Im Jahr 1933, als er die ersten Monate des Hitler-Regimes in Deutschland analysierte, schrieb Leo Trotzki in vernichtenden Worten über den historischen Rückschritt, der sich in dem Land vollzog, das einst ein Zentrum der europäischen Kultur gewesen war.
Was für unerschöpfliche Vorräte an Finsternis, Unwissenheit Wildheit! Die Verzweiflung hat sie auf die Beine gebracht, der Faschismus gab ihnen die Richtung. All das, was bei ungehinderter Entwicklung der Gesellschaft vom nationalen Organismus als Kulturexkrement ausgeschieden werden müsste, ist heute durch den Schlund hochgekommen: Die kapitalistische Zivilisation erbricht die unverdaute Barbarei. Das ist die Physiologie des Nationalsozialismus. (Porträt des Nationalsozialismus, Essen 2023, S. 350)
Diese Worte kamen einem in den Sinn, wenn man die Rede von Donald Trump am Mittwochabend verfolgte. Im Laufe von 18 Minuten verbreitete der Präsident eine giftige Mischung aus unverhohlenen Lügen, rassistischer Bigotterie gegen Migranten und kaum verhüllten Gewaltandrohungen gegen politische Gegner.
Seine Äußerungen haben der ganzen Welt gezeigt, dass der Präsident der Vereinigten Staaten ein Soziopath ist, der aktiv die Unterdrückung der Massen und die Errichtung einer Diktatur in Amerika vorbereitet. Sein einziger politischer Vorschlag bestand darin, allen US-Soldaten einen Bonus von 1.776 Dollar zu gewähren – ein durchsichtiges Bestechungsgeld, das sicherstellen soll, dass sie Trumps Befehlen im In- und Ausland gehorchen, ganz gleich, wie illegal sie sind.
Trump versuchte, in der kurzen Zeit, die ihm die Fernsehsender zugestanden hatten, all die Lügen und Appelle an die Rückständigkeit unterzubringen, die normalerweise seine 90-minütigen Wahlkampfveranstaltungen füllen. Er eilte in einem fast manischen Tempo durch die Rede und erweckte den Eindruck, dass er entweder Medikamente genommen hatte – oder sie brauchte.
Der Ton von Trumps Rede war bezeichnend: Er wirkte wütend auf die amerikanische Bevölkerung und geriet fast in Panik angesichts der wahrscheinlichen Folgen des massiven Widerstands, den seine faschistische Politik hervorgerufen hat. In den vergangenen zwei Monaten haben Millionen von Menschen an den „No Kings“-Protesten teilgenommen, von Trump unterstützte Kandidaten haben bei den Wahlen außerhalb des Jahres schwere Niederlagen erlitten, und Trumps eigene Umfragewerte sind drastisch gesunken.
Seine Äußerungen trugen Hitlersche Züge, wobei die Migranten in seiner faschistischen Dämonologie den Platz der Juden einnahmen. Er machte Immigranten für alle sozialen Missstände des amerikanischen Kapitalismus verantwortlich – hohe Preise, Arbeitslosigkeit, Kriminalität, Obdachlosigkeit, Wohnungsnot, verfallende Schulen und ein schlecht funktionierendes Gesundheitssystem. Er wandte sich besonders gegen Somalier, die vor einer durch die US-Militärintervention ausgelösten Krise geflohen sind.
Die „große Lüge“ einer angeblichen „Invasion“ von 25 Millionen Einwanderern (die angeblich „aus Gefängnissen und Irrenhäusern“ kämen) wurde mit einer weiteren Unwahrheit kombiniert: dass Trumps Politik der Arbeiterklasse zugute käme. Er prahlte mit (frei erfundenen) enormen Lohnerhöhungen für Fabrikarbeiter, Bauarbeiter und Bergleute und behauptete gleichzeitig, dass die Löhne insgesamt schneller steigen als die Preise.
