wurde über eine E-Mail-Liste, die von dem gerichtlich bestellten Wahlbeobachter geführt wird, an zehntausende UAW-Mitglieder verschickt.

Die WSWS unterstützt Lehmans Wahlkampagne für das Amt des UAW-Vorsitzenden. Mehr über Lehmans Kampagne erfahrt ihr unter WillforUAWpresident.org.

Will Lehman, Arbeiter bei Mack Trucks in Macungie (Pennsylvania, USA) und Kandidat für den Vorsitz der United Auto Workers (UAW)

Liebe Kolleginnen und Kollegen,

ich bin William Lehman. Ich bin 34 Jahre alt und arbeite seit knapp fünf Jahren bei Mack Trucks in Macungie (Pennsylvania). Ich kandidiere für das Amt des UAW-Vorsitzenden und bringe in diesen Wahlkampf die Erfahrungen von zehntausenden Arbeiterinnen und Arbeitern ein.

Der gerichtlich bestellte Wahlbeobachter hat mich als wählbaren Kandidaten für das Amt des Präsidenten anerkannt. Damit ihr für mich abstimmen könnt, muss ich noch auf dem UAW-Kongress nominiert werden, der am 25. Juli beginnt. Ich bitte euch, heute die Delegierten eures Werks zu kontaktieren und sie aufzufordern, mich zu nominieren.

Der jahrzehntelange Verrat der UAW hatte für die Mitgliedschaft katastrophale Auswirkungen

Mit welcher Situation sind UAW-Arbeiter konfrontiert? Jahrzehntelange Zugeständnisse in Verträgen, die von der UAW angenommen und durchgesetzt wurden, haben dazu geführt, dass ein großer Teil unserer Mitglieder verarmt ist. Die rasant steigende Inflation von über 9 Prozent schneidet tief in unsere ohnehin unzureichenden Löhne ein. Wir können uns nicht nur die Autos nicht leisten, die wir bauen, sondern haben auch Probleme, das Benzin für den Weg zur Arbeit zu bezahlen! Wir müssen uns zunehmend entscheiden, ob wir etwas zu essen auf den Tisch bringen oder andere Grundbedürfnisse befriedigen wollen. Der 8-Stunden-Tag gehört der Vergangenheit an und wurde durch zermürbende „alternative“ Arbeitszeiten und obligatorische Überstunden ersetzt.

Junge Arbeiter können es sich nicht leisten, eine Familie zu gründen, die Löhne älterer Arbeiter stagnieren seit Jahren, und Rentner leben von mageren Renten, die durch die steigenden Kosten aufgefressen werden. Alle UAW-Arbeiter sind mit den gleichen Bedingungen konfrontiert, egal ob es sich um Industriearbeiter, wissenschaftliche Mitarbeiter und Lehrpersonal, Beschäftigte im Gesundheitswesen oder technische und Büroangestellte handelt.

Die Covid-19-Pandemie hat unterdessen im letzten Jahr tausende Arbeiter und insgesamt mehr als eine Million Menschen in den USA das Leben gekostet. Das Virus wütet wieder in den Betrieben und an den Arbeitsplätzen, und die UAW ergreift keine Maßnahmen zum Schutz unserer Gesundheit und unseres Lebens.

In diesem Jahr finden zum ersten Mal Direktwahlen statt. Der Grund ist, dass UAW-Führungskader, darunter die beiden letzten Vorsitzenden, wegen des Diebstahls unserer Beitragsgelder und der Annahme von Bestechungsgeldern angeklagt und verurteilt wurden, nachdem sie uns auf diese Weise verraten haben. Es geht jedoch nicht nur um „ein paar schwarze Schafe“. Die Korruption ist ein Produkt davon, dass die UAW-Bürokratie unsere Interessen dem Profitstreben der Konzerne unterordnet.

