Das Reichsbürger-Terrornetzwerk und das Kommando Spezialkräfte der Bundeswehr

Unter den Verdächtigen, gegen die der Generalbundesanwalt wegen Bildung einer terroristischen Vereinigung im Reichsbürgermilieu ermittelt, befinden sich auffallend viele ehemalige oder aktive Mitglieder des Kommandos Spezialkräfte (KSK) der Bundeswehr.

KSK-Soldaten am Tag der Bundeswehr 2017 auf dem Heeresflugplatz Faßberg [Photo by Tim Rademacher / wikimedia / CC BY-SA 4.0]

Namentlich bekannt sind Rüdiger von Pescatore, der in den 1990er Jahren ein Fallschirmjägerbataillon kommandierte, das später in der KSK aufging; Maximilian Eder, der 1999 ein Panzergrenadierbataillon im Kosovo führte und später im KSK diente; Peter Wörner, ein ausgebildeter Elitesoldat des KSK, der inzwischen als Survivaltrainer arbeitet; und Andreas Meyer, der als Stabsfeldwebel noch im KSK aktiv ist.

Da nicht alle 54 Personen namentlich bekannt sind, gegen die der Generalbundesanwalt ermittelt, kann es gut sein, dass sich noch mehr Bundeswehrsoldaten darunter befinden.

Die starke Präsenz von Elitesoldaten unter den Terrorverdächtigen macht deutlich, dass es sich bei den aufgedeckten Umsturzplänen nicht einfach um die Phantasien einiger durchgedrehter Individuen handelt, wie dies teilweise dargestellt wird. Inzwischen weiß man auch, dass die Polizei bei den ersten Razzien rund 90 Waffen, eine sechsstellige Summe an Bargeld und einen Hinweis auf Goldbarren im Wert von sechs Millionen Euro sichergestellt hat, die in einem Schweizer Safe lagern sollen.

Außerdem fanden die Fahnder mögliche Feindeslisten. Nach Informationen des Spiegel entdeckten sie beim verhafteten Marco v. H. eine von Hand verfasste Liste mit Namen von zehn Politikern aus Baden-Württemberg, mehreren Ärzten und einem Gerichtsvollzieher. Vermerkt war neben den Namen jeweils die Adresse des Wahlkreisbüros oder der Praxis.

Die hohe Zahl verdächtigter Militärs ist noch in weiterer Hinsicht von Bedeutung. Sie zeigt, wie eng das Wachstum faschistischer Terrornetzwerke und des rechtsradikalen Milieus, auf das sie sich stützen, mit der Wiederbelebung des deutschen Militarismus und der damit verbundenen Rehabilitierung der Nazi-Ideologie und der Verbrechen der Wehrmacht verbunden ist.

Die Entstehung des KSK ging direkt mit der Verwandlung der Bundeswehr aus einer territorialen Verteidigungsarmee in eine internationale Interventionstruppe einher. Sie wurde Mitte der 1990er Jahre gegründet, nachdem das Bundesverfassungsgericht grünes Licht für militärische Out-of-Area-Einsätze außerhalb des Nato-Gebiets gegeben und der damalige Bundespräsident verkündet hatte, das „Ende des Trittbrettfahrens“ sei erreicht, Deutschland müsse die politische und militärische Verantwortung in der Welt übernehmen, die seinem durch die Wiedervereinigung gewachsenen Gewicht entspreche, hatte der damalige Bundespräsident Roman Herzog verkündet.

Das KSK ist für Spezialeinsätze hinter feindlichen Linien ausgebildet, zu denen auch das gezielte Töten gehört. Sie operiert streng geheim. Auch nach abgeschlossenen Einsätzen werden keine Angaben über Getötete und Verluste veröffentlicht. Sie kam während des Jugoslawienkriegs in Bosnien und im Kosovo, bei Kommandoaktionen in mehreren afrikanischen Ländern und vor allem im Afghanistankrieg zum Einsatz.

Dort arbeitete das KSK bei der Jagd auf Taliban mit US-Spezialeinheiten zusammen. Es soll dabei mehr Menschen getötet haben, als der Rest der Bundeswehr zusammen. Auf entsprechende Anfragen antwortete die Bundeswehr nur, man zähle grundsätzlich keine toten Feinde. Als Bundeswehroberst Georg Klein in Kundus den Befehl zu einem Luftangriff gab, der 142 vorwiegend zivile Opfer forderte, war das KSK beteiligt. Klein wurde später befördert, die Rolle des KSK vertuscht.

Die Eliteeinheit, die nur etwas mehr als 1000 Mann umfasst, zieht eine braune Spur hinter sich her. Ihre knapp dreißigjährige Geschichte wird von rechtsradikalen Vorfällen begleitet, die immer wieder bemäntelt und verharmlost wurden.

2005 veröffentlichte Reinhard Günzel, der das KSK bis 2003 kommandiert hatte, gemeinsam mit Ulrich Wegener, dem Gründer der Spezialeinheit GSG 9 der Bundespolizei, ein Buch in einem rechtsextremen Verlag, das das KSK in die Tradition der Wehrmachtsdivision Brandenburg stellt. Die Division Brandenburg hatte im Vernichtungskrieg gegen die Sowjetunion hinter den gegnerischen Linien operiert. Günzel war 2003 entlassen worden, weil er sich mit antisemitischen Äußerungen des früheren CDU-Bundestagsabgeordneten Martin Hohmann solidarisiert hatte. Heute ist Hohmann Mitglied der rechtsextremen AfD.

