Perspektive

Jacobin und Pseudolinke decken Syriza und bereiten neuen Verrat vor

Der Vorsitzende von Syriza, Alexis Tsipras, spricht zu seinen Anhängern in der Wahlkampfzentrale der Partei in Athen, Sonntag, 20. September 2015 [AP Photo/Lefteris Pitarakis]

Nach dem Debakel von Syriza bei den griechischen Wahlen am Sonntag ist der ehemalige Ministerpräsident Alexis Tsipras schmachvoll von seinem Posten als Parteivorsitzender zurückgetreten. Er erklärte, die so genannte „Koalition der radikalen Linken“ – so der übersetzte Name der Partei – müsse „schwierige und mutige Entscheidungen treffen, die einer neuen Vision dienen sollen.“

Tsipras' Rücktritt war ein Eingeständnis dafür, wie sehr die Unterstützung für die Partei unter seiner Führung zusammengebrochen ist. Doch jede „neue Vision“ wird darauf abzielen, Syriza ein Facelift zu geben, damit sie weiterhin als entscheidendes Instrument der Banken und der kapitalistischen herrschenden Eliten dienen kann.

Pseudolinke Gruppen auf internationaler Ebene bemühen sich unterdessen gemeinsam darum, ihre eigene kriminelle Rolle bei Syrizas Verrat zu vertuschen, um sich auf neuen politische Verbrechen in der Zukunft besser vorbereiten zu können.

Typisch ist ein Artikel in der Zeitschrift Jacobin mit dem Titel „The Greek Left is in Serious Trouble“ (Die griechische Linke steckt in ernsten Schwierigkeiten), verfasst von Giorgos Gouzoulis, Professor an der britischen Universität Bristol. Jacobin ist mit den US-amerikanischen Democratic Socialists of America (DSA) verbunden, einer Fraktion der Demokratischen Partei.

Das Magazin schreibt, es versuche „zu verstehen, wie wir hier gelandet sind“, um „eine überzeugende fortschrittliche politische Agenda“ und eine „Rückkehr zur Macht für die Linke“ anzubieten. Was sie in Wirklichkeit präsentiert, ist eine Lehrstunde in Geschichtsfälschung.

Es ist notwendig, diese Geschichte zu überprüfen und aufzuzeigen, wie sie gleichzeitig vom Internationalen Komitee der Vierten Internationale und der World Socialist Web Site analysiert wurde. Alles, was Syriza getan hat, war vorhersehbar, und es wurde vorhergesehen. (Mehr dazu auf der WSWS-Themenseite „The Syriza Government in Greece: The pseudo-left in power“)

Die erste Lüge, auf der alle anderen basieren, ist die, dass Syriza als Teil einer Regierung irgendwie „Macht für die Linke“ bedeuten würde. Als Syriza im Januar 2015 gewählt wurde, wurde sie von Jacobin, der DSA und ihren Mitdenkern in der ganzen Welt als ein Umbruch in der europäischen und weltweiten Politik dargestellt. „Der Wahlsieg von Syriza hat der radikalen europäischen Linken und der Arbeiterbewegung Hoffnung gegeben und bietet ihr eine große Chance“, schrieb Jacobin am 26. Januar 2015, dem Tag nach der Wahl von Syriza.

Jedem, der seine Einschätzung auf eine marxistische Analyse politischer Tendenzen und der von ihnen vertretenen Klasseninteressen stützte – oder auch nur las, was Tsipras sagte –, war indessen völlig klar, was Syriza war und was sie tun würde. Unabhängig von ihrer „linksradikalen“ Wortwahl war sie eine bürgerliche Partei, die sich auf privilegierte Schichten der Mittelklasse stützte und die Forderungen der Banken umsetzen würde.