Die UAW ist nur dem Namen nach eine Gewerkschaft

Alle Funktionen, die traditionell mit Gewerkschaften verbunden sind, wurden aufgegeben. Gewerkschaften wurden einst gegründet, um Arbeiter zu vereinen und uns vor der ungezügelten Ausbeutung durch die Unternehmen zu schützen. Doch heute arbeitet der UAW-Apparat mit den Unternehmen zusammen, um die Arbeiterklasse auszubeuten. Das Hauptquartier der Organisation sollte nicht „Haus der Solidarität“ heißen, sondern „Haus der Kollaboration“.

Gary Jones (links), ehemaliger UAW-Präsident, und Mark Stewart, CEO von Fiat Chrysler Automobiles North America, bei der Eröffnung ihrer Vertragsgespräche in Auburn Hills, Michigan (AP Photo/Paul Sancya)

Die UAW ist zu einer Unterabteilung der Autokonzerne verkommen, die die Aufgabe hat, die Belegschaften zu überwachen und den Widerstand gegen schreckliche Arbeitsbedingungen und niedrige Löhne zu unterdrücken. Es gibt weder ein funktionierendes Beschwerde- noch ein Untersuchungs- und Anhörungssystem. Die UAW lässt die Unternehmen ungehindert gegen die Vertragsbedingungen verstoßen. Sicherheit ist in den Betrieben nicht vorhanden. Die UAW lässt zu, dass wir zu Tode geschuftet werden, oft wortwörtlich.

Schauen wir uns die Struktur der UAW in ihrer jetzigen Form einmal genauer an. Das UAW-Hauptquartier verfügt über Vermögenswerte in Höhe von 1,08 Milliarden Dollar. Nach den letzten Meldungen an das US-Arbeitsministerium erhalten die 15 Spitzenfunktionäre zusammen ein Gehalt von über 3 Millionen Dollar pro Jahr. Vizepräsidentin Cynthia Estrada erhält jährlich 319.021 Dollar. Präsident Ray Curry erhält 272.726 Dollar. Vizepräsident Charles Browning erhält 208.924 Dollar. Regionaldirektor Steven Dawes erhält 200.278 Dollar. Vizepräsident Terrence Dittes erhält 238.144 Dollar.

Diese Funktionäre stehen einem wohlgenährten Apparat vor, dessen Jahreseinkommen insgesamt mehr als 75 Millionen Dollar beträgt. Er umfasst 142 „Assistenten“, 252 „Kundendienstmitarbeiter“, 64 „Sekretäre“ und 22 „Schreibkräfte“. (Dies sind echte Titel). Die meisten dieser Personen erhalten ein Jahresgehalt zwischen 100.000 und 160.000 Dollar. Wer weiß, was sie tatsächlich tun? Eines ist sicher: Keiner von ihnen setzt sich für die Verbesserung der Löhne und Arbeitsbedingungen der Arbeiter ein, die ihre Gehälter mit hart verdienten Beitragsgeldern bezahlen.

Die schmerzliche Wahrheit ist, dass dieser Apparat mit den Führungskräften und Aktionären der Unternehmen bei der brutalen Ausbeutung der Arbeiter zusammenarbeitet. Deshalb unterdrückt der UAW-Apparat Streiks, „handelt“ Verschlechterungen aus und setzt das mehrstufige Lohnsystem durch.

Wir Arbeiter können die Konzerne nicht bekämpfen, wenn die UAW und ihr massiver korporatistischer Herrschaftsapparat uns einschränken und uns unsere grundlegenden demokratischen Rechte verweigern.

Die Macht muss in einer Massenbewegung der Basis zurück an die Arbeitsplätze übertragen werden!

Meine Kampagne zielt darauf ab, eine Massenbewegung von Arbeitern anzuführen, um die Diktatur des Apparats zu brechen und die Macht und Kontrolle über alle Entscheidungsprozesse zurück an die Basis in den Autowerken und an allen Arbeitsplätzen zu übertragen.

