Wien: 50.000 demonstrieren gegen Polizeigewalt und Rassismus

Erneut dutzende Protestkundgebungen in Deutschland

Am Donnerstag demonstrierten in Wien 50.000 Menschen gegen den brutalen Polizeimord an George Floyd, einem schwarzen US-amerikanischen Arbeiter und Familienvater. Ursprünglich als Kundgebung mit höchstens 3000 Personen geplant, musste die Versammlung spontan zu einem Protestmarsch durch die gesamte Innenstadt ausgeweitet werden. Laut Polizeiangaben kamen zwischenzeitlich „alle zehn Minuten 5000 Menschen hinzu“.

Am Freitag protestierten in Österreichs Hauptstadt erneut Tausende Menschen gegen Polizeigewalt, Rassismus, und soziale Ungleichheit. Gemeinsam mit mehreren Musikern und Rappern afrikanischer Herkunft setzten sie ein Zeichen vor der US-amerikanischen Botschaft. Unzählige Teilnehmer hatten eigene Plakate und Banner angefertigt. Zu den Parolen zählten neben „Black Lives Matter“ auch „Everyone vs. Racists“ und „I Can’t Breathe“ – die letzten Worte des ermordeten Floyd.

Ausgangspunkt des Protestmarsches vom Donnerstag war das Marcus-Omofuma-Denkmal, das einem nigerianischen Asylbewerber gewidmet ist, der bei seiner Abschiebung im Jahr 1999 von drei Polizisten getötet wurde. Die österreichischen Beamten hatten ihn an seinen Sitz gefesselt und ihm Mund und Nase mit Klebeband zugeklebt, so dass er erstickte. Menschen wie Marcus Omofuma, George Floyd und Ahmed A. in Deutschland wurden Opfer einer brutalen Klassenpolitik, wie sie auch in der mörderischen Gewalt zum Ausdruck kommt, mit der die Europäische Union verzweifelte Migranten an ihren Außengrenzen bekämpft.

Die Proteste der vergangenen Tage zählen zu den größten Demonstrationen, die in den letzten Jahren in Österreich stattgefunden haben. Sie sind damit auch ein Ausdruck der weitverbreiteten Opposition gegen die äußerst rechte Politik der österreichischen Regierung.

Österreichische Volkspartei (ÖVP) und Grüne, die seit Januar gemeinsam regieren, haben die Politik der Sparmaßnahmen, Staatsaufrüstung und Flüchtlingsabwehr fortgesetzt, die für das Bündnis von ÖVP und rechtsextremer FPÖ charakteristisch war. Eine der ersten Amtshandlungen der türkis-grünen Regierung bestand darin, die sogenannte „Ibiza-Affäre“ zu vertuschen, die im Frühjahr letzten Jahres zum Bruch der ÖVP-FPÖ-Koalition geführt hatte.

Die Demonstrationen in Österreich und Deutschland sind Bestandteil einer internationalen Welle der Solidarität mit Arbeitern und Jugendlichen in den USA, die in ihrem Kampf gegen die faschistische Gewalt der Trump-Regierung mittlerweile mit der Gefahr einer Militärdiktatur konfrontiert sind. In fast allen europäischen Metropolen gingen in den vergangenen Tagen trotz der anhaltenden Gefahr durch Covid-19 Tausende Menschen auf die Straße, um gegen polizeilichen Rassismus und staatliche Gewalt zu demonstrieren.

In Athen ging die Polizei mit Gewalt gegen die Demonstrationsteilnehmer vor und setzte massiv Tränengas gegen sie ein.

"Together We Are Bremen"-Demonstration vom 3 Juni

In Deutschland hatten zu Beginn der Woche Proteste in mehreren Städten stattgefunden, viele davon völlig spontan. Allein in Berlin hatten sich am Samstag und Sonntag jeweils mehrere tausend Menschen versammelt, ebenso wie in Bremen.

Für den heutigen Samstag sind in ganz Deutschland sogenannte „Silent Demos“ (Stille Proteste) in schwarzer Kleidung geplant, unter anderem in München, Hamburg, Stuttgart, Mainz, Frankfurt, Köln, Düsseldorf und Berlin. Die World Socialist Website sprach in den sozialen Medien mit Teilnehmern und Sympathisanten der Bewegung aus dem ganzen Bundesgebiet.

