Gewerkschaften und Unternehmerverbände erneuern Pakt gegen Arbeiter

In der vergangenen Woche lud Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier (SPD) Spitzenvertreter der Wirtschaftsverbände und der Gewerkschaften zu einer Gesprächsrunde ins Schloss Bellevue. Neben der DGB-Vorsitzenden Yasmin Fahimi und den Betriebsratsvorsitzenden von VW, Daniela Cavallo, und Mercedes-Benz, Michael Häberle, nahmen die Präsidenten der Arbeitgeber-, Industrie- und Handwerksverbände teil.

Bundespräsident Steinmeier mit Vertretern von Wirtschaftsverbänden und Gewerkschaften [Photo by Bundesregierung / Steffen Kugler]

Im Anschluss an das Gespräch erklärte der Bundespräsident: „Wir treffen uns in bewegten Zeiten. Meine heutigen Gesprächspartner aus Wirtschaft und Gewerkschaften spüren das in ihren Betrieben täglich.“ Steinmeier betonte, es gebe „Unsicherheit und Besorgnis in unserem Land“. Zugleich würden „politische Extremisten“ diese Ängste planvoll schüren, um sie für ihre „verantwortungslosen Pläne“ zu missbrauchen.

Vordergründig ging es bei dem Treffen im prunkvollen Ambiente des Schlosses Bellevue um die Demonstrationen gegen die AfD. Seit dem Bekanntwerden einer faschistischen Versammlung in Potsdam, auf der Massendeportationen von Migranten geplant wurden, gehen in ganz Deutschland Hunderttausende gegen die rechtsextreme Partei auf die Straße. Unter der Überschrift „Gemeinsam gegen Rechtsextremismus“ veröffentlichten DGB und Arbeitgeberverbände eine kurze gemeinsame Erklärung, in der es heißt: „Den aktuellen Remigrationsplänen der Rechtsextremisten erteilen wir eine klare Absage.“

Die Sorge des Bundepräsidenten und seiner Gäste galt allerdings nicht der AfD, deren Führer Steinmeier selbst zu Gesprächen im Schloss Bellevue empfangen hat. Der DGB und der Arbeitgeberverband BDA warnen in ihrer gemeinsamen Erklärung vor einer Gefährdung des sozialen Friedens und betonen, sie seien sich darüber bewusst, „welche enorme Bedeutung der soziale Frieden für Deutschland hat“. Sie fürchten, dass sich die Massenproteste gegen die AfD mit der Streikbewegung gegen sinkende Reallöhne und dem Widerstand gegen Sozialabbau und Aufrüstung verbinden und zu einer Rebellion gegen die Regierung, gegen Krieg und Kapitalismus entwickeln.

In den vorangegangenen Tagen und Wochen hatten Streiks den Bahn-, den Flug- und den öffentlichen Nahverkehr lahmgelegt und Bauernproteste Straßen und Städte blockiert. Den Gewerkschaften war es nur mit Mühe gelungen, einen unbefristeten Streik im öffentlichen Dienst zu verhindern. In der Auto-, Zuliefer-, Chemie- und Stahlindustrie wächst der Widerstand gegen Massenentlassungen.

Steinmeier forderte die Gewerkschaften und Arbeitgeberverbände auf, sich stärker in die Demonstrationen gegen die AfD einzumischen und ihnen die Spitze zu brechen. Unter der Parole „Gemeinsam für Demokratie“ soll die rechte Politik der Regierung abgedeckt werden, die das Programm der AfD in die Tat umsetzt.

Die Behauptung der Arbeitgeberverbände und Gewerkschaften, sie gingen „gemeinsam gegen Rechtsextremismus“ vor, ist eine Farce. Seit dem Nazi-Terror ist bekannt, dass Faschismus und Kapitalismus zusammengehören. Wenn die Krise des kapitalistischen Systems das normale Maß übersteigt und extreme Formen der Ausbeutung nur durch Diktatur und die Zerschlagung des Arbeiterwiderstands durchgesetzt werden können, finanzieren die Kapitalisten faschistische Banden und Parteien. So war es vor hundert Jahren und so ist es heute.

Es ist nicht vergessen, dass der Aufstieg der AfD neben staatlicher Förderung und Medienpräsenz durch Großspenden des Unternehmers August von Finck finanziert wurde. Fincks gleichnamiger Vater hatte einst Hitler finanziert und sein Vermögen durch die Arisierung jüdischen Besitzes vermehrt. Mittlerweile versucht die Partei, ihre Großspenden aus der Wirtschaft besser zu tarnen. Ihre Hauptunterstützung bekommt sie aber vom Staat. Laut dem zuletzt veröffentlichten Rechenschaftsbericht erhielt die AfD 2020 eine staatliche Förderung von 11,8 Millionen Euro.

