Verdi, die „Hausgewerkschaft“ der Lufthansa

Als am Mittwoch, 7. Februar 2024, um 4:00 Uhr früh rund 7.000 Lufthansa-Beschäftigte des Bodenpersonals die Arbeit niederlegten, zeigte sich einmal mehr, über welche Macht die Arbeiterklasse verfügt. An den Flughäfen Frankfurt am Main, Berlin, Hamburg, Düsseldorf und München mussten rund 900 Starts und Landungen abgesagt werden, bis zu 100.000 Passagiere waren betroffen. Am Rhein-Main Airport, wo sich Lufthansa-Basis und Hauptdrehkreuz befinden, fielen mit 600 Starts und Landungen 90 Prozent der geplanten Flüge aus.

Verdi-Kundgebung vor dem Lufthansa Aviation Center bei Frankfurt, 7. Februar 2024

Der Lufthansa-Warnstreik war einer von fünf Streiks in nur zwei Wochen: Er kam kurz nach dem Lokführerstreik, dem Security-Warnstreik und dem bundesweiten Streiktag im Öffentlichen Personennahverkehr, sowie eine Woche vor dem jüngsten Flughafenstreik am Airport Erfurt-Leipzig. Einige Medien, darunter Der Spiegel, schlugen vor, das Streikrecht einzuschränken, da die Streiks „das Land in Geiselhaft nehmen“ würden. „Die Ausstände bei der Bahn oder an Flughäfen haben eine Debatte ausgelöst, ob die Macht der Streikenden eingedämmt werden sollte. Möglichkeiten dazu gibt es“, schrieb Der Spiegel.

Andere Wirtschaftsvertreter, darunter Lufthansa-Chef Carsten Spohr und Personalvorstand Michael Niggemann, verlassen sich lieber auf die Zusammenarbeit mit der Dienstleistungsgewerkschaft Verdi. Denn diese will keinen Arbeitskampf. Die Gewerkschaft nutzt die Warnstreiks, um „Dampf abzulassen“ und Raum für ihre ungestörte Zusammenarbeit mit dem Management zu bekommen. Seit Montag, 11. Februar, wird wieder hinter verschlossenen Türen verhandelt.

Lufthansa ist ein Musterbeispiel für die Rolle, die Verdi spielt. Längst handelt sie nicht mehr als Vertreterin der Arbeiter, sondern als korporatistische Agentur der Deutschen Luftfahrt. Ihre Betriebsräte und Gewerkschaftssekretäre verhalten sich wie gutbezahlte Agenten des Managements, um die Lohnkosten zu drücken und Stellenabbau zu ermöglichen. In letzter Zeit sorgen sie auch für die reibungslose Umsetzung der Kriegspolitik der Bundesregierung.

Dabei brodelt es unter den Flughafen-Bodenarbeitern, und Unruhe und Wut breiten sich aus. Zu Beginn der Corona-Pandemie hatte die Lufthansa mit Verdis Hilfe massiv Personal abgebaut sowie Weihnachts- und Urlaubsgeld und andere Zuschläge gestrichen. Seither hat die kriegsbedingte Inflation die Löhne weiter aufgezehrt. Obwohl am Flughafen längst wieder Hochbetrieb herrscht, ist nichts mehr so, wie es vor vier Jahren war.

In dieser Zeit sind die Güter des täglichen Bedarfs deutlich teurer geworden, als die allgemeine Inflationsrate nahelegt. Laut den Zahlen des Statistischen Bundesamts lagen im Januar 2024 die Nahrungsmittelpreise um 33,3 Prozent über denen von Januar 2020, Heizkosten und Benzin sogar um 47,6 Prozent darüber. Die allgemeine Inflation betrug in dieser Zeit 17,6 Prozent. Im gleichen Zeitraum sank das allgemeine Reallohnniveau um vier Prozent. Dieser Trend ist bei der Lufthansa noch stärker ausgeprägt.

Dabei floriert der Kranich-Konzern. Im zweiten Halbjahr 2023 verzeichnete er große Gewinne. Vorstandschef Carsten Spohr schwärmte von dem „höchsten jemals in einem Sommer erzielten Umsatz und Gewinn – inklusive eines operativen Gewinns von 1,5 Milliarden Euro allein im dritten Quartal“.

