Der Absturz der Linkspartei

Die Linke hat bei der Bundestagswahl vom 26. September eine verheerende Niederlage erlitten. Obwohl die Wahl von massiver sozialer Unzufriedenheit geprägt war, die bisherige Kanzlerpartei CDU tief abstürzte und auch die rechtsextreme AfD Stimmen einbüßte, verlor sie über zwei Millionen Wähler.

Linken-Spitzenkandidatin und Parteivorsitzende Janine Wissler

Im Vergleich zur Bundestagswahl 2017 halbierte sich der Stimmenanteil der Linken nahezu. Sie büßte 4,3 Prozentpunkte ein und erreichte nur noch 4,9 Prozent. Die Zahl ihrer Mandate schrumpfte von 69 auf 39. Sie stellt die mit Abstand kleinste Fraktion im neuen Bundestag, der auf 730 Mitglieder angewachsen ist. Hätte sie nicht drei Direktmandate gewonnen – zwei in Berlin und eines in Leipzig –, wäre sie an der Fünf-Prozent-Hürde gescheitert und im Bundestag nicht mehr vertreten.

Die Stimmenverluste verteilen sich auf alle Bundesländer und auf alle politischen Flügel der Linken. Besonders dramatisch sind sie in den fünf östlichen Ländern, den einstigen Hochburgen der Partei. Hier kam sie durchschnittlich nur noch auf 9,8 Prozent. Lediglich in Thüringen (11,4) und Mecklenburg-Vorpommern (11,1) erreichte sie noch zweistellige Ergebnisse. In Thüringen, wo Die Linke mit Bodo Ramelow seit sieben Jahren den Ministerpräsidenten stellt, ist sie hinter der AfD (24), der SPD (23,4) und der CDU (16,9) nur viertstärkste Partei.

Auch im Westen verlor Die Linke massiv. In Nordrhein-Westfalen, wo Sahra Wagenknecht als Spitzenkandidatin antrat, büßte sie 3,8 Prozentpunkte ein und kam nur noch auf 3,7 Prozent.

Bei der Wahl der Landesparlamente in Berlin und Mecklenburg-Vorpommern erlitt die Linke ebenfalls Verluste, wenn auch nicht in gleichem Ausmaß wie im Bund. In Berlin sank ihr Ergebnis um 1,6 auf 14 Prozent, in Mecklenburg-Vorpommern um 3,3 auf 9,9 Prozent.

Der Kollaps der Linken ist umso bemerkenswerter, als die Stimmung in den Wahlen eindeutig links war. Das zeigen nicht nur die massiven Verluste von CDU, CSU und AfD, sondern auch die Umfragen über die wichtigsten Fragen, die die Wähler beschäftigen. Die Corona-Pandemie, der Klimawandel und die soziale Ungleichheit stehen an vorderster Stelle.

In Berlin sprachen sich in einem Volksentscheid, der parallel zu den Wahlen stattfand, 56,4 Prozent für die Enteignung großer Wohnungskonzerne aus, nur 39 Prozent stimmten dagegen. Doch obwohl die Initiatoren des Referendums der Linkspartei nahestehen, konnte sie nicht davon profitieren.

Der Grund für den Absturz der Linken

Die Parteiführung hat keine Erklärung für das Wahldebakel. Sie übt sich lediglich in oberflächlichen Spekulationen. Dabei ist der Grund für den Absturz der Linken offensichtlich. Er liegt an ihrer rechten, kapitalistischen Politik, die sich nicht mehr mit linken Phrasen bemänteln lässt. Nach jahrelangen Erfahrungen mit ihrer Regierungspraxis geht niemand mehr der Behauptung auf den Leim, sie sei eine linke Alternative zu den anderen bürgerlichen Parteien.

Bereits das Bündnis von SPD und PDS, bzw. Linkspartei, das von 2002 bis 2011 Berlin regierte, war bundesweiter Spitzenreiter beim Abbau von Arbeitsplätzen und Löhnen im öffentlichen Dienst, der Privatisierung von Krankenhäusern und dem Verkauf öffentlicher Wohnungen an Spekulanten. Die scharfen sozialen Gegensätze in der Hauptstadt sind ein Ergebnis dieser Politik.

