Perspektive

Paul Krugmans verlogene Apologetik für den ukrainischen Faschismus

Ein Freiwilliger des faschistischen paramilitärischen Asow-Nationalkorps zeigt seine Hakenkreuztattoos bei einer Kundgebung in Kiew, Ukraine, 4. Juni 2019

Die New York Times veröffentlichte am Dienstag eine Kolumne von Paul Krugman, in der er die Rolle der ukrainischen Faschisten beim Massenmord an den Juden und Sowjetbürgern während des Zweiten Weltkriegs abtut und ihre Bedeutung im gegenwärtigen Nato-Stellvertreterkrieg gegen Russland als bloße „Schatten“ herunterspielt. Krugmans Kommentar „The Eyes of the World are Upon Ukraine“ (Die Augen der Welt sind auf die Ukraine gerichtet) ist eine durch und durch verlogene und zynische Rechtfertigung des ukrainischen Faschismus in Vergangenheit und Gegenwart.

Am Tag vorher war in der Times der Artikel „Nazi Symbols on Ukraine’s Front Lines Highlight Thorny Issues of History“ (Nazi-Symbole an der ukrainischen Front beleuchten heikle Fragen der Geschichte) erschienen. Wie David North, der Vorsitzende der internationalen WSWS-Redaktion, bemerkte, werden in dem Artikel die „tiefen historischen und zeitgenössischen Verbindungen des ukrainischen Nationalismus zu Nationalsozialismus und Völkermord“ einfach als „PR-Problem für die medialen Propagandisten“ abgetan, „die versuchen, den Nato-Stellvertreterkrieg als Kampf für Demokratie zu verkaufen“.

Der Artikel in der Times löste große Empörung aus, weil er zum einen die NS-Ideologie im ukrainischen Militär offenlegt und zum anderen einräumt, dass die Times und andere Medien Bilder von ukrainischen Soldaten zensiert haben, die „Abzeichen mit Symbolen tragen, die seit der Nazi-Zeit berüchtigt sind und zur Ikonographie rechtsextremer Hassgruppen gehören“.

Der Wirtschaftsnobelpreisträger Krugman, der normalerweise panglossische Kommentare über die Wirtschaft schreibt, sollte jetzt den Brand wieder löschen. Zum Leidwesen der Times hat Krugman keine Ahnung von Geschichte.

Als Vorwand für die Kolumne diente der 79. Jahrestag der alliierten D-Day-Invasion in der Normandie am 6. Juni 1944 im Zweiten Weltkrieg. Krugman bezeichnet die kürzlich begonnene ukrainische Offensive gegen Russland im Donbass und in der Südukraine absurderweise als „moralisches Äquivalent“ dieser Schlacht im Krieg gegen Hitler. Bei beiden gehe es um „Gut gegen Böse“.

Krugman stellt die Ukraine auf dieselbe Stufe wie „die großen Demokratien“, die gegen Nazideutschland gekämpft haben. Ähnlich wie die USA in den 1940er Jahren hat auch die Ukraine „Schwächen“, sogar „eine dunkle Seite“, darunter die „Korruption“ und „eine rechtsextreme Bewegung mit paramilitärischen Gruppen, die in ihrem Krieg eine Rolle gespielt haben“ und bei denen „Nazi-Symbolik immer noch beunruhigend weit verbreitet ist“. Aber was ist schon ein bisschen Faschismus unter Freunden? Nazi-Paramilitärs und die Ideologie der White Supremacy sind nur „Schatten“ in einer „unvollkommenen, aber echten Demokratie“, versichert Krugman den Lesern der Times.

In der Ukraine gibt es in Wirklichkeit keine „echte Demokratie“. Kiew hat die Oppositionsparteien verboten und jegliche Kritik am Krieg untersagt. Angebliche „Kollaborateure“ werden gejagt und strafrechtlich verfolgt. Wer sich für ein Ende des Gemetzels einsetzt, wird verhaftet, gefoltert und entführt. Wie Russland und die anderen sowjetischen Nachfolgestaaten wird auch die Ukraine von einer Kleptokratie beherrscht, die aus der alten stalinistischen Bürokratie hervorgegangen ist. Die Oligarchie bewahrt ihren unrechtmäßig erworbenen Reichtum mit Hilfe der repressivsten Arbeitsgesetze Europas – in einem Land, das schon vor dem Krieg zu den ärmsten Europas gehörte. Was die „nationale Freiheit“ betrifft, so führt Kiew eine aggressive Kampagne gegen die russische Sprache, die von einem großen Teil der Bevölkerung gesprochen wird. Auch die Sprachen und Kulturen anderer Minderheiten, darunter Ungarn, Polen und Roma, werden unterdrückt.