Am 5. Januar 2015, drei Wochen vor der Wahl, schrieb die WSWS in einem Artikel, der das Wahlprogramm von Syriza untersuchte: „Die herrschende Klasse weiß, mit wem sie es zu tun hat und dass sie von Syriza nichts zu befürchten hat.“

Am 26. Januar 2015, dem Tag nach der Wahl, als Jacobin die „Hoffnung“ für die „radikale Linke“ verkündete, schrieb die WSWS: „An der Wahlniederlage der traditionellen Parteien der griechischen Kapitalistenklasse, Pasok und ND, zeigt sich die Empörung der Masse der Bevölkerung über die Spardiktate der Banken. Syriza ist jedoch auch eine bürgerliche Partei, die an der EU und dem Euro festhält und den Kapitalismus verteidigt.“

Gouzoulis stellt das Ganze folgendermaßen dar: „Nach der Bildung einer Koalitionsregierung im Januar 2015 versuchte die Syriza-geführte Regierung, die EU-Institutionen, mächtige Lobbys und die politischen Führer des EU-Nordens davon zu überzeugen, dass eine fortschrittliche, alternative politische Agenda möglich ist. Aber diese Bestrebungen wurden nach sechsmonatigen Verhandlungen zunichte gemacht.“

Tatsächlich haben Syriza, ihr Ministerpräsident Tsipras und sein Schildknappe, Finanzminister Yanis Varoufakis, vom ersten Tag an damit begonnen, alle ihre Wahlversprechen zu verwerfen. Dies begann bereits mit der Regierungsbildung. Jacobin spricht von einer „Koalitionsregierung“, vermeidet es aber höflich, den Namen des Koalitionspartners zu nennen: es waren die Unabhängigen Griechen (Anel), eine rechte, rassistische Abspaltung der konservativen Nea Dimokratia (ND).

Damals schrieb die WSWS: „Mit dem Zusammengehen mit Anel versucht Syriza die besten Bedingungen zu schaffen, um ihre politische Linie nach rechts zu verschieben und der griechischen und internationalen Bourgeoisie zu signalisieren, dass die neue Regierung keine Bedrohung ihrer grundlegenden Interessen darstellt.“

Anstatt zu versuchen, die Arbeiterklasse in Griechenland und Europa zu mobilisieren, verfolgte Syriza eine bankrotte Politik des Bettelns bei der EU, um ein paar Brosamen zu erhalten. Varoufakis spielte die Hauptrolle dabei, den Finanzministern in allen europäischen Hauptstädten in den Hintern zu kriechen.

Weniger als einen Monat nach ihrem Amtsantritt unterzeichnete Syriza eine Vereinbarung mit der Eurogruppe. Darin verpflichtete sie sich, von einer Rücknahme der Sparmaßnahmen im Rahmen des bestehenden und verhassten, von der EU unterstützten „Memorandums“ abzusehen und „ihre finanziellen Verpflichtungen gegenüber allen ihren Gläubigern vollständig und rechtzeitig zu erfüllen.“ Das heißt, Syriza hat sich verpflichtet, die Forderungen der europäischen Banken, die sie vorgeblich ablehnen wollte, loyal umzusetzen.

Während Jacobin damals log und erklärte, dass „Syriza sich behauptet“, schrieb die WSWS: „Selbst in der ganzen kläglichen Geschichte 'linker' kleinbürgerlicher Politik findet man kaum ein solches Beispiel von Täuschung, Zynismus und abstoßender Feigheit, wie es Ministerpräsident Tsipras an den Tag gelegt hat.“

Syriza und Tsipras versuchten dann, die Arbeiter zu zwingen, ihre Vereinbarung mit dem europäischen Finanzkapital zu akzeptieren – wenn nötig mit Gewalt, wie beim Einsatz der Polizei gegen protestierende Studenten im April desselben Jahres.

Dies gipfelte in dem betrügerischen Referendum über neue Sparmaßnahmen im Juli 2015. Jacobin bezeichnet dies nun als „den letzten Akt von Syrizas Versuch, die Richtung der Wirtschaftspolitik innerhalb der Eurozone zu ändern.“ Damals veröffentlichte das Magazin die verlogene Rede von Tsipras, in der er das Referendum ankündigte, in voller Länge.

