Bundesregierung beschleunigt tödliche „Zurück an die Arbeit“-Politik

Trotz der Ausbreitung der Covid-19 Pandemie in ganz Europa und weltweit treibt die Bundesregierung ihre „Lockerungspolitik“ weiter voran. Nach einem Treffen mit den Ministerpräsidenten der Länder am Donnerstagnachmittag verkündete Kanzlerin Angela Merkel (CDU) auf einer Pressekonferenz weitere Maßnahmen. Es werde von nun an „wieder Gottesdienste geben können“ und „unter Auflagen“ sollten auch Museen, Galerien, Gedenkstätten, Zoos und Spielplätze wieder öffnen.

Die „heutigen Beratungen“ seien dabei nur „ein Zwischenschritt“, erklärte Merkel und bedankte sich bei allen, die sich über das „Hochfahren“ der Wirtschaft und des gesellschaftlichen Lebens „Gedanken machen“. Bereits am 6. Mai wolle man „ein weitergehendes Paket verabschieden“. Unter anderem werde die Regierung bis dahin die „Konzepte der Kultusminister auswerten“, die die umfassende Öffnung der Schulen und Kitas vorsehen. Anschließend werde es dann darum gehen, auch Perspektiven für die Wiederbelebung der Gastronomie, des Tourismus und anderer Bereiche auszuarbeiten.

Merkel verkündet weitere Lockerungen auf der Pressekonferenz am 30. April. (Kay Nietfeld/pool via AP)

Wie bereits vor zwei Wochen, als die Bundesregierung die ersten Lockerungen beschloss, verband Merkel ihre Ankündigungen mit Aufrufen zur „Vorsicht“ und gelobte, alles dafür zu tun, „dass es keinen Rückfall gibt“. Die Öffnungspolitik rechtfertigte sie mit der Behauptung: „Wir haben es geschafft, die Ausbreitung des Virus zu verringern“.

Das ist nichts als Propaganda. Tatsächlich breitet sich die Pandemie auf der ganzen Welt weiter aus und auch in Deutschland erhöht sich die Zahl der Infektionen und Toten täglich. Am gestrigen Donnerstag stieg die Zahl der gemeldeten Toten über 6500 und die Zahl der Gesamtinfektionen auf mehr als 162.000. Das ist weltweit der sechsthöchste Wert, hinter den USA (1.095.023 Infizierte/63.856 Tote), Spanien (239.639/24.543), Italien (205.463/27.967), Großbritannien (171.253/26.771) und Frankreich (167.178/24.376).

Wenige Stunden vor den Ankündigungen der Bundesregierung musste der Präsident des regierungsnahen Robert-Koch-Instituts (RKI), Lothar Wieler, auf einer Pressekonferenz zugeben, dass die Zahl der Corona-Toten steigt. „Wir sehen, dass die Übersterblichkeit steigt in Deutschland“, sagte er. Man gehe sogar „davon aus, dass mehr Menschen“ an Covid-19 „gestorben sind, als eigentlich gemeldet“.

Mit „Vorsicht“ haben die „Lockerungen“ der Regierung nicht das Geringste zu tun. Tatsächlich werden sie in kaum einem anderen Land so umfassend und systematisch organisiert wie in Deutschland. Die Schulen und Geschäfte öffnen, die großen Autowerke und Industriebetriebe fahren die Produktion hoch und alle anderen gesellschaftlichen Bereiche sollen nun möglichst schnell folgen.

Die herrschende Klasse provoziert damit regelrecht eine Entwicklung wie in Italien oder den USA, wo das Gesundheitssystem unter der Last der Pandemie zusammengebrochen ist und bereits zehntausende unter schrecklichen Bedingungen gestorben sind. Die Öffnungspolitik gefährdet damit die Gesundheit und das Leben von Hunderttausenden und setzt sich über alle wissenschaftlichen Erkenntnisse und Warnungen hinweg.

Bereits in der letzten Woche hatte der Leiter der Virologie an der Berliner Charité, Professor Christian Drosten, davor gewarnt, den „Vorsprung in Deutschland komplett zu verspielen“. So könne „plötzlich die Epidemie-Tätigkeit in überproportionaler Art und Weise oder in nicht erwarteter Wucht“ wieder losgehen, falls die Reproduktionsrate wieder über eins steigen sollte. In den letzten Tagen wiederholte er seine Warnungen in Interviews mit der britischen und belgischen Presse.