Dagegen ist das Angebot, das Lufthansa seinen Beschäftigten macht, eine Provokation: Was offiziell als „13 Prozent mehr Gehalt“ dargestellt wird, beinhaltet zunächst eine 8 Monate währende Nullrunde, bis August 2024. Ab September soll es ein Plus von 200 Euro brutto geben, ab April 2025 noch einmal 3 Prozent, und dann – erst ab April 2026 – weitere 2,5 Prozent. Der Vertrag soll über 36 Monate laufen, vom 1. Januar 2024 bis zum 31. Dezember 2026.

Auch die Verdi-Forderung (12,5 Prozent, mindestens 500 Euro mehr im Monat bei einer Laufzeit von zwölf Monaten) wird dem aktuellen Bedarf nicht annähernd gerecht. Selbst im höchst unwahrscheinlichen Fall, dass sie voll durchgesetzt würde, gleicht sie weder die erlittenen Verluste noch den aktuell großen Bedarf aus. Schon vor anderthalb Jahren hatte Verdi im Juli 2022 ihre Tarifforderung von 9,5 Prozent bei zwölf Monaten sofort fallengelassen und sich mit einem Bruchteil begnügt, als die ersten Warnstreiks große Streikbereitschaft zeigten.

Seither sorgt der anhaltend hohe Krankenstand – Corona ist nicht vorbei! – nach wie vor für akute Personalnot. Immer wieder kommt es zu Engpässen, langen Schlangen an den Check-Ins und Gepäckverlust und -Chaos. Die Beschäftigten, die am Flughafen meist im Schichtbetrieb arbeiten, stehen unter Dauerstress. Eine Gepäckermittlerin sagte während des Warnstreiks: „Wir haben 50 Prozent weniger Mitarbeiter als vor Corona, aber die Arbeit ist die gleiche geblieben. Eigentlich müsste man noch mehr fordern.“

Der Verdi-Verhandlungsführer Marvin Reschinsky bestätigte am 7. Februar, Lufthansa habe in der Corona-Pandemie vom Personal „Geld geliehen, das sie jetzt nicht zurückzahlen wollen“. Er setzte hinzu: „Die Beschäftigten haben heute 10 Prozent weniger in der Tasche als vor drei Jahren.“ Was Reschinsky nicht sagte: Dies alles wäre ohne die Zustimmung von Verdi gar nicht möglich.

Loyalitätserklärung der Flughafen-Gewerkschaften für Lufthansa, 6. April 2020

In der Corona-Pandemie hat die Verdi-Spitze zusammen mit andern Funktionären eine Loyalitätserklärung an den Lufthansa-Vorstand gerichtet, in der es heißt: „Wir wenden uns heute gemeinsam an Sie, um Ihnen unsere Unterstützung bei allen nötigen Maßnahmen zur Stabilisierung unseres Konzerns in diesen schwierigen Zeiten zuzusichern.“ Auch die Spartengewerkschaften UfO, Vereinigung Cockpit und IGL haben das unterzeichnet und sich daran gehalten.

Darauf gestützt konnte die Kranich-Airline daran gehen, den Konzern nach Plänen umzukrempeln, die schon längst in der Schublade des Vorstands lagen. Arbeitsplätze wurden vernichtet, Errungenschaften zerstört, Tochterbetriebe abgestoßen: Germanwings wurde abgewickelt und LSG Sky verkauft. Hatte der Weltkonzern im Vorpandemiejahr 2019 noch 138.350 Mitarbeitende, waren es in 2022 mit 107.970 Mitarbeitenden über 30.000 weniger. Auch zu Anfang 2024 zählt die Lufthansa Group trotz neuer Hochkonjunktur immer noch rund 20.000 Beschäftigte weniger als vor vier Jahren.

