Türkischer Präsident Erdogan gibt grünes Licht für Schwedens Nato-Mitgliedschaft

Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan (links), Schwedens Ministerpräsident Ulf Kristersson (rechts) und NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg (Mitte) in Litauen, 10. Juli 2023 [Yves Herman, AP Photo] [AP Photo]

Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdoğan hat am späten Montagabend zugestimmt, den Antrag Schwedens auf Mitgliedschaft in der Nato zu unterstützen. Damit ist der Weg frei für Stockholm, das 32. Mitglied in dem aggressiven Militärbündnis unter US-Führung zu werden. Die Ankündigung erfolgte am Vorabend des Nato-Gipfels in Vilnius, auf dem eine erhebliche Eskalation des Krieges gegen Russland beraten wird.

In einem Tweet mit der Ankündigung von Erdoğans Zustimmung schreibt Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg: „Dies ist ein historischer Schritt, der alle Nato-Verbündeten stärker und sicherer macht.“

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Im Gegensatz zu dieser absurden Behauptung wird der Beitritt Finnlands und Schwedens zur Nato die Nordfront im Krieg der USA und Nato erweitern. Der Krieg zielt darauf, Russland auf den Status einer Halbkolonie herabzudrücken und die natürlichen Ressourcen des Landes zu plündern. Mit dem im April vollzogenen Beitritt Finnlands hat sich die Landgrenze der Nato-Mitgliedstaaten zu Russland mehr als verdoppelt. Die Integration Schwedens in das Militärbündnis bedeutet, dass Russland in der Ostsee von Nato-Mitgliedern umgeben ist. In den Armeen der nordischen Länder sind die Pläne zur Umwandlung der Region in ein gemeinsames Operationsgebiet bereits weit fortgeschritten, unter anderem durch die Schaffung einer gemeinsamen Luftwaffe und die Gewährung eines ungehinderten Zugangs für die US-Truppen in der Region.

Erdoğans Zustimmung zur schwedischen Nato-Mitgliedschaft erfolgte nach mehreren Tagen intensiver Diskussionen, da der US-Imperialismus darauf drängte, die Frage vor Beginn des Gipfels in Vilnius zu klären. Der schwedische Ministerpräsident Ulf Kristersson besuchte am vergangenen Mittwoch US-Präsident Joseph Biden im Weißen Haus. Biden sagte Kristersson, er sehe der schwedischen Nato-Mitgliedschaft „mit Spannung entgegen“.

In einem Telefongespräch mit Präsident Biden am Sonntag hatte Erdoğan erklärt, dass er den Beitritt Schwedens nach wie vor nicht befürworte. In einer türkischen Pressemitteilung hieß es: „Erdoğan erklärte, dass Schweden mit der Änderung der Anti-Terror-Gesetzgebung einige Schritte in die richtige Richtung unternommen habe“, aber dass Schweden kurdischen Gruppen erlaube, „ungehindert Demonstrationen zu veranstalten, die den Terrorismus preisen, macht diese Schritte zunichte“.

Am Montag gab Erdoğan eine Pressekonferenz, in der er forderte, dass die Zustimmung seiner Regierung zum schwedischen Nato-Beitritt von der Wiederaufnahme der Gespräche über die Aufnahme der Türkei in die Europäische Union abhängig gemacht wird. Nachdem dieser Vorschlag von führenden europäischen Politikern, darunter Bundeskanzler Olaf Scholz, rundweg abgelehnt worden und Erdoğan mit Kristersson persönlich zusammengetroffen war, wurde schließlich bei einem letzten Treffen unter dem Vorsitz von Stoltenberg eine Einigung erzielt.

Die entscheidende Rolle bei der Erzwingung eines Abkommens spielte zweifelsohne Washington. Berichten zufolge drohten die USA damit, der Türkei ihre wertvollen F-16-Kampfjets vorzuenthalten, wenn Ankara den Beitritt Schwedens zur Nato weiter blockiert.

Erdoğans Ankündigung erfolgte nach einem Treffen mit dem ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj am Wochenende in Istanbul. Erdoğan erklärte auf einer gemeinsamen Pressekonferenz, die Ukraine habe die Nato-Mitgliedschaft „verdient“. Zusammen mit seiner Zustimmung zum Nato-Beitritt Schwedens unterstreicht diese Äußerung Erdoğans, dass sich der Versuch der türkischen Bourgeoisie, eine Politik des Ausgleichs zwischen den imperialistischen Mächten auf der einen und Russland auf der anderen Seite zu betreiben, aufgrund der starken wirtschaftlichen Beziehungen zu beiden Seiten als immer unhaltbarer erweist.

Um Ankara zu beschwichtigen, hat Schweden sein Waffenembargo gegen die Türkei aufgehoben, das es nach Beginn der türkischen Militäraktion gegen die kurdisch-nationalistischen Volksschutzeinheiten (YPG) im Jahr 2019 verhängt hatte. Schweden hat außerdem ein neues, umfassendes Antiterrorismusgesetz verabschiedet, das die schnelle Auslieferung von Terrorverdächtigen an die Türkei und andere Länder ermöglicht. Im April wurde in Schweden eine Reihe von Razzien zur Terrorismusbekämpfung gegen islamistische Extremisten durchgeführt. Allerdings wurden durch mehrere Koranverbrennungen in Schweden die Reibungen zwischen den beiden Ländern verschärft.