Während der Corona-Pandemie hat Die Linke die „Profite-vor-Leben“-Politik der Großen Koalition unterstützt, die bereits 94.000 Todesopfer gefordert hat und nun in eine gefährlich vierte Welle mündet. Der einzige Ministerpräsident der Linken, Bodo Ramelow, hat bei der Öffnungspolitik wiederholt eine Vorreiterrolle gespielt. Als Folge weist Thüringen die zweithöchste Infektionsrate Deutschlands auf: 6,3 Prozent der Gesamtbevölkerung haben sich bisher mit dem Virus angesteckt.

Bei der Abschiebung von Flüchtlingen nimmt das Land ebenfalls einen Spitzenplatz ein. Und es ist eine Hochburg der AfD, die vom Faschisten Björn Höcke geführt und von der Linken hofiert wird. Nachdem 2019 ein Bündnis von AfD, CDU und FDP Ramelow gestürzt hatte und er nur dank öffentlicher Proteste wieder in sein Amt zurückgekehrt war, verhalf er dem AfD-Mann Michael Kaufmann mit seiner Stimme persönlich zum Posten eines Vizepräsidenten des Landtags.

Auch während der Bundestagswahl war der rechte Charakter der Linken für jedermann sichtbar. Ihr gesamter Wahlkampf war darauf ausgerichtet, sich den Hartz-IV- und Kriegsparteien SPD und Grüne als Koalitionspartner anzudienen. Mitten im Wahlkampf bekannte sie sich erstmals offen zur Nato und unterstützte – durch Stimmenthaltung und mehrere Ja-Stimmen – den Kriegseinsatz der Bundeswehr in Afghanistan.

Kurz vor dem Wahltermin ersetzte sie ihr Wahlprogramm durch ein „Sofortprogramm“, das in allen Fragen mit den Positionen der SPD und der Grünen kompatibel war. Viele Wähler zogen es vor, das Original statt der Kopie zu wählen. Laut Analyse der ARD wanderten unter dem Strich 590.000 frühere Linken-Wähler zur SPD und 470.000 zu den Grünen ab. 520.000 blieben der Wahl fern.

Die Linke reagiert auf das Wahldebakel mit einem weiteren Rechtsruck und umarmt offen rechte und ausländerfeindliche Positionen. Bodo Ramelow, der Bundestagsfraktionsvorsitzende Dietmar Bartsch und andere sprachen sich nach der Wahl für eine prominentere Rolle Sahra Wagenknechts aus. Ramelow sagte der Zeitung Die Welt: „Ich hatte zu Sahra Wagenknecht immer einen guten Draht. Ich finde gut, dass sie wieder da ist.“

Wagenknecht hatte kurz vor Wahlkampfbeginn das Buch „Die Selbstgerechten“ veröffentlicht, eine nationalistische Hetzschrift, die gegen Kosmopolitismus und Weltoffenheit wettert, für Protektionismus und einen starken Staat wirbt und Migranten und Flüchtlinge als Lohndrücker, Streikbrecher und kulturfremde Elemente denunziert.

Eine Regierungsbeteiligung im Bund ist für die Linke jetzt nicht mehr möglich, da die Zahl ihrer Abgeordneten für ein Bündnis mit SPD und Grünen nicht ausreicht. Umso heftiger drängt sie auf eine Regierungsbeteiligung in den Ländern. In Mecklenburg-Vorpommern, wo die SPD bisher mit der CDU regierte, hat sie sich der SPD am Wahlabend als Mehrheitsbeschafferin angeboten. In Berlin will sie unter der rechten Sozialdemokratin Franziska Giffey die Koalition mit SPD und Grünen fortsetzen.

Bankrott von Marx21 und SAV

Der Absturz der Linken fällt ein vernichtendes Urteil über pseudolinke Organisationen wie Marx21, Sozialistische Alternative (SAV) und RIO, die seit vielen Jahren die Illusion schüren, man könne Die Linke durch Druck von innen oder außen in eine sozialistische Partei verwandeln.

