Russland beschuldigt Großbritannien der Sprengung der Nord-Stream-Pipelines

Die russische Regierung hat Großbritannien vorgeworfen, es habe eine wichtige Rolle bei der Sprengung der Gaspipelines Nord Stream 1 und Nord Stream 2 am 26. September gespielt.

Starke Unterwasserexplosionen rissen große Löcher in die Pipelines Nord Stream 1 und 2, die russisches Erdgas mehr als 1.200 Kilometer unter der Ostsee nach Deutschland leiten. Die Pipelines haben zusammen eine Kapazität von 110 Milliarden Kubikmetern Gas pro Jahr, mehr als 50 Prozent der normalen Gasexportmenge Russlands.

Karte der Nord-Stream-Pipelines [Photo by FactsWithoutBias1 / CC BY-SA 4.0]

Am Samstag erklärte ein Sprecher des russischen Verteidigungsministeriums: „Laut den verfügbaren Informationen waren Vertreter dieser Einheit der britischen Marine an der Planung, Vorbereitung und Umsetzung eines Terroranschlags in der Ostsee am 26. September dieses Jahres beteiligt, bei der die Gaspipelines Nord Stream 1 und 2 gesprengt wurden.“ Die genannte „Einheit der britischen Marine“ waren, wie der Sprecher später erklärte, britische Einsatzkräfte „in der Stadt Otschakiw, Region Mykolajiw, Ukraine“.

Die Explosionen haben Infrastruktur im Wert von mehreren Milliarden Dollar zerstört, die lebenswichtig für die Finanzierung der russischen Wirtschaft und die Versorgung der europäischen Industrie und Haushalte mit Strom und Wärme war. Das russische staatliche Energieunternehmen Gazprom ist der Haupteigentümer der Pipelines. Die Lecks befanden sich zwar in internationalen Gewässern, doch zwei der vier Explosionen ereigneten sich in der dänischen ausschließlichen Wirtschaftszone, zwei weitere in der schwedischen kurz vor der Ostseeinsel Bornholm.

Nord Stream 1 war seit fast elf Jahren in Betrieb, Nord Stream 2 war zwar mit Gas gefüllt, aber aufgrund des Drucks, den Washington auf Deutschland und andere EU-Staaten ausgeübt hatte, noch nicht kommerziell in Betrieb genommen worden.

Der Sprecher warf Großbritannien auch eine Beteiligung bei den Angriffen auf russische Schiffe im Schwarzen Meer vom Samstag vor: „Heute um 4:20 Uhr morgens hat das Kiewer Regime einen Terroranschlag auf Schiffe der Schwarzmeerflotte und zivile Schiffe verübt.

Die Vorbereitung für den Terroranschlag und die Ausbildung von Militärpersonal der ukrainischen 73. Spezialeinheit der Marine fand unter der Leitung britischer Spezialisten statt, die sich in der Stadt Otschakiw in der Region Mykolajiw aufhielten.

Es sollte betont werden, dass die Schiffe der Schwarzmeerflotte, die von dem Terroranschlag betroffen waren, für die Sicherheit des Getreidekorridors verantwortlich waren, der im Rahmen einer internationalen Initiative zum Export von Agrarprodukten aus ukrainischen Häfen errichtet wurde.“

Das britische Verteidigungsministerium wies die Vorwürfe zurück und erklärte, sie würden erhoben, um von Russlands „katastrophaler Handhabe der illegalen Invasion der Ukraine“ abzulenken.

Vor Russlands Erklärung hatten Großbritannien und andere Nato-Mitglieder wochenlang unterstellt, Russland habe seine eigene Pipeline sabotiert. Der Vorfall wurde benutzt, um die Feindseligkeiten zwischen der Nato und Russland zu verschärfen, bis hin zu Forderungen, die kollektive Nato-Verteidigungsklausel nach Artikel 5 zu aktivieren.