Ford-Arbeiter aus Chicago unterstützen Will Lehmans Kandidatur für den UAW-Vorsitz (Foto: WSWS)

Wir müssen die Kontrolle über das Vermögen der UAW haben. Es muss zur Unterstützung unserer Kämpfe verwendet werden und nicht zur Finanzierung eines undurchsichtigen Apparates, der über uns steht. Ich plädiere dafür, ein mächtiges Netz von Aktionskomitees zu schaffen, die sich aus den Arbeiterinnen und Arbeitern selbst zusammensetzen und Kontrolle und Aufsicht über die Gewerkschaft ausüben werden, einschließlich nationaler und regionaler Tarifverhandlungen sowie der Überwachung und Durchsetzung von Vereinbarungen zwischen der UAW und den Konzernen.

Der Streikfonds wird ausschließlich dafür verwendet werden, Kämpfe der Arbeiter zu unterstützen. Streikende werden die wöchentliche Entschädigung erhalten, die für lange und entschlossene Kämpfe notwendig ist.

Die Größe des Apparats muss massiv reduziert werden. Diejenigen, deren Anstellung nicht eindeutig mit dem Dienst an den Interessen der UAW-Mitglieder zusammenhängt, müssen entlassen werden. Die Gehälter aller Funktionäre müssen an die Stundenlöhne der Arbeiter gekoppelt werden.

Es ist Zeit für einen koordinierten Kampf aller Arbeiter in der UAW – vereint mit allen Schichten der Arbeiterklasse – für folgende Forderungen:

  • Massive Lohnerhöhungen, um die jahrzehntelangen Lohnsenkungen auszugleichen.
  • Verpflichtende Lohnanpassung an die steigenden Lebenshaltungskosten (COLA), um mit der rasanten Inflation Schritt zu halten.
  • Abschaffung des Lohnstufensystems durch Anhebung der unteren Stufen auf das höchste Lohn- und Sozialleistungsniveau.
  • Vollständige Finanzierung der Renten und einer hochwertigen Gesundheitsversorgung für alle derzeitigen Beschäftigten und Rentner.
  • Die Wiedereinführung des 8-Stunden-Tages – nicht auf der Grundlage von Armutslöhnen, sondern mit Löhnen, die es uns ermöglichen, für uns und unsere Familien zu sorgen.
  • Ein Ende aller erzwungenen Überstunden und keine obligatorische Wochenendarbeit mehr, die uns eines Lebens außerhalb der Fabrik berauben. Der Überstundensatz sollte auf das Dreifache des Normalstundenlohns gesetzt werden.
  • Die Überführung aller Leiharbeiter und Teilzeitbeschäftigten in ein Vollzeitarbeitsverhältnis mit vollem Lohn und vollen Sozialleistungen.
  • Kontrolle der Belegschaft über die Bandgeschwindigkeit und die Produktionsstandards, die von lokalen Aktionskomitees ausgehandelt werden müssen.

Die Behauptung des UAW-Hauptquartiers, dass solche Forderungen „unbezahlbar“ seien, wird durch die Tatsache widerlegt, dass die Autokonzerne und andere riesige Unternehmen jedes Jahr Milliarden Dollar an Profiten einfahren. Unsere kollektive Arbeit ist die Quelle dieser Profite.

Zwei Dinge möchte ich noch ansprechen. Erstens: Ich bin Sozialist. Ich sehe, wie meine Kolleginnen und Kollegen Tag für Tag darum kämpfen, über die Runden zu kommen, während die Gesellschaft immer ungleicher wird. Das profitorientierte Gesundheitssystem ist eine Katastrophe. Das öffentliche Schulsystem ist ein Scherbenhaufen. Eine Handvoll Milliardäre besitzt heute so viel Vermögen wie die ärmste Hälfte der US-Bevölkerung. Führungskräfte von Unternehmen verdienen in wenigen Minuten so viel, wie wir in einem ganzen Jahr verdienen. Ihr Reichtum stammt von unserer Arbeit.