Auch in den Partner- und Zulieferbetrieben (Fraport, WISAG, Handling Counts etc.) half Verdi damals, lange gehegte Entlassungspläne durchzusetzen. Als im Dezember 2020 der Flughafendienstleister WISAG Massenentlassungen aussprach, rührte Verdi keinen Finger. Die Betroffenen organisierten sich unter dem Motto „Heute wir – morgen ihr“ und traten sogar in den Hungerstreik. Vor der Frankfurter Verdi-Zentrale legten WISAG-Arbeiter einen schwarzen Totenkranz ab, zum Zeichen, dass die Lufthansa-Hausgewerkschaft für sie gestorben sei.

Totenkranz der WISAG-Flughafenarbeiter für Verdi, niedergelegt an der Frankfurter Verdi-Zentrale im März 2021

Bei Lufthansa Technik, die in der Corona-Zeit durch Stellenabbau und Schließungen stark ausgedünnt worden ist, stehen Neueinstellungen mittlerweile im Zeichen der Kriegspolitik der Bundesregierung. Lufthansa Technik ist zum technischen Betreuer und militärischen Ausstatter der Luftwaffe geworden.

Die Gewerkschaften haben geholfen, die LH-Technik-Standorte Bremen, Düsseldorf, Hannover und Leipzig zum 31. Dezember 2021 abzuwickeln; in Hamburg und Frankfurt gab es Stellenstreichungen. Seither erleben die Beschäftigten einen neuen Aufschwung, der sich zunehmend am Bedarf der Bundeswehr orientiert. Lufthansa Technik will sogar ein neues Werk aufbauen, wie aero-telegraph berichtet. LH Technik schreibt: „Gemeinsam mit den Soldatinnen und Soldaten der Bundeswehr und den Nato-Partnern gewährleisten wir höchste Einsatzverfügbarkeit.“

Wie üblich wird verschwiegen, was dieser Einsatz bedeutet, nämlich die zukünftige Bombardierung von Wohnsiedlungen, explodierende und einstürzende Häuserschluchten, verbrannte, erschlagene, unter Trümmern begrabene Menschen und verstümmelte und tote Kinder. Die Orientierung auf Rüstungsproduktion und Waffentransport ist die Orientierung auf den Dritten Weltkrieg, einschließlich des Abschlachtens der Zivilbevölkerung, wie man sie derzeit im Gaza sieht.

Kein Wort davon in den offiziellen Texten. Lufthansa Technik will dafür sorgen, „dass Streitkräfte und Regierungen die Luftfahrzeuge erhalten, die optimal für ihre Missionen und Einsätze angepasst sind“. Insbesondere arbeite Lufthansa-Technik gemeinsam mit Boeing und ESG an dem ersten Seefernaufklärer P-8A „Poseidon“, der über „besondere Fähigkeiten zur U-Boot-Bekämpfung, Überwachung, Aufklärung“ verfüge.

Den aggressiven Kriegskurs unterstützen auch Verdi und die bei LH-Technik aktive IG Metall. Das Verdi-Vorstandsmitglied Christine Behle sitzt seit Jahren im Lufthansa-Aufsichtsrat und trägt dazu bei, dass Beschäftigte die Kosten für Aufrüstung und Krieg zu tragen haben. Der Verdi-Bundesvorsitzende Frank Werneke sagte am Rande des letzten Verdi-Kongresses im September: „Ich bin absolut dafür, jetzt ein Sondervermögen [für die Bundeswehr] zu schaffen. Das ist notwendig, und 100 Milliarden Euro werden da vermutlich bei weitem nicht reichen.“

Dieses Engagement der Gewerkschaft erklärt auch die Art und Weise, wie Verdi die Warnstreiks führt. In einer Situation ständig neu aufbrechender Proteste und Arbeitskämpfe will Verdi alles, nur keinen Arbeitskampf. Obwohl der Lufthansa-Streik der vierte Verdi-Warnstreik in nur acht Tagen war, hat die Gewerkschaft die Streikaktionen nicht gebündelt, um eine möglichst große Wirkung zu erzielen, sondern alle Streiks sorgfältig voneinander getrennt. Wie die WSWS schreibt, werden die Kämpfe „isoliert und auf wenige Stunden beschränkt und möglichst schnell unterdrückt – frei nach dem Motto ‚Jeder stirbt für sich allein‘!“