Syriza organisierte das Referendum in der festen Überzeugung, dass ihre Bemühungen, die Arbeiter zu demoralisieren und die Opposition zu ersticken, zu einem „Ja“ führen würden. Es würde, so das Kalkül, die Umsetzung der Forderungen der Banken oder sogar den Rücktritt von Tsipras und die Übergabe der Macht an die konservative ND ermöglichen. Für den Fall eines „Nein“ machte Tsipras bereits im Vorfeld klar, dass er mit der EU trotzdem weiter über Sparmaßnahmen verhandeln würde. Damals erklärte die WSWS: „Würde Tsipras versuchen, der arbeitenden Bevölkerung den Inhalt des Referendums kurz und bündig zu erklären, könnte er sagen: „Bei ,Kopf’ gewinnt die EU, bei ,Zahl’ verlierst du.“

Als die Bevölkerung mit überwältigender Mehrheit gegen die Sparmaßnahmen stimmte, arbeitete Syriza daran, ein massives neues Sparprogramm durch das Parlament zu bringen, das zuvor ja ausdrücklich abgelehnt worden war. Zu diesem Zeitpunkt trat Varoufakis, der vollendete Opportunist, als Finanzminister zurück. Er spürte wohl, dass er bessere Chancen für einen persönlichen und politischen Aufstieg haben würde, wenn er sich von Tsipras distanziert.

Im September 2015 gewann Syriza die Wiederwahl knapp gegen die ND, während sich Massen von Wählern der Stimme enthielten. Syriza und Tsipras blieben die nächsten vier Jahre an der Macht, bevor sie bei den Wahlen im Jahr 2019 eine Niederlage erlitten.

Jacobin behandelt die Zeit von Syriza an der Spitze der Regierung nach 2015 so knapp wie möglich. Laut Gouzoulis war dieser Zeitraum durch „begrenzte sozialpolitische Maßnahmen zum Schutz der ärmeren Haushalte“ gekennzeichnet, aber im Rahmen einer „Wirtschaftspolitik ..., die sich in erster Linie auf die Aufrechterhaltung der Haushaltsüberschüsse und die Begleichung der Staatsschulden konzentrierte“, was „besonders die ärmeren Teile der griechischen Gesellschaft traf.“

In der Tat hat die Syriza-Regierung nach der Unterdrückung und Zerschlagung des organisierten Widerstands gegen die Sparpolitik im Jahr 2015 die Forderungen des europäischen Finanzkapitals und der griechischen herrschenden Klasse brutal und systematisch umgesetzt. Am berüchtigtsten ist vielleicht, dass es als Frontlinie der immer grausameren EU-Politik der „Festung Europa“ gegen Flüchtende diente. Dazu zählte auch die Einrichtung von Konzentrationslagern, die von der griechischen Polizei bewacht werden. Gleichzeitig unterstützte sie die Nato und die Politik des US-amerikanischen und europäischen Imperialismus uneingeschränkt.

Die Syriza-Regierung hat die extreme Zunahme der sozialen Ungleichheit und die Verarmung von Massen griechischer Arbeiter und Jugendlicher zu verantworten, mit katastrophalen Folgen. Jacobin verweist auf das Zugunglück, bei dem in der Spätphase der letzten ND-Regierung 57 Menschen ums Leben kamen, und benennt die Auswirkungen der „Desinvestitionen in die öffentliche Infrastruktur und der Privatisierung der Eisenbahn.“ Sie vergisst zu erwähnen, dass vieles davon unter Syriza geschehen ist, einschließlich der Privatisierung der griechischen Staatsbahn TrainOSE.