All das steht im Widerspruch zu den tatsächlichen Erfahrungen der arbeitenden Menschen, deren Lebensstandard nicht nur unter Trump und Biden, sondern seit Jahrzehnten stetig sinkt, da die Superreichen seit den 1970er Jahren praktisch das gesamte Wachstum des nationalen Reichtums an sich gerissen haben. Erwachsene unter 40 Jahren bilden heute die erste Generation in der modernen amerikanischen Geschichte, die mit niedrigeren Einkommen und schlechteren Aussichten konfrontiert ist als ihre Eltern.
Die in dieser Woche vom Bureau of Labor Statistics veröffentlichten Beschäftigungszahlen zeigen, dass die Arbeitslosenquote auf 4,6 Prozent gestiegen ist, den höchsten Stand seit vier Jahren, und dass heute 700.000 Arbeiter mehr arbeitslos sind als bei Trumps Rückkehr ins Weiße Haus am 20. Januar.
Trump reihte Lüge an Lüge: es gebe achtzehn Billionen Dollar an ausländischen Investitionen, die angeblich durch Zölle erlangt wurden; Benzin gebe es für 1,99 Dollar pro Gallone; Lebensmittelpreise würden „rapide fallen“; und er befinde sich in Verhandlungen über die Senkung der Medikamentenpreise „um 400, 500 und sogar 600 Prozent“ (da eine Senkung um 100 Prozent die Preise auf Null reduzieren würde, sind Trumps Zahlen schlichtweg Unsinn). Er arbeitet nach dem Prinzip seines Mentors Roy Cohn: „Man schafft sich seine eigene Realität.“
Ebenso wichtig ist, was Trump nicht gesagt hat. Er erwähnte weder den drohenden Krieg gegen Venezuela noch die mehr als 100 Menschen, die bei Bomben- und Raketenangriffen auf kleine Boote in der Karibik und im Ostpazifik ums Leben gekommen sind. Er erwähnte auch nicht die Stationierung von Truppen in amerikanischen Städten oder die zehntausenden von Migranten, die in Internierungslagern festgehalten werden, darunter auch Kinder.
In den Medienkommentaren nach der Rede wurden Trumps leicht zu entlarvende Unwahrheiten, sein bösartiger und bedrohlicher Ton und seine obsessive Fixierung darauf beklagt, jedes Problem entweder auf Einwanderer oder auf die Regierung Biden zu schieben. Die Demokraten haben jedoch keinen Versuch unternommen, dem politisch entgegen zu treten. Am Donnerstagabend war Trumps Rede völlig aus den Abendnachrichten verschwunden.
Die Demokratische Partei unternimmt nichts, um Trumps Drang zur Diktatur entgegenzuwirken. Keiner der führenden Demokraten hat seine Entlassung aus dem Amt gefordert. In der Tat hat die Führung der Demokratischen Partei jeden Vorschlag für ein Amtsenthebungsverfahren ausdrücklich zurückgewiesen. Und dies trotz Trumps wiederholter Verstöße gegen die Verfassung, einschließlich des illegalen Einsatzes des Militärs in Washington D.C. und anderen Städten der USA.
Nur wenige Stunden vor Trumps Rede am Mittwochabend stimmte eine Mehrheit der Demokraten im Senat für die Verabschiedung des National Defense Authorization Act, mit dem das Weiße Haus fast eine Billion Dollar an Militärmitteln erhält, um einen Angriffskrieg gegen Venezuela vorzubereiten.
Als Trump im Oktober einen Regierungsstillstand erzwang und damit Hunderttausende von Bundesbediensteten in die Arbeitslosigkeit trieb, eilten die Demokraten herbei, um ihm aus der Patsche zu helfen und eine Konfrontation zu vermeiden. Seit ihrem Wahlsieg im November haben die führenden Politiker der Demokraten ihre Zusammenarbeit nur noch weiter vertieft. Die neuen Gouverneure von Virginia und New Jersey versprachen, mit Trump „zusammenzuarbeiten.“ Der gewählte Bürgermeister von New York City, Zohran Mamdani, der von der DSA als Vorreiter des „demokratischen Sozialismus“ angepriesen wird, besuchte das Weiße Haus für einen Fototermin und kündigte eine „Partnerschaft“ mit dem faschistischen Präsidenten an.
