Chicago: Lehrkräfte organisieren unabhängigen Widerstand gegen Schulöffnungspläne der Gewerkschaft

Am Donnerstagabend nahm der Kampf gegen die geplante Wiedereröffnung der Schulen in Chicago, der zum Brennpunkt des Klassenkampfs in den USA geworden ist, eine neue Qualität an. Das Chicago Educators Rank-and-File Safety Committee brachte auf einer eindrucksvollen Versammlung die Entschlossenheit der fortschrittlichsten und entschlossensten Lehrer zum Ausdruck, die Schulen zu schließen und die Pandemie einzudämmen.

Die Versammlung des Komitees fand statt, während die Chicago Teachers Union (CTU), die Demokratische Bürgermeisterin Lori Lightfoot sowie Vertreter der Schulbehörde von Chicago (CPS) im Geheimen über einen tödlichen Kompromiss zur Wiederaufnahme des Schulbetriebs verhandelten. Die Wiederaufnahme des Präsenzunterrichts im drittgrößten Schulbezirk des Landes ist entscheidend für die Pläne der Biden-Regierung, bis Mitte April den gesamten Unterricht bis einschließlich der 8. Jahrgangsstufe wiederaufzunehmen. Dies dient dem Zweck, die Eltern der Schüler wieder zurück in die Betriebe zu zwingen.

Lehrer im Chicagoer Stadtteil Pilsen demonstrieren gegen die unsichere Wiedereröffnung der öffentlichen Schulen (Twitter/@rcoppo1)

Auf der Versammlung wurde intensiv darüber diskutiert, dass sich die Pandemie nur bekämpfen lässt, wenn sich das Aktionskomitee der Lehrer mit breiteren Teilen der Arbeiterklasse in den USA und weltweit zusammenschließt. An der Versammlung nahmen Lehrkräfte aus Illinois, Wisconsin, Georgia und weiteren Bundesstaaten teil sowie Arbeiter aus verschiedenen Branchen. Viele äußerten ihre Wut über die kriminelle Reaktion der herrschenden Klasse auf die Pandemie.

Ein Grundschullehrer aus Chicago erklärte: „Meine Hauptsorge und der Grund für meine Teilnahme an dieser Veranstaltung ist, dass das Gerede der Regierung zu keinen nennenswerten Änderungen geführt hat. Ich habe mich mit anderen über den Streik von 2019 unterhalten. Wir haben dieses Theater elf Tage mitgemacht, aber keine unserer Forderungen wurde erfüllt. Jetzt sind wir in der gleichen Lage, aber jetzt verhandeln wir über unsere Gesundheit und unser Leben.“

Unter den Mitgliedern des Komitees herrschte Einigkeit, dass sich die Ausbreitung des Virus nur durch die Schließung von Schulen und nicht systemrelevanter Unternehmen eindämmen lässt. Derselbe Lehrer fügte hinzu: „Ich glaube, die Gewerkschaft nimmt an, dass die andere Seite nicht zuhört. Wenn das stimmt, dann wäre ich lieber auf Streikposten. Ich glaube nicht, dass sich ohne eine umfassende Aktion irgendetwas ändern wird.“

Die Lehrer diskutierten über die psychologischen Auswirkungen der Schulöffnungen auf sie selbst und ihre Schüler. Sie sprachen auch über die Angst vor den Schuldgefühlen der Überlebenden nach dem Tod eines Klassenkameraden oder Lehrers. Das politische Establishment versucht dagegen, den Tod an Covid-19 zu normalisieren.

Das Komitee bekräftigte nochmals die Perspektive, die es in seiner Erklärung am Mittwoch formuliert hatte, und beschloss, für die folgenden Forderungen zu kämpfen:

1) Nein zu jedem Deal, der die Wiederöffnung der Schulen während der Pandemie beinhaltet. Leben und Gesundheit stehen nicht zur Verhandlung!

2) Sämtliche Verhandlungen müssen öffentlich stattfinden und live im Internet übertragen werden. Es geht nicht nur um Lehrkräfte im Schulbezirk Chicago und ihre Familien, sondern um die öffentliche Gesundheit im Allgemeinen.

3) Nein zu allen Versuchen, ein Abkommen durchzupeitschen! Die Lehrer brauchen Zeit, um die Vorschläge der CPS und der CTU zu lesen, ohne dabei eingeschüchtert oder mit Disziplinarstrafen bedroht zu werden.

4) Ausbau der Mitgliedschaft des Komitees, um die genannten Forderungen durchzusetzen.

Während das Komitee die Versammlung abhielt, ließen die CPS und die CTU die Bevölkerung von Chicago weiter im Ungewissen. Sie veröffentlichten keine Details über ihre Verhandlungen zu den geplanten Schulöffnungen, obwohl anzunehmen ist, dass eine Entscheidung kurz bevorsteht. Vermutlich wird bald eine vorläufige Vereinbarung folgen, die über das Wochenendes durchgepeitscht werden soll, damit ab Montag wieder der Unterricht für Zehntausende von Schülern beginnen kann.