Über all das schweigt sich Krugman natürlich aus. Er gibt nur das zu, was nicht mehr zu leugnen ist: die Unterstützung des Nationalsozialismus in der ukrainischen Armee. Für Krugman handelt es sich allerdings nur um die bedauerliche Tatsache, dass die ukrainische Elite ihren angeblich lange hochgehaltenen demokratischen Idealen nicht gerecht wird.

Das Gegenteil ist der Fall. Das Hauptmerkmal der ukrainischen Nationalisten war ihre Beteiligung am Holocaust und am Vernichtungskrieg gegen die Sowjetunion.

Um heutige Lügen zu rechtfertigen, muss die Times die Vergangenheit fälschen. Deshalb werden der Vordenker der heutigen ukrainischen Faschisten, Stepan Bandera, und seine OUN (Organisation Ukrainischer Nationalisten) reingewaschen. Dabei war die OUN eine der übelsten und mörderischsten rassistischen Organisationen in den 1920er und 1930er Jahren in Europa.

Krugman stellt die Taten der OUN im Zweiten Weltkrieg als völlig verständliche Reaktion der ukrainischen Freiheitskämpfer auf die sowjetische Unterdrückung dar. Er schreibt:

Das Land hat unter Stalin schrecklich gelitten, und Millionen starben in einer absichtlich herbeigeführten Hungersnot. Deshalb begrüßten einige Ukrainer zunächst die Deutschen im Zweiten Weltkrieg (bis sie merkten, dass auch sie als Untermenschen betrachtet wurden), und Nazi-Symbole sind immer noch beunruhigend weit verbreitet.

Dieser Satz ist eine Aneinanderreihung ungeheuerlicher Lügen, die die Geschichtsfälschungen rechter NS-Apologeten wiederaufleben lassen. Die Hungersnot, die die UdSSR Anfang der 1930er Jahre heimsuchte, verwüstete sowohl ukrainische als auch nicht-ukrainische Gebiete und war das Ergebnis von Stalins rücksichtsloser Politik der Zwangskollektivierung. Kein ernsthafter Historiker unterstützt den rechtsextremen ukrainischen Mythos, dass die Hungersnot in einer Art und Weise „absichtlich herbeigeführt“ wurde, die auch nur im Entferntesten mit der systematischen, industriellen Vernichtung der europäischen Juden durch die Nazis vergleichbar wäre.

Und die Führer der OUN haben den Holocaust befürwortet. Die ukrainischen Faschisten „begrüßten“ die Nazis mit Dutzenden Pogromen, unter anderem in Lemberg, wo 6.000 Juden ermordet wurden. Sie waren an Gräueltaten wie dem berüchtigten Massaker von Babij Jar beteiligt, bei dem in nur zwei Tagen über 33.000 Juden getötet wurden. Im Gegensatz zu Krugmans Behauptungen unterstützte die OUN die Nazis während des gesamten Kriegs und setzte ihre terroristische Kriegsführung in der Westukraine auch nach dem Krieg fort.

Nach der endgültigen Zerschlagung der OUN in der Ukraine trugen die Emigranten die faschistische Fackel weiter. Viele von ihnen fanden in Kanada Zuflucht. Nach der Restauration des Kapitalismus in der ehemaligen Sowjetunion kehrten die Faschisten zurück. Als Spielball der westlichen Imperialisten waren es die ukrainischen Neofaschisten, die in Zusammenarbeit mit den amerikanischen und deutschen Geheimdiensten die Maidan-Proteste 2014 anführten. Sie stürzten die Regierung unter Janukowitsch, die versucht hatte, ein Gleichgewicht zwischen der Nato und Russland zu halten.