„Wie viele Tote wird es noch geben?“, fragt Vicky (18), eine Gymnasiastin aus Nordrhein-Westfalen. „Was gerade in Amerika passiert, ist einfach unfassbar. Dass Trump überhaupt nicht auf die Protestierenden eingeht, finde ich absolut frech und unverantwortlich für einen Staatschef.“

„Ich denke, dass es sehr schwer ist, als einzelner Bürger etwas auszurichten. Es erfordert schon solche Aufstände, wie diese in Amerika.“ Sie seien notwendig, um den Herrschenden zu zeigen, „dass es so nicht weitergehen kann“, so Vicky. Sie fährt fort: „Man muss sich fragen, wen man überhaupt noch nach Hilfe fragen kann. Es gibt ja seit Jahren schon Gruppen, die beispielsweise ein neues Waffengesetz fordern. Meines Wissens nach hat sich da aber nichts getan.“

Wie Millionen ihrer Mitschüler überall auf der Welt, hat auch Vicky in diesen Tagen als Zeichen der Solidarität ihr Profilbild durch eine in die Höhe gestreckte Faust ersetzt. „Die Bürger haben nur sich“, schließt sie. „Sie müssen gegenseitig auf sich zählen und darauf vertrauen, dass sie weiterkommen und das System ändern können.“

Florian (16) besucht ein Gymnasium in der Nähe von Ulm. Er verfolgt die Entwicklungen in den USA bereits seit Jahren mit großer Aufmerksamkeit.

„Die Ursache der Massenbewegung liegt in den sozialen Unterschieden und der großen sozialen Spaltung in Amerika, verschärft durch die Corona-Krise“, erklärt er. „Der Mord an George Floyd war der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen gebracht hat. Ich sehe nur zwei mögliche Folgen, die das haben könnte. Entweder weiten sich die Proteste aus, was meiner Meinung nach nur der Fall sein wird, wenn sich die Arbeiterklasse massiv einmischt – Oder: Die Proteste werden mehr oder weniger blutig niedergeschlagen.“

Suki ist Drehbuchautorin und wohnt in Hamburg. „Ich glaube, die Zeit ist jetzt reif dafür, mit einer weltweiten Massenbewegung nach vorne zu gehen“, sagt sie. „Polizeigewalt und struktureller Rassismus nehmen zu. Aber die Menschen spüren, dass es nicht nur um Rassismus geht, dass das Problem viel tiefer liegt. Und das ist gut so. Ich hoffe, dass es weitergeht.“

Suki unterstützt den Aufruf des Internationalen Komitees der Vierten Internationale an die Arbeiterklasse, einen landesweiten politischen Streik aufzunehmen, um US-Präsident Trump, Vize-Präsident Mike Pence und ihre Mitverschwörer von der Macht zu entfernen. „Ich glaube, dass ein großer politischer Streik der Arbeiterklasse ein guter Schritt ist, den ich begrüße“, sagt sie. „Die massive Unterdrückung der Arbeiterklasse zählt zu den tieferen Ursachen der Proteste. Es geht in der Gesellschaft nur noch um Profit – darum, dass reiche US-Bürger noch reicher werden.“

Der Drang der amerikanischen Oligarchie in Richtung Militärdiktatur beschränke sich nicht auf Trump, so Suki: „Die Klassenspannung würde sich auch unter einem Joe Biden nicht entspannen. Erst wenn der Konflikt mit der Finanzaristokratie gelöst wird, gibt es Hoffnung auf eine Entschärfung. Im Moment mangelt es zwar noch an politischer Führung. Aber Trumps Entscheidung, das Militär einzusetzen, ist meines Erachtens ein Zeichen von Schwäche.“

Mit Blick auf die Massenproteste in Deutschland, Österreich und ganz Europa schließt Suki: „Wir müssen uns solidarisieren. Das globale Echo, das sich jetzt entwickelt, steckte schon vorher in uns. Die Mehrheit muss sich mobilisieren und die Situation transparent machen, damit alle verstehen, dass es der Wirtschaft und der Politik nur um Profitinteressen geht.“

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