Gestern veröffentlichte das Team um Drosten dann den Preprint einer Studie, die „vor einer unbegrenzten Wiedereröffnung von Schulen und Kindergärten in der gegenwärtigen Situation warnt“. Neue Erkenntnisse und Daten deuteten „darauf hin, dass sich die Viruslasten bei sehr jungen Menschen nicht signifikant von denen der Erwachsenen unterscheiden… Kinder können genauso infektiös sein wie Erwachsene.“

Die katastrophalen Konsequenzen der vorschnellen Rückkehr an die Schulen und in die Betriebe werden immer klarer. Anfang der Woche musste ein Gymnasium in Dormagen in Nordrhein-Westfalen nach nur zwei Tagen Schulbetrieb wieder schließen, nachdem die Mutter eines Schülers positiv auf Covid-19 getestet worden war. Auch in den Betrieben, wo die hygienischen Bedingungen oft nicht minder katastrophal sind, grassiert das Virus. Im Amazon-Verteilzentrum in Winsen haben sich Berichten zufolge mindestens 68 von 1800 Beschäftigten mit dem Coronavirus angesteckt. In einem Schlachthof der Firma Müller Fleisch in Birkenfeld bei Pforzheim sogar fast 300.

Trotzdem treibt die Große Koalition in enger Zusammenarbeit mit allen Bundestagsparteien und den Gewerkschaften die „Zurück an die Arbeit“-Politik aggressiv voran. Die World Socialist Web Site hat bereits in einem früheren Kommentar analysiert, welche objektiven Interessen die herrschende Klasse und ihre Organisationen treiben. Zum einen sollen die hunderte Milliarden, die im Rahmen der sogenannten „Corona-Rettungspakete“ vor allem an die Großunternehmen, Banken und Superreichen geflossen sind, wieder aus der Arbeiterklasse herausgepresst werden.

Ein zweiter Faktor sind die Gelüste des deutschen Imperialismus, der die Krise als Chance sieht, sein Gewicht gegen die internationale Konkurrenz zu stärken. „Zudem gibt es geostrategische Interessen“, bemerkte Der Spiegel bereits im April in einem Artikel über den „Neustart der Autoindustrie“. Die Konzernchefs wollten „den europäischen Markt stärken, um einen Gegenpol zu den Wirtschaftsmächten USA und China zu bilden“.

Der Klassencharakter der Krise tritt immer offener zutage. Während sich das deutsche Kapital anschickt, neue Profite zu generieren und sich auf Handelskrieg und Krieg zwischen den Großmächten vorbereitet, stehen Millionen von Arbeitern und ihre Familien vor dem Nichts. Gestern gab die Bundesagentur für Arbeit bekannt, dass deutsche Unternehmen für 10,1 Millionen Angestellte Kurzarbeit beantragt haben. Die Zahl der Arbeitslosen sei im April um 308.000 auf 2,644 Millionen gestiegen. Bereits am Mittwoch hatte Wirtschaftsminister Peter Altmaier einen Rückgang des Bruttoinlandsprodukts um 6,3 Prozent in diesem Jahr prognostiziert, das wäre der größte Einbruch der deutschen Wirtschaft seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs.

All diese Entwicklungen haben revolutionäre Implikationen. Die „Back to work“-Kampagne, die in allen Ländern forciert wird, hat bereits jetzt zu einer explosiven Reaktion in der Arbeiterklasse geführt. In den vergangenen Tagen kam es zu spontanen Streiks unter anderem in Mexiko, Simbabwe, Griechenland, Brasilien und Großbritannien. Ein Zentrum der Streikbewegung sind die USA – ein globales Epizentrum der Pandemie – wo es seit Anfang März mindestens 140 spontane Streiks gab. Und auch hierzulande findet eine wachsende Radikalisierung unter Schülern, Studenten und Arbeitern statt.

Trotz der aggressiven Kampagne in Politik und Medien, die einerseits die Pandemie verharmlost und andererseits in faschistischer Manier dazu aufruft, Menschenleben dem Profit zu opfern, lehnt eine große Mehrheit die Öffnungspolitik ab. Laut einer Umfrage des Meinungsforschungsinstituts YouGov geht 49 Prozent der Deutschen die Lockerung der Maßnahmen zur Eindämmung der Pandemie zu schnell. 28 Prozent erklärten, sie seien mit der eingeschlagenen Geschwindigkeit zufrieden, und nur 15 Prozent sagten, die Einschränkungen würden zu langsam zurückgenommen.

Arbeiter werden nicht ohne Widerstand die falsche Wahl akzeptieren, mit der sie konfrontiert sind: nämlich, dass sie sich entweder der Pandemie aussetzen oder Arbeitslosigkeit und Armut akzeptieren. Sie müssen sich international vereinen und den tödlichen Plänen der Bourgeoisie ihr eigenes sozialistisches Programm entgegenstellen. Ein Programm, das die großen Unternehmen und Banken unter die demokratische Kontrolle der Arbeiter stellt und die Vermögen der Superreichen enteignet und für die Bekämpfung der Pandemie sowie die Befriedigung dringender sozialer Bedürfnisse einsetzt.

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