Die Entschlossenheit Washingtons und seiner europäischen imperialistischen Verbündeten, Schweden in die Nato einzubinden, hängt mit der strategischen Lage und den militärischen Fähigkeiten des Landes sowie mit der Bedeutung der nordischen und arktischen Regionen im Krieg gegen Russland im weiteren Sinne zusammen. Stockholm liegt an der Ostsee, wo der Schiffsverkehr und die Pipelines vor den Toren Russlands verlaufen. Die Insel Gotland war während des Kalten Krieges aufgrund ihrer strategischen Lage in der Ostsee, nur gut 300 Kilometer nordwestlich der russischen Exklave Kaliningrad, ein wichtiger Militärstützpunkt. Schweden erstreckt sich auch weit in den Polarkreis hinein, ein Gebiet mit zunehmenden Spannungen, insbesondere da neue natürliche Ressourcen entdeckt werden.

Die USA haben bereits ein Abkommen über die Zusammenarbeit im Verteidigungsbereich mit Norwegen geschlossen, das den Streitkräften einen weitreichenden Spielraum für uneingeschränkte Operationen in „vereinbarten Gebieten“ einräumt und die im Land operierenden Truppen der amerikanischen Gerichtsbarkeit unterstellt, auch wenn sie nicht im Dienst sind. Ähnliche Abkommen werden derzeit mit Finnland und Schweden ausgehandelt. Die nordischen Verteidigungsminister haben außerdem einen umfassenden Plan für den schnellen Transport von Nato-Truppen und deren Nachschub über mehrere Häfen an der Westküste der nordischen Länder ausgearbeitet, von Esbjerg in Dänemark über Göteborg in Schweden bis hin zu Trondheim und Tromsø in Norwegen.

Die Möglichkeit, dass die Nato-Mächte einen beliebigen Vorwand für eine größere militärische Eskalation in der nordischen Region nutzen könnten, wird angesichts der sich verschärfenden Krise des rechtsextremen Regimes in Kiew noch wahrscheinlicher. Der Krieg in der Ukraine hat Hunderttausende von Soldaten das Leben gekostet, darunter schätzungsweise allein 200.000 Ukrainer. Die Ukraine durchkämmt ihr Land nach Rekruten und diejenigen, die sich weigern in den Krieg zu ziehen, werden inhaftiert. Die in diesem Sommer gestartete Gegenoffensive ist weitgehend gescheitert, und der Krieg wird nur dadurch aufrecht erhalten, dass die imperialistischen Mächte scheinbar unbegrenzt moderne Waffen im Wert von Milliarden ins Land liefern.

Schwedens Auftreten als Frontstaat im Krieg der Nato gegen Russland lässt die alten Konfliktlinien wieder aufleben, die einst Nordeuropa teilten. Schweden führte im 17., 18. und 19. Jahrhundert eine Reihe von Kriegen gegen das Russische Reich, die ihren Höhepunkt im Finnischen Krieg 1808-09 im Rahmen der Napoleonischen Kriege fanden. In diesem Konflikt verlor Schweden die Kontrolle über Finnland, das zu einem Großherzogtum innerhalb des Zarenreichs wurde.

Danach verfolgte Schweden bis zu seiner Beteiligung an der neokolonialen Besetzung Afghanistans durch die Nato offiziell eine Politik der Neutralität. Aber das Land war während der gesamten Nachkriegszeit tief in den US-Imperialismus integriert. Während des Kalten Krieges arbeitete Schweden eng mit den Geheimdiensten der Vereinigten Staaten zusammen, insbesondere bei Spionageoperationen gegen Moskau.

In der Vergangenheit waren schwedische Unternehmen wichtige Waffenproduzenten, die u. a. das Dynamit und den tragbaren Raketenwerfer erfunden haben. Obwohl Schweden nur ein kleines Land mit 10 Millionen Einwohnern ist, hat es bereits Militärausrüstung im Wert von mehreren Milliarden Dollar in die Ukraine geliefert, darunter auch das moderne mobile Artilleriesystem Archer. Schweden plant eine Erhöhung ihres Militärbudgets um 64 Prozent zwischen 2022 und 2028 und eine Verdopplung der Zahl der jährlichen Wehrpflichtigen von derzeit 10.000.

Die schwedischen U-Boote der Gotland-Klasse gehören zu den modernsten Nicht-Atom-U-Booten der Welt und können lange unter Wasser bleiben. Die schwedische Marine verfügt auch über umfangreiche Erfahrungen in der Ostsee, einem berüchtigt schwierigen Gewässer mit flachen Schären entlang der Küstenregionen. Diese Region würde im Falle eines offenen Krieges mit Russland zu einem intensiven Konfliktgebiet.

Bei dem Gespräch zwischen Biden und Kristersson im Weißen Haus in der vergangenen Woche wies Kristersson auf diesen Beitrag hin, den das Land in Bezug auf die Nato leisten würde. Er sagte: „Wir suchen gemeinsamen Schutz [im Rahmen der Nato], aber wir sind auch der Meinung, dass wir etwas beitragen können, um ein Sicherheitsanbieter für die gesamte Nato zu sein.“

Die Kosten der massiven militärischen Aufrüstung Schwedens und der Umwandlung der Region in eine Front im Krieg mit Russland werden von den arbeitenden Menschen getragen. Schweden ist mit einer massiven Inflationskrise konfrontiert, die zum Teil auf den Krieg zurückzuführen ist. Die Ungleichheit im Land ist auf dem höchsten Stand seit Beginn entsprechender Aufzeichnungen in den 1970er Jahren. Schweden ist derzeit das einzige Land in Europa, das sich in einer Rezession befindet, wenn auch in einer leichten. Eine ganze Reihe von Regierungen, sowohl von der nominell linken Sozialdemokratischen Partei Schwedens als auch von den traditionellen Rechtsparteien, haben jahrzehntelang Kürzungen im Bildungs- und Gesundheitswesen durchgesetzt, die den einst viel gepriesenen öffentlichen Dienst und Sozialstaat geschröpft haben.

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