Dass Präsident Steinmeier zum Bündnis gegen die AfD aufruft, ist Teil der Verwirrkampagne. Als Außenminister spielte er vor zehn Jahren eine Schlüsselrolle dabei, die Wiederkehr deutscher Großmachtpolitik und den Aufstieg des deutschen Militarismus einzuleiten. Er war im Februar 2014 persönlich in Kiew, als paramilitärische faschistische Milizen den gewählten Präsidenten Viktor Janukowitsch verjagten, der sich geweigert hatte, ein Assoziierungsabkommen mit der EU zu unterzeichnen. Steinmeier hatte diesen rechten Putsch vorbereitet und ermöglicht. Er arbeitete dabei eng mit der faschistischen Swoboda von Oleh Tjahnybok zusammen, einer Partei, die sich neofaschistischer Symbole bedient, gegen Ausländer und Juden hetzt und enge Beziehungen zu rechtsextremen Parteien in Europa unterhält.

Was die Gewerkschaften angeht, so tummeln sich in ihren Reihen viele AfD-Mitglieder und Funktionäre, die die nationalistische Perspektive der Standortverteidigung und die Forderung nach Schutzzöllen unterstützen. Vor sechs Jahren begrüßte der damalige IG-Metall-Chef in Ostsachsen, Jan Otto (heute Erster Bevollmächtigter der IG Metall Berlin) den AfD-Bundestagsabgeordneten Tino Chrupalla (heute AfD-Vorsitzender) auf einer Gewerkschaftsdemonstration in Görlitz. Otto begründete damals seine Zusammenarbeit mit dem AfD-Funktionär damit, dass im Kampf gegen Entlassungen alle Parteien zusammenstehen müssten.

Aber ihre Hauptrolle bei der Förderung des Faschismus spielen die Gewerkschaften, indem sie jeden ernsthaften Kampf gegen den Kapitalismus und gegen die Regierung unterdrücken. Denn die große Lehre aus der Geschichte lautet, dass nur eine gesellschaftliche Kraft den Faschismus stoppen kann: die internationale Arbeiterklasse im Kampf zum Sturz des Kapitalismus, der die Quelle von Faschismus und Krieg ist. Doch die Gewerkschaften tun das genaue Gegenteil. Sie schließen einen Pakt mit Regierung und Kapital und unterstützen die Kriegspolitik.

Das Hauptziel der Gespräche im Schloss Bellevue bestand darin, diesen Pakt zu stärken, um den Widerstand gegen die militärische Aufrüstung, die Waffenlieferungen an die Ukraine und an Israel und die drastischen Sozialkürzungen zu unterdrücken.

In derselben Woche erklärte Verteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) in mehreren Interviews, Deutschland müsse sich auf einen direkten Krieg mit der Atommacht Russland vorbereiten. Wenige Wochen zuvor hatte er gefordert Deutschland müsse wieder „kriegstüchtig“ und „wehrhaft“ werden, die Bundeswehr und die Gesellschaft als Ganze müssten entsprechend aufgestellt werden.

Zur selben Zeit wurde auch der Bundeshaushalt 2024 verabschiedet, der eine enorme Steigerung der Militärausgaben und Sparmaßnahmen in allen Sozialbereichen vorsieht. Die Verteidigungsausgaben für 2024 belaufen sich, wenn man alle entsprechenden Haushaltsposten und Fonds mit einbezieht, auf insgesamt 85,5 Milliarden Euro. Seit 2017 haben sie sich damit mehr als verdoppelt. Der Gesundheitsetat wurde dagegen von 64,4 Milliarden Euro im Jahr 2022 auf 16,7 Milliarden zusammengestrichen.

Dazu kommen die anhaltenden Preissteigerungen bei Lebensmitteln, Energie und Mieten und die Auswirkungen der Umstrukturierung der Auto- und Zulieferindustrie, die von den Konzernen benutzt wird, um die Profite drastisch zu steigern. Nach offiziellen Angaben sind 40 Prozent der knapp 800.000 Arbeitsplätze allein in diesem Bereich bedroht.

Angesichts dieser Situation stützt sich die Ampel-Koalition auf eine enge Zusammenarbeit mit den Gewerkschaften und integriert deren Führung immer stärker in die Regierungspolitik. Sie sollen verhindern, dass es zu Widerstand kommt, und ihren aufgeblähten Funktionärsapparat einsetzen, um den umfangreichsten Lohn- und Sozialabbau seit den 1930er Jahren zu erzwingen. Alleine die IG Metall verfügt in den Betrieben über 50.000 Betriebsräte und 80.000 Vertrauensleute. Etwa 1700 IG-Metall-Vertreter sitzen in Aufsichtsräten von Unternehmen, wo sie fürstlich entlohnt werden und eng mit dem Management zusammenarbeiten.

