Delta-Variante in Schulen: Regierung verschärft Durchseuchungspolitik

Die „Profite vor Leben“-Politik der Regierung hat in den vergangenen Wochen bereits wieder zu steigenden Infektionszahlen geführt. Nun setzen Bund und Länder mit der Fortsetzung des ungesicherten Präsenzunterrichts zum Ende der Sommerferien das Leben und die Gesundheit von zehntausenden weiteren Menschen aufs Spiel.

Vor dem Hintergrund einer explosionsartigen Ausbreitung der Delta-Variante des Coronavirus in ganz Europa erklärte Bundesbildungsministerin Anja Karliczek (CDU) am Mittwoch gegenüber dem Redaktionsnetzwerk Deutschland (RND), dass man „mit Ausbrüchen an Schulen rechnen“ müsse.

Besonders in den Grundschulen, so die Ministerin, bestehe „natürlich die Gefahr, dass sich über den Schulbesuch... Corona wieder stärker in den Familien und der Gesellschaft verbreitet und dann auch die treffen kann, die sich beispielsweise wegen einer Krebserkrankung nicht impfen lassen können.“ Um unter diesen Bedingungen „den Regelunterricht aufrechtzuerhalten“, sei ein „Stufenplan“ nötig, „der festlegt, wie zu reagieren ist, wenn sich die Infektionslage verschärft“.

Das ist unmissverständlich: Anstatt Schulen und Kitas umfassend gegen die hochansteckende Delta-Variante abzusichern, sollen Kinder und Jugendliche sowie ihre Familien im Interesse der Wirtschaft gemäß eines „Stufenplans“ durchseucht werden.

Wie die Virologin Melanie Brinkmann vom Helmholtz-Zentrum für Infektionsforschung zu Beginn des Monats ebenfalls gegenüber dem RND gewarnt hatte, werde „die Delta-Variante nach den Sommerferien sehr schnell durch die Schulen rauschen“, wenn keine „zusätzlichen Maßnahmen“ getroffen würden. Bildungsministerin Karliczek stellte jedoch neben Tests und einer begrenzten Maskenpflicht keinerlei Vorkehrungen in Aussicht und verwies für die Installation von Luftfilteranlagen auf die „Verantwortung der Länder“.

Die Politik der Profitmaximierung und bewussten Durchseuchung wird von allen etablierten Parteien durchgeführt, die damit das Programm der rechtsextremen AfD verwirklichen und zunehmend ihre Parolen übernehmen.

So hatte CDU-Kanzlerkandidat Armin Laschet bereits Anfang des Monats von der Bevölkerung verlangt, „mit dem Virus zu leben“. Im ARD-Sommerinterview fügte er hinzu, man könne die Test- und Maskenpflicht an Schulen aufheben, „wenn die Inzidenzzahlen stabil bleiben“.

SPD-Kandidat Olaf Scholz sprach zuletzt von der Notwendigkeit eines „normalen Schulalltags“ und forderte „klare und mutige Öffnungsschritte“. SPD-Politiker Karl Lauterbach erklärte gegenüber ntv, man werde künftig „keinen Lockdown mehr machen“.

Die nominell „linken“ Oppositionsparteien setzen die Durchseuchungspolitik ebenfalls in die Tat um. Die Grünen sitzen in insgesamt 11 Landesregierungen, in denen sie die brutale Öffnung der Wirtschaft vorantreiben.

In Thüringen führt die Linkspartei mit Bodo Ramelow eine rot-rot-grüne Koalition. Das Land verzeichnete während der Pandemie fast immer die höchsten Infektionszahlen und belegt – nach Sachsen, in dem die Grünen ebenfalls der Regierung angehören – den zweiten Platz der Bundesländer mit den meisten Infektionen bezogen auf die Einwohnerzahl. Ramelow selbst hat wiederholt die Politik der Herdenimmunität der schwedischen Regierung gelobt.