In Wirklichkeit war Die Linke von Anfang an eine bürgerliche Partei. Ihr Ursprung geht auf die stalinistische SED der DDR, zurück, die 1989 die Einheit Deutschlands auf kapitalistischer Grundlage unterstützte. Ihre damalige Perspektive wurde vom letzten SED/PDS-Ministerpräsidenten und langjährigen PDS-Ehrenvorsitzenden Hans Modrow auf den Punkt gebracht, als er in seinen Erinnerungen schrieb: „Nach meiner Einsicht war der Weg zur Einheit unumgänglich notwendig und musste mit Entschlossenheit beschritten werden.“

An dieser Entschlossenheit, den Kapitalismus zu verteidigen, hielt die PDS seither unerschütterlich fest. Sie wurde in den ostdeutschen Kommunen und Ländern bald wieder zum Ordnungsfaktor und unterdrückte die Opposition gegen die katastrophalen sozialen Folgen der kapitalistischen Restauration.

2007 schloss sich die PDS mit der westdeutschen Wahlalternative Arbeit und soziale Gerechtigkeitzur Partei Die Linke zusammen. Die WASG war ein Sammelbecken für Gewerkschaftsbürokraten, SPD-Funktionäre und Pseudolinke, die fürchteten, dass die SPD und die Gewerkschaften nach der Agenda 2010 der Regierung Schröder den Klassenkampf nicht mehr unter Kontrolle halten könne. Die Linke sollte verhindern, dass sich die Arbeiterklasse einer revolutionären, sozialistischen Perspektive zuwendet.

Die Führung der neuen Partei übernahm – gemeinsam mit PDS-Gründer Gregor Gysi – Oskar Lafontaine, der über 40 Jahre lang höchste Ämter in SPD und Regierung ausgeübt hatte. Unter anderem war er Bürgermeister von Saarbrücken, Ministerpräsident des Saarlandes, Landesvorsitzender, Bundesvorsitzender und Kanzlerkandidat der SPD sowie Bundesfinanzminister.

Während sich die alten SED-Kader in der Linken wenig Mühe gaben, ihren rechten und konservativen Charakter zu verschleiern, bemühten sich mehrere pseudolinke Tendenzen, sie als linke, sozialistische Partei darzustellen.

Bereits in den 1990er Jahren schlossen sich führende Vertreter des Vereinigten Sekretariats Ernest Mandels, darunter Jakob Moneta und Winfried Wolf, der PDS an, wo sie in den Vorstand aufstiegen oder Bundestagsabgeordnete wurden. Mit der Gründung der Linkspartei folgten ihnen Marx21 und SAV, deren internationale Wurzeln auf die von Tony Cliff begründete „staatskapitalistische“ und die von Ted Grant begründete Militant-Tendenz zurückgehen. Beide hatten sich vorher im Dunstkreis der SPD bewegt.

Inzwischen spielen diese Pseudolinken eine führende Rolle in der Partei. Janine Wissler, die zwanzig Jahre lang Mitglied von Marx21 und ihren Vorgängerorganisationen war, ist Co-Vorsitzende der Linken und hat sie gemeinsam mit Bartsch als Spitzenkandidatin in den Wahlkampf geführt. Sie hat in zahlreichen Talkshow-Auftritten, Wahlkampfreden und Interviews den Regierungs- und Nato-Kurs der Partei verteidigt.

Die Pseudolinken haben Die Linke nicht, wie sie versprachen, nach links gerückt, sie sind mit ihr nach rechts gegangen. Der Grund dafür ist der Klassencharakter dieser Tendenzen. Sie vertreten nicht die Interessen der Arbeiterklasse, sondern wohlhabender Mittelschichten – Akademiker, Gewerkschafts- und Parteifunktionäre, usw. – die die bestehende Gesellschaftsordnung verteidigen, um ihre Privilegien zu erhalten.

Was sie an der Linkspartei anzog, waren nicht ihre durchsichtigen sozialen Phrasen, sondern ihre Verteidigung der bürgerlichen Ordnung und die zweistelligen Millionensummen, die jedes Jahr über Abgeordnetendiäten, Wahlkampfkostenerstattung und Zuschüsse für die Rosa-Luxemburg-Stiftung in die Parteikassen fließen.

Die Rechtsentwicklung der Pseudolinken ist ein internationales Phänomen. In Griechenland wurde die „Koalition der Radikalen Linken“ (Syriza) 2015 auf einer Welle der Opposition gegen das Spardiktat der EU zur Regierungspartei gewählt und setzte dann ein brutales Sparprogramm um. In Spanien unterstützt Podemos als Regierungsmitglied eine rücksichtslose Durchseuchungspolitik, die Kriminalisierung katalanischer Separatisten und brutale soziale Angriffe. In den USA betätigen sich die Democratic Socialists (DSA) als linkes Feigenblatt der Biden-Administration.