Krugman kommt erst spät in seiner Kolumne zu seinem eigentlichen Anliegen. Er schreibt:

Wladimir Putins Russland ist ein böswilliger Akteur, und alle Freunde der Freiheit müssen hoffen, dass es gründlich besiegt wird. Ich wünschte, ich könnte sagen, dass die Bürger der westlichen Demokratien, insbesondere die Amerikaner, sich voll und ganz für einen ukrainischen Sieg und eine russische Niederlage einsetzen würden. In Wirklichkeit unterstützen die meisten Amerikaner zwar die Hilfe für die Ukraine, aber nur eine Minderheit ist bereit, diese Hilfe so lange aufrechtzuerhalten, wie es nötig ist.

Krugman, der das Schlachtfeld von seinem Multimillionen-Dollar-Apartment am Riverside Drive aus betrachtet, zählt sich zu jenen, die „bereit sind, diese Hilfe so lange wie nötig aufrechtzuerhalten“ und bis zum letzten Ukrainer zu kämpfen. Ganz anders sieht es bei der Arbeiterklasse aus, die unter der kriegsbedingten Inflation und dem Sozialkahlschlag leidet.

Krugman beklagt, dass einige gegen den Krieg sind, weil es für sie immer wie 2003 ist und „sie sich daran erinnern, wie Amerika unter falschen Vorwänden den Krieg [im Irak] geführt hat“. Er macht sich Sorgen, dass diejenigen, die sich an die illegale Invasion in den Irak erinnern, „nicht erkennen, dass die Situation jetzt anders ist“. Er wünscht sich sehr, dass die Bevölkerung den jüngsten amerikanischen Kreuzzug für die „Freiheit“ von den vorangegangen Kriegen unterscheidet, und dass sie den Bösewicht Putin als noch schlimmer als Milosevic, Hussein, Gaddafi und Assad erkennt.

Aber die Situation in der Ukraine ist nicht nur nicht „anders“ als die im Irak. Beide Konflikte sind Teil einer ganzen Verkettung von Ereignissen, die auf die Restauration des Kapitalismus in der Sowjetunion zurückgehen. Die amerikanische herrschende Klasse betrachtete die Auflösung der UdSSR als „unipolaren Moment“. Es folgte eine nicht enden wollende Serie von Kriegen und Provokationen, die auf die Beherrschung von Eurasien abzielen, mit Russland und China im Mittelpunkt.

Deshalb hat die Nato trotz gegenteiliger Versprechen nach dem Kalten Krieg ihr antirussisches Bündnis erweitert – von Finnland im Norden bis Bulgarien im Süden. Letztlich war es die Angst des Kremls vor einem Nato-Beitritt der Ukraine, die Putin zu seiner katastrophalen und reaktionären Invasion veranlasste.

Krugmans erbärmliche Ignoranz der Geschichte ist nicht die Ausnahme, sondern die Regel. In den Redaktionsstuben der Times hat die Vergangenheit nur einen propagandistischen und utilitaristischen Wert. Was tatsächlich geschehen ist, hat keine Bedeutung und muss sogar verworfen werden, wenn es dem unmittelbaren politischen Kalkül widerspricht. Wenn man wie Krugman eine Geschichte vom „Kampf des Guten gegen das Böse“ erzählen will, dann muss die verbrecherische Rolle der ukrainischen Faschisten im Zweiten Weltkrieg, einschließlich des Massenmords an den ukrainischen Juden, auf einen „Schatten“ reduziert werden.

Die große Ironie ist, dass die Times zwar „für eine tolerante Haltung gegenüber der in der Ukraine vorherrschenden Nazi-Ideologie“ plädiert, wie David North schreibt. Aber wenn es um die Amerikanische Revolution und den Bürgerkrieg geht, zeigt sie keine solche Nachsicht. Sie startete das umfangreiche „1619 Project“, um die revolutionären Ereignisse in den USA zu verdammen, obwohl hier – ungeachtet ihrer Beschränkungen – echte Revolutionen stattgefunden haben, die das Banner der Gleichheit hochhielten. Während in Kiew unter dem Applaus der Times Statuen des faschistischen Massenmörders Stepan Bandera aufgestellt werden, wurden in Amerika Statuen von Jefferson, Washington und Lincoln gestürzt – ebenfalls mit Unterstützung der Times.

Die Lüge, schrieb Trotzki einst, dient als Kitt der politischen Reaktion. Dass die führende Zeitung des amerikanischen Liberalismus nicht mehr die historische Wahrheit sagen kann, muss als Warnung verstanden werden.

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