Das trifft am Flughafen in besonderem Maße zu. Zum Streik am 7. Februar waren nur die unmittelbar bei Lufthansa Beschäftigten aufgerufen: Lufthansa AG Boden, Lufthansa Technik, Lufthansa Systems, Lufthansa Technik Logistik Services (LTLS), Lufthansa Cargo, Lufthansa Service Gesellschaft (LSG) und LEOS (Lufthansa Engineering and Operational Services). Nicht aufgerufen wurden die Kolleginnen und Kollegen aus Kabine und Cockpit, sowie die Bodenbeschäftigten der LH-Töchter Eurowings, Swiss, Austrian Airlines, Brussels Airlines etc., und schon gar nicht die neue Fluglinie Discover, deren Piloten am Wochenende davor (3./4. Februar) selbst gestreikt hatten. Nur der konzerneigene Zubringer Air Dolomiti sagte am Streiktag ein paar Flüge ab.

Natürlich blieben auch die Bodenbeschäftigten von Fraport und den Subunternehmern außen vor, obwohl sie alltäglich Hand in Hand mit dem LH-Personal zusammenarbeiten. Auch sie leiden unter den gleichen Angriffen. Beim Zulieferer Gate Gourmet, der vor kurzem die Dienste der Catering-Tochter LSG Sky übernommen hat, müssen die Beschäftigten seither teilweise vierstellige Lohnkürzungen hinnehmen.

Kundgebung am Lufthansa Aviation Center bei Frankfurt, 7. Februar 2024

Verdi rief zu je einer Kundgebung in Berlin und in Frankfurt auf. In Frankfurt versammelten sich an der Lufthansa Zentrale, weit ab vom Flugbetrieb, ein paar hundert Streikende. Bei strömendem Regen verhinderten die dröhnenden Lautsprecher und ein unausgesetztes Pfeifkonzert jedes vernünftige Gespräch unter Kollegen.

Verdi organisierte keinen Solidaritätsappell an andere Flughafenbeschäftigte, sondern das Gegenteil: An den Drehkreuzen München und Frankfurt fertigen die nicht-streikenden Rumpfmannschaften die Flüge der ausländischen Lufthansa-Schwestern Swiss, Austrian und Brussels bevorzugt ab und hielten deren Netzwerke funktionsfähig. Auf diese Flüge konnte Lufthansa dann die gestrandeten Kunden umbuchen – eine einvernehmliche Praxis, die man auch als organisierten Streikbruch bezeichnen kann.

Es wird klar, dass diese Sabotage erst enden wird, wenn die Lufthanseaten, die gegen Sozialabbau und Krieg kämpfen wollen, auch den Kampf gegen Verdi aufnehmen. Einen Weg vorwärts gibt es für sie nur über den Aufbau Verdi-unabhängiger Aktionskomitees. Die Sozialistische Gleichheitspartei und ihre internationalen Schwesterparteien haben zu diesem Zweck die Internationale Arbeiterallianz der Aktionskomitees (International Workers Alliance of Rank-and-File Committees) ins Leben gerufen.

Die Aktionskomitees setzen dem „Jeder stirbt für sich allein“ von Verdi& Co. das genau gegensätzliche Prinzip entgegen: die solidarische Einheit der internationalen Arbeiterklasse. Lufthansa ist ein durch und durch international aktiver Konzern mit Niederlassungen in allen Teilen der Welt. International sind auch die Belegschaften am Drehkreuz Frankfurt, wo die Beschäftigten persönliche, familiäre und berufliche Beziehungen zu Griechenland, Türkei, Italien und aller Welt unterhalten. Verdi sieht darin eine Bedrohung – für die Beschäftigten ist es eine große Chance.

Die WSWS und die SGP appellieren an die Beschäftigten von Lufthansa, die dem Ausverkauf und Trauerspiel nicht länger zuschauen wollen: Nehmt über das untenstehende Formular Kontakt zu uns auf, meldet euch per WhastApp mit dem Stichwort „Lufthansa“ an über die
Nummer +49-163-337 8340 und baut auch an den Flughäfen unabhängige Aktionskomitees auf!

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