Die ungesicherte Öffnung der Schulen hat in anderen Ländern bereits zu einer erneuten Katastrophe beigetragen. In Großbritannien, wo sich die Delta-Variante in den Schulen rasend schnell ausgebreitet hat, beträgt ihr Anteil an den Neuinfektionen bereits weit über 90 Prozent. Obwohl mehr als die Hälfte der Bevölkerung vollständig geimpft ist, steuert das Land mit zuletzt mehr als 41.000 täglichen Neuinfektionen auf neue Höchstwerte zu.

Zahlen von Public Health England (PHE) zufolge hat sich in der Arbeiterstadt Liverpool die Corona-Inzidenz unter den 10- bis 14-jährigen innerhalb der zweiten Junihälfte verzehnfacht. In der Woche zum 20. Juni erkrankten in Großbritannien über 16.000 Schüler – trotzdem sollen Schüler bei einem Corona-Verdachtsfall in ihrer Klasse nicht mehr in Quarantäne kommen. Abstands- und Maskengebote sollen zu Beginn des neuen Schuljahres im August wegfallen.

Die Niederlande verzeichnen gegenwärtig den steilsten Anstieg der Neuinfektionen seit Beginn der Pandemie. Innerhalb von 14 Tagen hat sich die Infektionsrate verzehnfacht und lag zuletzt wieder bei über 10.000 Neuinfektionen an einem Tag. Die rechte Regierung von Mark Rutte hatte Ende Juni unter anderem die Maskenpflicht an Grundschulen beseitigt.

In Israel, das im Vergleich zu den europäischen Staaten früh mit den Impfungen begonnen hat, ist die Delta-Variante ebenfalls zur dominierenden Virusvariante geworden. Israels Gesundheitsministerium hatte bereits Ende Juni zugegeben, dass es sich bei „rund der Hälfte“ der Neuinfizierten um Schüler handele und meldete neue Ausbrüche an „knapp 30 Schulen“ des Landes. Obwohl in Israel am 19. Juni die Sommerferien begonnen haben, werden viele Schüler weiterhin zur Betreuung in die Schulen geschickt.

Auch in Deutschland ist die Delta-Variante längst vorherrschend. Der R-Wert liegt erstmals seit Monaten wieder über 1 und die Neuinfektionsrate geht steil nach oben. Schüler sind derzeit rund doppelt so stark von Ansteckung gefährdet wie der Durchschnitt der Bevölkerung. Laut den Zahlen des Robert-Koch-Instituts (RKI) liegt die Inzidenz der 15-19 Jährigen bei über 14 und die der 20-24 Jährigen sogar bei über 18. Bei den 10-14 Jährigen erreichte die 7-Tages-Inzidenz vor zwei Wochen mit 12 einen relativen Höhepunkt.

Trotz dieser bedrohlichen Entwicklung behalten alle Bundesländer den Regelunterricht bei und beseitigen selbst grundlegendste Schutzmaßnahmen. Sogar die Maskenpflicht im Unterricht gibt es in kaum einem Bundesland noch. Den offiziellen Zahlen zufolge haben sich bislang mehr als 60.000 Schüler mit dem Virus infiziert, von denen mehr als 500 hospitalisiert werden mussten und zwei gestorben sind. Bei einer Durchseuchung der Schulen müssten hochgerechnet zehntausende Schüler im Krankenhaus behandelt werden.

Mehr als 16 Monate seit Beginn der Pandemie machen immer mehr Studien deutlich, wie verbreitet langanhaltende Beschwerden nach einer Covid-19 Infektion sind und welche gefährlichen Auswirkungen dies haben kann.

Eine am 5. Juli dieses Jahres veröffentlichte Studie von Wissenschaftlern der Universität Heidelberg stellt fest, dass zwölf Monate nach einer Covid-19 Infektion nur 22,9 Prozent der Patienten der Uniklinik völlig frei von Symptomen waren. Die häufigsten Symptome seien demnach „verminderte körperliche Leistungsfähigkeit (56,3 %), Müdigkeit (53,1 %), Dyspnoe (37,5 %), Konzentrationsprobleme (39,6 %), Wortfindungsprobleme (32,3 %) und Schlafprobleme (26,0 %)“.