Die demokratische Bürgermeisterin Lightfoot nutzte eine Pressekonferenz am Donnerstagmorgen für einen bösartigen Angriff auf die Lehrkräfte und erklärte nachdrücklich: „Wir warten noch. Aber ich möchte klarstellen, dass unsere Geduld am Ende ist. ... Wir sollten einen Deal aushandeln. Genug ist genug... Heute ist es so weit, meine Geduld ist vorbei.“

Später erklärte Lightfoot offen, worum es bei der Kampagne zur Wiederöffnung der Schulen wirklich geht: „Es ist für die Erholung unserer Stadt wichtig, dass die Schulen sicher wieder geöffnet werden ... damit Eltern zurück an die Arbeit können.“

Auf Lightfoot folgte die Vorstandschefin der CPS, Janice Jackson, die sich hinter Lightfoot stellte und wahrheitswidrig behauptete: „Ein ganzer Berg von Daten und Studien zeigt, dass Schulen sicher sind, wenn die entsprechenden Maßnahmen eingehalten werden.“ Tatsächlich hat eine große Mehrheit wissenschaftlicher Studien gezeigt, dass Schulen maßgeblich dazu beitragen, das Coronavirus zu verbreiten.

Die Chicagoer Gesundheitskommissarin, Dr. Allison Arwady, erklärte: „Es ist für eine sichere Öffnung der Schulen nicht notwendig, dass geimpft wird.“ Damit bekräftigte sie die unwissenschaftlichen und politisch motivierten Behauptungen der Direktorin der US-Seuchenschutzbehörde (CDC), Dr. Rochelle Walensky, die am Mittwoch sagte: „Die Impfung von Lehrkräften ist keine Vorbedingung für die sichere Öffnung der Schulen.“

Hinter den Kulissen engagiert sich US-Präsident Biden für die Wiederöffnung der Schulen in Chicago. Die neue demokratische Regierung, eine pflichtbewusste Dienerin der Wall Street, ist entschlossen, den Widerstand der Lehrkräfte in Chicago zu unterdrücken, um ein Exempel zu statuieren. So sollen künftige Kämpfe der Arbeiterklasse eingedämmt werden.

Die Situation erinnert stark an den Streik von 13.000 Beschäftigten der Fluglotsengewerkschaft PATCO im Jahr 1981, der von den Gewerkschaften isoliert und durch den damaligen Präsidenten Ronald Reagan mittels Massenentlassungen brutal unterdrückt wurde. Nun übernimmt Lightfoot als Vertreterin Bidens die Rolle von Reagan und setzt die Kampagne zur Wiederöffnung der Chicagoer Schulen rücksichtslos um. Die Demokraten verlassen sich derzeit zwar darauf, dass die CTU den Widerstand unterdrückt. Doch sie würden vor noch repressiveren Maßnahmen nicht zurückschrecken, darunter Geldstrafen und die Androhung von Massenentlassungen, sollten die Lehrer die Rückkehr an die Schulen verweigern.

Die herrschende Klasse ist sich darüber bewusst, welche Bedeutung die Wiederöffnung der Schulen in Chicago hat. Wenn sie es hier schaffen, werden weitere Öffnungen in anderen Teilen des Landes möglich. Eltern können dann zurück an die Arbeit, um unter unsicheren Bedingungen dafür zu sorgen, dass die Profite wieder fließen. Ein Streik der Lehrer in Chicago gegen die tödliche Wiederöffnung der Schulen würde dagegen Arbeitskämpfe in anderen Schulbezirken und Bundesstaaten auslösen, und damit die Bedingungen für einen Generalstreik schaffen, um alle Schulen und nicht systemrelevanten Arbeitsplätze zu schließen.

Mit ihrem Kampf sprechen die Lehrkräfte für weite Teile der Arbeiterklasse, die eine Eindämmung der Pandemie anstreben. Welche Feindseligkeit die herrschende Klasse ihnen gegenüber hegt, wurde durch ein Interview des New Yorker Bürgermeisters Michael Bloomberg mit MSNBC deutlich. Er rief Biden dazu auf, sich den Lehrern „entgegenzustellen“ und ihnen zu sagen, sie sollten „sich zusammenreißen“ und in die Schulen zurückkehren.

Die CTU versucht den Widerstand der Lehrer zu ermüden, einen Streik zu verhindern und einen faulen Kompromiss durchzusetzen, der die Öffnung der Schulen ermöglicht. Genau wie bei der Unterdrückung des PATCO-Streiks vor 40 Jahren setzt die CTU alles daran, ihre Mitglieder zu isolieren und einen gemeinsamen Kampf aller Arbeiter gegen die unsicheren Bedingungen zu verhindern.

