Perspektive

Razzia gegen „Letzte Generation“: Vorbereitung eines Polizeistaats

Am Mittwoch ereigneten sich in Deutschland Szenen, die man sonst vor allem aus Militärdiktaturen und faschistischen Regimes kennt. Schwer bewaffnete Polizeieinheiten gingen bundesweit gegen die Klimaschutzgruppe „Letzte Generation“ vor und stürmten mit vorgehaltener Waffe die Wohnungen führender Mitglieder. Außerdem wurde die Website der Gruppe gesperrt und die Konten eingefroren.

Den Behörden zufolge wurden in sieben Bundesländern Razzien in insgesamt 15 Gebäuden durchgeführt. Das Vorgehen erinnerte an die dunkelsten Zeiten der Geschichte. Carla Hinrichs, eine Sprecherin und Mitbegründerin des Klimabündnisses, schilderte die Erstürmung ihrer Wohnung in einem Tweet wie folgt:

Man kennt es nur aus dem Film. Plötzlich wacht man auf, weil gegen deine Tür gedonnert wird. Man wacht auf, weil ‚Polizei‘ geschrien wird und plötzlich steht ein Polizist mit schusssicherer Weste vor deinem Bett und richtet eine Waffe auf dich. Dann durchsuchen sie alles und nehmen alles mit, was eigentlich zu deinem Alltag gehört. Das macht Angst... .

Loading Tweet ...
Tweet not loading? See it directly on Twitter

Die World Socialist Web Site und die Sozialistische Gleichheitpartei (SGP) verurteilen den Polizeiterror gegen die Klimaaktivisten auf das Schärfste. Er richtet sich nicht nur gegen die „Letzte Generation“, sondern zielt auf die Unterdrückung jeder sozialen und politischen Opposition. Friedlicher Protest, ziviler Ungehorsam, Streiks und letztlich jede Form der Opposition sollen kriminalisiert und eingeschüchtert werden.

Die Razzien am Mittwoch fanden auf der Grundlage des Paragrafen 129 im Strafgesetzbuch statt, der die „Bildung krimineller Vereinigungen“ unter Strafe stellt. Das hat extrem weitreichende Konsequenzen. Die Aktivisten der „letzten Generation“ protestieren friedlich und lehnen Gewalt explizit ab. Sie machen vor allem mit Verkehrsblockaden auf ihr Anliegen aufmerksam. Trotzdem werden sie und ihre Unterstützer wie Verbrecher behandelt.

Straßenblockade am Hauptbahnhof Berlin [Photo: Stefan Müller (climate stuff, 1 Mio views) from Germany, CC BY 2.0 , via Wikimedia Commons]

Der Paragraf 129, der auf das Reichsstrafgesetzbuch des Deutschen Kaiserreichs aus dem Jahre 1871 zurückgeht und historisch vor allem gegen Linke und Kommunisten angewandt wurde, sieht für Mitglieder einer „kriminellen Vereinigung“ massive Strafen vor.

„Mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe wird bestraft, wer eine Vereinigung gründet oder sich an einer Vereinigung als Mitglied beteiligt, deren Zweck oder Tätigkeit auf die Begehung von Straftaten gerichtet ist“, heißt es darin. Auch „wer eine solche Vereinigung unterstützt oder für sie um Mitglieder oder Unterstützer wirbt“ wird mit „Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe“ bestraft.

Bereits in den vergangenen Wochen wurden Haftstrafen gegen Klimaaktivisten verhängt. Am 6. März wurden erstmals zwei Mitglieder der Letzten Generation für die Teilnahme an einer Straßenblockade vom Amtsgericht Heilbronn zu Freiheitsstrafen von zwei bzw. drei Monaten ohne Bewährung verurteilt. Ende April wurde eine Klimaaktivistin vom Amtsgericht Berlin dann sogar zu vier Monaten Freiheitsstrafe ohne Bewährung verurteilt. Nun wird die Unterdrückung massiv ausgeweitet.

Meldung der Generalstaatsanwaltschaft München [Photo: Generalstaatsanwaltschaft München und Bayerisches Landeskriminalamt, Public domain, via Wikimedia Commons]

Obwohl es noch keine Gerichtsentscheidung gibt, erklärte die Generalstaatsanwaltschaft München, die die Razzien veranlasste, die „Letzte Generation“ zur „kriminellen Vereinigung“. Wer am Mittwoch die Website der Klimaschutzgruppe öffnete, bekam folgende Meldung zu lesen:

Die Homepage der ‚Letzten Generation‘ wurde im Auftrag der Generalstaatsanwaltschaft München – Bayerische Zentralstelle zur Bekämpfung von Extremismus und Terrorismus (ZET) – durch das Bayerische Landeskriminalamt beschlagnahmt. Die Letzte Generation stellt eine kriminelle Vereinigung gemäß § 129 StGB dar! Achtung: Spenden an die letzte Generation stellen mithin ein strafbares Unterstützen der kriminellen Vereinigung dar!

Das martialische Vorgehen ist nicht einfach die Politik der rechten bayrischen CSU-Regierung, sondern wird von allen Landesregierungen und auch der Bundesregierung unterstützt.