2008 bedrohte Daniel K., ein Hauptmann beim KSK, massiv Oberstleutnant Jürgen Rose, ein Mitglied der kritischen Soldatenvereinigung Darmstädter Signal. Er bezeichnete ihn als „Feind im Innern“, den man „zerschlagen“ müsse. K. erhielt einen Verweis und wurde befördert. Rose musste vorzeitig in den Ruhestand und 3000 Euro Buße bezahlen, weil er vor rechten Tendenzen im KSK gewarnt hatte. K. wurde erst 2019 aus dem Dienst entfernt, nachdem er sich auf Facebook als Reichsbürger geoutet hatte.

2017 feierten KSK-Soldaten die Verabschiedung von KSK-Oberstleutnant Pascal D. mit Rechtsrock und Hitlergruß. Sie übten Weitwurf mit Schweineköpfen, Siegerpreis war eine Prostituierte.

2020 wurde der 45-jährige KSK-Ausbilder Philipp Sch. verhaftet, nachdem die Polizei bei einer Razzia auf seinem Privatgrundstück Sprengstoff, ein Waffenarsenal samt Munition sowie Nazi-Literatur gefunden hatte.

Am deutlichsten zeigt das Hannibal-Netzwerk das Ausmaß der rechtsextremen Bedrohung, die vom KSK ausgeht. Nach der Festnahme des Bundeswehroffiziers Franco A., der sich als Flüchtling ausgegeben hatte, im April 2017 wurde nach und nach bekannt, dass ein Unteroffizier der Eliteeinheit namens André S. unter dem Pseudonym Hannibal ein umfangreiches rechtsextremes Netzwerk aufgebaut hatte, mit Gruppen in ganz Deutschland, Österreich und der Schweiz.

Zum Hannibal-Netzwerk gehörten Kommandosoldaten, Elitepolizisten, Verfassungsschützer, Richter und andere Staatsbeamte. Sie waren äußerst gewaltbereit. Sie hatten Zugang zu Ressourcen der Streitkräfte und der Sicherheitsbehörden und planten, diese einzusetzen, um politische Gegner zu eliminieren. Mitglieder der Hannibal-Gruppe „Nordkreuz“ hatten zehntausende Schuss Munition aus Behördenbeständen entwendet und planten, politische Gegner mit Bundeswehrtransportern zu entführen und sie an festgelegten Orten zu ermorden. Dazu führten sie Feindeslisten und Bestelllisten für Ätzkalk und hunderte Leichensäcke.

Obwohl journalistische Recherchen zahlreiche Details über die rechtsextreme Verschwörung aufdeckten und auch die Bundesanwaltschaft ermittelte, wurde André S. nie belangt. Nach achtjährigem Dienst im KSK, zuletzt als Ausbilder und Sicherheitsverantwortlicher in der Kaserne in Calw, wurde er versetzt, aber nicht aus der Bundeswehr entlassen. Es gab noch nicht einmal ein Disziplinarverfahren gegen ihn. Das Oberlandesgericht Frankfurt lehnte einen Prozess mangels „hinreichenden Terrorverdachts“ ab.

Ein Grund dafür ist, dass André S. als Informant für den militärischen Geheimdienst MAD gearbeitet hat. Hier zeigt sich dasselbe Muster wie im NSU-Komplex. Im Umfeld des rechtsextremen Trios, dass zehn Menschen ermordete, waren zahlreiche Informanten und Mitarbeiter der Geheimdienste aktiv, die die rechtsextremen Strukturen mit staatlichen Geldern förderten. Ihre Akten sind bis heute unter Verschluss. Auch parlamentarische Untersuchungsausschüsse erhielten keinen Zugang.

Der Schluss liegt nahe, dass es einen Zusammenhang zwischen dem Hannibal- und dem Reichsbürger-Netzwerk gibt, gegen das der Generalbundesanwalt jetzt ermittelt. Doch die Ermittlungen werden ebenso im Sand verlaufen oder sich auf angebliche „Einzeltäter“ beschränken, wie in früheren Fällen – beim NSU-Prozess, beim Anschlag auf die Kölner Oberbürgermeisterin Henriette Reker, beim Mord am Kasseler Regierungspräsidenten Walter Lübcke oder bei den Terroranschlägen in Halle und Hanau.

Die rechtsextremen Strukturen reichen tief in den Staatsapparat hinein und sind eng mit der Rückkehr des Militarismus verbunden. In den baltischen Staaten und in der Ukraine arbeitet die Bundeswehr mit Armeen zusammen, die Nazi-Kollaborateure des Zweiten Weltkriegs als Helden verehren. Historiker wie Jörg Baberowski oder Timothy Snyder, die die Verbrechen der Nazis verharmlosen, werden gefördert.

Die Herrschenden brauchen die Rechtsextremen, um die wachsende Opposition gegen den Militarismus und seine verheerenden sozialen Folgen zu unterdrücken. Nachdem sie sich gezwungen sahen, gegen das Reichsbürger-Netzwerk vorzugehen, nutzen sie es, um den Staat weiter aufzurüsten und gegen linke Gegner vorzugehen.

So hat die Staatsanwaltschaft Neuruppin nur eine Woche nach der Razzia gegen die Reichsbürger bundesweite Hausdurchsuchungen bei Aktivisten der „Letzten Generation“ angeordnet. Sie ermittelt gegen die Umweltgruppe wegen „des Anfangsverdachts auf Bildung oder Unterstützung einer kriminellen Vereinigung, Störung öffentlicher Betriebe, Hausfriedensbruch und Nötigung“. Anlass sind Protestaktionen gegen den Raffineriebetrieb PCK Schwedt, bei denen Mitglieder der Gruppe Notfallventile der Rohöl-Pipeline von Rostock nach Schwedt zugedreht haben sollen.

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