Das Ergebnis dieses ganzen Prozesses war, wie die WSWS gewarnt hat, die Stärkung der politischen Rechten. Alle Organisationen, die Syriza gefördert und gedeckt haben, haben ihre Rolle gespielt – einige aus Dummheit, aber im Allgemeinen mit einem bewussten Verständnis und einer anhaltenden Feindschaft gegenüber der Arbeiterklasse.

Wenn die WSWS den Begriff „pseudo-links“ verwendet, dann sollte die Betonung auf „pseudo“ liegen. Es gibt nichts „Linkes“ an diesen Organisationen. Sie verwenden den Begriff „sozialistisch“ nur zu einem Zweck: um die Hinwendung der Arbeiterklasse zu einer echten sozialistischen Politik zu blockieren. Was die von ihnen vertretenen Klasseninteressen betrifft, so handelt es sich um privilegierte Teile der oberen Mittelschicht, deren Reichtum und Perspektive mit dem Imperialismus und der Wall Street verbunden ist.

Nachdem sie die wahre Geschichte und die Lehren von Syriza in Griechenland verfälscht hat, macht Jacobin deutlich, dass sie alles tun wird, um einen neuen Verrat zu organisieren. „Der Kampf gegen Austerität und Privatisierung und die Verteidigung der Demokratie werden in den nächsten vier Jahren sehr schwierige Aufgaben im griechischen Parlament sein“, schließt Gouzoulis seinen Artikel. Es sei notwendig, schreibt er, „linke soziale Bewegungen und politische Organisationen wieder aufzubauen ... was zur Schaffung neuer, wirklich radikaler politischer Bündnisse führt.“

Welche Organisation auch immer die verschiedenen Überbleibsel und Abspaltungen von Syriza zusammenschustern, sie wird nicht „radikaler“ sein als Syriza selbst. Ihr Ziel ist es, eine neue Falle für Arbeiter und Jugendliche zu schaffen, die einen Weg suchen, sich gegen Ungleichheit und Sparmaßnahmen zu wehren.

Die DSA und Jacobin decken und unterstützen Syriza, weil ihre eigene Politik, wenn überhaupt, rechts von dem steht, was Syriza während ihrer Regierungszeit von 2015 bis 2019 vollbracht hat. Das ist keine Frage der Spekulation. Mitglieder der DSA haben letztes Jahr für die Illegalisierung eines Bahnstreiks gestimmt, und die DSA unterstützt aus ganzem Herzen den Krieg der USA und der Nato gegen Russland in der Ukraine.

Corbyn in Großbritannien, Sanders in den USA, die Linkspartei in Deutschland, Mélenchon in Frankreich und unzählige Varianten in der ganzen Welt sind Fraktionen des politischen Establishments, die von Organisationen gefördert und unterstützt werden, die nicht die Arbeiterklasse, sondern die privilegierte obere Mittelschicht vertreten. Ihre pro-kapitalistische Politik ist kein Fehler, sondern das Produkt der gesellschaftlichen Kräfte, die sie vertreten. Wie bei Syriza dienen sie nur dazu, die politische Rechte zu stärken.

Es gibt eine wachsende Massenbewegung von Arbeitern und Jugendlichen in der ganzen Welt, die das Ergebnis der extremen sozialen Ungleichheit, der Folgen der eskalierenden imperialistischen Kriege, des Anwachsens von Faschismus und Diktatur, der Auswirkungen der Pandemie und aller Erscheinungsformen der kapitalistischen Krise ist.

Die Entwicklung einer echten sozialistischen Bewegung in der Arbeiterklasse ist jedoch kein automatischer Prozess. Sie erfordert den Aufbau einer trotzkistischen Partei, deren Kader auf der Grundlage der Lehren aus der Geschichte geschult sind. Ein zentrales Element dieser Ausbildung ist die Erziehung von Arbeitern und Jugendlichen, um die Pseudolinke schonungs- und kompromisslos zu entlarven und zu bekämpfen. Das ist die eigentliche Lehre aus den Erfahrungen mit Syriza in Griechenland.

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