Laut dem Blog Second City Teachers soll die CTU-Vizepräsidentin, Stacy Davis Gates, am Mittwoch bei einem Delegiertentreffen erklärt haben, sie könne „nichts, was [während der Verhandlungen] erzielt wurde, als ,Sieg‘ bezeichnen, sondern spreche lieber von ,Ergebnissen‘“. Nach Gates erklärte der CTU-Präsident Jesse Sharkey: „Es ist schwierig, jetzt einen Streik durchzuführen. Das Wetter ist ein Faktor, außerdem hätten wir Probleme damit, Streikbrecher zu identifizieren, wenn sie online arbeiten. Außerdem drohen einige Eltern mit Klagen gegen die CTU.“

Nach den internen Treffen der Gewerkschaft kamen Berichte auf, laut denen einige CTU-Delegierte diese Argumente benutzen, um Mitgliedern die Sinnlosigkeit eines Streiks zu verdeutlichen. Andernfalls könnten rechte Elternverbände Klagen gegen die Gewerkschaft einreichen, argumentierte die CTU.

Eine dieser Verbände, das Chicago Parents Collective, wurde Ende Januar gegründet, um die Wiederöffnung der Schulen zu fordern. Die Organisation besteht aus Unternehmern des oberen Kleinbürgertums, Kleinunternehmern und Akademikern. Laut dem Radiosender WBEZ besuchen die Kinder von mehr als 100 der 500 im Verband aktiven Eltern eine Schule in dem wohlhabenden Stadtteil Lakeview.

Die rechte gemeinnützige Organisation Liberty Justice Center hat eine Klage gegen die CTU angekündigt, falls es zum Streik kommt. Eines ihrer Mitglieder, Daniel Suhr aus Thiensville, einem nördlichen Vorort von Milwaukee, erklärte am Montag gegenüber Fox News: „Wenn der Bezirk sagt: ,Das erwarten wir von unseren Angestellten‘, und die Gewerkschaft lehnt es ab, ist das ein Streik, und wir werden klagen.... Wir sind bereit, im Namen der Eltern zu handeln.“

Um die Interessen des Großkapitals durchzusetzen, verfolgen die Demokraten in Chicago und landesweit dasselbe Ziel wie jene faschistischen Kräfte, die die Trump-Regierung im Jahr 2020 gegen die Anti-Lockdown-Proteste und zuletzt bei dem Putschversuch am 6. Januar mobilisiert hatte.

Statt alle reaktionären Kräfte durch eine umfassende Mobilisierung der Arbeiterklasse zu bekämpfen, versucht die CTU, ihre Mitglieder einzuschüchtern, damit sie die Wiederaufnahme der Arbeit in unsicheren Schulen akzeptieren.

Unter den Chicagoer Lehrkräften und weiten Teilen der Arbeiterklasse breitet sich die Erkenntnis aus, dass ein Zusammenhang zwischen der Pandemie und der Förderung rechtsextremer Kräfte besteht. Dies gilt gleichermaßen für den wachsenden Widerstand gegen die Demokratische Partei, die die Öffnungskampagne und die Politik der „Herdenimmunität“ vorantreibt.

Während des letzten Monats haben sich zwei unversöhnliche, entgegengesetzte Tendenzen entwickelt: Auf der einen Seite kämpfen die Lehrer und die Arbeiterklasse für die Wissenschaft und den Schutz von Menschenleben. Auf der anderen steht die Kapitalistenklasse gemeinsam mit all ihren politischen Vertretern, die massenhaft Todesfälle in Kauf nehmen und den Profit vor den Schutz von Menschenleben stellen.

Die derzeitige Situation führt dazu, dass sich Dutzende Millionen Arbeiter und Jugendliche zunehmend radikalisieren. Die Lehrkräfte müssen in allen Schulen, an allen Arbeitsplätzen und in allen Stadtteilen von den Gewerkschaften und den Parteien des Großkapitals unabhängige Aktionskomitees gründen. Nur auf diesem Weg können die Kämpfe ausgeweitet werden. Die Komitees werden das Zentrum des Widerstands gegen die Verrätereien der Gewerkschaften bilden und für das kämpfen, was die Arbeiter wirklich benötigen – und nicht nur füre das, was laut der Finanzoligarchie finanzierbar ist.

Das Chicago Educators Rank-and-File Safety Committee ist Teil eines wachsenden Netzwerks von Komitees überall in den USA und weltweit. Sie sprechen Arbeiter aller Industriezweige an, um einen landesweiten Generalstreik zur Schließung sämtlicher Schulen und nicht systemrelevanter Betriebe vorzubereiten und einen vollständigen finanziellen Ausgleich für alle Arbeiter und Kleinunternehmer zu sichern. Wir rufen Lehrkräfte, Eltern, Schüler und alle Arbeiter dazu auf, sich noch heute am Aufbau dieser Komitees zu beteiligen.

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