Die Regierung wird von den Banken und Konzernen geführt. Trotz ihrer Streitereien werden beide kapitalistischen Parteien, die Demokraten und die Republikaner, von der herrschenden Elite kontrolliert. Immer, wenn es eine Krise gibt – wie bei der Wirtschaftskrise 2008 oder dem Ausbruch der Coronavirus-Pandemie –, stellt die Regierung Billionen Dollar bereit, um die Konzerne zu retten. Es ist immer die Arbeiterklasse, die für diese Rettungsaktionen zahlen muss.

Seit 2020 sind eine Million Amerikaner an Covid gestorben, während der Aktienmarkt zu neuen Höchstständen aufgestiegen ist. Im Kapitalismus kommt dieses Geld von unserer Arbeit. In nur einem Jahr der Pandemie, von 2020 bis 2021, während Millionen entlassen oder arbeitslos wurden, haben die zehn reichsten Familien Amerikas ihr Vermögen um 136,6 Milliarden Dollar vermehrt.

Die UAW ist Teil dieses Netzwerks politischer Kontrolle, das den arbeitenden Menschen jegliche Stimme nehmen soll. Und ich finde es abscheulich, dass nach Jahrzehnten, in denen uns gesagt wurde, es gäbe „kein Geld“ für Schulen, öffentliche Infrastruktur oder Sozialleistungen, beide Parteien – einschließlich der von der UAW unterstützten Politiker – 40 Milliarden Dollar aufbringen, um in der Ukraine einen Krieg gegen Russland zu eskalieren, der die Menschheit auslöschen könnte. Viele von denen, die für den Aufbau der Gewerkschaft gekämpft haben, waren Sozialisten. Das zeigt, dass die heutigen UAW-Führer nichts mit den Arbeitern gemein haben, die die Gewerkschaft gegründet haben.

Der Sozialismus erkennt an, dass die Gesellschaft in Klassen gespalten ist. Derzeit findet ein Klassenkrieg statt, aber nur eine der beiden Klassen kämpft. Sozialismus bedeutet, dass die Produktivkräfte der Welt unter die demokratische Kontrolle der Arbeiterklasse gestellt und die Ressourcen verteilt werden, nicht um eine Handvoll Milliardäre zu bereichern, sondern um die Bedürfnisse der gesamten Menschheit zu befriedigen.

Zweitens: In der globalisierten Weltwirtschaft des 21. Jahrhunderts kann unsere Strategie nicht national sein. Wir brauchen eine völlig neue Strategie, die auf der Vereinigung von Arbeitern überall auf der Welt beruht. Aus diesem Grund unterstütze ich die Internationale Arbeiterallianz der Aktionskomitees (IWA-RFC), eine wachsende Bewegung zur Vereinigung von Arbeitern in verschiedenen Betrieben, Branchen und Ländern. Wir stehen riesigen transnationalen Unternehmen gegenüber, und wir müssen uns als Teil einer internationalen Bewegung verstehen, um zu gewinnen.

Ich appelliere an euch, meine Kampagne zu unterstützen und von den UAW-Delegierten zu verlangen, mich zu nominieren. Wenn ihr nicht wisst, wer eure Delegierten sind, könnt ihr euch an mich wenden, und ich werde euch helfen, das herauszufinden. Setzt euer Recht durch, für einen Kandidaten zu stimmen, der für die Interessen der Arbeiter kämpft und nicht für den Apparat des UAW-Hauptquartiers.

Weitere Informationen über meinen Wahlkampf erhaltet ihr auf meiner Website WillForUAWPresident.org, per E-Mail an willforuawpresident@gmail.com und per SMS an 877-861-4428 für aktuelle Informationen. Ihr könnt mir auch auf Facebook unter fb.com/WillForUAWPresident und auf Twitter unter twitter.com/WillforUAWpres folgen.

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