Es ist daher nur folgerichtig, wenn die Pseudolinken auch weiterhin an der Lüge festhalten, man könne Die Linke in eine sozialistische Partei verwandeln. Marx21 hat ein langes Statement „Die Linke: Wie weiter nach dem Wahldebakel“ veröffentlicht, das „links blinkende Sozialdemokraten und Grüne“, das „Reformer-Lager“ der Linkspartei, Sahra Wagenknecht und viele andere für die Wahlniederlage verantwortlich macht und zu einem „Neustart“ der Linken in der Opposition aufruft.

Die Stimmen für die Hartz-IV- und Kriegsparteien SPD und Grüne seien „mit der Hoffnung auf eine progressive soziale und ökologische Politik verbunden“, behauptet Marx21. „Wenn sie nicht liefern, wird sich schon bald zeigen, dass es eine starke Linke nach wie vor dringend braucht.“ Dringend braucht, um den Widerstand gegen die Regierung zu unterdrücken, müsste es korrekterweise heißen. Janine Wissler, das ureigenste Produkt von Marx21, erwähnt das Statement mit keiner Silbe. Feiger kann man die eigenen Spuren nicht verwischen.

Perspektive der SGP

Die SGP hat im Gegensatz zu den Pseudolinken stets darauf beharrt, dass eine sozialistische Bewegung nur im unversöhnlichen politischen Kampf gegen die Linke und das gesamte sozialdemokratische und gewerkschaftliche Milieu aufgebaut werden kann, zu dem sie gehört.

Bereits am 2. März 1990, als ein Parteitag der PDS – damals noch in der DDR – ein sozialdemokratisches Programm annahm, das den Klassenkampf zurückwies und sich zum kapitalistischen Eigentum bekannte, schrieben wir in der Neuen Arbeiterpresse: „Die Arbeiterklasse muss mit dem Stalinismus in seiner neuen Form ebenso entscheidend brechen wie mit dem Stalinismus von Honecker und Krenz. Die PDS vertritt nicht ihre Interessen, sondern die einer privilegierten Schicht von Bürokraten, die nun im Kapitalismus Karriere machen wollen.“

Seither haben wir hunderte Artikel und Statements veröffentlicht, die erklären, weshalb der Kampf für den Sozialismus nur gegen Die Linke möglich ist und den Bruch mit ihr erfordert. Ihr Absturz ist deshalb zu begrüßen. Er ist die Folge einer scharfen Klassenpolarisierung. Millionen Corona-Tote, eine nie dagewesene Kluft zwischen Arm und Reich sowie die Rückkehr zu Militarismus, Aufrüstung und Krieg setzen auf der ganzen Welt heftige Klassenkämpfe auf die Tagesordnung.

Die herrschenden Klassen reagieren darauf, indem sie die Reihen schließen, weiter nach rechts rücken, den Staatsapparat aufrüsten und faschistische Kräfte stärken. Die Politik der Linken ist Teil dieser Entwicklung.

Die Arbeiterklasse bewegt sich in die entgegengesetzte Richtung. Weltweit häufen sich Zeichen des Widerstands – Streiks gegen niedrige Löhne, unerträgliche Arbeitsbedingungen und Entlassungen, Proteste gegen Durchseuchungspolitik, Demonstrationen gegen hohe Mieten und Klimaerwärmung. Diese Kämpfe erfordern eine grundlegende politische Neuorientierung. Die Arbeiterklasse muss sich unabhängig organisieren, international zusammenschließen und für ein sozialistisches Programm kämpfen – für die Errichtung von Arbeiterregierungen, die Enteignung der großen Konzerne und Banken und die Reorganisation der Produktion unter demokratischer Kontrolle.

Für dieses Programm kämpfen die Sozialistische Gleichheitspartei und das Internationale Komitee der Vierten Internationale. Das Internationale Komitee hat das marxistische Programm des revolutionären Sozialismus jahrzehntelang gegen Strömungen wie Marx21 und SAV verteidigt. Sie ist heute die einzige sozialistische Tendenz, die diesen Namen verdient.

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