Ned Price, Sprecher des US-Außenministeriums, erklärte nur wenige Tage nach der Explosion, eine Anwendung von Artikel 5 sei nicht auszuschließen und fügte hinzu: „Ich möchte bekräftigen, dass wir wegen der augenscheinlichen Sabotage der Nord-Stream-Pipelines mit unseren europäischen Verbündeten und Partnern in Kontakt stehen. Wir unterstützen die Bestrebungen der europäischen Staaten, sie zu untersuchen.“

Vor dem Treffen der Nato-Verteidigungsminister Anfang Oktober drohte Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg: „Jeder vorsätzliche Angriff auf kritische Infrastrukturen von Verbündeten würde eine entschlossene Reaktion nach sich ziehen... Wir haben unsere Präsenz in der Nord- und Ostsee auf über 30 Schiffe verdoppelt, die von Seeaufklärungsflugzeugen und U-Booten unterstützt werden.“ Er kündigte noch „weitere Schritte“ zum Schutz der westlichen Infrastruktur an und erklärte: „Wir werden niemals das Privileg aufgeben, genau zu definieren, wo die Schwelle für Artikel 5 ist. Das ist eine Entscheidung, die wir als Verbündete unter Berücksichtigung des genauen Kontextes treffen.“

Die Propaganda, von Russland ginge eine unmittelbare Gefahr für die Sicherheits- und Energieinfrastruktur der Nato aus, war auch Teil der Behauptung, eine „ausländische Macht“ – wobei jeder weiß, dass Russland gemeint ist – habe am 8. Oktober das deutsche Schienennetz sabotiert, woraufhin der Zugverkehr in ganz Norddeutschland zum Erliegen kam. Der Verkehr musste eingestellt werden, nachdem zwei für den Betrieb des Netzes wichtige Kabel an zwei Stellen durchtrennt worden waren. Verteidigungsministerin Christine Lambrecht forderte bei einem Besuch der deutschen Truppen in Litauen, die Nato müsse die Sicherheit gegenüber Russland verstärken, und erklärte: „Fest steht, dass wir in der Nato noch mehr für unsere gemeinsame Sicherheit tun müssen. Denn wir wissen nicht, wie weit Putin seinen Großmachtswahn treiben wird.“

Vom Standpunkt des politischen Nutzens ist der Vorwurf, Großbritannien sei für den Bombenanschlag auf Nord Stream verantwortlich oder habe eine wichtige Rolle dabei gespielt, glaubwürdiger als die Behauptung, Russland habe wichtige Infrastruktur im Wert von mehreren Milliarden Dollar unbrauchbar gemacht, die es selbst seit 1997 über fast drei Jahrzehnte hinweg aufgebaut hat. Angesichts der engen Beziehungen Großbritanniens zu den Vereinigten Staaten in Bezug auf militärische und geheimdienstliche Operationen ist es darüber hinaus unmöglich, sich vorzustellen, dass Großbritannien Nord Stream ohne die direkte Zustimmung Washingtons gesprengt hat.

Bereits lange vor dem russischen Einmarsch in die Ukraine waren britische Schiffe im Schwarzen Meer an schweren Provokationen gegen Russland beteiligt. Im Juni 2021 war ein britisches Kriegsschiff im Schwarzen Meer in die von Russland beanspruchten Gewässer nahe der Halbinsel Krim eingedrungen. Daraufhin feuerten russische Patrouillenboote mehrere Warnschüsse ab, und ein russischer Kampfjet warf eine Bombe vor dem britischen Zerstörer HMS Defender ab.