Vor allem aber tun die Demokraten alles in ihrer Macht Stehende, um die Arbeiterklasse zu betäuben und die Tatsache zu verschleiern, dass die Vorbereitungen für eine Präsidialdiktatur mit Riesenschritten voranschreiten. Demokratische Gouverneure behaupten, sich Trumps Verfolgung von Einwanderern zu widersetzen – indem sie Klagen bei Gericht einreichen. Gleichzeitig arbeiten sie mit den Gewerkschaften zusammen, um jeden organisierten Widerstand der Arbeiterklasse gegen dieses illegale und verfassungswidrige Regime zu unterdrücken.
Trump spricht nicht nur als Individuum, sondern als die Verkörperung der amerikanischen Kapitalistenklasse. Er wurde ins Weiße Haus gesetzt, um als politischer Vertreter des Finanzkapitals und der Oligarchie zu dienen. Er ist ihr Mann.
Seine Regierung handelt im Auftrag von Milliardären wie Larry Ellison, Steven Schwarzman, Jeff Bezos und den Großbanken und Hedgefonds, die jeden Hebel der politischen Macht beherrschen. Trumps Bestreben, in seinen Händen unkontrollierte Autorität zu konzentrieren und eine Präsidialdiktatur zu errichten, ist nicht nur das Produkt seiner grotesken Persönlichkeit. Sie ergibt sich aus den unlösbaren Widersprüchen des amerikanischen und weltweiten Kapitalismus. Die herrschende Klasse der USA, die von Krisen im eigenen Land und wachsenden Herausforderungen im Ausland bedrängt wird, wendet sich diktatorischen Herrschaftsformen zu, um ihren Reichtum und ihre globale Vorherrschaft zu verteidigen.
Dieser Klassencharakter von Trumps faschistischem Programm erklärt auch die Feigheit und Komplizenschaft der Demokratischen Partei. Die Demokraten sind, ebenso wie die Republikaner, Instrumente der amerikanischen Konzerne. Ungeachtet ihrer taktischen Differenzen verteidigen sie beide die Interessen der Finanzoligarchie und sind sich über die wichtigsten Elemente der Außen- und Innenpolitik der Vereinigten Staaten einig. Und die Demokraten fürchten sich vor allem vor der Opposition von unten.
Der entwürdigende, panische, ja hysterische Charakter von Trumps Rede ist nicht nur ein Ausdruck seiner persönlichen Instabilität oder seiner zunehmenden Unfähigkeit. Sie ist Ausdruck der zunehmenden Ängste innerhalb der herrschenden Klasse insgesamt, die mit Erschütterungen auf den Weltfinanzmärkten, dem Aufstieg Chinas und dem wachsenden Widerstand in der Arbeiterklasse im eigenen Land gegen ihre Spar- und Aufrüstungspolitik konfrontiert ist.
Die Physiologie der faschistischen Kabale im Weißen Haus ist eine moderne Manifestation dessen, was Trotzki 1933 als „kulturelle Exkremente“ bezeichnete, die von einer kapitalistischen Gesellschaft im Endstadium der Krise erbrochen werden.
Die Aufgabe der Arbeiterklasse besteht darin, ihren Widerstand gegen die Trump-Regierung und das von ihr verteidigte kapitalistische System auf das von der Geschichte geforderte Niveau zu heben: den Aufbau einer revolutionären Massenbewegung zur Errichtung einer Arbeiterregierung, die sich einer sozialistischen Politik und der Enteignung der Oligarchie verpflichtet. Dies ist untrennbar verbunden mit dem Kampf für die internationale Vereinigung der Arbeiterklasse in einem gemeinsamen Kampf gegen Imperialismus, Diktatur und Krieg.
