Schwarz-grüne Landesregierung in Hessen beschließt repressives Versammlungsgesetz

Am 21. März 2023 verabschiedete die schwarz-grüne Koalition im hessischen Landtag ein neues Versammlungsgesetz, das das bisher geltende Bundesgesetz ersetzen soll. Es fügt sich in ähnliche Gesetze auf Landesebene ein und ist ein drastischer Angriff auf das Grundrecht der Versammlungsfreiheit.

Eine Demonstration soll künftig bereits dann beschränkt, also mit allen möglichen Auflagen und Einschränkungen versehen werden können, wenn sie nach Ansicht der Behörden die öffentliche „Ordnung“ gefährdet. Wie unbestimmt dieser Begriff ist – nicht zu verwechseln mit dem Rechtsbegriff der „öffentlichen Sicherheit“– wird aus seiner Definition in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts deutlich.

Der Begriff der öffentlichen Ordnung umfasst demnach

die Gesamtheit der ungeschriebenen [!] Regeln, deren Befolgung nach den jeweils herrschenden und mit dem Wertgehalt des Grundgesetzes zu vereinbarenden sozialen und ethischen Anschauungen als unerlässliche Voraussetzung eines geordneten menschlichen Zusammenlebens innerhalb eines bestimmten Gebietes angesehen wird.

Eine solch schwammige Ermächtigungsgrundlage öffnet willkürlichem Handeln des Staates Tür und Tor. Und genau das ist auch beabsichtigt, in der Gesetzesbegründung wird das ausdrücklich betont. Dort heißt es:

Das Schutzgut der öffentlichen Ordnung stellt einen wichtigen Auffangtatbestand dar, auch um gegen neuartige oder atypische Gefahrentatbestände einschreiten zu können, die (noch) nicht die öffentliche Sicherheit berühren.

„Auffangtatbestände“, „neuartige“, „atypische“ Gefahren, die die „öffentliche Sicherheit“ gar nicht berühren... Es wird klar, dass hier dem Staat ein breites Feld der freien Interpretation eingeräumt wird.

Das Gesetz enthält weitreichende neue oder verschärfte Bestimmungen. So müssen Versammlungen künftig grundsätzlich 48 Stunden vorher angemeldet werden, anstatt wie bisher 24 Stunden. Die Frist kann sich laut Gesetzesbegründung „mit Blick auf den Arbeitsalltag von Verwaltungsbehörden“ mit Sonn- und Feiertagen verlängern. Dies ist nicht nur eine zusätzliche Hürde für diejenigen, die eine Demonstration anmelden, sondern soll den Behörden auch mehr Zeit geben, tatsächliche oder angebliche „drohende Gefahren für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung“ geltend zu machen.

Gemäß § 12 (7) können Versammlungsleiter als „ungeeignet“ abgelehnt werden.

Gemäß § 12 (8) kann die Behörde in bestimmten Fällen vom Veranstalter verlangen, dass er persönliche Daten derjenigen Personen offenlegt, die als Ordner vorgesehen sind. In der Folge können auch diese Personen „als ungeeignet abgelehnt“ werden.

Das „Komitee für Grundrechte und Demokratie“ schrieb in seiner Stellungnahme bei der Sachverständigenanhörung im Gesetzesverfahren:

Es handelt sich hier um die Einführung einer Art „versammlungsrechtlicher Zuverlässigkeitsprüfung“. In welcher Form und auf Basis welcher Kriterien diese erfolgen würde, bleibt unklar, dazu findet sich nichts in der Gesetzesbegründung. Um jedoch überhaupt eine „Ungeeignetheit“ festlegen zu können, braucht es eine irgendwie geartete Datenbasis.

Entsprechend müssten die Behörden Listen mit persönlichen Daten und Kriterien der „Ungeeignetheit“ anlegen oder im Rahmen der Prüfung der Geeignetheit auf bereits bestehende Datenbasen zugreifen. (…) Die Regelung wird aufgrund der Gefahr der Ausforschung durch staatliche Stellen eine erhebliche abschreckende Wirkung erzielen, was sich direkt auf die Gewährleistung der Versammlungsfreiheit auswirkt.

Auch praktisch ergeben sich weitere Probleme: Veranstalter*innen organisieren die Ordner*innen häufig spontan, verfügen also im Vorfeld der Versammlung in der Regel gar nicht über deren Daten.

Zudem gehören diejenige, die sich als Ordner*innen melden, häufig zum Umfeld oder direkt zu den Organisationen der Veranstalter*innen. Gerade bei politisch kontroversen Anliegen fürchten die Beteiligten aus nachvollziehbaren Gründen eine Erfassung durch die Polizei oder weitere staatliche Behörden.

Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ist es in erster Linie Sache der Teilnehmer, ihre Versammlung zu gestalten. Dabei kann insbesondere der optischen Gestaltung eine herausragende Rolle zukommen, indem etwa farblich ein einheitliches Auftreten erfolgt, um einen gemeinsamen Standpunkt zum Ausdruck zu bringen, um Geschlossenheit und Entschlossenheit zu vermitteln.