Bereits wenige Monate nach Beginn des Ukraine-Kriegs hatte Bundeskanzler Scholz im Sommer 2022 die so genannten Sozialpartner zu einem Gespräch ins Kanzleramt geladen und die Konzertierte Aktion neu belebt. Die Institution geht auf den SPD-Wirtschaftsminister Karl Schiller zurück, der 1967 auf die erste Rezession in der Bundesrepublik, in der 500.000 Arbeiter ihre Stelle verloren, mit der Einberufung einer Konzertierten Aktion reagierte, die sich auf niedrige Lohnabschlüsse verständigte. In den folgenden beiden Jahren sanken die durchschnittlichen Reallöhne um jeweils 1,6 und 1 Prozent.

Scholz knüpfte an diese Politik an. Mit einer steuerfreien Inflationsausgleich-Zahlung von maximal 3.000 Euro ermöglichte er es den Gewerkschaften, Lohnabschlüsse weit unter der Teuerungsrate zu vereinbaren und die Reallohnsenkung vorübergehend abzumildern. Dieser Pakt ist jetzt verschärft worden. Angesichts der Haushaltskrise wird es künftig keine derartigen steuerfreien Zahlungen mehr geben.

Dass die Gewerkschaften die Kriegspolitik der Regierung unterstützen, ist nicht neu. Das taten sie schon 1914, als sie zu Beginn des Ersten Weltkriegs einen Burgfrieden mit den Unternehmen und der Regierung schlossen, auf Lohnkämpfe verzichteten und die Kriegsziele unterstützten.

Auch vor zehn Jahren, als Steinmeier – damals noch als Außenminister – zur Rückkehr zu einer deutschen Großmachtpolitik und zur Übernahme von mehr internationaler, militärischer Verantwortung aufrief, stimmten die Gewerkschaften zu. Der damalige DGB-Chef Reiner Hoffmann schrieb einen Beitrag für die Website „Review 2014“, die Steinmeier eingerichtet hatte, um für diese Politik zu werben. Hoffmann stellte sich uneingeschränkt hinter die militärische Aufrüstung.

Schon Hoffmanns Vorgänger Michael Sommer hatte enge Kontakte zur Bundeswehr gepflegt. Unter ihm hatten DGB und Bundeswehr in einer gemeinsamen Erklärung allen Ernstes behauptet, sie seien beide Teil der Friedensbewegung. Kurze Zeit später beteilige sich der DGB an den Feierlichkeiten zum 60. Jahrestag der Gründung der Bundeswehr.

Die gegenwärtige DGB-Vorsitzende Yasmin Fahimi verkörpert die Verschmelzung der Gewerkschaften mit Regierung und Staat. Sie war SPD-Generalsekretärin, Staatssekretärin im Bundesarbeitsministerium und Parlamentsabgeordnete.

Die Integration der Gewerkschaften in die Regierung und ihre Unterstützung der Aufrüstungs- und Kriegspolitik hat tiefe objektive Ursachen. Sie ist eng mit der Globalisierung der Produktion verbunden. Die weltweite Integration der Wirtschaft und die transnationalen Produktionsprozesse haben den Gewerkschaften den nationalen Boden entzogen, auf dem sie in der Vergangenheit Druck für begrenzte Sozialreformen ausüben konnten. Die Unterstützung von Aufrüstung und Krieg zur Sicherung von Rohstoffversorgung, Absatzmärkten und Zugang zu billigen Arbeitskräften ist die logische Fortsetzung dieser nationalistischen Politik.

Doch von den Arbeitern werden die Gewerkschaften immer mehr als das wahrgenommen, was sie wirklich sind: Bürokratische Apparate, die von der Regierung und von den Konzernen finanziert werden und den Klassenkampf mit allen Mitteln unterdrücken. Immer mehr Arbeiter stimmen mit den Füßen ab und treten aus. Zur Jahrtausendwende hatte der DGB noch 7,7 Millionen Mitglieder. Heute sind es über 2 Millionen weniger.

Das Treffen mit Bundespräsident Steinmeier macht deutlich, dass die Kontrolle der Gewerkschaften über die Arbeiterklasse kriegsrelevant ist.

Der Kampf gegen Krieg erfordert deshalb, die Kontrolle der nationalistischen Gewerkschaften und ihrer bürokratischen Apparate zu durchbrechen. Der Aufbau unabhängiger Aktionskomitees gewinnt jetzt große Bedeutung, um den wachsenden Widerstand gegen soziale Angriffe und die Gefahr eines Dritten Weltkriegs miteinander zu verbinden und eine globale Gegenoffensive einzuleiten.

Die Sozialistische Gleichheitspartei und das Internationale Komitee der Vierten Internationale haben die Internationale Arbeiterallianz der Aktionskomitees (International Workers Alliance of Rank-and-File Committees, IWA-RFC) ins Leben gerufen, um den Aufbau von Aktionskomitees zu unterstützen und sie international zu koordinieren.

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