Die Forscher kamen zu dem Schluss, dass „Neurokognitive Long-COVID-Symptome mindestens ein Jahr nach Beginn der COVID-19-Symptome fortbestehen und die Lebensqualität signifikant herabsetzen können“.

Eine weitere Studie der Universität Mainz, an der mehr als 10.000 Menschen teilgenommen haben, kommt zu dem Schluss, dass mehr als 42 Prozent der Corona-Infizierten nicht wissen, dass sie den Erreger in sich tragen und unbewusst weitergeben können.

Obwohl die Studie ausschließlich Probanden zwischen 25 und 88 Jahren untersucht, wurde sie von Politik und Medien umgehend missbraucht, um für ungesicherten Präsenzunterricht zu trommeln. Dabei stellt die Studie zwar fest, dass Kinder keine besonders starken Infektionstreiber sind, die Ansteckungsgefahr allerdings mit der Anzahl der Personen in einem Haushalt stark ansteigt.

Auch der Klassencharakter der Pandemie wird von der Studie ein weiteres Mal eindeutig belegt. „Menschen mit einem höheren gesellschaftlichen Status wissen häufiger von ihrer Infektion“, erklärte Studienleiter Philipp Wild gegenüber der Tagesschau. „Menschen mit einem niedrigen sozioökonomischen Status“ seien von Covid-19 hingegen „besonders betroffen“, obwohl sich diese Schichten konsequent an die Hygieneregeln halten. „Sozial Schwächere tragen auch finanziell die Hauptlasten der Krise“, so der Forscher.

Eine erneute Masseninfektion mit all ihren verheerenden Folgen kann nur verhindert werden, wenn Schüler, Lehrer und Arbeiter ihre Sicherheit selbst in die Hand nehmen und entsprechende Maßnahmen durchsetzen. Dazu müssen überall Aktionskomitees für sichere Bildung gegründet werden.

Die International Youth and Students for Social Equality (IYSSE) kämpfen für ein sozialistisches Programm gegen die Durchseuchungspolitik der kapitalistischen Regierungen und treten für folgende Forderungen ein:

  • Schulunterricht nur in festen Kleingruppen und mit umfangreichen Schutzmaßnahmen: Solange die Pandemie nicht besiegt ist, müssen alle Schüler, die in der Schule sind, bestens geschützt werden. Dies umfasst ausreichende Schutzausrüstung wie Masken und Desinfektionsmittel und die Installation von Luftfiltern.
  • Aussetzen der Präsenzpflicht und Bereitstellung zusätzlicher Urlaubs- und Krankentage: Niemand darf gezwungen werden, unter diesen gefährlichen Bedingungen in die Schule zu gehen. Schüler müssen unbürokratisch die Möglichkeit haben, sich freistellen zu lassen. Eltern, die zu Hause bleiben, um ihre Kinder zu betreuen, müssen vollen Verdienstausgleich bekommen – auch bei Quarantäne.
  • Digitale Lernmittel für alle: Niemandem darf auf Grund von mangelnder technischer Ausstattung eine qualitativ gleichwertige Teilnahme am Unterricht verwehrt bleiben. Alle Schüler müssen die dafür nötigen Endgeräte und einen Internetzugang erhalten.
  • Bereitstellung von Impfstoff für alle: Es muss umgehend geprüft werden, ob sicherer Impfstoff für Kinder existiert oder entwickelt werden kann. Die internationale Impfstoffproduktion muss der Profitgier einer kleinen Gruppe von Pharmaunternehmen entzogen und gesellschaftlich geplant werden.
  • Kein Prüfungsdruck und Lernstress: Schüler dürfen nicht durch Leistungsdruck in die Schule gezwungen werden. Lehrer- und Schülerkomitees müssen die Möglichkeit haben, alternative Methoden zur Feststellung des Lernerfolgs zu entwickeln und festzulegen.
  • Einstellung von hunderttausenden weiteren Lehrern und Hilfskräften: Anstatt Milliarden an die Banken und Großkonzerne zu verschenken, müssen diese Gelder ins Bildungssystem investiert werden, um eine gute und sichere Bildung für alle zu gewährleisten.
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