Die HMS Defender, ein Zerstörer des Typs 45, verlässt am 1. Mai 2021 die Marinebasis Portsmouth für Übungen in Schottland, bevor er als Teil der vom Vereinigten Königreich angeführten Nato-Trägerkampfgruppe 21 ins Mittelmeer, ins Schwarze Meer und in die Indo-Pazifik-Region verlegt wird. Knapp sieben Wochen später, am 23. Juni 2021, war die HMS Defender an einer schweren Provokation der russischen Streitkräfte im Schwarzen Meer beteiligt

Die Royal Navy und Streitkräfte anderer Nato-Staaten unter Führung der USA haben seit 2019 eine Reihe von Operationen in der Ostseeregion durchgeführt. Am 25. Juni 2019 berichtete die Royal Navy: „Eine von Großbritannien geführte Expeditionsgruppe, der auch die baltischen Staaten angehören, wird eine Reihe von eingebundenen Militäraktivitäten in ihrem Teil Nordeuropas durchführen.“ Großbritanniens Erfahrung mit Seeoperationen in der Ostsee bedeutet, dass seine Streitkräfte kein Problem damit haben würden, Nord Stream auszuschalten. In der Erklärung der Royal Navy hieß es weiter: „Verdeckte amphibische Überfälle, Hinterhalte in Städten und Training in Minenabwehr werden die actionreiche dritte Stufe von Baltic Protector prägen, an der mehr als 3.000 britische Soldaten und 16 Schiffe beteiligt sind.“

Nur zwei Tage vor dem Einmarsch Russlands in die Ukraine erklärte Verteidigungsminister Ben Wallace nach einem Gipfeltreffen mit der britisch geführten Joint Expeditionary Force (JEF), an der Dänemark, Island, die Niederlande, Estland, Lettland, Litauen, Finnland, Norwegen und Schweden beteiligt sind: „Wir haben... vereinbart eine Reihe von integrierten Militäraktivitäten in unserem Teil Nordeuropas zu Wasser, zu Lande und in der Luft durchzuführen... Beispielsweise werden wir in Kürze eine Übung durchführen, um die Bewegungsfreiheit der JEF-Staaten in der Ostsee zu demonstrieren.“

Im Juni, nur drei Monate vor den Explosionen der Nord-Stream-Pipelines, führte die Nato die Übung BALTOPS 22 durch, bei der Großbritannien eine wichtige Rolle spielte. Laut der Nato nahmen „14 Nato-Verbündete, zwei Nato-Partnerstaaten, über 45 Schiffe, mehr als 75 Flugzeuge und etwa 7.000 Soldaten“ teil. Die Royal Navy erklärte: „Der Zerstörer HMS Defender liefert die Feuerkraft und die Spitzentechnologie, während sechs der kleinsten Schiffe im Inventar der Royal Navy – die Archer, Charger, Explorer, Exploit, Ranger und Smiter – für Geschwindigkeit, Beweglichkeit und die große Menge an Schiffen zuständig sind, die die Teilnehmer an Baltops 22 umkreisen.“ Die HMS Defender war der Zerstörer, der im Juni 2021 an der Konfrontation in der Nähe der Krim beteiligt war.

Die Behauptung, dass Russland die Pipelines zerstört habe, ist ein wichtiger Nebenschauplatz der Nato-Propaganda gegen Moskau und soll die Behauptungen untermauern, dass ein russischer Atomangriff die größte Bedrohung der Welt sei. Dies soll die Eskalation des Kriegs im Bereich der Marine ermöglichen, in dem Großbritannien bereits eine führende Rolle spielt.

Am 3. Oktober, wenige Tage nach den Anschlägen auf Nord Stream, schickte die Royal Navy eine Fregatte in die Nordsee. Das Schiff sollte mit der norwegischen Marine zusammenarbeiten, um „diejenigen zu sichern, die in der Nähe der Gaspipelines arbeiten“. Wallace erklärte zu dieser Zeit und nach einem Treffen mit der JEF: „Die Gruppe verurteilt die eklatanten Angriffe auf zivile Infrastruktur.“

Er erklärte, Großbritannien werde zwei Spezialschiffe anschaffen, um Unterwasser-Kabel und -Rohre zu schützen. Das erste dieser „Mehrzweck-Überwachungsschiffe für Kriegsführung am Meeresboden“ soll bis Ende 2023 einsatzbereit sein.

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