Ärzte-Warnstreik im weißen Kittel, Frankfurt am Main, 31. März 2022 (Foto: WSWS)

Man denke hier nur an die „Gelbwesten“ in Frankreich, aber auch an die weißen Kittel von Ärzten und Pflegekräften. Bei Großdemonstrationen wiederum ist es vielfach üblich, dass sich verschiedene „Blöcke“ nach Themen oder politischer Ausrichtung auch äußerlich abgrenzen und sichtbar machen.

Nach dem neuen hessischen Versammlungsgesetz gilt dagegen ein „Uniform-, Militanz- und Einschüchterungsverbot“, wonach es u.a. verboten ist, „Uniformen, Uniformteile oder uniformähnliche Kleidungsstücke zu tragen“, wenn „dadurch der Eindruck von Gewaltbereitschaft vermittelt und eine einschüchternde Wirkung erzeugt wird“. Was angeblich welchen „Eindruck vermittelt“ und „Wirkung erzeugt“, darüber entscheidet in der Praxis erst einmal die Polizei.

Die Polizei erhält im neuen Gesetz praktisch unbegrenzte Vollmachten. § 10 verweist auf das HSOG (Hessisches Gesetz über Sicherheit und Ordnung), und eröffnet der Polizei damit den Zugriff auf sämtliche Eingriffsmaßnahmen des Polizeirechts.

Nach § 11 darf die Polizei nach ihrem eigenen Ermessen bei Demonstrationen präsent sein, in einem Ausmaß, wie sie es selbst für angemessen hält. Das gilt für Zivilpolizisten bzw. verdeckte Ermittler ebenso wie für Polizeikräfte in Uniform und Schutzausrüstung. Legitimieren müssen sich nach der Gesetzesbegründung nur Polizisten in Zivil, und dies bei Demonstrationen auch nur gegenüber der Versammlungsleitung. Außerdem betont die Gesetzesbegründung, dass Angehörige des Verfassungsschutzes und V-Leute sich überhaupt nicht legitimieren müssen.

Eine im Vorfeld heftig umstrittene Regelung ist die weitreichende Ermächtigung zur Einschüchterung und Ausforschung mittels Videoüberwachung. Sogenannte „Übersichtsaufnahmen“ darf die Polizei bereits anfertigen „wenn dies wegen der Größe oder Unübersichtlichkeit der Versammlung im Einzelfall erforderlich ist“. Es ist leicht absehbar, dass bei größeren Demonstrationen der Einzelfall der Regelfall sein wird. Die Aufnahmen dürfen bis zu zwei Monate gespeichert werden.

Der Rechtsprofessor Clemens Arzt, der in der Sachverständigenanhörung im Innenausschuss zum neuen Gesetz gehört wurde, wies zu Recht darauf hin, dass es heute technisch keine reinen Übersichtsaufnahmen mehr gebe: Man könne alles immer „heranzoomen und herausdestillieren“. Solche Übersichtsaufnahmen seien deswegen ein schwerer Eingriff in das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung. Durch die Videoüberwachung auf Demonstrationen sei dieses Recht nicht mehr gewährleistet. Die Folge sei eine „sehr hohe Abschreckungswirkung“, so der Rechtsprofessor.

Das schwarz-grüne Versammlungsgesetz atmet den Geist einer rechten Diktatur. Wohlwollend äußerten sich die Vertreter der rechtsextremen AfD. Das Vorhaben der Landesregierung sei „gut gemeint“, hielt der AfD-Landtagsabgeordnete Dirk Gaw dem Entwurf zugute. Er sei bloß „handwerklich schlecht gemacht“.

Das hessische Versammlungsgesetz reiht sich ein in zahlreiche Angriffe auf demokratische Grundrechte. Es orientiert sich in der Praxis vor allem an dem seit Anfang letzten Jahres geltenden Versammlungsgesetz in Nordrhein-Westfalen, das als eins der repressivsten in ganz Deutschland gilt. Auch die neue schwarz-grüne Landesregierung in NRW lobt es und behält es bei.

In Berlin wurde am 8. Mai letzten Jahres, dem Tag der Befreiung vom Faschismus, das Zeigen der sowjetischen Fahne – unter der nicht zuletzt Auschwitz befreit wurde – an sowjetischen Ehrenmälern polizeilich verboten.

Kurz darauf folgte das Verbot aller palästinensischen Demonstrationen zum Nakba-Tag. Wenige Monate später verschärfte der Bundestag den Volksverhetzungsparagraphen; nun droht jedem eine Strafe, der angebliche Kriegsverbrechen eines gerade dämonisierten Landes in Frage stellt. Als Präzedenzfall wurde bereits der Friedensaktivist Heinrich Bücker verurteilt, weil er sich in einer öffentlichen Rede gegen die deutsche Kriegspolitik in der Ukraine wandte.

Während weltweit immer breitere Schichten der Bevölkerung gegen Ausbeutung, Ungleichheit, Unterdrückung und Krieg in Bewegung geraten, entwickelt die herrschende Klasse ihre repressiven Instrumente, um Proteste zu kriminalisieren und zu unterdrücken.

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