Die Maßnahmen zeigten, dass der „Rechtsstaat“ sich nicht auf der Nase herumtanzen lasse, sagte die Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) den Zeitungen der Essener Funke Mediengruppe. „Polizei und Justiz nehmen Straftaten nicht hin, sondern handeln – so wie es ihre Pflicht ist“. Legitimer Protest ende immer da, wo Straftaten begangen und andere in ihren Rechten verletzt würden: „Wenn diese rote Linie überschritten ist, dann muss die Polizei handeln.“

Die neue Berliner Justizsenatorin Felor Badenberg, die in der Hauptstadt ebenfalls die Einstufung der „Letzten Generation“ als kriminelle Vereinigung prüfen lässt, rückte die Klimaaktivisten sogar in die Nähe des Terrorismus. „Ob die ‚Letzte Generation‘ in den Untergrund zu gehen hat oder sonstiges, das ist eine Entscheidung, die die ‚Letzte Generation‘ für sich treffen muss“, erklärte sie in einem Interview mit den ARD-Tagesthemen.

Das Auftreten Badenbergs unterstreicht, welche extrem rechte Agenda die herrschende Klasse verfolgt und welchen reaktionären Zielen sie dient. Badenberg war zuletzt Vizepräsidentin des Bundesamts für Verfassungsschutz. Zwischen 2013 und 2018 arbeitete sie eng mit dem rechtsextremen damaligen Verfassungsschutzpräsidenten Hans-Georg Maaßen zusammen und war laut Wikipedia „verantwortlich für die Kontakte des Amtes zum Deutschen Bundestag und zur Bundesregierung sowie für die Reden und Vorträge des Präsidenten“.

Maaßen stärkte und verteidigte in seiner Amtszeit nicht nur rechte und faschistische Kräfte, er stellte auch die SGP unter geheimdienstliche Beobachtung. Das begründete er ausschließlich damit, dass diese ein sozialistisches Programm vertrete, Kapitalismus, Militarismus und Nationalismus kritisiere und die etablierten Parteien sowie die Gewerkschaften ablehne. Wir warnten bereits damals:

Das Vorgehen des Verfassungsschutzes gegen die Sozialistische Gleichheitspartei ist ein fundamentaler Angriff auf demokratische Rechte. Es ist Bestandteil einer Regierungspolitik, die immer offener auf autoritäre Maßnahmen und rechtsextreme Kräfte setzt, um eine Politik des Militarismus, der Staatsaufrüstung und des Sozialabbaus durchzusetzen und Widerstand dagegen zu unterdrücken. Es erinnert an die Weimarer Republik, in der Geheimdienst, Polizei und Justiz Sozialisten und Kriegsgegner rücksichtslos verfolgten, während sie die Nazis stärkten.

Das Vorgehen gegen die Klimaaktivisten ist die Umsetzung dieser rechtsextremen Agenda. Bezeichnenderweise wird es am lautesten von den Faschisten gefeiert. „Die bundesweite Razzia“ sei „ein erster guter Schritt in die richtige Richtung“, jubelte der stellvertretende AfD-Bundessprecher Stefan Brandner. Der Rechtsstaat müsse sich „aufgrund der kriminellen Machenschaften der Terroristen endlich wehrhaft zeigen“. Ein Verbot der Vereinigung sei „am Ende der richtige Schritt“. Seine Partei habe „ein solches... bereits vor einigen Wochen im Deutschen Bundestag beantragt“ und hoffe, „dass die Bundesregierung dem nun schnell entspricht.“

Der größere politische und historische Zusammenhang der Diktatur-Offensive ist offensichtlich. Wie in den 1930er Jahren erfordert die massive militärische Aufrüstung und die Vorbereitung auf Weltkrieg ein autoritäres und letztlich faschistisches Regime.

Die gefährliche Entwicklung unterstreicht die Bedeutung der Verfassungsbeschwerde der SGP gegen Faesers Innenministerium und ihren Geheimdienst. Darin heißt es:

Angesichts des Stellvertreterkriegs, den die Bundesregierung auf dem Rücken der ukrainischen Bevölkerung gegen Russland führt, der umfassendsten Aufrüstung seit Hitler und heftigen Angriffen auf die Arbeiter durch Inflation, Lohnraub und Massenentlassungen soll jeder mundtot gemacht werden, der gegen diese aggressive Klassenpolitik auftritt oder sie auch nur beim Namen nennt.

Sollte das Bundesverfassungsgericht der Regierung und dem Urteil folgen, wäre das ein Schritt in die Diktatur. Jeder Streik von Arbeitern, jeder Protest gegen die Aufrüstung und jede Demonstration gegen rechts könnten als verfassungsfeindlich verboten werden.

Das massive Vorgehen gegen die Klimaaktivisten ist eine ernste Warnung. Es zeigt, wie schnell und aggressiv die herrschende Klasse ihre Agenda unter Bedingungen des Kriegs und der Verschärfung des internationalen Klassenkampfs umsetzt. Die SGP wird ihren Kampf für den Aufbau einer unabhängigen Massenbewegung gegen Kapitalismus, Krieg und Diktatur intensivieren und ruft Arbeiter und Jugendliche auf, die Klimaaktivisten gegen die staatliche Repression zu verteidigen. Unterstützt unsere Verfassungsbeschwerde mit der Unterzeichnung dieser Petition auf Change.org.

Loading